Читать книгу Tausend und Ein Gespenst - Александр Дюма - Страница 10

Einleitung
Ein Tag in Fontenay-aux-Roses
IX.
Die Gräber von Saint-Denis

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– Nun denn! Was beweiset das, Doctor? fragte Herr Ledru.

– Das beweiset, daß die Organe, welche dem Gehirn die Wahrnehmungen überliefern, die sie empfangen, in Folge gewisser Ursachen in dem Grade gestört werden können, um dem Verstande einen untreuen Spiegel zu bieten, und daß man in solchem Falle Gegenstände sieht und Töne hört, welche nicht bestehen. Das ist Alles.

– Indessen, sagte der Chevalier Lenoir mit der Schüchternheit eines überzeugten Gelehrten, – indessen ereignen sich gewisse Dinge, die eine Spur zurücklassen, gewisse Prophezeihungen, die in Erfüllung gehen. Wie wollen Sie erklären, Doctor, daß von Gespenstern gegebene Schläge schwarze Flecke auf dem Körper dessen haben entstehen lassen können, der sie erhalten hat? wie wollen Sie erklären, daß eine Erscheinung zehn, zwanzig, dreißig Jahre zuvor die Zukunft hat offenbaren können? Kann das, was nicht besteht, das verletzen was besteht, oder das verkünden, was geschehen wird?

– Ah! sagte der Doctor, Sie wollen von der Erscheinung des Königs von Schweden sprechen.

– Nein, ich will von dem sprechen, was ich selbst gesehen habe.

– Sie!

– Ich.

– Wo das?

– In Saint-Denis.

– Wann das?

– Im Jahre 1794, zur Zeit der Entweihung der Gräber.

– Ah, ja! Hören Sie das, Doctor, sagte Herr Ledru.

– Wie, was haben Sie gesehen? – erzählen Sie.

– Hier ist es: – Im Jahre 1793 war ich zum Direktor des Museums der französischen Monumente ernannt worden, und als solcher war ich bei der Ausgrabung der Leichen der Abtei von Saint-Denis gegenwärtig, deren Namen die aufgeklärten Patrioten in den von Franciade umgeändert hatten. – Ich kann Ihnen nach vierzig Zahlen die seltsamen Dinge erzählen, welche diese Entweihung bezeichnet haben.

Der Haß, den man dem Volke gegen den König Ludwig XVI. einzuflößen gewußt, und den das Schaffot des 21. Januar nicht zu stillen vermogt hatte, war auch auf die Könige seines Geschlechtes übergegangen; – man wollte die Monarchie bis an ihre Quelle – die Monarchen bis in ihr Grab verfolgen – die Asche von sechszig Königen in den Wind streuen.

Dann war man vielleicht auch neugierig zu sehen, ob die großen Schätze, von denen man behauptete, daß sie in einigen von diesen Gräbern eingeschlossen wären sich ebenso unverletzt erhalten hätten, als man es sagte.

Das Volk fiel daher über Saint-Denis her.

Vom 6. bis zum 8. August zerstörte es ein und fünfzig Gräber, die Geschichte von zwölf Jahrhunderten.

Nun beschloß die Regierung diesen Frevel zu ordnen, für eigene Rechnung die Gräber zu durchsuchen und von der Monarchie zu erben, welche in Ludwig dem XVI., ihren letzten Repräsentanten gefällt hatte.

Dann handelte es sich darum, selbst den Namen, selbst das Andenken, selbst die Gebeine der Könige zu vernichten; es handelte sich darum, vierzehn Jahrhunderte der Monarchie aus der Geschichte auszustreichen.

Arme Thoren, welche nicht begreifen, daß die Menschen zuweilen die Zukunft. . . niemals die Vergangenheit ändern können.

Man hatte auf dem Friedhofe ein großes gemeinsames Grab nach dem Muster der Armen-Gräber vorbereitet. In dieses Grab und auf ein Bett von Kalk, sollten wie auf einen Schindanger die Gebeine derer geworfen werden, welche aus Frankreich die erste der Nationen gemacht hatten, von Dagobert an bis auf Ludwig XV.

Auf diese Weise war dem Volke Genugthuung gegeben, aber besonders war diesen Gesetzgebern, diesen Advokaten, diesen neidischen Zeitungsschreibern, den Raubvögeln der Revolutionen, Genuß gewählt, deren Auge jeder Glanz verletzt, wie das Auge ihrer Brüder, der Nachteulen, durch jedes Licht verletzt wird.

