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Der Drachen

Die achte Schulklasse mit prachtvoller Abschlußfeier und dem obligatorischen Buchpräsent liegt hinter mir. Jedes Jahr habe ich für gute Leistungen ein Buch bekommen. Die ersten vier tragen die zierliche Perlenschrift der "kleinen Szabó". Die übrigen von Frau Hegedűs, meine Klassenlehreren ab der fünften Klasse, sie schreibt auffallend große Buchstaben. Der Direktor hält eine lange Rede, und Großmutter weiß besser, was er gesagt hat, als ich. Sie wiederholt es zu Hause, bei unserer familiären Feier. Tante Eszter und Onkel Béla sind da, meine Patentante und natürlich Großtante Klára. Laci fehlt, er ist schon irgendwo in den Ferien.

Der Sommer erscheint mir kürzer als sonst, vielleicht wegen der Vorbereitungen. Es gibt eine Menge Sachen, die wir besorgen müssen, dazu gehören auch Schulkittel für den theoretischen Unterricht in der Schule und kräftige und auch warme Kleidung mit festen Schuhen für die Arbeiten im Freien. Vier Tage haben wir Theorie und einen Tag Praxis, nach Ende des regulären Schuljahres noch einmal zusammenhängend vier Wochen Praktika. Das bedeutet ab sofort kürzere Ferien.

Bei der Einschulung ist Mutter dabei, einen großen Koffer haben wir mit der Bahn vorher schon aufgegeben. Die Fahrt erscheint mir diesmal kürzer als damals mit Vater, aber ich denke nicht viel darüber nach. Bei der Feier morgen wird Mutter nicht mehr da sein, sie fährt, gleich nachdem sie mich einquartiert habe, wie sie sagt, gleich wieder zurück. In dieser Stadt haben wir keine Bekannte oder Freunde, bei denen sie übernachten könnte.

Das Geschlechterverhältnis in der Schule ist drei zu eins, zugunsten der Jungs. In meiner, der ersten Klasse, gibt es dreißig Jungs und zehn Mädchen. Das sei gut, sagt Mutter, dann tragen die euch auf Händen. Ihre Prophezeiung erfüllt sich nicht. Unsere Privilegien werden daraus bestehen, den Jungs die Hemden bügeln zu dürfen. Freilich erst in den höheren Klassen, und da auch nur die Hemden des Auserwählten.

In einem Zimmer wohnen sechs Mädchen, im Alter gemischt. Die Kleiderschränke stehen auf dem Flur, immer in der Nähe der Zimmer. Vor dem Schrank, der mir zugewiesen wurde, steht schon ein leerer Koffer, Mutter hilft mir beim Einräumen der Sachen.

»Ob dein Schrank nach einer Woche auch noch so aussieht?«

Die Frau, die das fragt, wird unsere Aufseherin. Sie ist auffallend dünn, hat vorstehende Augen und Haare wie ein Wischmop. Mit qualmender Zigarette in der Hand und heiserer Stimme liest sie die Namen der Neuankömmlinge von einem Blatt ab und teilt uns die Betten zu.

»Bei uns herrscht Ordnung, dafür sorge ich«, verkündet Frau Veres. »Jede Woche mache ich Schrankkontrolle und sollte etwas nicht so sein, wie es sollte, gibt es Hausarrest.«

Mutter versucht ihr Befremden über diese Frau, die wir später nur noch Drachen nennen, nicht zu zeigen. Den Gesichtsausdruck kenne ich, dem folgt meist der Ausbruch. Und den gilt es mit allen Mitteln zu verhindern. Ich ziehe sie in das Zimmer, in dem mein Bett steht, wir setzen uns nebeneinander auf die Kante. »Sehr spartanisch«, lautet ihr Kommentar.

»Mehr braucht man hier nicht«, mischt sich der Drachen gleich ein, »das Hauptaugenmerk unserer Schule liegt auf dem Lernen.«

Ich lege meine Hand auf Mutters Hand, sie zittert nämlich schon. Was das bedeutet, ist mir bekannt. Nur keine Szene hier, nicht jetzt. Die Löwin kann sie immer noch herauskehren, wenn es denn nötig sein sollte, aber erst später. Der Schrank ist schnell eingeräumt, der vorausgeschickte Koffer kann wieder nach Hause. Erst nach Mutters Weggang habe ich die Ruhe, mich umzusehen.

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