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Erstes bis viertes Bändchen
X.
Tod, Messe oder Bastille

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Margarethe hatte, wie gesagt, ihre Thüre wieder verschlossen und war in ihr Zimmer zurückgekehrt. Als sie aber ganz zitternd eintrat, erblickte sie Gillonne, welche voll Schrecken nach der Thüre des Cabinets geneigt, die auf dem Bette, auf den Meubles und auf dem Teppich verbreiteten Blutspuren betrachtete.

»Oh, Madame,« rief sie, die Königin gewahrend, »oh, Madame! er ist also todt!«

»Stille, Gillonne,« sprach Margarethe mit dem Tone, der die höchste Wichtigkeit des Befehles andeutet.

Gillonne schwieg.

Margarethe zog nun aus ihrer Tasche einen kleinen vergoldeten Schlüssel hervor, öffnete die Thüre des Cabinets und zeigte mit dem Finger Gillonne den jungen Mann.

La Mole war es gelungen, sich zu erheben und dem Fenster zu nähern. Ein kleiner Dolch, wie ihn zu jener Zeit die Frauen trugen, fand sich unter seiner Hand; der junge Edelmann ergriff ihn, als er die Thüre öffnen hörte.

»Fürchtet nichts, mein Herr,« sprach Margarethe, »denn bei meiner Seele, Ihr seid in Sicherheit.«

La Mole sank auf seine Kniee nieder und rief:

»Oh1 Madame, Ihr seid für mich mehr als eine Königin, Ihr seid eine Gottheit.«

»Bewegt Euch nicht so sehr, mein Herr!« rief Margarethe, »Euer Blut fließt noch. Oh! schau, Gillonne, wie bleich er ist! Sprecht, wo seid Ihr verwundet?«

»Madame,« sprach La Mole, indem er auf Hauptpunkten den durch seinen ganzen Körper irrenden Schmerz festzustellen suchte, »ich glaube, ich habe einen Dolchstich in die Schulter und einen andern in die Brust bekommen. Bei den übrigen Wunden ist es nicht der Mühe werth, daß man sich damit beschäftigt.«

»Wir werden es sehen,« sprach Margarethe. »Gillonne, bringe mein Kistchen mit den Balsamen.«

Gillonne gehorchte und kehrte, in einer Hand das Kistchen, in der andern ein Wassergeschirr von Vermeil und feine holländische Leinwand haltend, zurück.

»Hilf mir ihn aufheben, Gillonne,« sagte die Königin Margarethe, »denn sich selbst erhebend, hat der Unglückliche seine Kräfte vollends verloren.«

»Aber, Madame,« sprach La Mole, »ich bin ganz verwirrt, ich kann in der That nicht dulden …«

»Mein Herr, Ihr werdet wohl zugeben, daß ich Euch verbinde,« sagte Margarethe: »wenn wir Euch retten können, wäre es ein Verbrechen, Euch sterben zu lassen.«

»Oh!« rief La Mole, »ich will lieber sterben, als sehen, wie Ihr, die Königin, Euch mit einem unwürdigen Blute, wie das meinige, die Hände befleckt … Oh, nie! Nie!« …

Und er wich ehrfurchtsvoll zurück.

»Euer Blut, Herr,« versetzte lächelnd Gillonne, »ei! Ihr habt nach Belieben bereits das Bett und das Zimmer Ihrer Majestät damit befleckt.«

Margarethe schlug ihren Mantel über ihrem ganz mit rothen Flecken besprengten Battistgewande zusammen. Diese Geberde voll weiblicher Schamhaftigkeit erinnerte La Mole daran, daß er die so beneidete, so schöne, so geliebte Königin, in seinen Armen gehalten, an seine Brust gedrückt hatte, und bei dieser Erinnerung färbte eine flüchtige Röthe seine bleichen Wangen.

»Madame,« stammelte er, »könnt Ihr mich nicht der Sorge eines Wundarztes überlassen?«

»Eines katholischen Wundarztes, nicht wahr?« fragte die Königin mit einem Ausdrucke, den er verstand und der ihn beben machte.

