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Erstes bis viertes Bändchen
XI.
Der Weißdorn des Cimetière des Innocens

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In ihre Wohnung zurückgekehrt, suchte Margarethe vergebens das Wort zu errathen, das Catharina von Medicis ganz leise zu Karl IX. gesagt und das den furchtbaren Rath über Leben und Tod, der in diesem Augenblick gehalten wurde, kurz abgebrochen hatte.

Ein Theil des Morgens wurde von ihr dazu angewendet, La Mole zu pflegen, ein anderer, um die Lösung des Räthsels zu suchen, das ihr Geist zu begreifen sich weigerte.

Der König von Navarra wurde im Louvre gefangen gehalten. Man verfolgte die Hugenotten mehr als je; auf die furchtbare Nacht erschien ein Tag noch abscheulicheren Gemetzels. Es war nicht mehr die Sturmglocke, welche von den Thürmen ertönte, es warenTe Deum, und die freudigen Metallklänge, welche mitten unter Mord und Brand ertönten, erschienen vielleicht noch trauriger, als es das Todtengeläute in der Dunkelheit der vorhergehenden Nacht gewesen war. Und das war noch nicht Alles; es hatte sich etwas Seltsames ereignet: ein Weißdorn der im Frühjahre geblüht und wie gewöhnlich im Monat Juni seinen wohlriechenden Schmuck verloren hatte, trieb während der Nacht wieder Blüthen, und die Katholiken. die in diesem Ereigniß ein Wunder sahen und durch die Verbreitung dieses Wunders Gott zu ihrem Schuldgenossen machten, zogen in Procession, Kreuz und Banner voraus, nach dem Cimetière des Innocens9 wo dieser Weißdorn blühte.

Diese scheinbare Beipflichtung des Himmels zu der Schlächterei verdoppelte den Eifer der Mörder. Und während die Stadt in jeder Straße, in jedem Gäßchen, auf jedem Platze eine Scene der Verwüstung zu bieten fortfuhr, hatte der Louvre bereits als gemeinschaftliches Grab für alle Protestanten gedient, welche sich im Augenblicke des Signals darin eingeschlossen fanden. Der König von Navarra, der Prinz von Condé und La Mole allein waren am Leben geblieben.

Ueber La Mole beruhigt, dessen Wunden, wie sie am Tage vorher gesagt, gefährlich, aber nicht tödtlich waren, beschäftigte sich Margarethe nur noch mit Einem, damit, ihrem Gemahl, welcher fortwährend bedroht war, das Leben zu retten. Ohne Zweifel war das erste Gefühl, das sich der Gattin bemächtigt hatte, ein Gefühl redlichen Mitleids, für einen Mann, dem sie, wie der Bearner selbst sagte, wenn sie ihn nicht liebte, doch wenigstens einen Bund versprochen hatte; aber in Folge dieses Gefühles ergriff ein anderes, minder reines, das Herz der Königin.

Margarethe war ehrgeizig; Margarethe hatte beinahe die Gewißheit eines Königreiches in ihrer Vermählung mit Heinrich von Bourbon gesehen. Navarra, auf der einen Seite von Frankreich, aus der andern von Spanien gezerrt, welche Fetzen für Fetzen endlich die Hälfte seines Gebietes weggerissen hatten, konnte, wenn Heinrich von Bourbon die Hoffnungen verwirklichte, die sein Muth bei den seltenen Gelegenheiten erregt hatte, wo es ihm sein Schwert zu ziehen vergönnt gewesen war, ein wahres Königreich mit den Hugenotten als Unterthanen werden. Mit ihrem so scharfen und erhabenem Geiste hatte Margarethe Alles dies in der Ferne gesehen und berechnet. Verlor sie Heinrich, so verlor sie nicht nur einen Gemahl, sondern auch einen Thron.

Sie war gerade in diese Betrachtungen versunken, als sie an der Thüre des geheimen Ganges klopfen hörte; sie bebte, denn es kamen nur drei Personen durch diese Thüre: der König, die Königin Mutter und der Herzog von Alençon. Sie öffnete halb die Thüre des Cabinets, empfahl mit dem Finger Gillonne und La Mole Stillschweigen und schloß dem Besuche auf.

Dieser Besuch war der Herzog von Alençon.