Der Stolz derer, welche nicht aufzubauen vermögen, besteht darin, zu zerstören.

Ich wurde zum Aufseher der Ausgrabungen ernannt; das war für mich ein Mittel, eine Menge kostbarer Dinge zu retten. Ich nahm es an.

Am Sonnabend den 12. Oktober, während man den Prozeß der Königin einleitete, ließ ich das Grabgewölbe der Bourbons zur Seile der unterirdischen Kapellen eröffnen, und begann damit den Sarg Heinrichs IV. herauszunehmen, der am 14. Mai 1610 im Alter von sieben und fünfzig Jahr ermordet gestorben war.

Was die Statue des Pont-Neuf anbelangt, ein Meisterstück Johanns von Bologna und seines Schülers, so war sie eingeschmolzen worden, um Sous daraus zu schlagen.

Die Leiche Heinrichs IV. war zum Verwundern erhalten; die vollkommen erkennbaren Züge des Gesichts waren ganz die, welche die Liebe des Volkes und Rubens Pinsel der Nachwelt überliefert haben. Als man ihn zu, erst aus dem Grabe hervorgehen und in seinem Leichentuche so gut erhalten erscheinen sah, war die Gemüthsbewegung groß, und es fehlte wenig, daß der in Frankreich so volkschümliche Ruf: Es lebe Heinrich IV.! nicht instinctmäßig unter den Gewölben der Kirche erschallte.

Als ich diese Zeichen von Ehrerbietung, ich mögte sogar sagen von Liebe, sah, ließ ich die Leiche aufrecht gegen eine der Säulen des Chores stellen, und dort konnte sie jeder befrachten.

Er war wie zu seinen Lebszeiten mit seinem Wammse von schwarzem Sammet, auf welchem sich seine weißen Krausen und Manschetten zeigten, mit seiner Faltenhose von Sammet gleich dem Wammse, mit seidenen Strümpfen von derselben Farbe und Schuhen von Sammet bekleidet.

Seine schönen grauen Haare bildeten immer noch einen Heiligenschein um seinen Kopf, sein schöner weißer Bart fiel immer noch auf seine Brust herab.

Nun begann eine unermeßliche Prozession, wie nach dem Reliquienkästchen eines Heiligen; die Frauen kamen, die Hände des guten Königs zu berühren, andere küßten den Saum seines Mantels, andere ließen ihre Kinder niederknien, indem sie leise murmelten:

– Ach! Wenn er lebte, so würde das arme Volk nicht so unglücklich sein. Und sie hätten hinzufügen können: Noch so grausam; denn was das Volk grausam macht, ist das Unglück.

Diese Prozession dauerte während des ganzen Tages Sonnabends, des 12. Oktobers, des Sonntage den 13. und Montag den 14. fort.

Am Montage begannen nach dem Mittagessen der Arbeiter, das heißt gegen drei Uhr Nachmittags, die Ausgrabungen von neuem.

Die erste Leiche, welche nach der Heinrichs IV. Zu Tage kam, war die seines Sohnes Ludwigs XIII. Sie war gut erhalten, und obgleich die Züge des, Gesichts eingefallen waren, so konnte man ihn doch noch an seinem Schnurrbarte erkennen.

Dann kam die Ludwigs XlV., erkenntlich an seinen starken Zügen, welche aus seinem Gesichte die typische Maske der Bourbons gemacht haben; nur war sie schwarz wie Tinte.

Dann kam allmählig die der Maria von Medicis, der zweiten Gattin Heinrichs IV.; Annas von Oesterreich, der Gattin Ludwigs XIII., Maria Theresias, Infantin von Spanien und Gattin Ludwigs XIV., und die des großen Dauphins.

Alle diese Leichen waren verweset. – Nur die des großen Dauphins war in flüssiger Verwesung.

Am Dienstage den 15. Oklober wurden die Ausgrabungen fortgesetzt.

Die Leiche Heinrichs IV. stand immer noch an ihrer Säule, indem sie gleichgültig dieser großen Ruchlosigkeit beiwohnte, welche zugleich an seinen Vorgängern und an seinen Nachkommen vollzogen wurden.

Am Mittwoch den 16., gerade in dem Augenblicke, wo der Königin Maria Antoinette auf dem Revolutionsplatze der Kopf abgeschlagen wurde, das heißt um eilf Uhr Morgens, – nahm man aus dem Begräbnißgewölbe der Bourbons nach seiner Reihe den Sarg König Ludwigs XV. Nach altem Hofgebrauch von Frankreich schlief er an dem Eingange des Gewölbes, wo er seinen Nachfolger erwartete, der dort nicht zu ihm kommen sollte. – Man nahm ihn, trug ihn fort und öffnete ihn nur auf dem Friedhofe und an dem Rande des Grabes.

