Читать книгу Tausend und Ein Gespenst - Александр Дюма - Страница 11

Einleitung
Ein Tag in Fontenay-aux-Roses
X.
Artifaille

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Der Doctor schwieg; vielleicht war er überzeugt, oder, was weit wahrscheinlicher ist, es erschien ihm der Widerspruch gegen einen Mann, wie der Chevalier Lenoir, zu schwierig.

Das Schweigen des Doctors ließ den Auslegern freies Feld; der Abbé Moulle bemächtigte sich des Kampfplatzes.

– Alles das bestätigt mich in meinem Systeme, sagte er.

– Und welches ist Ihr System? fragte der Doctor, entzückt, die Polemik mit weniger tüchtigeren Kämpfern, als Herr Ledru und der Chevalier Lenoir, wieder aufs nehmen zu können.

– Daß wir zwischen zwei unsichtbaren Welten leben, von denen die eine mit Dämonen, die andere mit himmlischen Geistern bevölkert ist; daß zu der Stunde unserer Geburt zwei Genien, ein guter und ein böser, an unsere: Seite Platz nehmen, und uns unser ganzes Leben lang begleiten, indem der Eine uns das Gute, der Andere das Böse zuflüstert, und daß zur Stunde unseres Todes der, welcher den Sieg davon trägt, sich unserer bemächtigt; auf diese Weise wird unser Leib entweder die Beute eines Dämons, oder die Wohnung eines Engels. Bei der armen Solange hatte der gute Genius triumphirt, und er war es, der Ihnen, Ledru, durch die stummen Lippen der jungen Märtyrerin Lebewohl sagte; bei dem von dem schottischen Richter verurtheilten Räuber war der Dämon Herr des Platzes geblieben, und er ist es, der dem Richter unter der Gestalt einer Katze, dann in dem Anzuge eines Gerichtsdieners, und endlich mit dem Anscheine eines Skelettes erschien; in dem letzteren Falle endlich ist es der Engel der Monarchie, der an dem Heiligthumsschänder die schreckliche Entweihung der Gräber gerächt hat, und der, indem er sich wie Christus den Demüthigen kundthat, einem armen Wächter der Gräber die zukünftige Restauration des Königthumes gezeigt hat, und das mit eben so viel Prunk, als ob die Phantastische Feierlichkeit alle zukünftigen Würdenträger von dem Hofe Ludwigs XVIII. zu Zeugen gehabt hätte.

– Aber am Ende, Herr Abbé, sagte der Doctor, ist jedes System auf eine Ueberzeugung gegründet.

– Ohne Zweifel.

– Aber damit diese Ueberzeugung wirklich sei, muß sie auf einer Thatsache beruhen.

– Die meinige beruht daher auch auf einer Thatsache.

– Auf einer Thatsache, welche Ihnen von Jemand erzählt worden ist, zu dem Sie Alles Vertrauen haben.

– Auf einer Thatsache, die mir selbst begegnet ist.

– Ah! Abbé, erzählen Sie uns.die Thatsache.

– Mit Vergnügen. Ich bin in diesem Theile des Erbes der ehemaligen Könige geboren, den man heut zu Tage das Departement de l'Aisne nennt und den man ehedem Isle-de-France nannte; mein Vater und meine Mutter bewohnten ein kleines Dorf mitten im Walde von Villers-Cotterets, Fleury genannt. Vor meiner Geburt hatten meine Eltern bereits fünf Kinder gehabt, drei Knaben und zwei Mädchen, die Alle gestorben waren; es ging daraus hervor, daß meine Mutter, als sie sich mit mir schwanger sah, das Gelübde that, mich bis zum Alter von sieben Jahren weiß zu kleiden, und mein Vater eine Wallfahrt nach Notre-Dame de Liesse gelobte.

Diese beiden Gelübde sind in der Provinz nicht selten, und es fand zwischen ihnen eine directe Verbindung statt, da das Weiße die Farbe der Jungfrau ist, und unter Notre-Dame de Liesse Niemand anders gemeint ist, als die Jungfrau Maria.

Unglücklicher Weise starb mein Vater während der Schwangerschaft meiner Mutter; aber meine Mutter, welche eine fromme Frau war, beschloß nichts desto weniger das Gelübde in seiner ganzen Strenge zu erfüllen; gleich nach meiner Geburt wurde ich von Kopf bis zu den Füßen weiß gekleidet, und sobald sie gehen konnte, unternahm meine Mutter zu Fuß die heilige Wallfahrt, wie sie gelobt worden war.

Glücklicher Weise lag Notre-Dame de Liesse nur fünfzehn Stunden weit von dem Dorfe Fleury; in drei Tagereisen hatte meine Mutter den Bestimmungsort erreicht.

Dort verrichtete sie ihre Andacht und empfing aus den Händen des Pfarrers eine silberne Medaille, welche sie mir um den Hals hing.

Dank diesem doppelten Gelübde war ich von allen Unfällen der Jugend befreit, und als ich das Alter der Vernunft erreicht hatte, fühlte ich mich, entweder als Resultat der religiösen Erziehung, die ich erhalten, oder durch den Einfluß der Medaille, zu dem geistlichen Stande hingezogen; nachdem ich meine Studien in dem Seminar von Soissons vollendet, verließ ich dasselbe im Jahre 1780 als Priester, und wurde als Pfarrverweser nach Etampes gesandt.

Der Zufall wollte, daß ich an der der vier Kirchen von Etampes angestellt wurde, welche der Mutter Gottes gewidmet ist.

Diese Kirche ist eines der wundervollen Monumente, welche die romanische Epoche dem Mittelalter hinterlassen hat. Von Robert dem Starken gegründet, wurde sie erst im zwölften Jahrhundert beendigt; sie hat noch heut zu Tage bewunderungswürdige Fensterscheiben, welche zur Zeit ihrer Erbauung wundervoll mit der Malerei und der Vergoldung harmoniren mußten, welche ihre Säulen bedeckten und die Kapitaler derselben schmückten.

Schon als Kind hatte ich diese Wundervillen Blumen von Granit sehr geliebt, welche der Glaube von dem zehnten bis zum sechszehnten Jahrhunderte aus der Erde hat hervorgehen lassen, um den Boden von Frankreich, dieser erstgebornen Tochter Roms, mit einem Walde von Kirchen zu bedecken, und der aufhörte, als der von dem Gifte Luthers und Calvins getödtete Glauben in dem Herzen erstarb.

Ich hatte als kleines Kind in den Ruinen der Sanct-Johanneskirche zu Soissons gespielt; – ich hatte meine Augen an den Gebilden aller dieser Gesimse erfreut, welche versteinerte Blumen zu sein scheinen; so daß ich, als ich Notre-Dame von Etampes sah, glücklich war, daß der Zufall oder vielmehr die Vorsehung mir, der Schwalbe, ein solches Nest, mir, dem Acyon, ein solches Schiff gegeben hatte.