Der junge Mann war am Tage vorher verschwunden. Einen Augenblick war Margarethe Willens gewesen, ihn um seine Vermittelung zu Gunsten des Königs von Navarra zu bitten; aber ein furchtbarer Gedanke hatte sie zurückgehalten Die Heirath war gegen sein Gutheißen geschlossen worden. Franz haßte Heinrich, und hatte die Neutralität für den Bearner nur in der Ueberzeugung beobachtet, Heinrich und seine Gemahlin wären einander fremd geblieben. Ein Zeichen der Theilnahme von Margarethe, ihrem Gatten gegeben, konnte folglich, statt ihn zu beseitigen, einen von den drei Dolchen, von denen er bedroht war, seiner Brust näher bringen.

Margarethe bebte deßhalb, als sie den jungen Prinzen gewahr wurde, mehr als sie bei dem Anblick von Karl IX. oder der Königin Mutter gebebt hätte. Wenn man ihn sah, hätte man nicht glauben sollen, es ginge etwas Ungewöhnliches in der Stadt oder im Louvre vor: er war mit seiner gewöhnlichen Eleganz gekleidet. Seine Kleider und seine Wäsche strömten die Wohlgerüche aus, welche Karl IX. verachtete, von denen aber der Herzog von Anjou und er beständig Gebrauch machten. Nur ein geübtes Auge, wie das von Margarethe, konnte bemerken, daß er trotz seiner ungewöhnlichen Blässe und trotz des leichten Zitterns, welches das Ende seiner so schönen und frauenartigen gepflegten Hände bewegte, in seinem Innersten ein freudiges Gefühl verschloß.

Sein Eintritt war wie sonst. Er näherte sich seiner Schwester, um sie zu küssen. Aber statt ihm die Wangen zu reichen, wie sie es Karl IX. oder dem Herzog von Anjou gethan haben würde, verbeugte sie sich und bot ihm die Stirne.

Der Herzog stieß einen Seufzer aus und drückte seine erbleichenden Lippen auf die Stirne, welche ihm Margarethe darbot.

Dann setzte er sich und fing an seiner Schwester blutige Geschichten von der Nacht zu erzählen: den langsamen und furchtbaren Tod des Admirals, den raschen Tod von Téligny, der von einer Kugel durchbohrt in demselben Augenblick seinen Geist ausgehaucht hatte. Er hielt inne, sprach sachte, gefiel sich in den gräuelhaften Einzelheiten dieser Nacht mit der ihm und seinen Brüdern eigenthümlichen Blutgier.

Als er endlich Alles gesagt hatte, schwieg er.

»Nicht wahr, mein Bruder, nicht allein, um mir dies zu erzählen, besucht Ihr mich?« fragte Margarethe.

Der Herzog von Alençon lächelte.

»Ihr habt mir noch etwas Anderes mitzutheilen?«

»Nein,« antwortete der Herzog, »ich warte.«

»Worauf wartet Ihr?«

»Habt Ihr mir nicht gesagt, theuere, vielgeliebte Margarethe,« sprach der Herzog seinen Stuhl dem seiner Schwester nähernd, »diese Heirath mit dem König von Navarra werde wider Euern Willen vollzogen?»

»Ja, allerdings. Ich kannte den Prinzen von Bearn nicht, als man mir ihn zum Gemahl vorschlug.«

»Und habt Ihr mir nicht, seitdem Ihr ihn kennt, bestätigt, daß Ihr keine Liebe für ihn fühltet?«

»Ich sagte es Euch allerdings.«

»War es nicht Eure Meinung, diese Heirath würde Euer Unglück machen?«

»Mein lieber Franz,« sprach Margarethe, »wenn eine Heirath nicht die höchste Glückseligkeit ist, so ist sie beinahe immer der tiefste Schmerz.«

»Nun, meine liebe Margarethe, wie ich Euch sagte, ich erwarte …«

»Was erwartet Ihr? sprecht.«

»Daß Ihr mir Eure Freude kundgebt.«

»Worüber soll ich mich freuen?«

»Ueber die unerwartete Gelegenheit, die sich Euch bietet, Euere Freiheit wieder zu erlangen.«

»Meine Freiheit!« versetzte Margarethe, welche den Prinzen nöthigen wollte, seinen Gedanken bis zum Schlusse auszusprechen.

