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Erstes bis viertes Bändchen
VIII.
Die Geschlachteten

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Das Hotel, welches der Admiral bewohnte, lag, wie gesagt, in der Rue de Béthisy. Es war ein großes Haus, das sich im Hintergrunde eines Hofes mit zwei rückwärts nach der Straße laufenden Flügeln erhob. Eine durch ein großes Thor und zwei kleine Gitter geöffnete Mauer bildete den Eingang zu diesem Hofe.

Als die drei Parteigänger von Guise das Ende der Rue Béthisy erreichten, welche die Fortsetzung der Rue des Fossès-Saint-Germain-l’Auxerrois bildet, sahen sie das Hotel von Schweizern, von Soldaten und bewaffneten Bürgern umgeben. Alle hielten in der rechten Hand entweder Schwerter, oder Pieken, oder Büchsen, und Einige in der Linken Fackeln, welche über diese Scene ein düsteres, schwankendes Licht verbreiteten, das, den Bewegungen der Träger folgend, sich über das Pflaster ausdehnte, an den Mauern hinstieg oder über diesem lebendigen Meere flammte, wo jede Waffe ihren Glanz von sich gab. Rings um das Hotel und in den Rues Tirechappe, Etienne und Bertin-Poirée erfüllte sich das furchtbare Werk. Man vernahm ein langes Geschrei, das Musketenfeuer rasselte und von Zeit zu Zeit sprang ein Unglücklicher, halbnackt, bleich, blutig, wie ein verfolgter Hirsch, in einem Lichtkreise, umher, worin sich eine Welt von Teufeln zu bewegen schien.

In einem Augenblick befanden sich Coconnas, Maurevel und La Hurière, durch ihre weißen Kreuze bezeichnet und von dem Willkommensgeschrei empfangen, im dicksten Haufen. Ohne Zweifel hätten sie nicht durchkommen können; aber Einige erkannten Maurevel und ließen ihm Platz machen, Coconnas und La Hurière schlüpften ihm nach und allen Dreien gelang es, in den Hof zu dringen.

Mitten in diesem Hofe, dessen drei Thore man eingestoßen hatte, stand ein Mann, um welchen die Mörder achtungsvoll freien Raum ließen, gestützt auf einen entblößten Raufdegen und die Augen auf einen etwa fünfzehn Fuß hohen Balcon geheftet, der sich vor dem Hauptfenster des Hotel ausdehnte. Dieser Mann stampfte ungeduldig mit dem Fuße und wandte sich von Zeit zu Zeit, um diejenigen, welche sich zunächst bei ihm befanden, zu befragen.

»Noch nichts?« murmelte er, »Niemand… Er ist wohl gewarnt worden und entflohen. Was denkt Ihr davon, Du Gast?«

»Unmöglich, Monseigneur.«

»Warum? Habt Ihr nicht gesagt, einen Augenblick vor unserer Ankunft sei ein Mensch, den bloßen Degen in der Hand und laufend, als ob er verfolgt würde, erschienen, habe an die Thüre geklopft und es sei ihm geöffnet worden?«

»Ja, Monseigneur, aber beinahe in demselben Augenblick kam Herr von Besme; die Thüren wurden eingestoßen, das Hotel umzingelt. Der Mensch ist wohl hineingegangen, aber sicherlich nicht wieder herausgekommen.«

»Seht,« sagte Coconnas zu La Hurière, »wenn mich nicht Alles täuscht, ist dies Herr von Guise.«

»Er selbst, gnädiger Herr; ja, es ist der große Heinrich von Guise in Person. Er wartet ohne Zweifel, bis der Admiral herauskommt, um ihm dasselbe zu thun, was der Admiral seinem Vater gethan hat.

Jeder kommt an die Reihe, und, Gott sei Dank! heute ist sie an uns!«

»Holla, Besme! Holla!« rief der Herzog mit seiner mächtigen Stimme, »ist es denn noch nicht aus?«

Und mit der Spitze seines Schwertes ließ er in seiner Ungeduld Funken aus dem Pflaster springen.

In diesem Augenblick hörte man Geschrei in dem Hotel, dann Schüsse, dann eine große Bewegung von Füßen und ein Geräusch an einander gestoßener Waffen, worauf ein abermaliges Schweigen folgte.

Der Herzog machte eine Bewegung, um in das Haus zu stürzen.