»Wißt Ihr denn nicht,« fuhr die Königin mit einer Stimme und einem Lächeln voll unsäglicher Weichheit fort, »daß wir Töchter von Frankreich bei unserer Erziehung den Werth der Pflanzen kennen und die Balsame bereiten lernen? denn es ist in jeder Zeit unsere Pflicht als Frauen und als Königinnen gewesen, die Schmerzen zu lindern. Wir kommen auch den besten Wundärzten der Welt gleich, wenigstens wie uns unsere Schmeichler sagen. Ist Euch mein Ruf in dieser Hinsicht nicht zu Ohren gekommen? Auf, Gillonne, an das Werk!«

La Mole wollte es noch einmal versuchen, zu widerstehen, er wiederholte, er würde lieber sterben, als der Königin diese Arbeit verursachen, welche mit dem Mitleid anfangen und mit dem Ekel endigen könnte. Dieser Kampf diente nur dazu, seine Kräfte vollends zu erschöpfen. Er wankte, schloß die Augen und ließ seinen Kopf zum zweiten Male ohnmächtig zurückfallen.

Da nahm Margarethe den Dolch, den er aus den Händen hatte fallen lassen, und durchschnitt rasch das Schnürband, das sein Wamms schloss, während Gillonne mit einer andern Klinge die Aermel von La Mole auftrennte oder vielmehr aufschnitt.

Gillonne stillte mit einem in frisches Wasser getauchten Stücke Leinwand das aus der Schulter und der Brust des jungen Mannes hervordringende Blut, während Margarethe mit einer goldenen Nadel mit abgerundeter Spitze die Wunden mit aller Zartheit und Geschicklichkeit sondierte, welche Meister Ambroise Paré bei einer solchen Veranlassung hätte entwickeln können.

Die der Schulter war tief; die der Brust war an den Rippen abgeglitten und durchzog nur das Fleisch, keine von beiden drang in die Höhlen der natürlichen Feste, welche das Herz und die Lungen beschützt.

»Schmerzliche, aber nicht tödtliche Wunde,accerimum humeri vulnus, non autem lethale,« murmelte die schöne und gelehrte Chirurgin, »gib mir den Balsam und bereite Charpie, Gillonne.«

Gillonne, der die Königin diesen neuen Befehl ertheilte, hatte bereits die Brust des jungen Mannes getrocknet und gesalbt. Dasselbe that sie auch mit seinen nach einer antiken Zeichnung geformten Arme, mit seinen anmuthig zurückgeworfenen Schultern, mit seinem von dicken Locken beschattetem Halse, der mehr einer Statue von parischem Marmor, als dem verstümmelten Körper eines verscheidenden Menschen anzugehören schien.

»Armer junger Mann!«, murmelte Gillonne, nicht sowohl ihr Werk, als denjenigen betrachtend, welcher Gegenstand desselben gewesen war.

»Nicht wahr, er ist schön?« sagte Margarethe mit einer ganz königlichen Offenherzigkeit.

»Ja, Madame. Aber es scheint mir, daß wir ihm statt ihn so auf dem Boden liegen zu lassen, aufheben und auf das Ruhebett legen sollten, an das er nur angelehnt ist.«

»Ja, Du hast Recht,« sprach Margarethe.

Und die zwei Frauen beugten sich, hoben mit vereinigten Kräften La Mole auf und legten ihn auf einen großen Sopha mit geschnitzter Rücklehne, welcher vor dem Fenster stand, das sie halb öffneten, um ihm Luft zu geben.

Die Bewegung weckte La Mole, er stieß einen Seufzer aus und begann, die Augen wieder öffnend, das unsägliche Wohlbehagen zu fühlen, das alle Empfindungen des Verwundeten begleitet, wenn er bei seiner Rückkehr zum Leben die Frische statt der verzehrenden Flamme und die Balsamdüfte statt des lauen, häßlichen Blutgeruches wiederfindet.

Er murmelte einige Worte ohne Folge, welche Margarethe mit einem Lächeln und den Finger auf den Mund legend beantwortete.

In diesem Augenblicke erscholl das Geräusch mehrerer Schläge an eine Thüre.

»Man klopft an den geheimen Gang,« sagte Margarethe.

»Wer kann denn kommen, Madame?« fragte Gillonne erschrocken.

»Ich will nachsehen,« sagte Margarethe. »Bleibe Du bei ihm und verlaß ihn nicht einen Augenblick.«

Margarethe kehrte in ihr Zimmer zurück, schloß die Thüre des Cabinets und öffnete die des Ganges, der zu dem König und zu der Königin Mutter führte.

»Frau von Sauves!« rief sie, lebhaft zurückweichend und mit einem Ausdrucke, der, wenn nicht dem Schrecken, doch wenigstens dem Hasse glich, so wahr ist es, daß eine Frau nie einer andern Frau vergibt, wenn sie ihr selbst einen Mann, den sie nicht liebt, entführt. »Frau von Sauves!«

»Ja, Eure Majestät,« sprach diese, die Hände faltend.