Anfangs schien die aus dem bleiernen Sarge genommene und gut in Leinwand und in Binden eingehüllte Leiche ganz gut erhalten; aber von dem befreit, was sie umhüllte, bot sie nur noch das Bild der abscheulichsten Verwesung, und es entströmte ihr ein dermaßen verpesteter Geruch, daß Jedermann entfloh und man genöthigt war, mehre Pfund Pulver zu verbrennen um die Luft zu reinigen.

Man warf sogleich das, was von dem Helden des Park-aux-Cerfs, dem Geliebten der Madame von Châteauroux, der Frau von Pompadour und der Frau du Barry übrig geblieben war, in das Grab, und auf ein Bett von ungelöschtem Kalk gefallen, bedeckte man diese unreinen Reliquien mit ungelöschtem Kalk.

Ich war bis zuletzt geblieben, um das Feuerwerk abbrennen und den Kalk werfen zu lassen, als ich einen großen Lärm in der Kirche hörte; ich kehrte rasch in dieselbe zurück und erblickte einen Arbeiter, der sich in Mitte seiner Kameraden wehrte, während die Frauen ihm die Faust zeigten und ihm drohten.

Der Elende hatte sein trauriges Werk verlassen, um ein noch bei weitem traurigeres Schauspiel, die Hinrichtung Maria Antoinettens, zu sehen; dann berauscht durch das Geschrei, das er ausgestoßen und das er hatte ausstoßen hören, durch den Anblick des Blutes, das er hatte vergießen sehen, war er nach Saint-Denis zurückgekehrt, und indem er sich Heinrich IV. näherte, der an seinen Pfeiler gelehnt stand, und immer noch von Neugierigen, und ich mögte fast sagen von Verehrern umgeben war, hatte er zu ihm gesagt:

– Mit welchem Rechte bleibst Du hier stehen, wenn man auf dem Revolutionsplatze den Königen den Kopf abschlägt?

Und während er mit der rechten der königlichen Leiche eine Ohrfeige gab, hatte er zugleich mit der linken Hand den Bart gepackt und ihn ausgerissen.

Die Leiche war auf den Boden gefallen, indem sie ein klapperndes Geräusch hören ließ, dem eines Sackes voller Gebeine, den man hatte fallen lassen, ähnlich.

Sogleich hatte sich ein großes Geschrei von allen Seiten erhoben. – Bei jedem andern Königs, welcher es auch sein mogte, hätte man eine solche Beschimpfung wagen können, – aber bei Heinrich IV., dem Könige des Volkes, war es fast eine dem Volke angethane Schmach.

Der ruchlose Arbeiter lief also die größte Gefahr, als ich zu seiner Hilfe herbeieilte.

Sobald er sah, daß er in mir einen Beistand finden könnte, stellte er sich unter meinen Schutz.

Aber, indem ich ihn immerhin beschützte, wollte ich ihn unter dem Drucke der schändlichen Handlung lassen, welche er begangen hatte.

– Meine Kinder, sagte ich zu den Arbeitern, laßt diesen Elenden; der, den er beleidigt hat, steht dort oben hinlänglich gut, um von Gott seine Strafe zu erlangen.

Als ich ihn hierauf den Bart wieder abgenommen, den er der Leiche ausgerissen hatte, und den er immer noch in der linken Hand hielt, jagte ich ihn aus der Kirche, indem ich ihm meldete, daß er nicht mehr zu den Arbeitern gehöre, die ich verwendete.

Das Hohngeschrei und die Drohungen seiner Kameraden verfolgten ihn bis auf die Straße.

Indem ich neue Beschimpfungen für Heinrich IV. fürchtete, befahl ich, daß er in die gemeinsame Gruft getragen würde; aber die Leiche wurde bis dorthin von Zeichen der Ehrerbietung begleitet. Statt, wie die andern, in das königliche Beinhaus geworfen zu werden, – wurde er herabgelassen, sanft niedergelegt und sorgfältig in eine Ecke gebettet; dann wurde eine Lage Erde, statt einer Lage Kalk, frommer Weise über ihn ausgebreitet.