»Monseigneur, Monseigneur!« sagte Du Gast, sich ihm nähernd und ihn zurückhaltend, »Euere Würde befiehlt Euch, zu bleiben und zu warten.«

»Du hast Recht, ich danke, Du Gast, ich werde warten. Aber in der That, ich sterbe vor Ungeduld und Unruhe. Ah! wenn er mir entginge!«

Plötzlich näherte sich der Lärm von Tritten … Die Scheiben des ersten Stockes wurden von Reflexen, denen einer Feuersbrunst ähnlich, beleuchtet. Das Fenster, nach welchem der Herzog so oft die Augen aufgeschlagen hatte, öffnete sich oder zersprang vielmehr in Stücke, und ein Mensch mit bleichem Gesichte und blutbeflecktem Kragen erschien auf dem Balcon.

»Besme!« rief der Herzog, »bist Du es endlich! Nun?«

»Hier, hier!« antwortete kalt der Deutsche, der sich bückte und sogleich wieder aufstehend, eine, wie es schien, beträchtliche Last emporhob.

»Aber die Andern,« sagte ungeduldig der Herzog, »wo sind die Andern?«

»Die Andern machen die Andern fertig.«

»Und Du, was hast Du gethan?«

»Ich? Ihr sollt es sehen! Weicht ein wenig zurück …«

Der Herzog machte einen Schritt zurück.

In diesem Augenblick konnte man den Gegenstand unterscheiden, den Besme mit so großer Anstrengung an sich zog. Es war der Leichnam eines Greises. Er hob ihn über den Balcon, wiegte ihn einen Augenblick im leeren Raume und warf ihn zu den Füßen seines Herrn.

Das dumpfe Geräusch des Falles, die Blutwellen, welche aus dem Körper hervorsprangen und das Pflaster bespritzten, setzten sogar den Herzog in Schrecken. Aber dieses Gefühl dauerte nicht lange. Die Neugierde machte, daß jeder einige Schritte vorwärts ging, und eine Fackel zitterte über dem Opfer.

»Der Admiral!« riefen gleichzeitig zwanzig Stimmen, welche gleichzeitig auch wieder schwiegen.

»Ja, der Admiral,« sagte der Herzog, sich dem Leichname nähernd, um ihn mit stiller Freude zu betrachten.

»Der Admiral! der Admiral!« wiederholten mit halber Stimme alle Zeugen dieser furchtbaren Scene, drängten sich an einander und näherten sich schüchtern dem großen, niedergeschmetterten Greise.

»Ah, Du bist endlich hier, Gaspard,« sprach der Herzog von Guise triumphirend.« »Du hast meinen Vater ermorden lassen, ich räche ihn.«

Und er wagte es, den Fuß aus den Leib des protestantischen Helden zu setzen; aber alsbald öffneten sich die Augen des Sterbenden mit großer Anstrengung, seine blutige, verstümmelte Hand zog sich zum letzten Male krampfhaft zusammen und der Admiral sprach, fortwährend unbeweglich, zu dem ruchlosen mit einer Gräberstimme:

»Heinrich von Guise, Du wirst auch eines Tages den Fuß eines Mörders auf Deiner Brust fühlen. Ich habe Deinen Vater nicht getödtet … Sei verflucht!«

Bleich und unwillkürlich zitternd, fühlte der Herzog, wie ein eisiger Schauer seinen ganzen Körper durchlief. Er fuhr mit der Hand über seine Stirne, als wollte er die unheilschwangere Vision verjagen. Als er die Hand aber wieder fallen ließ, als er es wagte, den Blick wieder auf den Admiral zu richten, waren seine Augen geschlossen, seine Hand wieder träg geworden, und es hatte sich ein schwarzer Blutstrom aus seinem Munde auf den weißen Bart ergossen, ein Strom, der unmittelbar auf die Worte gefolgt war, welche dieser Mund ausgesprochen hatte.

Der Herzog hob sein Schwert mit einer Geberde verzweifelter Entschlossenheit in die Höhe.