»Allerdings, Euere Freiheit; Ihr sollt von dem König von Navarra geschieden werden.«

»Geschieden?« sagte Margarethe, die Augen auf den jungen Prinzen heftend.

Der Herzog von Alençon suchte den Blick seiner Schwester auszuhalten, aber bald wandten sich seine Augen verlegen von ihr ab.

»Geschieden?« wiederholte Margarethe, »wie so, mein Bruder? Es wäre mir sehr lieb, wenn Ihr mich in den Stand setzen, die Frage gründlich in Betracht ziehen zu können. Wie gedenkt man uns zu scheiden?«

»Heinrich ist ein Hugenott,« murmelte der Herzog.

»Allerdings, aber er hatte kein Geheimnis aus seiner Religion gemacht, und man wußte dies, als man uns verheirathete.«

»Ja, aber seit Eurer Verheirathung, meine Schwester,« sagte der Herzog, dessen Antlitz unwillkührlich einen Strahl der Freude beleuchtete, »was hat Heinrich gethan.«

»Das wißt Ihr besser, als irgend Jemand, Franz, da er seine Tage beinahe immer in Eurer Gesellschaft bald auf der Jagd, bald beim Maillespiele, bald beim Ballschlagen zugebracht hat.«

»Ja, seine Tage allerdings,« versetzte der Herzog, »seine Tage, aber eine Nächte?«

Margarethe schwieg und es war an ihr, die Augen niederzuschlagen.

»Seine Nächte?« fuhr der Herzog von Alençon fort, »seine Nächte?»

»Nun?« fragte Margarethe, welche wohl fühlte, daß sie etwas antworten mußte.

»Nun, er brachte sie bei Frau von Sauves zu.«

»Woher wißt Ihr dies?« rief Margarethe.

»Ich weiß es, weil ich ein Interesse dabei hatte, es zu erfahren,« antwortete der junge Prinz erbleichend, und die Stickerei an seinem Aermel zerknitternd.

Margarethe fing an, das zu begreifen, was Catharina ganz leise zu Karl IX. gesagt hatte; aber sie stellte sich, als bliebe sie in ihrer Unwissenheit.

»Warum sagt Ihr mir das, mein Bruder?« erwiederte sie mit einer vortrefflich gespielten schwermüthigen Miene. »Etwa um mich daran zu erinnern, daß Niemand mich liebt und an mir hängt eben so wenig die Menschen, welche die Natur mir als Beschützer verliehen hat, als derjenige, welchen die Kirche mir zum Gemahl gab?«

»Ihr seid ungerecht,« sprach lebhaft der Herzog von Alençon, und rückte seinen Stuhl noch näher zu Feind seiner Schwester, »ich liebe Euch und beschütze Euch.«

»Mein Bruder,« sagte Margarethe ihn fest anschauend, »Ihr habt mir etwas im Auftrage der Königin Mutter zu sagen?«

»Ich! Ihr täuscht Euch, meine Schwester, das ich schwöre ich. Was bringt Euch zu diesem Glauben?«

»Zu diesem Glauben bringt mich der Umstand, daß Ihr die Freundschaft, die Euch mit meinem Gemahle verband, abbrecht, daß Ihr die Sache des Königs von Navarra verlaßt.«

»Die Sache des Königs von Navarra?« versetzte der Herzog von Alençon ganz verblüfft.

»Ja, allerdings. Hört, Franz, sprechen wir offenherzig. Ihr habt zwanzigmal zugestanden, Ihr könntet Euch nicht Einer ohne den Andern erheben, ja nicht einmal aufrecht erhalten. Dieses Bündnis …«

»Ist unmöglich geworden, meine Schwester,« unterbrach sie der Herzog von Alençon.