»Ihr hier!« fuhr Margarethe immer mehr erstaunt, aber auch immer mehr gebieterisch fort.

Charlotte fiel auf die Kniee.

»Madame,« sagte sie, »verzeiht mir; ich erkenne, Madame, in welchem Grade ich schuldig gegen Euch bin, aber wenn Ihr wüßtet, … der Fehler ist nicht ganz allein mir zuzuschreiben… und ein ausdrücklicher Befehl der Königin Mutter …«

»Steht auf,« sprach Margarethe, »Und da ich nicht denken kann, Ihr seid in der Hoffnung gekommen, Euch mir gegenüber zu rechtfertigen, so sagt mir, warum Ihr gekommen seid.«

»Ich bin, gekommen, Madame,« erwiederte Charlotte, immer noch auf den Knieen und mit einem beinahe irren Blicke, »ich bin gekommen, um Euch zu fragen, ob er nicht hier wäre?«

»Hier? wer? Von wem sprecht Ihr, Madame… denn in der That, ich begreife Euch nicht.«

»Von dem König!«

»Von dem König? Ihr verfolgt ihn bis zu mir! Ihr wißt doch wohl, daß er nicht hierher kommt!«

»Ah! Madame,« fuhr Frau von Sauves fort, ohne auf alle diese Angriffe zu antworten, und ohne daß es schien, als fühlte sie dieselben, »oh! wollte Gott, er wäre hier!«

»Und warum dies?«

»Ei! mein Gott, weil man die Hugenotten erwürgt und der König von Navarra das Haupt der Hugenotten ist!«

»Oh,« rief Margarethe, Frau von Sauves bei der Hand ergreifend und sie zum Aufstehen nöthigend, »oh, ich hatte es vergessen. Ueberdies glaubte ich nicht, es könnte ein König dieselbe Gefahr laufen, wie andere Menschen.«

»Noch mehr, Madame, noch tausendmal mehr!« rief Charlotte.

»In der That, die Herzogin von Lothringen warnte mich. Ich bat ihn, nicht auszugehen. Sollte er doch ausgegangen sein?«

»Nein, nein, er ist im Louvre; aber man findet Ihn nicht. Und ist er nicht hier…«

»Er ist nicht hier.«

»Oh!« rief Frau von Sauves mit einem Ausbruche des Schmerzen, »dann ist es um ihn geschehen, denn die Königin Mutter hat seinen Tod geschworen.«

»Seinen Tod! Oh, Ihr erschreckt mich,« sprach Margarethe, »unmöglich!«

»Madame,« versetzte Frau von Sauves mit der Energie, welche nur die Leidenschaft allein verleiht, »ich sage Euch, man weiß nicht, wo der König von Navarra ist.«

»Und die Königin Mutter, wo ist sie?«

»Die Königin Mutter schickte mich ab, um Herrn von Guise und Herrn von Tavannes zu holen, welche beide in ihrem Betzimmer waren; dann entließ sie mich. Ich ging hierauf, verzeiht mir, Madame, in meine Wohnung zurück, und erwartete wie gewöhnlich …«

»Meinen Gemahl, nicht wahr?« sagte Margarethe.

»Er ist nicht gekommen, Madame. Da suchte ich überall, da fragte ich Jedermann nach ihm. Ein einziger Soldat antwortete mir, er glaube ihn mitten unter Wachen gesehen zu haben, die ihn mit bloßem Degen einige Zeit, ehe die Metzelei begann, begleiteten, und die Metzelei hat bereits vor einer Stunde begonnen.«

»Ich danke Euch, Madame,« sprach Margarethe, »ich danke Euch, obgleich das Gefühl, das Euch bei Eurer Handlung antreibt, vielleicht eine neue Beleidigung für mich ist.«

»Oh! dann vergebt mir, Madame,« erwiederte sie, »und ich kehre stärker durch Eure Verzeihung zurück, denn ich wage es nicht, Euch auch nur von ferne zu zu folgen.«

Margarethe reichte ihr die Hand und sprach:

»Ich will die Königin Catharina aufsuchen, kehrt in Eure Wohnung zurück. Der König von Navarra steht unter meinem Schutze. Ich habe ihm ein Bündniß versprochen und werde meinem Versprechen treu sein.«

»Aber wenn Ihr nicht bis zur Königin Mutter dringen könnten Madame?«

»Dann wende ich mich an meinen Bruder Karl, und ihn werde ich wohl sprechen.«

»Geht, geht, Madame,« sagte Charlotte, Margarethen den Weg frei lassend, »und Gott geleite Eure Majestät.«

Margarethe eilte durch den Gang, aber am Ende desselben angelangt, wandte sie sich um, um sich in versichern, daß Frau von Sauves nicht zurückblieb. Frau von Sauves folgte ihr.