»Nun, Monseigneur,« sagte Besme zu ihm, »seid Ihr zufrieden?«

»Ja, mein Braver, ja,« versetzte Heinrich, »denn Du hast gerächt …«

»Den Herzog Franz, nicht wahr?«

»Die Religion,« versetzte Heinrich mit dumpfer Stimme. »Und nun,« fuhr er fort, sich gegen die Schweizer, die Soldaten und die Bürger, welche den Hof und die Straße füllten, umwendend, »zum Werke, meine Freunde, zum Werke!«

»Ei, guten Morgen, Herr von Besme,« sagte Coconnas, sich mit einer Art von Bewunderung dem Deutschen nähernd, der, immer noch auf dem Balcon, ruhig seinen Degen trocknete.

»Ihr habt ihn also abgefertigt!« rief La Hurière begeistert. »Wie habt Ihr das gemacht, mein würdiger Herr?«

»Oh, ganz einfach, ganz einfach! Er hörte Lärmen, öffnete seine Thüre und ich stieß ihm meinen Degen in den Leib. Aber das ist noch nicht Alles. Ich glaube, Téligny ist daran, ich höre schreien.«

Man vernahm wirklich in diesem Augenblick Angstgeschrei, welches von einer weiblichen Stimme ausgestoßen zu werden schien. Röthliche Reflexe beleuchteten einen von den zwei Flügeln. Man sah zwei Menschen, welche, verfolgt von einer ganzen Reihe von Mördern, flohen. Ein Büchsenschuß streckte den Einen nieder, der Andere fand auf seinem Wege ein offenes Fenster und sprang, ohne die Höhe zu messen, ohne sich um die Feinde zu bekümmern, welche ihn unten erwarteten, unerschrocken in den Hof.

»Tödtet ihn, tödtet ihn!« riefen die Mörder, als sie sahen, daß ihr Opfer entkommen sollte.

Der Mensch erhob sich nach seinem Degen greifend, der beim Falle seinen Händen entschlüpft war, nahm seinen Lauf mit gesenktem Haupte durch die Umstehenden, warf drei oder vier nieder und schoß, mitten unter dem Pistolenfeuer, mitten unter den Verwünschungen der Soldaten, welche wüthend darüber waren, daß sie ihn verfehlt hatten, wie der Blitz an Coconnas vorüber, der ihn mit dem Dolche am Thore erwartete.

»Getroffen!« rief der Piemontese, ihm den Arm mit der seinen, spitzigen Klinge durchstoßend.

»Feiger!« antwortete der Flüchtling, seinem Feinde mit der Klinge seines Schwertes das Gesicht peitschend, da er nicht Raum genug hatte, ihm einen Stoß mit der Spitze beizubringen.

»Oh, tausend Teufel!« rief Coconnas, »es ist Herr de La Mole.

»Herr de La Mole!« wiederholten La Hurière und Maurevel.

»Er hat dem Admiral Nachricht gegeben,« riefen mehrere Soldaten.

»Tödtet ihn, tödtet ihn!« brüllte man von allen Seiten.

»Coconnas, La Hurière und zehn Soldaten stürzten La Mole nach, der mit Blut bedeckt und zu jener Stufe von Exaltation gelangt, welche der letzte Vorbehalt menschlicher Kraft ist, ohne einen andern, Führer als den Instinkt, durch die Straßen sprang. Die Tritte und das Geschrei seiner Feinde hinter ihm, spornten ihn an und schienen ihm Flügel zu leihen. Zuweilen pfiff eine Kugel an seinem Ohre hin und verlieh seinem Lauf, statt ihn zu schwächen, eine neue, Geschwindigkeit. Es war kein Athmen mehr, was aus seiner Brust hervorkam, sondern ein dumpfes Röcheln; der Schweiß und das Blut tropften von seinen Haaren und flossen vermischt über sein Gesicht herab. Bald wurde sein Wamms zu eng für die Schläge seines Herzens, und er riß es auf; bald wurde sein Degen zu schwer für seine Hand, und er warf ihn von sich. Zuweilen kam es ihm vor, als entfernten sich die Tritte und als wäre er nahe daran, seinen Henkern zu entfliehen. Aber auf das Geschrei der letzteren verließen andere Mörder, die sich an seinem, Wege befanden und ihm näher waren, ihr blutiges Geschäft und liefen herbei. Plötzlich sah er den Fluß schweigsam an seiner Linien hinrollen. Es kam ihm vor, als fühlte er, wie der Hirsch, der vor Mattigkeit beinahe umsinkt, ein unbeschreibliches Vergnügen, sich hineinzustürzen, und nur die äußerste Kraft des Geistes vermochte ihn zurückzuhalten. Zu seiner Rechten war der Louvre, düster, unbeweglich, aber voll dumpfen, unseligen Geräusches. Auf der Zugbrücke eilten Helme, Panzer hin und her, welche in kalten Blitzen die Strahlen des Mondes wiedergaben. La Mole dachte an den König von Navarra, wie er an Coligny gedacht hatte. Es waren seine zwei einzigen Beschützer. Er raffte alle seine Kräfte zusammen, schaute den Himmel an und that ganz leise das Gelübde, abzuschwören, wenn er der Metzelei entkommen würde, ließ durch einen Umweg die Meute, welche ihn verfolgte, etwa dreißig Schritte verlieren, lief gerade auf den Louvre zu, stürzte durch einander mit den Soldaten auf die Zugbrücke, erhielt einen Dolchstich, welcher an seinen Rippen hinglitt, und trotz des Geschreis: »Tödtet ihn, tödtet ihn!« das hinter ihm und um ihn her erscholl, trotz der angreifenden Stellung, welche die Schildwachen nahmen, schoß er wie ein Pfeil in den Hof, sprang in das Vorhaus, erreichte die Treppe, stieg zwei Stockwerke hinauf, erblickte eine Thüre lehnte sich daran und klopfte mit Händen und, Füßen.