Die glücklichsten Augenblicke waren daher für mich auch die, welche ich in der Kirche zubrachte. Ich will nicht sagen, daß ein rein religiöses Gefühl mich darin zurückhielt; nein, es war ein Gefühl des Wohlseins, das mit dem des Vogels verglichen werden kann, den man aus der Luftpumpe, aus welcher man angefangen hat die Luft zu ziehen, heraus nimmt, um ihn dem Raums und der Freiheit wiederzugeben. Mein Raum war der, welcher sich von dem Portale nach dem Chore erstreckte; meine Freiheit war die: zwei Stunden lang auf einem Grabe kniend oder an eine Säule gelehnt zu träumen. – Worüber träumte ich? zuverlässig nicht über irgend eine theologische Spitzfindigkeit; nein, es war der ewige Kampf des Guten und des Bösen, welcher den Menschen seit dem Tage des Sündenfalles hin und herzieht; ich träumte von den schönen Engeln mit weißen Flügeln, von den abscheulichen Dämonen mit rothen Gesichtern, welche bei jedem Sonnenstrahle an den Fensterscheiben funkelten, die einen von dem himmlischen Feuer strahlend, die andern in dem Feuerpfuhle der Hölle flammend. Kurz, die Kirche unserer lieben Frau war meine Wohnung; – dort lebte, dachte, betete ich. Das kleine Pfarrhaus, das man mir gegeben, war nur mein Absteigequartier, ich aß und schlief dort, sonst Nichts,.

Dabei verließ ich oft meine schöne Kirche erst um Mitternacht oder um ein Uhr Morgens.

Man wußte das. – Wenn ich nicht im Pfarrhause war, so war ich in der Kirche. – Man suchte, und fand mich dort.

Eingeschlossen in dieses Heiligthum der Religion und besonders der Poesie, wie ich es war, gelangten von den Gerüchten der Welt sehr wenige bis zu mir.

Unter diesen Gerüchten gab es eines, das Jedermann, groß und klein, Geistliche und Laien interessirte. Die Umgegend von Etampes ward durch die Unternehmungen eines Nachfolgers oder vielmehr eines Nebenbuhlers von Cartousche und von Poulailler in Schrecken verseht, der, was die Vermessenheit anbetrifft, in die Fußtapfen seiner Vorgänger treten zu müssen schien. Dieser Räuber, der sich an Allem vergriff, aber besonders an den Kirchen, nannte sich Artifaille.

Etwas, das mir noch eine besondere Aufmerksamkeit auf die Unternehmungen dieses Räubers verlieh, war, daß seine Frau, welche in der untern Stadt von Etampes wohnte, eines meiner fleißigsten Beichtkinder war. Eine wackere und würdige Frau, für welche das Verbrechen, in welches ihr Gatte versunken war, ein Gewissensbiß war, und die, indem sie sich als Gattin vor Gott verantwortlich hielt, ihr Leben in Gebeten und in Beichten in der Hoffnung zubrachte, durch ihre frommen Werke die Gottlosigkeit ihres Gatten zu mildern.

Was ihn anbetrifft, so war er, wie ich Ihnen gesagt habe, ein Räuber, der weder Gott noch den Teufel fürchtete, indem er behauptete, daß die Gesellschaft schlecht eingerichtet und daß er auf die Erde gesandt wäre, um sie zu verbessern; daß durch ihn sich das Gleichgewicht in den Vermögensumständen herstellen würde, und daß er nur der Vorbote einer Secte wäre, die man eines Tages erscheinen sehen und die das predigen würde, was er in Ausübung setzte, nämlich die Gemeinschaft der Güter.

Zwanzig Male war er gefangen genommen und in das Gefängniß geführt worden; aber fast immer hatte man in der zweiten oder in der dritten Nacht das Gefängniß leer gefunden; da man nicht wußte, wie man sich Rechenschaft über diese Einweichung ablegen sollte, so sagte man, daß er das Kraut gefunden hätte, welches das Eisen durchschneidet.

Es gab also etwas Wunderbares, das sich an diesen Manne fesselte.

Was mich anbetrifft, so gestehe ich, daß ich nur dann daran dachte, wenn seine arme Frau zu mir in die Beichte kam, indem sie mir ihre Schrecken gestand und mich um meinen Rath fragte.

Dann rieth ich ihr, wie Sie wohl begreifen werden, ihren ganzen Einfluß auf ihren Gatten anzuwenden, um ihn auf den guten Weg zurückzuführen. Aber der Einfluß der armen Frau war sehr schwach. Es blieb ihr daher nur die ewige Zuflucht zur Gnade, welche das Gebet vor dem Herrn eröffnet.

Das Osterfest des Jahres 1783 nahte heran. Es war in der Nacht vom Donnerstag auf den Charfreitag. Ich hatte am Donnerstage eine große Anzahl von Beichten gehört, und gegen acht Uhr Abends fühlte ich mich dermaßen erschöpft, daß ich in dem Beichtstuhle eingeschlafen war.

Der Messner hatte mich eingeschlafen gesehen; da er aber meine Gewohnheiten kannte und wußte, daß ich einen Schlüssel zu der kleinen Kirchenthüre bei mir trug, so hatte er nicht einmal daran gedacht mich zu wecken; das, was mir an diesem Abende begegnete, war mir Hundert Male begegnet.

Ich schlief also, als ich mitten in meinem Schlummer etwas wie ein doppeltes Geräusch erschallen fühlte.

Das eine war der Klang des ehernen Hammers, der die Mitternachtsstunde schlug.

Das andere war das Knarren eines Schrittes auf den Steinplatten.

Ich öffnete die Augen und schickte mich an den Beichtstuhl zu verlassen, als es mir in dem Mondscheine, der durch die Scheiben eines der Fenster fiel, schien, einen Mann vorübergehen zu sehen.

Da dieser Mann mit Vorsicht ging, indem er bei jedem Schritte, den er that, um sich blickte, so sah ich ein, daß es weder einer der Assistenten, noch der Kirchendiener, noch der Sänger, noch irgend einer der Pfarrgehülfen der Kirche, sondern irgend ein Eingedrungener wäre, der sich in einer bösen Absicht da befände.

Der nächtliche Besucher ging nach dem Chore. Dort angelangt blieb er stehen, und nach Verlauf eines Augenblickes hörte ich das Anschlagen eines Stahles an einen Feuerstein; ich sah einen Funken knistern, ein Stück Schwamm entzündete sich, und ein Schwefelholz heftete sein unstätes Licht an eine auf dem Altare stehende Kerze.

Bei dem Scheine dieser Kerze konnte ich nun einen Mann von mittlerer Größe sehen, der in seinem Gürtel zwei Pistolen und einen Dolch trug, mit eher spöttischem als schrecklichem Gesicht, und der, indem er einen forschenden Blick in dem ganzen von der Kerze erleuchteten Kreise herumwarf, durch diese Untersuchung vollkommen beruhigt schien.