Da das Tagewerk beendigt, so entfernten sich die Arbeiter, und der Wächter blieb zurück; er war ein wackerer Mann, den ich dort angestellt hatte, aus Furcht, daß man des Nachts in die Kirche dringen mögte, um entweder neue Verstümmelungen vorzunehmen, oder um neue Diebstähle zu begehen; dieser Wächter schlief am Tage und wachte von Neben Uhr Abends bis sieben Uhr Morgens. Er brachte die Nacht stehend zu und ging herum, um sich zu wärmen, oder setzte sich an ein angezündetes Feuer an einen der Pfeiler, der sich der Thüre am nächsten befand.

Alles in der Domkirche bot das Bild des Todes, und die Verheerung machte dieses Bild des Todes noch weit schrecklicher. Die Grabgewölbe standen offen und ihre Platten waren gegen die Wände gestellt; die zerbrochenen Statuen bedeckten den Fußboden der Kirche; hie und da hatten aufgebrochene Särge die Todten zurückgegeben, von denen sie erst am Tage des jüngsten Gerichts Rechenschaft abzulegen geglaubt hatten. Kurz alles führte den Geist des Menschen, wenn dieser Geist erhaben war, zu der Betrachtung, wenn er schwach war, zu dem Schrecken.

Glücklicher Weise war der Wächter kein Geist, sondern ein organisirter Stoff. Er betrachtete alle diese Trümmer mit demselben Auge, wie er einen gefällten Wald oder ein gemähtes Feld betrachtet hätte, und war nur damit beschäftigt die Stunden der Nacht zu zählen, die einförmige Stimme der Uhr, des Einzigen, was in dem verwaisten Dome lebendig geblieben war.

In dem Augenblicke, wo es Mitternacht schlug, und wo der letzte Schlag des Hammers in den dunkeln Tiefen der Kirche erbebte, hörte er lautes Geschrei, das von der Seite des Kirchhofes herkam. Dieses Geschrei waren Rufe, lange Klagen, schmerzliches Jammern. – Nach dem ersten Augenblicke der Ueberraschung bewaffnete er sich mit einer Hacke und schritt auf die Thüre zu, welche die Kirche mit dem Friedhofe in Verbindung setzte; als er aber, nachdem er diese Thüre geöffnet, vollkommen erkannte, daß dieses Geschrei von der Gruft der Könige herkäme, wagte er nicht weiter zu gehen, verschloß die Thüre wieder, und eilte, mich in dem Wirthshause zu wecken, in welchem ich logirte.

Ich wollte anfangs nicht an das Bestehen dieses aus der königlichen Gruft kommenden Geschreies glauben; da ich aber der Kirche gerade gegenüber logirte, so machte der Wächter mein Fenster auf, und in Mitte des nur allein durch das Rauschen des Winterwindes gestörten Schweigens, glaubte ich in der That lange Klagen zu hören, welche mir nicht einzig und allein das Jammern des Windes zu sein schienen.

Ich stand auf und begleitete den Wächter bis in die Kirche. Dort angelangt, und nachdem wir die Vorhalle wieder hinter uns verschlossen hatten, hörten wir die Klagen weit deutlicher, von denen er gesprochen hatte. Es war um so leichter zu erkennen, woher diese Klagen kamen, als die von dem Wächter schlecht verschlossene Thüre des Kirchhofes sich wieder hinter ihm geöffnet hatte. – Es kamen also wirklich diese Klagen von dem Kirchhofe.

Wir zündeten zwei Fackeln an und gingen nach der Thüre; aber drei Male löschte sie die Zugluft aus, welche von Außen nach Innen entstanden war, wenn wir uns dieser Thüre näherten. – Ich sah ein, daß es wie mit diesen schwer zu überschreitenden Engpässen wäre, und daß, wenn wir einmal auf dem Kirchhofe wären, wir nicht mehr denselben Kampf zu bestehen hätten. – Ich ließ außer unseren Fackeln eine Laterne anzünden. – Unsere Fackeln erloschen, aber die Laterne widerstand. – Wir schritten durch die enge Thüre, und sobald wir auf dem Kirchhofe waren, zündeten wir unsere Fackeln wieder an, welche der Wind respectirte.

Indessen in dem Maße, als wir näher kamen, nahm das Geschrei ab, und in dem Augenblicke, wo wir an dem Rande des Grabes ankamen, war es so ziemlich erloschen.

Wir schwangen unsere Fackeln über der ungeheuren Oeffnung, und wir sahen in Mitte der Gebeine, auf dieser ganz von ihnen durchlöcherten Lage von Kalk und von Erde etwas Gestaltloses, das sich abkämpfte.