»Wer ist da?« flüsterte eine weibliche Stimme.

»Oh, mein Gott! mein Gott!« murmelte La Mole, »sie kommen … ich höre sie… sie sind da! … ich sehe sie … Ich bin es … ich! …«

»Wer seid Ihr?« versetzte die Stimme.

La Mole erinnerte sich des Losungswortes.

»Navarra! Navarra!« rief er.

Sogleich öffnete sich die Thür: ohne Gillonne zu sehen, ohne zu danken, drang La Mole in einen Vorplatz, eilte durch einen Corridor, durch ein paar Gemächer und gelangte endlich in ein Zimmer, das durch eine am Plafond hängende Lampe beleuchtet war.

Unter Vorhängen von Sammet mit goldenen Lilien, in einem Bette von geschnitztem Eichenholze, öffnete eine in ein Nachtgewand gehüllte Frau, auf ihren Arm gestützt, die vor Schrecken starren Augen.

La Mole stürzte auf sie zu und rief:

»Madame, man tödtet mich, man erdrosselt meine Brüder, man will mich auch tödten, auch erdrosseln! – Ah, Ihr seid die Königin… rettet mich!«

Und er sank, eine breite Blutspur auf dem Teppich zurücklassend, zu ihren Füßen.

Als die Königin von Navarra, welche sich, von der Herzogin von Lothringen gewarnt, völlig angekleidet in das Bett gelegt hatte, diesen bleichen, entstellten, vor ihr knieenden Menschen sah, richtete sie sich erschrocken auf und rief, ihr Gesicht in den Händen verbergend, um Hilfe.

»Madame,« sprach La Mole und strengte sich an, um aufzustehen, »in des Himmels Namen, ruft nicht, wenn man Euch hört, bin ich verloren! Mörder verfolgen mich … sie stürzen hinter mir die Stufen herauf; … ich höre sie … hier sind sie! hier sind sie!«

»Zu Hilfe!« wiederholte die Königin von Navarra außer sich, »zu Hilfe!«

»Ah! Ihr habt mich getödtet,« rief La Mole in Verzweiflung, »durch eine so süße Stimme, durch eine so schöne Hand sterben! Oh! das hätte ich für unmöglich gehalten!«

In demselben Augenblick öffnete sich die Thüre, und eine Meute keuchender, wüthender Menschen, das Gesicht von Blut und Pulver befleckt, Büchsen, Hellebarden und Schwerter in den Fäusten, stürzte in das Zimmer.

An ihrer Spitze war Coconnas. Seine rothen Haare sträubten sich auf seinem Haupte, sein Auge war übermäßig erweitert, die Wange völlig gequetscht von dem Schwerte von La Mole, das eine blutige Furche auf dem Fleische gezogen hatte. So entstellt, war der Piemontese furchtbar anzuschauen.