Dem zu Folge zog er aus seiner Tasche, nicht ein Bund Schlüssel, sondern ein Bund jener Werkzeuge, die dazu bestimmt sind, sie zu ersetzen, und die man Rossignols Dietriche nennt, ohne Zweifel nach dem Namen jenes berühmten Rossignol, der sich rühmte, den Schlüssel zu jeder Zeichenschrift gefunden zu haben. – Mit Hilfe eines dieser Werkzeuge schloß er den Tabernakel auf, indem er zuerst das heilige Ciborium herausnahm, eine prachtvolle Schaale von altem unter Heinrich II, cisilirten Silber, dann eine massive Monstranz, welche der Stadt von Maria Antoinette geschenkt worden war, dann endlich zwei Kännchen von vergoldetem Silber.

Da das Alles war, was das Tabernakel enthielt, so verschloß er ihn wieder sorgfältig und kniete nieder um den untern Theil des Altares aufzuschließen, der zum Reliquienkästchen diente.

Der untere Theil des Altares enthielt ein Muttergottesbild von Wachs mit einer Krone von Gold und Diamanten, das mit einem ganz von Edelsteinen gestickten Kleide angethan war.

Nach Verlauf von fünf Minuten war das Reliquienkästchen, dessen Wände von Glas der Dieb übrigens hätte zerbrechen können, wie das Tabernakel mit Hilfe eines Nachschlüssels geöffnet, und er schickte sich an, das Kleid und die Krone der Monstranz, den Kännchen und dem heiligen Ciborium hinzuzufügen, als ich, indem ich nicht wollte, daß ein solcher Diebstahl vor sich ginge, den Beichtstuhl verließ und auf den Altar zuschritt.

Das Geräusch, welches ich verursachte, indem ich die Thüre aufmachte, ließ den Dieb sich umwenden. Er neigte sich nach meiner Seite und versuchte seinen Blick in die ferne Dunkelheit der Kirche zu senken; aber der Beichtstuhl war außer dem Bereiche des Lichtes, so daß er mich erst wirklich sah, als ich in den durch die zitternde Flamme der Kerze erleuchteten Kreis trat.

Als er einen Mann erblickte, lehnte sich der Dieb gegen den Altar, zog eine Pistole ans seinem Gürtel und richtete sie auf mich.

Aber an meinem langen schwarzen Gewande konnte er bald sehen, daß ich nur ein einfacher friedlicher Priester wäre, und als ganzen Schutz nur den Glauben, als ganze Waffe nur das Wort hätte.

Trotz der Drohung der gegen mich gerichteten Pistole schritt ich bis an die Stufen des Altares vor. Ich fühlte, daß, wenn er auf mich schösse, die Pistole entweder versagen, oder die Kugel abweichen würde; ich hatte die Hand auf meiner Medaille, und ich fühlte mich ganz durch die heilige Liebe der Mutter Gottes gedeckt.

Diese Ruhe des armen Pfarrverwesers schien den Räuber zu erschüttern.

– Was wollen Sie? sagte er zu mir mit einer Stimme, die er beherzt zu machen sich bemühte.

– Sie sind Artifaille? sagte ich zu ihm.

– Bei Gott, antwortete er, wer würde es denn sonst wagen, allein in eine Kirche zu dringen, wie ich es thue. wenn ich es nicht wäre.

– Armer verhärteter Sünder, der Du stolz auf Dein Verbrechen bist, sagte ich zu ihm, begreifst Du denn nicht, daß Du bei dem Spiele, das Du spielst, nicht allein Deinen Leib, sondern auch noch Deine Seele in's Verderben stürzest?

– Bah! sagte er, was meinen Leib anbetrifft, so habe ich ihn bereits so viele Male gerettet, daß ich gute Hoffnung habe ihn ferner zu retten, und, was meine Seele anbetrifft. . .

– Nun denn! Was Deine Seele anbetrifft?

– Das geht meine Frau an; sie ist fromm für zwei, und sie wird meine Seele zugleich mit der ihrigen retten.

– Sie haben Recht, Ihre Frau ist eine fromme Frau, mein Freund, und sie würde zuverlässig vor Schmerz sterben, wenn sie erführe, daß Sie das Verbrechen vollbracht hätten, das Sie auszuführen im Begriffe standen.

– O, o! Sie glauben, daß sie vor Schmerz sterben würde, meine arme Frau?

– Ich bin davon überzeugt.

– Ei! Ich werde also Wittwer werden, fuhr der Räuber fort, indem er in Gelächter ausbrach und die Hände nach den heiligen Gefäßen ausstreckte.

Aber ich ging die drei Stufen des Altares hinauf und hielt ihm den Arm zurück.

– Nein, sagte ich zu ihm, denn Sie werden diesen Kirchenraub nicht begehen.

– Und wer wird mich davon abhalten?

– Ich.

– Mit Gewalt?

– Nein, durch Ueberredung. Gott hat seine Diener nicht auf die Erde gesandt, damit sie Gewalt anwenden sollen, was eine menschliche Sache ist, sondern die Ueberredung, die eine himmlische Kraft ist. Mein Freund, nicht wegen der Kirche, welche sich andere Gefäße verschaffen kann, sondern wegen Ihrer, der Sie Ihre Sünden nicht zurückkaufen können, geschieht es. Mein Freund, Sie werden diesen Kirchenraub nicht begehen.

– Oh so! Sie glauben also, daß es der erste ist, mein wackerer Mann?

– Nein, ich weiß, daß es der zehnte, der zwanzigste, der dreißigste vielleicht ist; aber was liegt daran? Bis hierher waren Ihre Augen verschlossen, Ihre Augen werden sich heute Abend öffnen, das ist Alles. Haben Sie nicht sagen hören, daß es einen Mann Namens Soul gab, welcher die Mäntel derer hielt, die den heiligen Stephan steinigten? Nun denn! Dieser Mann hatte die Augen mit Schuppen bedeckt, wie er es selbst sagt; eines Tages fielen die Schuppen von seinen Augen; er sah und er wurde der heilige Paulus.

– Sagen Sie mir doch, Herr Abbé, ist der heilige Paulus nicht gehängt worden?

– Ja.

– Nun denn! Wozu hat es ihm denn genützt, zu sehen?

– Es hat ihm dazu genützt, überzeugt zu werden, daß das Heil zuweilen in der Marter liegt. Jetzt hat der heilige Paulus einen verehrten Namen auf der Erde zurückgelassen, und genießt die ewige Glückseligkeit im Himmel.

– In welchem Alter ist es dem heiligen Paulus begegnet, zu sehen?

– Mit fünf und dreißig Jahren.

– Ich bin über das Alter hinaus; ich bin vierzig Jahre alt.

– Es ist immer Zeit, seine Sünden.zu bereuen. – Jesus sagte an dem Kreuze zu dem bösen Schacher: Ein Wort des Gebetes, und ich rette Dich.