»Und warum dies?«

»Weil der König Absichten mit Eurem Gatten hat. Ich bitte um Vergebung: wenn ich sage, Euer Gemahl, täusche ich mich; mit Heinrich von Navarra, sollte ich sagen. Unsere Mutter hat Alles errathen. Ich verband mich mit den Hugenotten, weil ich sie in Gunst glaubte; nun aber tödtet man die Hugenotten, und in acht Tagen werden keine fünfzig mehr, im ganzen Königreich übrig bleiben. Ich reichte die Hand dem König von Navarra, weil er … Euer Gatte war. Nun aber ist er nicht mehr Euer Gatte. Was habt Ihr hierzu zu sagen? Ihr, die Ihr nicht nur die schönste Frau von Frankreich, sondern auch der stärkste Kopf des Landes seid.«

»Ich habe zu sagen,« versetzte Margarethe, »daß ich unsern Bruder Karl kenne. Gestern sah ich ihn, in einem von den Wuthanfällen, von denen jeder sein Leben um zehn Jahre abkürzt. Ich habe zu sagen, daß sich diese Zufälle leider jetzt sehr häufig wiederholen, weshalb unser Bruder Karl aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr lange leben wird. Ich habe zu sagen, daß der König von Polen so eben gestorben ist und daß man viel davon spricht, an seiner Stelle einen Prinzen des Hauses Frankreich zu wählen. Ich habe endlich zu sagen, daß es, wenn die Umstände sich so darstellen, nicht der geeignete Augenblick ist, Verbündete zu verlassen, welche zur Stunde des Kampfes uns mit der Mitwirkung eines Volkes und mit der Hilfe eines Königreiches unterstützen können.«

»Und Ihr,« rief der Herzog, »habt Ihr nicht einen noch viel größeren Verrath an mir geübt, indem Ihr einen Fremden Eurem Bruder vorzoget!«

»Erklärt Euch, Franz, worin und wie habe ich Euch verrathen?«

»Ihr habt gestern von dem König das Leben von Heinrich von Navarra erbeten.«

»Nun?« fragte Margarethe mit geheuchelter Naivität.

Der Herzog stand rasch auf, ging zweimal mit verwirrter Miene im Zimmer umher und nahm dann wieder die Hand von Margarethe.

Diese Hand war starr und eisig.

»Gott befohlen, meine Schwester,« sagte der Prinz, »Ihr wolltet mich nicht verstehen. Schreibt nur Euch selbst die Schuld wegen alles Unglücks zu, das geschehen dürfte.«

Margarethe erbleichte, blieb aber unbeweglich auf ihrer Stelle. Sie sah den Herzog von Alençon weggehen, ohne daß sie ein Zeichen machte, um ihn zurückzuhalten. Kaum hatte sie ihn aber im Corridor aus dem Gesichte verloren, als er wieder zurückkam.

»Hört, Margarethe,« sagte er, »ich habe vergessen, Euch Eines zu sagen. Morgen zu dieser Stunde ist der König von Navarra todt.«

Margarethe stieß einen Schrei aus; denn der Gedanke, daß sie das Werkzeug eines Mordes war, verursachte ihr einen Schrecken, den sie nicht überwinden konnte.

»Und Ihr werdet diesen Tod nicht verhindern?« sagte sie, »Ihr werdet Euren besten, Euren treusten Verbündeten nicht retten?«

»Seit gestern ist mein Verbündeter nicht mehr der König von Navarra.«

»Und wer ist es denn?«

»Der Herzog von Guise. Die Hugenotten zerstörend, hat man Herrn von Guise zum König der Katholiken gemacht.«

»Und der Sohn von Heinrich II. erkennt einen Herzog von Lothringen als seinen König an?«

»Ihr habt heute Euern schlimmen Tag, Margarethe, und begreift nichts.«

»Ich gestehe, daß ich vergebens in Euern Gedanken zu lesen suche.«

»Meine Schwester, Ihr seid von eben so gutem Hause, als die Frau Prinzessin von Porcian. Von Guise ist nicht unsterblicher, als der König von Navarra. Nun wohl, Margarethe, setzt drei Dinge, drei durchaus mögliche Dinge: erstens, daß Monsieur zum König von Polen gewählt wird; zweitens, daß Ihr mich liebet, wie ich Euch liebe; nun, ich bin König von Frankreich, und Ihr … und Ihr … seid Königin der Katholiken.«

Margarethe verbarg ihr Haupt in ihren Händen, geblendet von der Tiefe der Pläne dieses Jünglings, dem Niemand am Hofe einen Geist zuzuschreiben wagte.

»Aber,« fragte sie nach einem Augenblick des Stillschweigens, »Ihr seid also nicht eifersüchtig auf den Herzog von Guise, wie auf den König von Navarra?«

»Was geschehen ist, ist geschehen,« sprach der Herzog von Alençon mit dumpfer Stimme, »und wenn ich Grund gehabt habe, auf den Herzog von Guise eifersüchtig zu sein, nun wohl, so bin ich es gewesen.«

»Nur ein Umstand könnte das Gelingen dieses Planes scheitern machen, mein Bruder,« sprach Margarethe aufstehend.