»Mordi!« rief er, »hier ist er! hier ist er! Diesmal soll er uns nicht entkommen!«

De La Mole suchte eine Waffe um sich her und fand keine. Er warf seine Augen auf die Königin und sah das tiefste Mitleid auf ihrem Antlitz ausgeprägt. Da begriff er, daß sie allein ihn retten konnte, stürzte auf sie zu und umschlang sie mit seinen Armen.

Coconnas machte drei Schritte vorwärts, stieß die Spitze seines langen Degens abermals in die Schulter seines Feindes, und einige Tropfen warmen, frischrothen Blutes besprengten wie Thau die weißen, duftenden Tücher von Margarethe.

Margarethe sah das Blut fließen, sie fühlte das Beben des mit dem ihrigen verschlungenen Körpers und warf sich mit ihm in den Raum hinter dem Bette. Es war die höchste Zeit. Der völligen Erschöpfung seiner Kräfte nahe, fühlte sich de La Mole unfähig, irgend eine Bewegung zu machen. Er legte sein leichenblasses Haupt auf die Schulter der jungen Frau und seine krampfhaft zusammengezogenen Finger klammerten sich ihn zerreißend, an dem feinen gestickten Batist an, der mit einer Gazewelle den Körper von Margarethe bedeckte.

»Oh! Madame,« murmelte er mit sterbender Stimme, »rettet mich!«

Das war Alles, was er sagen konnte. Sein von einer Wolke, der Nacht des Todes ähnlich, verschleiertes Auge verdunkelte sich, der schwere Kopf fiel zurück, seine Arme erschlafften, seine Hüften beugten sich, und er glitt, die Königin mit sich ziehend, auf den Boden in sein eigenes Blut.

In diesem Augenblick streckte Coconnas, durch das Geschrei begeistert, durch den Geruch des Blutes berauscht, außer sich durch den wüthenden Lauf, den er gemacht hatte, den Arm nach dem königlichen Alkoven aus. Noch einen Augenblick und sein Degen durchdrang das Herz von La Mole und vielleicht zugleich das von Margarethe.

Bei dem Anblick dieses entblößten Eisens und vielleicht mehr noch bei dem dieser rohen Frechheit erhob sich die Tochter der Könige in ihrer ganzen Höhe und stieß einen Schrei so von Schrecken, Entrüstung und Wuth aus, daß der Piemontese, durch ein unbekanntes Gefühl versteinert, innehielt. Hätte diese Scene nur unter denselben handelnden Personen fortgedauert, so würde allerdings dieses Gefühl wie ein Morgenschnee unter der Frühlingssonne hingeschmolzen sein.

Aber plötzlich stürzte durch eine in der Wand verborgene Thüre ein junger Mensch von sechszehn bis siebzehn Jahren, schwarz gekleidet, bleich, die Haare in Unordnung, herein.

»Warte, meine Schwester, warte, hier bin ich!«

»Franz! Franz! zu Hilfe!« sprach Margarethe.

»Der Herzog von Alençon,« murmelte La Hurière, seine Büchse senkend.

»Mordi! ein Sohn von Frankreich!« brummte Coconnas, einen Schritt zurückweichend.

Der Herzog von Alençon warf einen Blick um sich her. Er sah Margarethe, die Haare aufgelöst, schöner als je, an die Mauer gelehnt, von Männern umgeben, Wuth in den Augen, Schweiß auf der Stirne, Schaum an dem Munde.

»Elende!« rief er.

»Rettet mich, mein Bruder!« sprach Margarethe erschöpft, »sie wollen mich ermorden!««

Eine Flamme zog über das bleiche Antlitz des Herzogs hin.

Obgleich er ohne Waffen war, ging er doch, ohne Zweifel unterstützt durch das Bewußtsein seines Ranges, mit geballten Fäusten auf Coconnas und seine Gefährten los, welche erschrocken vor den Blitzen, die aus seinen Augen hervorsprangen, zurückwichen.

»Werdet Ihr auch einen Sohn von Frankreich tödten?« sprach er.

Dann, da sie immer mehr zurückwichen:

»Oho! mein Kapitän der Garden, kommt hierher, und man hänge mir alle diese Schurken!«

Mehr erschrocken bei dem Anblicke dieses unbewaffneten jungen Menschen, als er es wohl bei einer Compagnie von Lanzknechten gewesen wäre, hatte Coconnas bereits die Thüre erreicht. La Hurière eilte mit Hirschläufen die Treppe hinab. Die Soldaten drängten sich und warfen sich in den Flur nieder, um so schnell als möglich zu entfliehen. Sie fanden die Thüre zu eng im Vergleiche mit ihrem großen Verlangen, außen zu sein.