Die Königin von Navarra sah sie gegen die Treppe gehen, welche nach ihrer Wohnung führte, und setzte ihren Weg nach den Gemächern der Königin fort.

Alles war verändert. Statt der Menge eifriger Höflinge, welche gewöhnlich vor der Königin, sich ehrfurchtsvoll verbeugend, ihre Reihen öffnete, traf Margarethe nur Garden mit gerötheten Partisanen und blutbefleckten Kleidern oder Edelleute mit von Pulver geschwärzten Gesichtern und zerrissenen Mänteln, Träger von Befehlen und Depeschen. Die Einen kamen, die Andern gingen, und dieses Hin- und Herlaufen bildete ein furchtbares, ungeheures Gewimmel in den Gallerien.

Margarethe ging nichtsdestoweniger vorwärts und gelangte bis an das Vorgemach der Königin Mutter; aber dieses Vorgemach war von zwei Reihen von Soldaten bewacht, welche nur diejenigen durchließen, die ein gewisses Losungswort hatten. Margarethe versuchte es vergebens, die lebendige Schranke zu durchdringen; sie sah wiederholt die Thüre sich öffnen und schließen, und bei jeder Oeffnung erblickte sie Catharina, verjüngt durch die Thätigkeit, als ob sie erst zwanzig Jahre alt wäre, schreibend, Briefe empfangend, diese entsiegelnd, Befehle ertheilend, an Diesen ein Wort, an Jenen ein Lächeln richtend, und die Menschen, denen sie am Freundlichsten zulächelte, waren die am meisten mit Staub und Blut Befleckten.

Mitten unter dem den Louvre durchbrausenden Tumult hörte man von der Straße aus immer rascher sich wiederholende Flintenschüsse.

»Nie werde ich bis zu ihr gelangen,« sagte Margarethe zu sich selbst, nachdem sie drei vergebliche Versuche bei den Hellebardirern gemacht hatte.

In diesem Augenblick kam Herr von Guise vorüber; er hatte der Königin den Tod des Admirals gemeldet und kehrte zu der Schlächterei zurück.

»Oh, Heinrich!« rief Margarethe, »wo ist der König von Navarra?«

Der Herzog schaute sie mit erstauntem Lächeln an, verbeugte sich und ging, ohne zu antworten, mit seinen Wachen ab.

Margarethe lief auf einen Kapitän zu, der gerade den Louvre verlassen wollte und ehe er abging seine Soldaten die Büchsen laden ließ.

»Der König von Navarra,« fragte sie, »mein Herr, wo ist der König von Navarra?«

»Ich weiß es nicht, Madame,« antwortete dieser, »ich gehöre nicht zu den Wachen Seiner Majestät.«

»Ah, mein lieber René,« rief Margarethe, den Parfumeur von Catharina erkennend, »Ihr seid es? Ihr kommt von meiner Mutter. Wißt Ihr, was aus meinem Gemahl geworden ist?«

»Seine Majestät der König von Navarra ist nicht mein Freund, Madame, Ihr müßt Euch dessen wohl erinnern. Man sagt sogar,« fügte er mit einer Mine bei, die mehr einem Grinsen, als einem Lächeln glich, »man sagt sogar, er wage es, mich zu beschuldigen, ich habe in Gemeinschaft mit Frau Catharina seine Mutter ermordet.«

»Nein! Nein!« rief Margarethe, »glaubt das nicht, mein guter René.«

»Oh, mir liegt nicht viel daran,« sagte der Parfumeur, »weder der König von Navarra noch die Seinigen sind in diesem Augenblick mehr zu befürchten.«

Und er drehte Margarethe den Rücken zu.

»Oh, Herr von Tavannes, Herr von Tavannes!« rief Margarethe, »ein Wort, ich bitte ein einziges Wort.«

Tavannes blieb stille stehen.

»Wo ist Heinrich von Navarra?« fragte Margarethe.