– Ah so! Du hältst also sehr auf Dein Silberzeug? sagte der Räuber, indem er mich anblickte.

– Nein. Ich halte auf Deine Seele, die ich retten will.

– Auf meine Seele! – Du willst mir das aufbinden; Du machst Dich nicht übel lustig.

– Willst Du, daß ich Dir beweise, daß es Deine Seele ist, auf welche ich halte? – sagte ich zu ihm.

– Ja, gib mir diesen Beweis, – Du wirst mir Vergnügen machen.

– Wie hoch schätzest Du den Diebstahl, den Du heute Nacht begehen willst?

– Ei, ei! äußerte der Räuber, indem er die Kännchen, den Kelch, die Monstranz und das Kleid der Jungfrau wohlgefällig anblickte, auf Tausend Thaler.

– Auf Tausend Thaler?

– Ich weiß wohl, daß sie das Doppelte werth sind, aber ich werde zum Mindesten zwei Drittheile daran verlieren müssen; diese verteufelten Juden sind so große Spitzbuben!

– Komm zu mir.

– Zu Dir?

– Ja, zu mir, in das Pfarrbaus. Ich habe eins Summe von Tausend Livres, ich werde sie Dir auf Abschlag geben.

– Und die beiden andern Tausend?

– Und die beiden andern Tausend? Wohlan! ich verspreche Dir auf mein Priesterwort, daß ich in meine Heimart, geben werde; meine Mutter besitzt einiges Vermögen, ich werde drei bis vier Morgen Land verkaufen, um die beiden andern Tausend zu erlangen, und ich werte sie Dir geben.

– Ja, damit Du mir ein Rendezvous gibst, und mich in irgend eine Falle gerathen läßt.

– Du glaubst nicht, was Du da sagst, äußerte ich, indem ich die Hand nach ihm ausstreckte.

– Nun denn! Es ist wahr, ich glaube nicht daran, sagte er mit finsterer Miene. – Deine Mutter ist also reich?

– Meine Mutter ist arm.

– Dann wird sie zu Grunde gerichtet sein?

– Wenn ich Ihr gesagt haben werde, daß ich um den Preis ihrer Armuth vielleicht eine Seele gerettet habe, so wird sie mich segnen. Außerdem wird sie, wenn sie Nichts mehr hat, bei mir wohnen können, und ich werde immer für zwei zu leben haben.

– Ich nehme es an, sagte er; laß uns zu Dir gehen.

– Es sei, – aber warte.

– Wie?

– Schließe die Gegenstände wieder in das Tabernakel, die Du aus ihm genommen hast, – verschließe ihn wieder ordentlich, das wird Dir Glück bringen.

Die Stirn des Räubers runzelte sich wie die eines Mannes, dessen sich der Glaube wider seinen Willen bemächtigt; er stellte die heiligen Gefäße wieder in das Tabernakel und verschloß es.

– Komm, sagte er.

Mach zuvor das Zeichen des Kreuzes, sagte ich zu ihm.

Er versuchte ein spöttisches Gelächter auszustoßen, aber das angefangene Gelächter unterbrach sich von selbst.

Hierauf machte er das Zeichen des Kreuzes.

– Jetzt folge mir, sagte ich zu ihm.

Wir entfernten uns durch die kleine Pforte; – in weniger als fünf Minuten befanden wir uns in meiner Wohnung.

Während des Weges, so kurz er auch sein mogte, schien mir der Räuber sehr besorgt zu sein, indem er um sich blickte und fürchtete, daß ich ihn in irgend einen Hinten halt locken mögte.

In meiner Wohnung angelangt, blieb er an der Thür stehen.

– Nun denn! diese Tausend Franken? fragte er.

– Warte, antwortete ich.

Ich zündete eine Kerze an meinem ausgehenden Feuer an, schloß einen Schrank auf und nahm einen Beutel aus demselben.

– Hier sind sie, sagte ich zu ihm.

Und ich gab ihm den Beutel.

– Jetzt die beiden andern Tausend, wann werde ich sie erhalten?

– Ich verlange sechs Wochen von Dir.

– Es ist gut; ich gebe Dir sechs Wochen.

– Wem werde ich sie übergeben?

Der Räuber überlegte einen Augenblick lang.

– Meiner Frau, sagte er.

– Es ist gut.

– Aber sie wird nicht erfahren, woher sie kommen, noch wie, ich sie gewonnen habe?

– Sie wird es nicht erfahren, weder sie, noch irgend Jemand. Und niemals wirst Du dagegen etwas gegen Notre-Dame-des-Etampes, noch gegen jede andere Kirche unternehmen, welche der heiligen Jungfrau gewidmet ist?

– Niemals!

– Auf Dein Wort?

– So war ich Artifaille heiße.

– Geh, mein Bruder, und sündige nicht mehr.

Ich grüßte ihn, indem ich ihm ein Zeichen mit der Hand gab, daß es ihm frei stände sich zurückzuziehen.

Er schien einen Augenblick lang zu zögern; indem er hierauf vorsichtig die Thür öffnete, verschwand er.

Ich warf mich auf die Knie. . . und betete für diesen Menschen.

Ich hatte mein Gebet noch nicht beendigt, als ich an die Thür klopfen hörte.

– Herein, sagte ich, ohne mich umzuwenden.

Es trat in der That Jemand ein, welcher, da er mich im Gebet sah, hinter mir stehen blieb.

Als ich mein Gebet beendigt hatte, wandte ich mich um und sah Artifaille regungslos und steif, mit seinem Beutel unter dem Arme an der Thür stehen.

– Nimm, sagte er zu mir, ich bringe Dir Deine Tausend Livres zurück.

– Meine Tausend Livres?

– Ja, und ich entbinde Dich für die beiden andern Tausend.

– Und indessen besteht das Versprechen fort, das Du mir gegeben hast?

– Bei Gott!

– Du bereust also?

– Ich weiß nicht, ob ich bereue oder nicht, aber ich will Dein Geld nicht, das ist Alles.

Und er stellte den Beutel auf dm Rand des Schenktisches.

Als er hierauf den Beutel hingestellt, blieb er stehen, wie um irgend etwas zu verlangen; aber man fühlte, daß dieses Verlangen Mühe hatte über seine Lippen zu treten.

– Was wünschen Sie? fragte ich ihn. Sprechen Sie, mein Freund. Das, was Sie gethan haben, ist gut, schämen Sie Sich nicht, mehr zu thun.,

– Du hast eine große Verehrung für die heilige Jungfrau? fragte er mich.

– Eine große.

– Und Du glaubst, daß ein Mensch, so strafbar er auch sein möge, zur Stunde des Todes durch Ihre Fürbitte gerettet werden kann? Wohlan! gib mir gegen Deine drei Tausend Franken, für die ich Dich entbunden halte, irgend eine Reliquie, irgend einen Rosenkranz, die ich in meiner Stunde des Todes küssen kann.