»Welcher?«

»Der, daß ich Herrn von Guise nicht mehr liebe.«

»Und wen liebt Ihr denn?«

»Niemand.«

Der Herzog von Alençon schaute Margarethe mit dem Erstaunen eines Menschen an, der seinerseits nicht mehr begreift, und verließ das Gemach, einen Seufzer ausstoßend und mit seiner eisigen Hand seine Stirne pressend, die zu zerspringen drohte.

Margarethe blieb allein und in Gedanken versunken. Die Lage der Dinge fing an klar und scharf sich vor ihre Augen zu stellen. Der König hatte die Bartholomäusnacht machen lassen. Die Königin Catharina und der Herzog von Guise hatten sie gemacht. Der Herzog von Guise und der Herzog von Alençon verbanden sich, um so viel als möglich Nutzen aus den Verhältnissen zu ziehen. Der Tod des Königs von Navarra war eine natürliche Folge dieser großen Katastrophe. War der König von Navarra todt, so bemächtigte man sich seines Reiches. Margarethe blieb dann Wittwe, ohne Thron, ohne Macht und ohne andere Aussicht, als ein Kloster, wo ihr nicht einmal der traurige Schmerz zu Theil geworden wäre, einen Gemahl zu beweinen, der nie ihr Gatte gewesen war.

So weit kam sie in ihren Gedanken, als die Königin Catharina sie fragen ließ, ob sie nicht mit dem ganzen Hofe eine Pilgerfahrt nach dem Weißdorn des Cimetière des Innocens machen wollte.

Der erste Gedanke von Margarethe war, eine Theilnahme an dieser Cavalcade auszuschlagen; aber sie bedachte, daß sie dabei vielleicht Gelegenheit finden würde, etwas Neues über das Schicksal des Königs von Navarra zu erfahren, und dies entschied. Sie ließ also antworten: wenn man ein Pferd für sie bereit halten wollte, so würde sie sehr gerne Ihre Majestäten nach dem Cimetière des Innocens begleiten.

Fünf Minuten nachher meldete ihr ein Page, wenn sie herabkommen wollte, würde sich der Zug in Marsch setzen. Margarethe machte mit der Hand Gillonne ein Zeichen, um ihr den Verwundeten zu empfehlen, und stieg hinab.

Der König, die Königin Mutter, Tavannes und die vornehmsten Katholiken waren bereits zu Pferde. Margarethe warf einen raschen Blick auf die Gruppe, welche aus ungefähr zwanzig Personen bestand. Der König von Navarra war nicht dabei, wohl aber Frau von Sauves. Sie wechselte einen Blick mit ihr, und Margarethe begriff, daß die Geliebte ihres Gemahls ihr etwas zu sagen hatte.

Man begab sich auf den Weg und erreichte die Rue Saint-Honoré durch die Rue de Lastruce. Bei dem Anblick des Königs, der Königin Catharina und der katholischen Häupter scharte sich das Volk zusammen, folgte dem Zuge wie eine steigende Woge und rief: »Es lebe der König! Es lebe die Messe! Tod den Hugenotten!«

Dieses Geschrei wurde begleitet von dem Schwingen gerötheter Schwerter und rauchender Büchsen, welche andeuteten, wie viel jeder Theil an dem finsteren Ereignisse genommen hatte, das in Erfüllung gegangen war.

Als man zu der Höhe der Rue des Prouvelles gelangte, begegnete man Menschen, welche einen Leichnam ohne Kopf schleppten; es war der des Admirals. Diese Menschen waren im Begriff, ihn in Montfaucon an den Füßen aufzuhängen.

Man ritt in den Cimetière des Innocens durch das Thor hinein, das sich der Rue des Chapes gegenüber öffnete. Von dem Besuche des Königs und der Königin Mutter in Kenntniß gesetzt, erwarteten die Geistlichen Ihre Majestäten, um sie anzureden.