Dieses Etwas glich einem Manne.

– Was haben Sie und was wollen Sie? fragte ich diese Art von Gespenst.

– Ach! murmelte es, ich bin der elende Arbeiter, der Heinrich IV. eine Ohrfeige gegeben hat.

– Aber wie befindest Du Dich dort? fragte ich.

– Ziehen Sie mich zuerst hier heraus, Herr Lenoir, denn ich sterbe, und nachher sollen Sie Alles erfahren.

Sobald der Todtenwächter überzeugt war, daß er es mit einem Lebendigen zu thun hätte, so war der Schrecken verschwunden, der sich anfangs seiner bemächtigt hatte, und er hatte bereits eine in dem Grase des Kirchhofes liegende Leiter ergriffen, diese aber aufgerichtet und erwartete meine Befehle.

Ich befahl ihm, die Leiter in das Grab hinabzulassen, und forderte den Arbeiter auf heraufzusteigen. Er schleppte sich in der That bis an den Fuß der Leiter; aber dort angelangt, als er sich aufrichten mußte, um die Sprossen hinaufzusteigen, bemerkte ich, daß er ein Bein und einen Arm gebrochen hatte.

Wir warfen ihm einen Strick mit einer Schleife zu; er schlang sich den Strick um seine Schultern, – Ich behielt das andere Ende in meinen Händen; der Wächter stieg einige Sprossen hinab, und Dank dieser doppelten Unterstützung gelang es uns, diesen Lebendigen der Gesellschaft der Todten zu entreißen.

Kaum war er außer dem Grabe, als er ohnmächtig wurde.

Wir trugen ihn an das Feuer, und legten ihn auf ein Bett von Stroh; dann sandte ich den Wächter fort, um einen Wundarzt zu holen.

Der Wächter kehrte mit einem Doctor zurück, bevor der Verwundete wieder zur Besinnung gekommen war, und erst während der Operation schlug er die Augen wieder auf.

Als der Verband angelegt war, verabschiedete ich den Wundarzt, und da ich wissen wollte, durch welchen seltsamen Umstand sich der Entweiher in dem königlichen Grabe befand, schickte ich auch den Wächter fort. Diesem war nichts lieber, als sich nach den Gemüthsbewegungen einer solchen Nacht zu Bett zu legen, und ich blieb allein bei dem Arbeiter. Ich setzte mich auf einen Stein neben das Stroh, auf welchem er lag, und dem Heerde gegenüber, dessen zitternde Flamme den Theil der Kirche erleuchtete, wo wir uns befanden, aber die ganze Tiefe in einer um so schwärzeren Dunkelheit ließ, da der Theil, wo wir uns befanden, in einem weit helleren Lichte war.

Ich verhörte nun den Verwundeten; hier ist das, was er mir erzählte.

Seine Verabschiedung hatte ihn wenig bekümmert. – Er hatte Geld in der Tasche, und bis dahin hatte er gesehen, daß man mit Geld keinen Mangel litte.

Er war dem zu Folge in die Schenke gegangen.

In der Schenke hatte er angefangen eine Flasche anzubrechen; aber bei dem dritten Glase hatte er den Wirth eintreten sehen.

– Sind wir bald fertig? hatte dieser gefragt.

– Und warum das? hatte der Arbeiter geantwortet.

– Weil ich habe sagen hören, daß Du es wärest, der Heinrich IV. eine Ohrfeige gegeben hat.

– Nun denn! ja, ich bin es, sagte der Arbeiter unverschämter Weise. – Was mehr?

– Was mehr? ich will keinem schlechten Schurken zu trinken geben, wie Du einer bist, der den Fluch über mein Haus herbeiziehen würde.

– Dein Haus, – Dein Haus ist das Haus für Jedermann, und sobald man bezahlt, – so ist man zu Haus.

– Ja, aber Du wirst nicht bezahlen.

– Und warum das?

– Weil ich Dein Geld nicht will. – Da Du nun aber nicht bezahlst, so wirst Du nicht zu Haus sein, – sondern bei mir, und da Du bei mir sein wirst, so werde ich das Recht haben. Dich vor die Thür zu werfen.

– Ja, wenn Du der Stärkere bist.

– Wenn ich nicht der Stärkere bin, so werde ich meine Aufwärter rufen.

– Wohlan! rufe ein wenig, damit wir sehen.