Ich nahm die Medaille und die goldene Kette ab, welche meine Mutter an dem Tage meiner Geburt mir um den Hals gehängt, und die mich seitdem niemals verlassen hatte, und schenkte sie dem Räuber.

Der Räuber drückte seine Lippen auf die Medaille – und entfloh.

Ein Jahr verfloß, ohne daß ich von Artifaille sprechen hörte; ohne Zweifel hatte er Etampes verlassen, um sein Gewerbe anderswo auszuüben.

Inzwischen empfing ich einen Brief von meinem Amtsbruder, dem Pfarrverweser von Fleury. Meine gute Mutter war sehr krank und rief mich zu sich. Ich erlangte einen Urlaub und begab mich auf die Reise.

Sechs Wochen bis zwei Monate guter Pflege und Gebete gaben meiner Mutter die Gesundheit wieder. Wir verließen uns, ich vergnügt, sie munter und gesund, und ich kehrte nach Etampes zurück.

Ich kam an einem Freitag Abend an; die ganze Stadt war in Bewegung. Der berüchtigte Dieb Artifaille war in der Gegend von Orleans eingefangen, und von dem Landgerichte dieser Statt gerichtet worden, das ihn nach der Verurtheilung nach Etampes geschickt hatte, um gehangen zu werden, da der Bezirk von Etampes der Hauptplatz seiner Missethaten gewesen war.

Die Hinrichtung hatte am selben Morgen stattgefunden.

Das ist es, was ich auf der Straße erfuhr; – als ich aber in das Pfarrhaus trat, erfuhr ich noch etwas Anderes: nämlich daß eine Frau der unteren Stadt seit dem Morgen des vorigen Tages, das heißt seit dem Augenblicke, wo Artifaille in Etampes angekommen war, um dort seine Hinrichtung zu erleiden, mehr als zehn Male gekommen war, um sich zu erkundigen, ob ich zurückgekehrt wäre.

In dieser Beharrlichkeit lag nichts Verwunderungswerthes. Ich hatte geschrieben, um meine bevorstehende Ankunft zu melden, und ich wurde von einem Augenblick zum andern erwartet.

Ich kannte in der untern Stadt nur die arme Frau, welche Wittwe geworden war, und ich beschloß zu ihr zu gehen, bevor ich nur den Staub von meinen Füßen geschüttelt hatte.

Von dem Pfarrhause nach der untern Stadt war nur ein Schritt. – Es schlug freilich zehn Uhr Abends, aber ich dachte, da das Verlangen mich zu sehen so groß gewesen, ich die arme Frau durch meinen Besuch nicht stören würde.

Ich ging also nach der Vorstadt hinab, und ließ mir ihr Haus andeuten. – Da Jedermann sie als eine Fromme kannte, so machte Niemand ihr aus dem Verbrechen ihres Gatten ein Verbrechen, Niemand rechnete seine Schande ihr zu.

Ich gelangte an die Thür. Der Laden stand offen, und ich konnte durch die Fensterscheiben die arme Frau an den Füßen des Bettes knieend und im Gebete sehen.

Nach der Bewegung ihrer Schultern konnte man errathen, daß sie im Beten schluchzte.

Ich klopfte an die Thür.

Sie stand auf und öffnete schnell.

– Ach! Herr Abbé! rief sie aus, ich errieth Sie. Ms man angeklopft hat, habe ich vermuthet, daß Sie es wären. Leider! leider! kommen Sie zu spät; mein Gatte ist ohne Beichte gestorben.

– Er ist also in schlechten Gesinnungen gestorben?

– Nein, ganz im Gegentheile, ich bin überzeugt, daß er im Grunde des Herzens Christ war; aber er hatte erklärt, daß er keinen andern Priester, als Sie wollte, daß er nur Ihnen beichten würde, und daß er, wenn er Ihnen nicht beichtete, Niemand beichten würde, als Unserer lieben Frau.

– Er hat Ihnen das gesagt?

– Ja, und indem er es sagte, küßte er eine Medaille der heiligen Jungfrau, welche an einer goldenen Kette an seinem Halse hing, wobei er über alles empfahl, daß man ihm diese Medaille nicht abnähme und versicherte, daß wenn es gelänge, ihn mit dieser Medaille zu begraben, der böse Geist keine Gewalt über seinen Leib haben würde.

– Ist das Alles, was er gesagt hat?

– Nein. Indem er mich verließ, um nach dem Richtplatze zu geben, hat er mir noch gesagt, daß Sie heute Abend ankommen würden, daß Sie mich gleich nach Ihrer Ankunft besuchen würden; deshalb erwartete ich Sie.

– Er hat Ihnen das gesagt? äußerte ich voll Erstaunen.

– Ja, und dann hat er mich noch mit einer letzten Bitte beauftragt.

– Für mich?

– Für Sie. Er hat gesagt, daß, zu welcher Stunde Sie such kommen mögten, – ich Sie bitten sollte. . . Mein Gott! ich werde es niemals wagen, so etwas zu sagen.

– Reben Sie, meine gute Frau, reden Sie.

– Nun denn, daß ich Sie bitten sollte, nach dem Richtplatze zu gehen, um dort unter seiner Leiche zu Gunsten seiner Seele fünf Pater Noster und fünf Ave Maria zu beten. – Er hat gesagt, daß Sie mir es nicht ausschlagen würden, Herr Abbé.

– Und er hat Recht gehabt, denn ich will hingehen.

– O! was Sie gütig sind!

Sie ergriff meine Hände und wollte sie küssen.

Ich machte mich los.

– Nun denn, meine gute Frau, sagte ich zu ihr, Muth!

– Gott verleiht ihn mir, Herr Abbé, ich beklage mich nicht.

– Er hat nichts Anderes verlangt?

– Nein.

– Es ist gut! Wenn er für die Ruhe seiner Seele nur der Erfüllung dieses Wunsches bedarf, so wird seine Seele in Ruhe sein.

Ich entfernte mich.

Es war ohngefähr halb eilf Uhr. – Es war in den letzten Tagen des April, der Nordwind war noch frisch. Der Himmel war indessen schön, – besonders schön für einen Maler, denn der Mond schwamm in einem Meere dunkler Wolken, welche dem Horizonte einen erhabenen Charakter verliehen.

Ich umschritt die alten Stadtmauern und gelangte an das nach Paris zu führende Thor. – Nach eilf Uhr war dies das einzige Thor von Etampes, welches offen blieb.

Das Ziel meines Ausganges war auf einem Glacis, welches heut zu Tage wie damals die ganze Stadt überragte. Nur ist heut zu Tage keine andere Spur von dem Galgen mehr übrig geblieben, der damals auf diesem Glacis stand, als drei Bruchstücke des Mauerwerks, welche die drei unter sich durch zwei Balken verbundenen Pfeiler trugen, die den Galgen bildeten.