»Meiner Treue!« sagte er ganz laut, »ich glaube, er läuft mit den Herren von Alençon und Condé in der Stadt umher.«

Dann fügte er so leise, daß Margarethe kaum es hören konnte, bei:

»Schöne Majestät, wenn Ihr denjenigen sehen wollt, für dessen Platz ich mein Leben geben würde, so klopft an das Waffencabinet des Königs.«

»Oh! ich danke, Tavannes,« sprach Margarethe, welche von Allein dem, was Tavannes sagte, nur die Hauptandeutung gehört hatte, »ich danke und gehe dahin!«

Und sie lief weg und murmelte:

»Oh! nach dem, was ich ihm versprochen habe, nach der Art, wie er sich gegen mich benommen hat, als dieser undankbare Heinrich im Cabinet war, kann ich ihn nicht sterben lassen.«

Und sie klopfte an die Thüre der Gemächer des Königs; aber sie waren innen von zwei Compagnien Garden besetzt.

»Man darf nicht zu dem König herein,« sagte der Offizier, rasch vorschreitend.

»Aber ich!« sprach Margarethe.

»Der Befehl ist allgemein.«

»Ich, die Königin von Navarra! ich, seine Schwester!«

»Der Befehl läßt keine Ausnahme zu, Madame. Empfangt also meine Entschuldigung.«

Und der Offizier schloß die Thüre wieder.

»Oh, er ist verloren!« rief Margarethe, in höchstem Maße beunruhigt durch den Anblick aller dieser finsteren Gesichter, die, wenn sie auch nicht Rache schnaubten, doch wenigstens Unbeugsamkeit ausdrückten. »Ja, ja, ich begreife Alles… man hat sich meiner als einer Lockspeise bedient; ich bin die Falle, in der man die Hugenotten fängt und erwürgt … Oh! ich werde hineinkommen, und sollte ich mich tödten lassen!«

Und Margarethe lief wie eine Tolle durch die Gänge und Gallerien, als sie plötzlich an, einer kleinen Thüre vorüberkommend, ein sanftes, düsteres, eintöniges Lied hörte. Es war ein calvinistischer Psalm, den, eine zitternde Stimme in einem anstoßenden Zimmer sang.

»Die Amme des Königs, meines Bruders, die gute Madelon, ist da!« rief Margarethe und schlug sich plötzlich von einem Gedanken erleuchtet, an die Stirne, »sie ist da … Gott der Christen, hilf mir!«

Und Margarethe klopfte voll Hoffnung sachte an die kleine Thüre.

Nach dem Rathe, den ihm Margarethe gegeben, nach seinem Gespräche mit René, nach seinem Abgange von der Königin Mutter, dem sich wie ein guter Genius die arme kleine Phöbe hatte widersetzen wollen, begegnete Heinrich von Navarra einigen katholischen Edelleuten, die unter dem Vorwande, ihm das Ehrengeleite zu geben, denselben in seine Wohnung zurückführten, wo etwa zwanzig Hugenotten seiner warteten, welche sich bei dem jungen Prinzen versammelt hatten, und einmal versammelt, ihn nicht mehr verlassen wollten, so gewaltig lastete das Vorgefühl dieser unseligen Nacht seit ein paar Stunden über dem Louvre. Sie blieben also, ohne daß man sie zu stören versuchte. Bei dem ersten Schlage der Glocke von Saint-Germain-l’Auxerrois, welche in allen Herzen wie ein Todtengeläute klang, trat Tavannes ein und meldete Heinrich mitten unter dem tiefen Stillschweigen, der König Karl IX. wolle ihn sprechen.

Es war kein Widerstand zu versuchen; auch dachte Niemand hieran. Man hörte die Plafonds und die Gallerien des Louvre unter den Füßen der Soldaten krachen, welche, beinahe zweitausend an der Zahl, sowohl in den Höfen, als in den Gemächern versammelt waren. Nachdem Heinrich von seinen Freunden, die er nicht wiedersehen sollte, Abschied genommen hatte, folgte er Tavannes, der ihn in eine an die Wohnung des Königs stoßende kleine Gallerte führte, wo er ihn allein, ohne Waffen und das Herz voll jeglichen Mißtrauens zurück ließ.

Der König zählte so, Minute für Minute, zwei tödliche Stunden, horchte mit wachsendem Schrecken auf den Klang der Sturmglocke und auf das Gerassel der Büchsenschüsse, sah durch eine Glasthüre beim Schimmer des Brandes, beim Flammen der Fackeln die Flüchtlinge und die Schlächter vorüberziehen, ohne daß er das Mordgeschrei und Schmerzgeheul begriff, ohne daß er, wie genau er auch Karl IX., die Königin Mutter und den Herzog von Guise kannte, das furchtbare Drama ahnen konnte, das in diesem Augenblick in Erfüllung ging.