Der Schenkwirth hatte gerufen; drei im Voraus benachrichtigte Aufwärter waren jeder mit einem Stocke in der Hand bei seiner Stimme eingetreten, und so große Lust er auch hatte sich zu widersetzen, so war der Arbeiter dennoch gezwungen worden, sich ohne ein Wort zu sagen zurückzuziehen.

Nun hatte er sich entfernt, war einige Zeit lang in der Stadt herum geirrt und zur Stunde des Mittagessens zu einem Garkoch eingetreten, bei welchem die Arbeiter gewöhnlich ihre Mahlzeiten einnahmen.

Er hatte kaum seine Suppe gegessen, als die Arbeiter eintraten, welche ihr Tagewerk so eben beendigt hatten.

Als sie ihn erblickten, blieben sie auf der Schwelle stehen, und indem sie den Wirth riefen, erklärten sie ihm, daß wenn dieser Mann fortführe seine Mahlzeiten bei ihm zu nehmen, sie von dem ersten bis zum letzten sein Haus verlassen würden.

Der Garkoch fragte, was dieser Mensch gethan hatte, der so der allgemeinen Verdammung unterläge.

Man sagte ihm, daß es der Mann wäre, welcher Heinrich IV. eine Ohrfeige gegeben hätte.

– Dann pack Dich hinaus, sagte der Garkoch, in, dem er auf ihn zuschritt, und möge das, was Du gegessen hast. Dir zu Gift werden!

Es war noch weniger möglich, bei dem Garkoch Widerstand zu leisten, als bei dem Weinhändler. – Der geächtete Arbeiter stand auf, indem er seine Kameraden bedrohte, welche vor ihm zur Seite traten, nicht wegen der Drohungen, die er ausgestoßen, sondern wegen der Entweihung, die er begangen hatte.

Er verließ voll Wuth im Herzen das Haus und irrte einen Theil des Abends fluchend und lästernd in den Straßen von Saint Denis herum. Dann ging er gegen zehn Uhr nach seiner Schlafstelle.

Gegen die Gewohnheit des Hauses waren die Thüren verschlossen.

Er klopfte an die Thür.

Der Wirth erschien an einem Fenster. Da es finstere Nacht war, so konnte er den nicht erkennen, welcher klopfte.

– Wer sind Sie? fragte er.

Der Arbeiter nannte sich.

– Ah! sagte der Wirth, Du bist es, der Heinrich IV. eine Ohrfeige gegeben hat; warte.

– Wie, warum muß ich warten? sagte der Arbeiter ungeduldig.

Zu gleicher Zeit fiel ein Bündel zu seinen Füßen.

– Was ist das? fragte der Arbeiter.

– Alles, was von Dir hier war.

– Wie! Alles, was von mir hier war?

– Ja, Du kannst schlafen gehen, wo Du willst; ich habe keine Lust, daß mir mein Haus über dem Kopfe zusammen stürzt.

Der Arbeiter ergriff rasend einen Pflasterstein, und warf ihn gegen die Thür.

– Warte! sagte der Wirth, ich will Deine Kameraden wecken, und wir werden sehen.

Der Arbeiter sah ein, daß er nichts Gutes zu er, warten hätte. Er zog sich zurück, und als er Hundert Schritte weit von dort eine offene Thür gefunden hatte, so trat er ein, und legte sich unter einen Schoppen.

Unter diesem Schoppen befand sich Stroh; er legte sich auf dieses Stroh und schlief ein.

Um drei Viertel auf zwölf Uhr schien es ihm, als ob ihn Jemand, an der Schulter berühre.

Er erwachte und sah vor sich eine weiße Gestalt, welche das Ansehen einer Frau hatte, und die ihm einen Wink gab, ihr zu folgen.

Er glaubte, daß es eine jener Unglücklichen wäre, welche immer ein Lager und Vergnügen dem zu bieten haben, welcher das Lager und das Vergnügen bezahlen kann, und, da er Geld hatte, da er es vorzog die Nacht unter einem Obdache und in einem Bette, als hier unter einem Schoppen auf Stroh zuzubringen, so stand er auf und folgte der Frau.

Die Frau ging einen Augenblick lang die Häuser der linken Seite der Großen Straße hinab, dann ging sie über die Straße, schlug eine Gasse zur Rechten ein, wobei sie dem Arbeiter immer winkte ihr zu folgen.

Dieser, an dieses nächtliche Treiben gewöhnt, und indem er aus Erfahrung die Gassen kannte, in denen gewöhnlich die Frauen von der Art derer logirten, welcher er folgte, machte keine Schwierigkeit, und trat in die Gasse.