Um auf dieses Glacis zu gelangen, welches zur Linken der Heerstraße liegt, wenn man von Etampes nach Paris geht, und zur Rechten, wenn man von Paris nach Etampes geht, mußte man an dem Fuße des Thurmes de Guinette vorüber, ein vorgeschobenes Werk, das einer in der Ebene zur Bewachung der Stadt aufgestellten Schildwache gleicht.

Dieser Thurm, den Sie kennen müssen, Chevalier Lenoir, und den Ludwig XI. vor Zeiten in die Luft sprengen zu lassen versucht hat, ist durch diesen Versuch geborsten, und scheint den Galgen, von dem er nur das äußerste Ende steht, mit der schwarzen Höhle eines großen Auges ohne Augapfel zu betrachten.

Am Tage ist er die Wohnung der Raben; des Nachts ist er der Palast der Eulen.

Ich schlug unter ihrem Geschrei und ihrem Geheul den Weg nach dem Glacis ein, – einen engen, beschwerllchen, steinigen, in den Felsen ausgehauenen und durch das Gestrüpp gebrochenen Weg.

Ich kann nicht sagen, daß ich Furcht hatte. – Der Mensch, der an Gott glaubt und der ihm vertraut, darf vor nichts Furcht haben, – aber ich war aufgeregt.

Man hörte von der Welt nur das einförmige Klappern der Mühle der untern Stadt, das Geschrei der Uhus und der Käuze und das Pfeifen des Windes in dem Gestrüppe.

Der Mond trat in eine schwarze Wolke, deren Ränder er mit einem weißlichen Saume schmückte.

Mein Herz klopfte. Es schien mir, als ob ich nicht das sehen würde, was ich zu sehen gekommen war, sondern irgend etwas Unerwartetes. Ich ging immer weiter hinauf.

Auf einen gewissen Punkt der Anhöhe gelangt, begann ich das obere Ende des Galgens zu unterscheiden, das aus diesen drei Pfeilern und zwei Querbalken von Eichenholz bestand, von denen ich bereits gesprochen habe.

An diesen Querbalken von Eichenholz hängen die eisernen Kreuze, an welche man die Hingerichteten knüpft. Ich erblickte, wie einen beweglichen Schatten, die Leiche des unglücklichen Artifaille, welche der Wind in der Lust schaukelte.

Plötzlich blieb ich stehen, ich sah jetzt den Galgen von seinem obern Ende bis zu seinem Fuße. Ich erblickte eine gestaltlose Masse, welche einem Thiere mit vier Füßen glich und die sich bewegte.

Ich blieb stehen und legte Mich hinter einen Felsen. Dieses Thier war weit größer als ein Hund und weit dicker als ein Wolf.

Plötzlich erhob es sich auf die Hinterfüße und ich erkannte, daß dieses Thier kein anderes wäre, als das, welches Plato ein Thier mit zwei Füßen und ohne Federn nennt, das heißt ein Mensch.

Was konnte zu dieser Stunde ein Mensch unter einem Galgen thun, es sei denn, daß er mit einem religiösen Herzen, um zu beten, oder mit einem irreligiösen Herzen kam, um dort irgend eine Ruchlosigkeit zu begehen?

In jedem Falle beschloß ich, mich ruhig zu verhalten und abzuwarten.

In diesem Augenblicke trat der Mond hinter der Wolke hervor, welche ihn einen Augenblick lang versteckt hatte, und erleuchtete den Galgen vollständig.

Nun konnte ich den Mann deutlich und selbst alle Bewegungen sehen, welche er machte.

Dieser Mann raffte eine auf dem Boden liegende Leiter auf, und stellte sie dann der Leiche des Gehangenen so nahe als möglich gegen einen der Pfeiler.

Dann stieg er die Leiter hinauf.

Dann bildete er mit dem Gehangenen eine seltsame Gruppe, in welcher der Lebendige und der Todte sich in einer Umarmung mit einander zu vereinigen schienen.

Plötzlich erschallte ein schrecklicher Schrei. Ich sah die beiden Körper sich bewegen; ich hörte mit erstickter Stimme, die bald aufhörte deutlich zu sein, um Hilfe rufen, dann machte sich einer der beiden Körper von dem Galgen los, während der andere an dem Stricke hängen blieb und seine Arme und seine Beine bewegte.

Es war mir unmöglich zu errathen, was sich unter dem Galgen zutrug, mogte es aber am Ende Menschenwerk oder das Werk des Teufels sein, es hatte sich irgend etwas Außergewöhnliches zugetragen, irgend etwas, das um Hilfe rief, das Beistand forderte.

Ich stürzte herbei. Bei meinem Anblicke schien der Gehangene seine Bewegungen zu verdoppeln, während unter ihm der Körper, welcher sich von dem Galgen losgemacht hatte, ohne Bewegung lag.

Ich eilte zuerst zu dem Lebendigen. Ich stieg rasch die Sprossen der Leiter hinauf, und schnitt mit meinem Messer den Strick ab; der Gehangene fiel auf den Boden; ich sprang von der Leiter.

Der Gehangene wälzte sich in gräßlichen Krämpfen, die andere Leiche hielt sich immer regungslos.

Ich sah ein, daß die Schleife fortwährend den Hals des armen Teufels zuschnürte. Ich legte mich auf ihn, um ihn festzuhalten, – und löste mit großer Mühe die Schleife auf, welche ihn erstickte.

Während dieser Verrichtung bemühte ich mich, diesem Manne in's Gesicht zu sehen, und erkannte voll Erstaunen, daß dieser Mann der Scharfrichter war.

Seine Augen waren aus ihren Höhlen hervorgetreten, sein Gesicht bläulich, die Kinnlade fast verdreht, und ein Athem, der mehr einem Röcheln als einem Athemholen glich, drang aus seiner Brust.

Indessen kehrte die Luft allmählig in seine Lungen zurück, und mit der Luft das Leben.

Ich hatte ihn an einen großen Stein gelehnt; nach Verlauf eines Augenblickes schien er wieder zur Besinnung zu kommen, hustete, drehte den Hals im Husten, und sah mir am Ende in's Gesicht.

Sein Erstaunen war nicht minder groß, als es das meinige gewesen war.

– O, o! Herr Abbé, sagte er, Sie sind es?

– Ja, ich bin es.

– Und was machen Sie hier? fragte er mich.

– Aber Sie selbst?

Er schien sich zu besinnen. Er blickte nochmals um sich, aber dieses Mal verweilten seine Augen auf der Leiche.

– Ah! sagte er, indem er aufzustehen versuchte, – lassen Sie uns gehen, Herr Abbé, um des Himmels Willen, lassen Sie uns gehen!

– Gehen Sie, wenn Sie wollen, mein Freund; aber ich habe eine Pflicht zu erfüllen.

– Hier?

– Hier.

– Worin besteht sie denn?

– Dieser Unglückliche, der heute von Ihnen gehängt worden ist, hat gewünscht, daß ich an dem Fuße des Galgens fünf Pater Noster und fünf Aue Maria für das Heil seiner Seele beten mögte.