Frau von Sauves benützte den Augenblick, wo Catharina auf die Rede hörte, die man an sie hielt, um sich der Königin von Navarra zu nähern und sie um Erlaubniß zu bitten, ihr die Hand küssen zu dürfen. Margarethe streckte den Arm nach ihr aus. Frau von Sauves näherte ihre Lippen der Hand der Königin und schob ihr, während sie dieselbe küßte, ein kleines zusammengerolltes Papier in den Aermel.

So rasch und so heimlich auch Frau von Sauves sich zurückgezogen hatte, so war es doch Catharina nicht entgangen. Sie wandte sich in dem Augenblicke um, wo ihre Ehrendame die Hand der Königin küßte.

Die zwei Frauen sahen diesen Blick, der wie ein Blitz zu ihnen drang, aber sie verriethen keine Bewegung. Frau von Sauves entfernte sich nun von Margarethe und nahm ihren Platz wieder bei Catharina ein.

Als diese die Rede, die man an sie hielt, beantwortet hatte, machte sie mit dem Finger und lächelnd der Königin von Navarra ein Zeichen, sich ihr zu nähern.

Margarethe gehorchte.

»Ei! meine Tochter,« sagte die Königin Mutter, in ihrem italienischen Patois, »Ihr habt also große Freundschaft mit Frau von Sauve?«

Margarethe lächelte und antwortete, ihrem schönen Gesichte den bittersten Ausdruck verleihend, den sie finden konnte.

»Ja, meine Mutter, die Schlange ist gekommen, um mich in die Hand zu beißen.«

»Oh, oh,« sprach Catharina lächelnd, »Ihr seid, glaube ich, eifersüchtig.«

»Ihr täuscht Euch, Madame,« versetzte Margarethe, »ich bin nicht mehr eifersüchtig auf den König von Navarra, als der König von Navarra in mich verliebt ist. Nur weiß ich meine Freunde von meinen Feinden zu unterscheiden. Ich liebe den, welcher mich liebt, und hasse den, welcher mich haßt. Wäre ich ohne dieses Eure Tochter, Madame?«

Catharina lächelte auf eine Weise, aus der Margarethe verstehen konnte, daß, wenn sie irgend einen Verdacht gehabt hatte, dieser Verdacht verschwunden war.

In diesem Augenblick zogen überdies neue Pilger die Aufmerksamkeit der erhabenen Versammlung an.

»Der Herzog von Guise erschien, begleitet von einer Truppe von einem neuen Blutbade noch völlig erhitzter Edelleute. Sie escortirten eine reich ausgeschmückte Sänfte, welche vor dem Könige anhielt.

»Die Herzogin von Nevers!« rief Karl IX…. »Sie komme herbei, um die Komplimente in Empfang zu nehmen … diese schöne, feste, Katholikin. Was hat man mir doch gesagt, meine Base? Ihr habet von Eurem Fenster auf Hugenotten gebürscht, und sogar einen mit einem Steinwurfe getödtet?«

Die Herzogin von Nevers erröthete im höchsten Maße und sagte mit leiser Stimme, vor dem König niederknieend:

»Sire, es ist im Gegentheil ein verwundeter Katholik, den ich aufzunehmen das Glück gehabt habe.«

»Gut, gut, meine Base. Es gibt zwei Arten mir zu dienen, die eine besteht darin, daß man meine Feinde ausrottet, die andere, daß man meinen Freunden Hilfe gewährt. Man thut, was man thun kann, und ich bin überzeugt, daß Ihr, wenn Ihr mehr vermocht hättet, es gethan haben würdet.«

Während dieser Zeit schrie das Volk, als es das zwischen dem Hause Lothringen und Karl IX. herrschende gute Einverständnis sah, aus vollem Halse: »Es lebe der König! Es lebe der Herzog von Guise! Es lebe die Messe!«

»Kommt Ihr mit uns in den Louvre zurück, Henriette?« sagte die Königin Mutter zu der schönen Herzogin.

Margarethe berührte ihre Freundin mit dem Ellenbogen. Diese verstand das Zeichen und antwortete: »Nein, Madame, wenn es Eure Majestät mir nicht befiehlt, denn ich habe in der Stadt mit Ihrer Majestät der Königin von Navarra zu thun.«

»Und was wollt Ihr mit einander machen?« fragte Catharina.