Heinrich besaß nicht den physischen Muth; er besaß etwas Besseres, die moralische Kraft. Die Gefahr fürchtend, bot er ihr lächelnd Trotz; aber der Gefahr der Schlacht, der Gefahr in freier Luft, am hellen Tage, der Gefahr vor Aller Augen, begleitet von der Harmonie der Trompeten und der dumpfen, vibrirenden Stimme der Trommel … Hier aber war er ohne Waffen, allein, eingeschlossen, verloren in einer Halbdunkelheit, welche kaum genügte, den Feind, der sich bis zu ihm schleichen konnte, und das Eisen zu sehen, das ihn zu durchbohren vermochte. Diese zwei Stunden waren also für ihn vielleicht die grausamsten seines Lebens. Während des stärksten Lärmens, und als Heinrich zu begreifen anfing, daß es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um eine organisierte Niedermetzelung handelte, holte ein Kapitän den Prinzen und führte ihn durch einen Corridor nach den Zimmern des Königs. Bei ihrer Annäherung öffnete sich die Thüre, hinter ihnen schloß sich die Thüre wieder, Alles, als ob es durch einen Zauber geschähe. Dann führte der Kapitän Heinrich bei Karl IX. ein, der sich in seinem Waffencabinet befand.

Als sie eintraten, saß der König in einem großen Lehnstuhle. Seine beiden Hände lagen auf den zwei Armen des Stuhles, sein Kopf fiel auf die Brust herab. Bei dem Geräusch, das die Eintretenden machten, hob Karl seine Stirne empor, über welche Heinrich den Schweiß in großen Tropfen fließen sah.

»Guten Abend, Henriot,« sagte der junge König mit hartem Tone. »Ihr, La Chastre, laßt uns allein!«

Der Kapitän gehorchte.

Es herrschte einen Augenblick düsteres Stillschweigen.

Während dieses Augenblicks schaute Heinrich unruhig um sich her und sah, daß er allein war.

Karl IX. stand plötzlich auf.

»Bei Gott!« sagte er, mit einer raschen Geberde, seine blonden Haare zurückstreichend und zugleich seine Stirne trocknend, »Ihr seid froh, Euch bei mir zu sehen, nicht wahr Henriot?«

»Allerdings, Sire,« antwortete der König von Navarra. »Ich fühle mich immer glücklich, wenn ich mich bei Eurer Majestät befinde.«

Ihr seid zufriedener, als wenn Ihr da unten wäret, wie?« versetzte Karl IX., mehr seine eigenen Gedanken verfolgend, als das Compliment von Heinrich erwiedernd.«

»Sire, ich begreife nicht,« sagte Heinrich.

»Schaut und Ihr werdet begreifen.«

Mit einer raschen Bewegung ging oder vielmehr sprang Karl IX. nach dem Fenster. Und seinen immer mehr erschrockenen Schwager nach sich ziehend, zeigte er diesem die furchtbare Silhouette der Mörder, welche auf einem Schiffe die Opfer, die man ihnen jeden Augenblick brachte, erdrosselten oder ersäuften.

»Aber, in des Himmels Namens!« rief Heinrich ganz bleich, »was geht denn in dieser Nacht vor?«

»In dieser Nacht, mein Herr,« sprach Karl IX., »befreit man mich von allen Hugenotten. Seht Ihr dort unten, über dem Hotel Bourbon, jenen Rauch und jene Flamme? Jener Rauch und jene Flamme rühren von dem brennenden Hause des Admirals her. Seht Ihr jenen Körper, den gute Katholiken auf einem zerrissenen Strohsacke umherschleppen? Es ist der Leichnam des Schwiegersohnes Eures Admirals, der Leichnam Eures Freundes Téligny.«

»Oh, was soll das bedeuten!« rief der König von Navarra, vergeblich an seiner Seite den Griff seines Dolches suchend und zugleich vor Scham und Zorn zitternd, denn er fühlte, daß man ihn verspottete und bedrohte.