– Für das Heil seiner Seele, o! Herr Abbé, Sie werden viel zu thun haben, wenn Sie diese retten, er ist der leibhaftige Satan.

– Wie! Der leibhaftige Satan!

– Ohne Zweifel, haben Sie nicht gesehen was er mir gethan hat?

– Wie! Was er Ihnen gethan hat, und was hat er Ihnen denn gethan?

– Er hat mich gehängt, bei Gott!

– Er hat Sie gehängt? aber es schien mir im Gegentheile, als ob Sie es wären, der ihm diesen traurigen Dienst erwiesen hätte.

– Ja, meiner Treue! Und ich glaubte ihn gut und gehörig gehängt zu haben. Es scheint, daß ich mich geirrt hatte! Aber wie hat er denn nicht den Augenblick benutzt, wo ich hing, um zu entfliehen?

Ich ging nach der Leiche und hob sie auf; sie war steif und kalt.

– Ei, weil er todt ist, sagte ich.

– Todt! wiederholte der Scharfrichter, todt! Ah! den Teufel! Das ist weit schlimmer; dann lassen Sie uns fliehen, Herr Abbé, lassen Sie uns fliehen.

Und er stand auf.

– Nein, bei meiner Treue! sagte er, ich ziehe es vor zu bleiben, er brauchte nur auszustehen und mir nachzulaufen. – Sie, der Sie ein fromme r Mann sind, Sie werden mich zum Mindesten schützen.

– Mein Freund, sagte ich zu dem Scharfrichter, indem ich ihn fest anblickte, dahinter steckt irgend etwas. Sie fragten mich vorhin, was ich hier zu dieser Stunde zu thun hätte. Ich mögte Sie nun auch fragen, was Sie hier thun wollten?

– Ah, meiner Treue! Herr Abbé, ich würde es Ihnen immerhin in der Beichte oder auf andere Weise sagen müssen. Nun denn? Ich will es Ihnen auf andere Weise sagen, Aber, warten Sie doch. . .

Er machte eine Bewegung rückwärts.

– Was denn?

– Er rührt sich doch nicht?

– Nein, sein Sie unbesorgt, der Unglückliche ist wirklich todt.

– O! wirklich todt. . . wirklich todt. . . – gleichviel! – Ich will Ihnen immerhin sagen, warum ich gekommen bin, und wenn ich lüge, so wird er mich Lügen strafen, das ist Alles.

– Reden Sie!

– Ich muß Ihnen sagen, daß dieser Ungläubige Nichts von der Beichte hat sprechen hören wollen; – er sagte nur von Zeit zu Zeit: – Ist der Abbé Moulle angekommen? – Man antwortete ihm: – Nein, noch nicht. – Er stieß einen Seufzer ans; man bot ihm einen Priester an, er antwortete: – Nein! den Abbé Moulle. . . und keinen Andern.

– Ja, ich weiß das.

– An dem Fuße des Thurmes der Guinette blieb er stehen. – Sehen Sie doch nach, sagte er zu mir, ob Sie nicht den Abbé Moulle kommen sehen.

– Nein, sagte ich zu ihm.

Und wir begaben uns wieder auf den Weg.

An dem Fuße der Leiter blieb er nochmals stehen.

– Kömmt der Abbé Moulle nicht? fragte er.

– Nein doch!. Wenn man es Ihnen sagt., – Es gibt nichts Langweiligeres als einen Mann, der uns immer dasselbe wiederholt.

– Vorwärts! sagte er.

Ich legte ihm den Strick um den Hals. – Ich stellte ihm die Füße gegen die Leiter und sagte zu ihm: Steig hinauf.

Er stieg hinauf, ohne sich zu sehr bitten zu lassen; als er aber auf zwei Drittel der Leiter angekommen war, sagte er zu mir:

– Warten Sie, damit ich mich versichere, daß der Abbé Moulle nicht kömmt.

– Ah! Sehen Sie nach, sagte ich zu ihm, das ist nicht verboten.

Nun suchte er ein letztes Mal in der Menge; da er Sie aber nicht sah, so stieß er einen Seufzer aus.

Ich glaubte, daß er entschlossen wäre, und daß ich ihn nur noch fortzustoßen hätte; aber er sah meine Bewegung und sagte:

– Warte.

– Was gibt es noch?

– Ich mögte eine Medaille unserer Lieben Frau küssen, die an meinem Halse hängt.

– Ah! Was das anbetrifft, sagte ich zu ihm, das ist zu gerecht. Küsse.

Und ich drückte ihm die Medaille an die Lippen.

– Was gibt es denn noch? fragte ich.

– Ich will mit dieser Medaille begraben werden.

– Hm, hm! äußerte ich, es scheint mir, daß der ganze Nachlaß des Gehängten dem Henker gehört.

– Das geht mich Nichts an, ich will mit meiner Medaille begraben werden.

– Ich will, ich will; wie Sie den Mund voll nehmen.

– Ich will, wie!

Die Geduld ging mir aus; er war ganz bereit, er hatte den Strick um den Hals, das andere Ende des Strickes war an dem Hacken befestigt.

– Geh zum Teufel! sagte ich zu ihm.

Und ich schleuderte ihn von der Leiter.

– Mutter Gottes, habe Erb. . .

Meiner Treue, das ist Alles, was er noch sagen konnte; der Strick erstickte zugleich den Mann und die Rede.

Im selben Augenblicke, Sie wissen wie das ausgeführt wird, packte ich dm Strick; ich sprang auf seine Schultern, und im Nu war Alles aus. Er hatte sich nicht über mich zu beklagen, und ich stehe Ihnen dafür, daß er nicht gelitten hat.

– Aber Alles das sagt mir nicht, warum Sie heute Abend hierher gekommen sind.

– O! Das kommt daher, weil das gerade am Schwersten zu erzählen ist.

– Wohlan! Ich will es Ihnen sagen, Sie sind gekommen, um ihm seine Medaille zu nehmen.

– Nun denn! Ja, der Teufel hat mich in Versuchung geführt. Ich habe mir gesagt: gut, gut! Du willst; das ist sehr leicht zu sagen; aber sei unbesorgt, wenn die Nacht hereingebrochen ist, so werden wir sehen. Als nun die Nacht hereingebrochen war, bin ich von Haus weggegangen. Ich hatte meine Leiter in der Umgegend gelassen; ich wußte, wo ich sie wiederfinden würde. Ich habe einen Spaziergang gemacht, bin auf dem längsten Wege zurückgekehrt, und dann, als ich gesehen habe, daß sich Niemand mehr in der Ebene befände, als ich kein Geräusch mehr gehört, habe ich mich dem Galgen genähert, meine Leiter aufgestellt, bin hinaufgestiegen, habe den Gehängten an mich gezogen, habe ihm seine Kette abgehängt, und. . .

– Und was?

