Читать книгу In Berlin wird noch geschossen e-book - Alana Maria Molnár - Страница 7
ОглавлениеLászló
Vera ist schwer verliebt. Das Objekt ihrer Anbetung ist ein Junge, der vor einem Jahr schon das Abitur bei uns gemacht hat. Sie zerrt mich zum Tableau mit den Fotos seines Jahrgangs und zeigt auf einen mit blonden Haaren. Der Name kommt dort zweimal vor, denn auch sein Zwillingsbruder, der ihm kein bißchen ähnlich sieht, ist dabei. Vera schwärmt morgens und besonders abends, wenn wir eng aneinander gequetscht und flüsternd in ihrem oder meinem Bett liegen, ausführlich von ihm. Vielleicht kommt er zur Abitursfeier im Mai, seufzt sie. Und László kommt.
Es gehört zur Tradition der Schule, daß Absolventen früherer Jahrgänge zu den Abschlußfesten erscheinen. Offensichtlich waren viele gern hier. Veras Angebeteter ist auch unter den Besuchern, sie hat vor Aufregung hektische Flecken im Gesicht. Ihre großen Rehaugen glänzen mit den Lichtern in der Aula um die Wette, ihr Blick saugt sich an der Gestalt eines sehr großen blonden jungen Mannes fest.
Unsere Klasse hat noch Unterricht, eine Stunde Biologie ist auch dabei. Der Platz neben mir ist an diesem Vormittag leer, aber das ändert sich nach der großen Pause. Der große blonde junge Mann kommt mit dem Biologielehrer in den Raum. Herr Dávid stellt ihn vor und zeigt auf den freien Platz neben mir. Unser Klassenlehrer will offensichtlich mit seiner Musterschülerin angeben, weil er mich zur Tafel holt. Die Vorstellung hat ihm gefallen, ich bekomme dafür die beste Note. László, der Blonde, applaudiert lautlos dazu und ich denke, was für ein Blödmann.
Diese Meinung ändere ich im Laufe des Tages gründlich. Nach der Biologiestunde müssen wir den Klassenraum aufräumen und für die Feier schmücken. László will helfen, steht aber immer nur im Weg. Dann habe ich eine Idee. Obwohl er sich reichlich ziert, schleppe ich ihn zum Klassenraum von Vera. Meine Wahlschwester hantiert gerade mit einem großen Besen. Ich finde eine Kehrschaufel, drücke sie László in die Hand und verschwinde. Nach der feierlichen Ansprache des Direktors und anderer Leute in der Aula kann jeder machen, was er will, ich gehe zurück in meinen Klassenraum. Auf meinem Platz sitzt der große Blonde und blättert in meinen Büchern und Heften.
»Nicht schlecht für ein Mädchen in deinem Alter.«
»Was ist nicht schlecht?«
»Na, dein Versuch, mich mit deiner Freundin zu verkuppeln.«
»Wieso verkuppeln? Ihr kennt euch doch schon. Außerdem ist Vera...« Ich kann gerade noch stoppen.
»Ich weiß. Aber ich nicht.« László hält den Kopf schief, während er mich ansieht. Die Geste erinnert mich an meine Mutter, und weil sie bei ihm so komisch aussieht, muß ich darüber lachen.
»Kommst du mit in die Stadt? Ich kenne ein nettes kleines Café, wo nicht jeder Interner hingeht.«
Im Gewühl der Gäste in der Schule fallen wir nicht auf. Heute herrscht unkontrolliertes Kommen und Gehen, so merkt es niemand, daß wir gemeinsam das Schulgebäude verlassen.
Das Café ist wirklich nett, winzig und liegt in einer Straße, die ich nicht kenne. Einer der beiden Tische ist noch frei. László bestellt Espresso für uns beide, ohne zu fragen, ob ich mag. Mein Referat in der Biologiestunde habe ihm gefallen. Überhaupt möge er kluge Mädchen gern, sagt er und sieht mich an, wie mich noch kein Junge angesehen hat. Er ist allerdings kein Junge mehr, sondern zwanzig Jahre alt und Student der Hochschule für Gartenbau in Budapest. Seine Eltern wohnen in Eger, siebzehn Kilometer von meinem Heimatort entfernt. Ein Nachbar sozusagen.
»Heute ist mein Geburtstag«, sage ich. In der Aufregung des Tages habe ich es fast selbst vergessen.
»Ich möchte dir schreiben«, sagt László. »Dann kann ich dir einen nachträglichen Geburtstagsgruß schicken. Aber jetzt möchte ich ein Foto von dir machen. Darf ich?«
»Nicht in dieser häßlichen Schuluniform. Ich schicke dir eines.«
»Also willst du mir auch schreiben.« Seine Augen lächeln mich an, er rückt seinen Stuhl näher an meinen.
Eine warme Hand auf meiner Hand, dann zwei. Dann die flüchtige Berührung seiner Lippen in der Handfläche. Eine der Hände schließt meine mit dem Kuß darin und verweilt ein paar Sekunden am Handgelenk. »Sehen wir uns morgen? Am frühen Abend geht mein Zug.«
In den hellblauen Augen sehe ich ein kleines Stück Himmel, das mir geschenkt wurde an diesem Nachmittag.