»Sehr seltene griechische Bücher sehen, welche man bei einem alten protestantischen Pfarrer gefunden, nach dem Thurme Saint-Jarques-La-Boucherie gebracht hat,« antwortete Margarethe.

»Ihr würdet besser daran thun, die lebenden Hugenotten von dem Pont aux Moulins in die Seine werfen zu sehen,« sagte Karl IX. »Das ist der Plan guter Franzosen.«

»Wir werden dahin gehen, wenn es Euerer Majestät gefällt,« antwortete die Herzogin von Nevers.

Catharina warf einen Blick des Mistrauens auf die zwei jungen Frauen; stets lauernd, deutete Margarethe denselben und schaute mit sehr ängstlicher Miene sich hin- und herdrehend, in großer Unruhe im Kreise umher.

Diese geheuchelte oder wahre Unruhe entging Catharina nicht.

»Was sucht Ihr?« sprach sie.

»Ich suche … ich sehe nicht mehr …«

»Wen sucht Ihr, wen seht Ihr nicht mehr?«

»Die Sauves,« antwortete Margarethe. »Sollte sie nach dem Louvre zurückgekehrt sein?«

»Sagte ich Dir nicht, Du wärest eifersüchtig,« flüsterte Catharina ihrer Tochter in das Ohr. »O bestia! … Vorwärts, Henriette,« fuhr sie, die Achseln zuckend fort, »bringt die Königin von Navarra weg.«

Margarethe stellte sich, als ob sie immer noch umherschaute, neigte sich dann an das Ohr ihrer Freundin und sagte zu ihr:

»Führe mich rasch von hinnen; ich habe Dir Dinge von der höchsten Wichtigkeit mitzutheilen.«

Die Herzogin verbeugte sich vor Karl IX. und vor Catharina und sprach dann zu der Königin von Navarra:.

»Wird Eure Majestät die Gnade haben, in meine Sänfte zu steigen?«

»Gern; nur werdet Ihr genöthigt sein, mich nach dem Louvre zurückzuführen.«

»Meine Sänfte, wie meine Leute, wie ich selbst,« antwortete die Herzogin, »stehen Euerer Majestät zu Befehl.«

Die Königin Margarethe stieg in die Sänfte, und auf ein Zeichen, das sie machte, folgte ihr die Herzogin von Nevers und nahm ehrfurchtsvoll auf dem Vordersitze Platz.

Catharina und ihre Edelleute kehrten auf demselben Wege, auf dem sie gekommen waren, nach dem Louvre zurück; nur sah man die Königin Mutter auf dem ganzen Zuge ohne Unterlaß dem König, diesem wiederholt Frau von Sauves bezeichnend, in das Ohr sprechen.

Und so oft sie Frau von Sauves bezeichnete, lachte der König, wie Karl IX. lachte, das heißt mit einem Lachen unheilschwangerer, als eine Drohung.

Sobald Margarethe fühlte, daß die Sänfte sich in Bewegung setzte, und das durchdringende Forschen von Catharina nicht mehr zu befürchten hatte, zog sie rasch aus ihrem Aermel das Billet von Frau von Sauves hervor und las folgende Worte:

»Ich habe Befehl erhalten, dem König von Navarra diesen Abend zwei Schlüssel zuzustellen: der eine ist der des Zimmers, in welchem er eingeschlossen ist, der andere ist der des meinigen. Es ist mir eingeschärft, ihn von seinem Eintritte bei mir bis morgen früh um sechs Uhr zu behalten.«

»Eure Majestät überlege, Eure Majestät entscheide, Eure Majestät zähle mein Leben für nichts.«

»Es unterliegt keinem Zweifel mehr,« murmelte Margarethe, »die arme Frau ist das Werkzeug, dessen man sich bedienen will, um uns Alle zu Grunde zu richten. Aber wir wollen sehen, ob die Königin Margot, wie mich mein Bruder Karl nennt, sich so leicht zu einer Nonne machen läßt.«

»Von wem ist dieser Brief?« fragte die Herzogin von Nevers auf das Papier deutend, das Margarethe mit einer so großen Aufmerksamkeit gelesen und wieder gelesen hatte.

»Oh! Herzogin, ich habe Dir viele Dinge zu sagen,« antwortete Margarethe, das Papier in tausend und aber tausend Stücke zerreißend.

9

Kirchhof der unschuldigen Kinder.

Königin Margot

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