»Das soll bedeuten,« rief Karl IX. wüthend, ohne Uebergang und auf eine furchtbare Weise erbleichend, »das bedeutet, daß ich keine Hugenotten mehr um mich haben will, versteht Ihr, Heinrich? Bin ich der König? bin ich der Herr?«

»Aber Eure Majestät …«

»Meine Majestät tödtet und schlachtet zu dieser Stunde Alles, was nicht katholisch ist; das ist mein Vergnügen. Seid Ihr Katholik?« rief Karl, dessen wachsender Zorn unablässig stieg, wie eine furchtbare Flut.

»Sire,« sagte Heinrich, »erinnert Euch Eurer Worte: was liegt mir an der Religion irgend eines Menschen, wenn er mir nur gut dient.«

»Ah, ah, ah!« rief Karl, in ein finsteres Lachen ausbrechend. »Ich soll mich meiner Worte erinnern, meinst Du, Heinrich?Verba volant, wie meine Schwester Margot sagt. Und schau’,« fügte er mit dem Finger nach der Stadt deutend bei, »hatten mir alle diese nicht auch gut gedient? Waren sie nicht brav im Kampfe, weise im Rathe, stets ergeben? Alle waren nützliche Unterthanen, aber Hugenotten, und ich will nur Katholiken.«

Heinrich blieb stumm.

»Begreift Ihr mich jetzt, Henriot?« rief Karl IX.

»Ich habe begriffen, Sire.«

»Nun?«

»Nun, Sire, ich sehe nicht ein, warum der König von Navarra das thun sollte, was so viele Edelleute oder arme Menschen nicht gethan haben; denn wenn diese Unglücklichen am Ende alle sterben, so geschieht es auch, weil man ihnen das vorgeschlagen haben wird, was Euere Majestät mir vorschlägt, und weil sie sich geweigert haben, wie ich mich weigere.«

Karl faßte den jungen Prinzen beim Arme und sprach, einen Blick auf ihn heftend, dessen Mattheit sich allmählich in einen wilden Glanz verwandelte:

»Ah! – Du glaubst, ich habe mir die Mühe genommen, denjenigen, welche man da unten erwürgt, die Messe anzubieten?«

»Sire,« versetzte Heinrich, seinen Arm losmachend, »werdet Ihr nicht in der Religion Eurer Väter sterben?«

»Ja, bei Gott, und Du?«

»Nun, ich auch, Sire.«

Karl stieß ein Gebrülle der Wuth aus und ergriff mit zitternder Hand seine auf einem Tische liegende Büchse. An die Wand gelehnt, den Angstschweiß auf der Stirne, aber in Folge der Selbstbeherrschung, die ihn nie verließ, scheinbar ruhig folgte Heinrich allen Bewegungen des furchtbaren Monarchen mit der gierigen Starrheit des durch die Schlange bezauberten Vogels.

Karl spannte seine Büchse, stampfte mit blinder Wuth auf den Boden und rief, Heinrich durch das Spiegeln seiner unseligen Waffe blendend: »Willst Du die Messe?«

Heinrich blieb stumm.

Karl erschütterte die Gewölbe des Louvre mit dem furchtbarsten Schwur, der je über die Lippen eines Menschen gekommen ist, und wurde bleich wie eine Leiche.

»Tod, Messe oder Bastille!« rief er, auf den König von Navarra anschlagend.

»Oh, Sire!« rief Heinrich, »werdet Ihr mich tödten, mich, Euern Schwager?«

Heinrich hatte mit dem unvergleichlichen Geiste, der eine der mächtigsten Fähigkeiten seiner Organisation war, die Antwort umgangen, welche Karl IX. von ihm verlangte; denn fiel diese Antwort verneinend aus, so war Heinrich ohne allen Zweifel todt.

Wie nach den letzten Paroxismen der Wuth sich unmittelbar der Anfang der Gegenwirkung einfindet, so wiederholte Karl IX. die Frage nicht, die er an den Prinzen von Navarra gerichtet hatte, und nach einem Augenblick des Zögerns, während dessen er ein dumpfes Schnauben hören ließ, wandte er sich nach dem offenen Fenster um und legte auf einen Menschen an, der auf dem entgegengesetzten Quai lief.

»Ich muß irgend Jemand tödten,« rief Karl IX. todtenbleich, und abdrückend schmetterte er den laufenden Menschen nieder.

Heinrich stieß einen Seufzer aus.

Und von einem gräßlichen Eifer belebt, lud Karl ohne Unterlaß seine Büchse, feuerte sie ab und stieß einen Freudenschrei aus, so oft der Schuß getroffen hatte.