Mittlerweile hatte Margarethe instinktartig ihre Damastdecke auf den jungen Mann geworfen und sich von ihm entfernt.

Als der letzte Mörder verschwunden war, wandte sich der Herzog von Alençon um.

»Meine Schwester!« rief er, als er Margarethe ganz mit Blut besprengt sah, »solltest Du verwundet sein?«

Und er stürzte auf seine Schwester mit einer Unruhe zu, die seiner Zärtlichkeit Ehre gemacht hätte, hätte man seine Zärtlichkeit nicht beschuldigt, sie wäre größer, als sie sich für einen Bruder geziemte.

»Nein,« sagte sie, »ich glaube nicht, oder wenn ich es bin, so bin ich es nur leicht.«

»Aber dieses Blut,« versetzte der Herzog, mit seinen zitternden Händen über den ganzen Körper von Margarethe hinstreifend, »dieses Blut, woher kommt es?«

»Ich weiß es nicht, »antwortete die junge Frau, »einer von den Elenden hat Hand an mich gelegt; vielleicht war er verwundet.«

»Hand an meine Schwester gelegt!« rief der Herzog. »Oh! wenn Du mir ihn nur mit dem Finger gezeigt hättest, wenn Du mir gesagt hättest, welcher es war, wenn ich wüßte, wo ich ihn finden sollte!…«

»Stille!« sprach Margarethe.

»Und warum dies?« sagte Franz.

»Weil, wenn man Euch zu dieser Stunde in meinem Zimmer sehen würde …«

»Kann ein Bruder nicht seine Schwester besuchen, Margarethe?«

Die Königin heftete auf den Herzog von Alençon einen so starren und dabei so drohenden Blick, daß der junge Mensch zurückwich.

»Ja, ja, Margarethe, Du hast Recht,« sagte er, »ich begebe mich in meine Wohnung. Aber Du kannst nicht diese ganze furchtbare Nacht allein bleiben. Soll ich Gillonne rufen?«

»Nein, nein, Niemand, gehe Franz, gehe auf dem Wege zurück, auf dem Du gekommen bist.«

Der junge Prinz gehorchte, und kaum war er verschwunden, als Margarethe, einen Seufzer vernehmend, der hinter ihrem Bette hervorkam, nach der Thüre des geheimen Ganges lief und dann nach der andern Thüre eilte, die sie ebenfalls und zwar in dem Augenblick verschloß, wo ein Haufen von Bogenschützen und Soldaten, welche andere im Louvre wohnende Hugenotten verfolgten, wie ein Orkan am äußersten Ende des Corridors vorüberbrauste.

Nachdem sie aufmerksam um sich hergeschaut hatte um zu sehen, ob sie auch gewiß allein wäre, kehrte sie nach dem Platze hinter ihrem Bette zurück, hob die Damastdecke auf, welche den Körper von La Mole den Blicken des Herzogs von Alençon entzogen hatte, schleppte mit aller Anstrengung die träge Masse in das Zimmer, setzte sich, als sie sah, das der Unglückliche noch athmete, nieder, legte sein Haupt auf ihren Schooß und sprengte ihm Wasser in das Gesicht, um ihn wiederzubeleben.

Jetzt erst, als das Wasser den Schleier von Staub, Pulver und Blut entfernt hatte, der das Antlitz des Verwundeten bedeckte, erkannte Margarethe in ihm den schönen Edelmann, der voll Leben und Hoffnung drei oder vier Stunden vorher sie um ihren Schutz bei dem König von Navarra gebeten und den, sie selbst in Träume versenkend, geblendet von ihrer Schönheit verlassen hatte.

Margarethe stieß einen Schrei des Schreckens aus, denn was sie jetzt für den Verwundeten fühlte, war nicht mehr Mitleid allein, es war Theilnahme. Der Verwundete war für sie in der That nicht mehr ein einfacher Fremder, es war ein Bekannter. Unter ihrer Hand erschien das schöne Antlitz von La Mole bald völlig wieder, aber bleich und vom Schmerze verzogen. Mit einem tödtlichen Schauer und beinahe eben so bleich als er selbst, legte sie die Hand auf sein Herz; sein Herz schlug noch. Dann streckte sie die Hand nach einem Riechfläschchen aus, das auf einem nahen Tische lag, und, ließ ihn davon einathmen.