Die Gasse führte auf das Feld; er glaubte, daß diese Frau ein abgelegenes Haus bewohne, und folgte ihr immer noch.

Nach Verlauf von Hundert Schritten gingen sie durch eine Mauerlücke; als er aber plötzlich die Augen erhoben hatte, erblickte er die alte Abtei von Saint-Denis mit ihrem riesenhaften Glockenturme und ihren durch das innere Feuer, bei welchem der Wächter wachte, leicht gerötheten Fenstern vor sich.

Er suchte mit den Augen die Frau; sie war verschwunden.

Er befand sich auf dem Kirchhofe.

Er wollte wieder durch die Mauerlücke zurück gehen.

Aber es schien ihm, als ob er auf dieser Mauerlücke, finster, drohend, den Arm nach ihm ausgestreckt, das Gespenst Heinrich IV. sähe.

Das Gespenst that einen Schritt vorwärts, und der Arbeiter einen Schritt zurück.

Bei dem vierten oder fünften Schritte fehlte der Boden unter seinen Füßen, und er fiel rücklings in das Grab.

Nun meinte er um sich herum alle diese Könige, die Vorgänger und die Nachkommen Heinrich IV. sich aufrichten zu sehen; – nun schien es ihm, als ob die einen ihre Zepter, die andern ihre Hände der Gerechtigkeit über ihn erhöben, indem sie ihr Wehe über den Heiligthums-Schänder schrien. Nun schien es ihm, als ob bei der Berührung dieser Hände der Gerechtigkeit und dieser wie Blei schweren, wie Feuer brennenden Zepter er seine Glieder eines nach dem andern zerschmettert fühlte.

Dies war der Augenblick, wo es Mitternacht schlug und der Wächter die Klagen hörte.

Ich that, was ich vermochte, um diesen Unglücklichen zu beruhigen; aber sein Verstand war zerrüttet, und nach dreitägigem Delirium starb er mit dem Ausrufe: Gnade!

– Verzeihung, sagte der Doctor, aber ich verstehe den Schluß Ihrer Erzählung nicht recht. Der Unfall Ihres Arbeiters beweist, daß er, mit dem beschäftigt, was ihm am Tage begegnet war, entweder im wachenden Zustande, oder im Zustande des Somnambulismus, – des Nachts herumzuirren, begonnen hat, daß er im Herumirren auf den Kirchhof gekommen ist, und daß er, während er in die Luft blickte, statt zu seinen Füßen zu sehen, in das Grab gefallen ist, in welchem er natürlicher Weise in seinem Sturze einen Arm und ein Bein gebrochen hat. Nun aber haben Sil von einer Prophezeiung gesprochen, die in Erfüllung gegangen ist, und ich sehe an alle diesem nicht die geringste Prophezeiung.

– Warten Sie, Doctor, sagte der Chevalier, die Geschichte, welche ich so eben erzählt habe, und die, wie Sie Recht haben, nur ein Vorfall ist, führt geraden Weges zu dieser Prophezeiung, welche ich Ihnen erzählen werde, und die ein Geheimniß ist.

Diese Prophezeiung, hier ist sie:

Gegen den 20. Januar 1794, nach Zerstörung des Grabmals Franz l. öffnete man das Begräbniß der Gräfin von Flandern, der Tochter Philipps des Langen.

Diese beiden Gräber waren die letzten, die zu durchsuchen übrig blieben, alle Grabgewölbe waren erbrochen, alle Begräbnisse waren leer, alle Gebeine lagen in dem Beinhause.

Ein letztes Begräbniß war unbekannt geblieben, es war das des Kardinals von Retz, – den, wie man sagte, in Saint Denis begraben worden war.

Alle Grabgewölbe, das Grabgewölbe der Valois, das Grabgewölbe der Karls, waren wieder verschlossen worden, oder so ziemlich.

Es blieb nur noch das Grabgewölbe der Bourbons übrig, das man am folgenden Tage verschließen sollte.

Der Wächter brachte seine letzte Nacht in der Kirche zu, in welcher er nichts mehr zu bewachen hatte, es war ihm daher die Erlaubniß gegeben worden zu schlafen, und er benutzte die Erlaubniß.

Um Mitternacht wurde er durch den Klang der Orgel und religiöser Gesänge geweckt.

Er erwachte, rieb sich die Augen und wandte den Kopf nach dem Chore, das heißt nach der Seite, von woher die Gesänge kamen.