»Es ist um mich geschehen,« sagte der König von Navarra zu sich selbst. »Findet er Niemand mehr zu tödten, so tödtet er mich.«

»Nun,« sprach plötzlich eine Stimme hinter dem Fürsten, »ist es geschehen?«

Es war Catharina von Medicis, welche während des letzten Abfeuerns des Gewehres, ohne gehört zu werden, eintrat.

»Nein, tausend Donner der Hölle!« brüllte Karl, seine Büchse in das Zimmer werfend, »nein, der Hartnäckige will nicht.«

Catharina antwortete nicht. Sie wandte langsam ihren Blick nach der Seite des Zimmers, wo Heinrich so unbeweglich stand, wie eine von den Figuren der Tapete, an die er sich lehnte. Dann richtete sie auf Karl ein Auge, das sagen wollte:

»Nun, warum lebt er?«

»Er lebt… er lebt …« murmelte Karl IX., der diesen Blick vollkommen begriff und, wie man sieht, ohne Zögern beantwortete, »er lebt … weil er … mein Verwandter ist.«

Catharina lächelte.

Heinrich sah dieses Lächeln und erkannte, daß es hauptsächlich Catharina war, die er zu bekämpfen hatte.

»Madame,« sagte er zu ihr, »ich sehe wohl, Alles kommt von Euch her, und nichts von meinem Schwager Karl. Ihr hattet den Gedanken, mich in diese Falle zu locken, Ihr gedachtet aus Eurer Tochter die Lockspeise zu machen, die uns Alle verderben sollte, Ihr trenntet mich von meiner Gattin, damit sie nicht die Unannehmlichkeit hätte, mich unter ihren Augen tödten zu sehen.«

»Ja, aber das wird nicht geschehen!« rief eine andere keuchende, leidenschaftliche Stimme, welche, von Heinrich sogleich erkannt, Karl IX. vor Erstaunen und Catharina vor Wuth beben machte.

»Margarethe!« rief Heinrich.

»Margot!« sagte Karl IX.

»Meine Tochter!« murmelte Catharina.

»Mein Herr,« sprach Margarethe zu Heinrich, »Eure letzten Worte klagten mich an, und Ihr hattet zugleich Recht und Unrecht; Recht, denn in der That, ich bin das Werkzeug, dessen man sich bediente, um Euch Alle in das Verderben zu stürzen; Unrecht, denn ich wußte nicht, daß Ihr Eurem Untergange entgegengingt. Ich selbst, mein Herr, so wie Ihr mich seht, verdanke das Leben dem Zufall, vielleicht der Vergessenheit meiner Mutter; aber sobald ich Euree Gefahr inne wurde, erinnerte ich mich meiner Pflicht. Die Pflicht einer Frau aber ist: das Schicksal ihres Gatten zu theilen. Verbannt man Euch, mein Herr, so folge ich Euch in die Verbannung; kerkert man Euch ein, so mache ich mich zur Gefangenen; tödtet man Euch, so sterbe ich.«

Und sie reichte ihrem Gemahl eine Hand, welche Heinrich, wenn nicht mit Liebe, doch wenigstens mit Dankbarkeit ergriff.

»Oh! meine arme Margot,« sprach Karl IX., »Du würdest viel besser daran thun, ihm zu sagen er sollte Katholik werden.«

»Sire,« antwortete Margarethe mit der ihr so eigenen natürlichen Würde, »Sire, glaubt mir, verlangt Euch selbst zu Liebe keine Feigheit von einem Prinzen Eures Hauses.«

Catharina schleuderte einen bezeichnenden Blick auf Karl.

»Mein Bruder,« rief Margarethe, welche eben so gut als Karl IX. die furchtbare Pantomime von Catharina begriff, »mein Bruder, bedenkt, Ihr habt meinen Gatten aus ihm gemacht.«

Zwischen den gebieterischen Blick von Catharina und den flehenden von Margarethe, wie zwischen zwei entgegengesetzte Principe, gestellt, blieb Karl IX. einen Augenblick unentschieden; endlich aber trug Oromas8 den Sieg davon.

»In der That, Madame,« sagte er, sich an das Ohr von Catharina neigend, »Margot hat Recht, und Henriot ist mein Schwager.«

»Ja,« antwortete Catharina, sich ebenfalls dem Ohre ihres Sohnes nähernd, »aber wenn er es nicht wäre!«

8

Das gute Grundwesen oder der Gott des Guten in der Religion Zoroasters, dem bösen Grundwesen, Ariman, gegenübergesetzt.

Königin Margot

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