La Mole öffnete die Augen.

»Oh, mein Gott!« murmelte er, »wo bin ich?«

»Gerettet! beruhigt Euch, gerettet!« sprach Margarethe.

La Mole wandte mühsam seinen Blick nach der Königin, verschlang sie einen Moment mit den Augen und stammelte:

»Oh! wie schön seid Ihr!«

Und wie geblendet schloß er alsbald die Augen abermals und seufzte.

Margarethe stieß einen leichten Schrei aus, der junge Mann erbleichte, wenn es möglich war, noch mehr, und sie glaubte einen Augenblick, dieser Seufzer wäre der letzte gewesen.

»Oh mein Gott! mein Gott!« sprach sie, »habe Mitleid mit ihm.«

Zur selben Zeit klopfte man heftig an die Flurthüre.

Margarethe stand, La Mole unter den Schultern haltend, halb auf.

»Wer ist da?« rief sie.

»Madame, Madame, ich bin es!« rief eine Frauenstimme, »ich, die Herzogin von Nevers.«

»Henriette!« rief Margarethe, »oh, dabei ist keine Gefahr! Es ist eine Freundin, hört Ihr, mein Herr?«

La Mole strengte alle seine Kräfte an und erhob sich auf ein Knie.

»Versucht es, Euch zu halten, während ich öffne,« sagte die Königin.

La Mole stützte seine Hand auf den Boden, und es gelang ihm, im Gleichgewicht zu bleiben. Margarethe machte einen Schritt nach der Thüre, aber sie blieb plötzlich, bebend vor Schrecken, stille stehen.

»Ach, Du bist nicht allein?« rief sie, das Geräusch von Waffen vernehmend.

»Nein, ich werde von zwölf Wachen geleitet, die mir mein Schwager Herr von Guise, gelassen hat.«

»Herr von Guise!« murmelte La Mole, »oh! der Mörder! der Mörder!«

»Stille!« sagte Margarethe, »nicht ein Wort!«

Und sie schaute rings um sich her, um zu sehen, wo sie ihn verbergen könnte.

»Einen Degen, einen Dolch!« murmelte La Mole.

»Um Euch zu vertheidigen? Vergeblich! Habt ihr nicht gehört? sie sind zu zwölf, und Ihr seid allein.«

»Nicht um mich zu vertheidigen, sondern um nicht, lebendig in ihre Hände zu fallen.«

»Nein, nein,« sprach Margarethe, »nein, ich werde Euch retten. Ah! Dieses Cabinet, kommt, kommt!«

La Mole strengte sich noch einmal an und schleppte sich, unterstützt von Margarethe, bis in das Cabinet. Margarethe schloß die Thüre hinter ihm, steckte den Schlüssel in ihre Tasche und flüsterte ihm durch das Täfelwerk zu: »Keinen Schrei, keine Klage, keinen Seufzer, und Ihr seid gerettet!«

Dann einen Nachtmantel über die Schultern werfend öffnete sie ihrer Freundin, die sich in ihre Arme stürzte.

»Ah,« sagte sie, »es ist Euch nichts begegnet, nicht wahr, Madame?«

»Nein,« sprach Margarethe und zog den Mantel fest zusammen, daß man die Blutflecken, mit denen ihr Gewand besprengt war, nicht sehen konnte.

»Desto besser; aber da mir der Herr Herzog von Guise zwölf Wachen, um mich nach seinem Hotel zurückzuführen, gegeben hat, und da ich keines so großen Geleites bedarf, so überlasse ich sechs davon Euerer Majestät. Sechs Wachen des Herzogs von Guise sind in dieser Nacht mehr werth, als ein ganzes Regiment Garden des Königs.«

Margarethe wagte es nicht, dieses Anerbieten auszuschlagen. Sie ließ die sechs Mann in dem Flur sich aufstellen, und umarmte dankend die Herzogin von Nevers, welche mit den andern sechs Wachen nach dem Hotel des Herzogs von Guise zurückkehrte, das sie in Abwesenheit ihres Gemahls bewohnte.

Königin Margot

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