Nun sah er voll Erstaunen die Sitze des Chores von den Mönchen von Saint Denis besetzt; er sah einen Erzbischof, der am Altare Messe las; er sah das Todtengerüst erleuchtet, und unter dem erleuchteten Todtengerüst das. große goldene Leichentuch, welches gewöhnlich nur die Leiche der Könige bedeckt.

In dem Augenblicke, wo er erwachte, war die Messe beendigt, und die Feierlichkeit des Begräbnisses begann.

Das Zepter, die Krone und die Hand der Gerechtigkeit, welche auf einem Kissen von rothem Sammet lagen, wurden den Herolden wieder übergeben, welche sie drei Prinzen überreichten, die sie nahmen.

Sogleich näherten sich, eher gleitend als gehend, und ohne daß das Geräusch ihrer Schritts das geringste Echo in dem Gewölbe erweckte, die Edelleute der Kammer, welche die Leiche nahmen und sie in das Grabgewölbe der Bourbons trugen, das allein offen geblieben war, während alle anderen verschlossen waren.

Nun ging der Wappenkönig in dasselbe hinab, und als er hinabgegangen war, rief er den andern Herolden zu, daß sie hinabzukommen hätten, um ihren Dienst zu versehen.

Der Wappenkönig und die Herolde waren fünf an der Zahl.

Aus der Tiefe des Grabgewölbes rief der Wappenkönig den ersten Herold, der die Sporen trug. Dieser stieg hinab.

Dann den zweiten, der hinabging, indem er den Panzerhandschuh trug.

Dann den dritten, dieser trug das Schild.

Dann den vierten, welcher folgte, indem er die Helmsturmhaube trug.

Dann den fünften, der den Panzer trug.

Hierauf rief er den ersten Vorschneider, der das Banner brachte.

Die Kapitäne der Schweizer, der Bogenschützen der Garde und der zwei Hundert adeligen Garden des Königs.

Den Oberstallmeister, welcher das königliche Schwert brachte.

Den ersten Kammerherrn, der das Banner von Frankreich brachte.

Den Großhaushofmeister, vor dem alle Haushofmeister vorübergingen, indem sie ihre weißen Stäbe in das Grabgewölbe warfen und in dem Maße, als sie vorübergingen, sich vor den drei Prinzen verneigten, welche die Krone, das Zepter und die Hand der Gerechtigkeit trugen.

Die drei Prinzen, welche nun auch das Zepter, die Hand der Gerechtigkeit und die Krone brachten.

Nun rief der Wappenkönig mit lauter Stimme und drei Male aus:

Der König ist todt; es lebe der König!

Der König ist todt; es lebe der König!

Der König ist todt; es lebe der König!

Ein Herold, der in dem Chore geblieben war, wiederholte diesen dreifachen Ruf.

Endlich zerbrach der Großhaushofmeister seinen Stab zum Zeichen, daß der königliche Hofhalt aufgelöst wäre, und daß die Beamten des Königs für sich sorgen könnten.

Sogleich schmetterten die Trompeten und die Orgel ertönte wieder.

Dann, während die Trompeten immer schwächer bliesen, während die Orgel immer leiser stöhnte, erbleichten die Lichter der Kerzen, verdunkelten sich die Körper der Anwesenden, und, bei dem letzten Stöhnen der Orgel, bei dem letzten Klange der Trompeten, – verschwand Alles.

Am folgenden Tage erzählte der Wächter in Thränen zerfließend das königliche Begräbniß, das er gesehen hatte, und dem er, der arme Mann, allein beiwohnte, indem er prophezeite, daß diese verstümmelten Gräber wieder hergestellt werden würden, und daß Frankreich trotz den Dekreten des Convents und dem Werke der Guillotine eine neue Monarchie und Saint Denis neue Könige wiedersehen würde.

Diese Prophezeiung brachte den armen Teufel in das Gefängniß und beinahe auf das Schaffot, ihn, der dreißig Jahre später, das heißt am 20, September 1824, hinter derselben Säule, wo er seine Erscheinung gehabt hatte, zu mir sagte, indem er mich bei dem Schooße meines Rockes zog:

– Nun denn! Herr Lenoir, hatte ich es Ihnen nicht gesagt, daß unsere armen Könige eines Tages nach Saint Denis zurückkehren würden, – hatte ich mich geirrt?

In der That, an diesem Tage begrub man Ludwig XVIII. mit denselben Feierlichkeiten, welche der Wächter der Gräber dreißig Jahre vorher hatte ausüben sehen.

– Erklären Sie das, Doctor.

Tausend und Ein Gespenst

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