– Meiner Treue! Glauben Sie mir, wenn Sie wollen; in dem Augenblicke, wo die Medaille seinen Hals verlassen hat, hat der Gehängte mich gepackt, seinen Hals aus der Schleife gezogen, meinen Kopf an die Stelle des seinigen hineingesteckt, und, meiner Treue! mich nun auch fortgestoßen, wie ich ihn fortgestoßen hatte. So ist die Sache.

– Unmöglich, Sie irren sich.

– Haben Sie mich gehängt gefunden oder nicht?

– Ja.

– Nun denn! Ich versichere Ihnen, daß ich mich nicht selbst gehängt habe. Das ist Alles, was ich Ihnen sagen kann.

Ich überlegte einen Augenblick lang.

– Und die Medaille, fragte ich ihn, wo ist sie?

– Meiner Treue, suchen Sie auf der Erde, sie muß nicht weit sein. Als ich mich gehängt gefühlt habe, habe ich sie fallen lassen.

Ich stand auf und warf die Augen auf den Boden.

Ein Schein des Mondes fiel darauf, wie um meine Nachforschung zu leiten.

Ich raffte sie auf, ging nach der Leiche des armen Artifaille, und hing ihm die Medaille wieder um den Hals.

In dem Augenblicke, wo sie seine Brust berührte, lief etwas wie ein Schauder über seinen ganzen Körper, und ein schneidender und fast schmerzhafter Schrei drang aus seiner Brust.

Der Scharfrichter that einen Sprung zurück.

Mein Geist war durch diesen Schrei aufgeklärt worden. Ich erinnerte mich dessen, was die heiligen Schriften über die Beschwörungen und den Schrei sagen, welchen die Teufel ausstoßen, indem sie den Körper der Besessenen verlassen.

Der Scharfrichter zitterte wie Espenlaub.

– Kommen Sie hierher, mein Freund, sagte ich zu ihm, und fürchten Sie Nichts.

Er näherte sich zögernd.

– Was wollen Sie von mir? sagte er.

– Hier ist eine Leiche, die Sie wieder an ihren Platz bringen müssen.

– Niemals. – Wohl, damit er mich nochmals hängt!

– Es ist keine Gefahr vorhanden, mein Freund, ich stehe Ihnen für Alles.

– Aber, Herr Abbé! Herr Abbé!

– Kommen Sie, sage ich Ihnen. Er that noch einen Schritt.

– Hm! murmelte er, ich traue nicht.

– Und Sie haben Unrecht, mein Freund, – so lange als der Körper seine Medaille hat, so werden Sie Nichts zu fürchten haben.

– Warum das?

– Weil der Teufel keine Gewalt über ihn haben wird, – diese Medaille beschützte ihn, Sie haben sie ihm genommen; – auf der Stelle ist der böse Geist, der ihn zum Bösen verleitet hat und der von seinem guten Engel beseitigt worden war, in die Leiche zurückgekehrt, und Sie haben gesehen, welches das Werk des bösen Geistes gewesen ist.

– Dann ist dieser Schrei, den wir so eben gehört haben. . .

– Der, den er ausgestoßen hat, als er gefühlt, daß seine Beute ihm entginge.

– Ei, sagte der Scharfrichter, das wäre in der That wohl möglich.

– Dem ist so.

– Dann will ich ihn wieder an seinen Haken hängen.

– Hängen Sie ihn wieder daran; die Gerechtigkeit muß ihren Lauf haben. Das Urtheil muß vollstreckt werden.

Der arme Teufel zögerte noch.

– Fürchten Sie Nichts, sagte ich zu ihm, ich stehe für Alles.

– Wenn auch, erwiderte der Scharfrichter, verlieren Sie mich nicht aus den Augen, und kommen Sie mir bei dem geringsten Schrei zu Hilfe.

– Sein Sie unbesorgt, Sie werden meiner nicht bedürfen.

Er näherte sich der Leiche, hob sie vorsichtig bei den Schultern auf und zog sie nach der Leiter, indem er zu ihr sprach.

– Sei ohne Furcht, Artifaille, es geschieht nicht, um Dir Deine Medaille zu nehmen. Sie verlieren uns nicht aus den Augen, Herr Abbé?

– Nein, mein Freund, sein Sie unbesorgt.

– Es geschieht nicht, um Dir Deine Medaille zu nehmen, fuhr der Scharfrichter in dem freundlichsten Tone fort, nein, sei unbesorgt; da Du es gewünscht hast, so wirst Du mit ihr begraben werden. Es ist wahr, er rührt sich nicht, Herr Abbé.

– Sie sehen.

– Du wirst mit ihr begraben werden. – Inzwischen hänge ich Dich auf den Wunsch des Herrn Abbé wieder an Deinen Platz, – denn, was mich anbetrifft, so begreifst Du!. . .

– Ja, ja, sagte ich zu ihm, ohne daß ich mich enthalten konnte zu lächeln, aber machen Sie geschwind.

– Meiner Treue, es ist geschehen, sagte er, indem er den Körper los ließ, den er von Neuem an den Haken gehängt hatte, und zu gleicher Zeit auf den Boden sprang.

Und der Körper schaukelte sich ohne Bewegung und leblos in der Luft.

Ich knieete nieder und begann die Gebete, welche Artifaille von mir verlangt hatte.

– Herr Abbé, sagte der Scharfrichter, indem er neben mir niederkniete, wären Sie so gefällig, die Gebete laut und langsam herzusagen, damit ich sie wiederholen könnte?

– Wie! Unglückseliger! Sie haben sie also vergessen?

– Ich glaube, daß ich sie niemals gekannt habe.

Ich betete die fünf Pater Noster und die fünf Ave Maria, welche der Scharfrichter gewissenhaft nach mir wiederholte.

Als das Gebet beendigt war. stand ich auf.

– Artifaille, sagte ich laut zu dem Hingerichteten, ich habe für das Heil Deiner Seele das gethan, was ich vermogt; an der glückseligen Jungfrau Maria ist es, das Uebrige zu thun.

– Amen! sagte mein Begleiter.

In diesem Augenblicke erleuchtete der Mond die Leiche mit seinem Silberscheine. Es schlug Mitternacht auf der Kirche Notre-Dame.

– Lassen Sie uns gehen, sagte ich zu dem Scharfrichter, wir haben hier Nichts mehr zu thun.

– Herr Abbé, sagte der arme Teufel, wären Sie so gütig, mir eine letzte Gunst zu bewilligen?

– Welche?

– Mich bis nach meiner Wohnung zu begleiten; so lange als ich meine Thüre nicht zwischen mir und diesem Schelme wohl verschlossen fühle, werde ich nicht.ruhig sein.

– Kommen Sie, mein Freund.

Wir verließen das Glacis, nicht ohne daß mein Begleiter sich von zehn zu zehn Schritt umwandte, um zu sehen, ob der Gehängte wirklich an seinem Platze wäre.

Nichts rührte sich.

Wir kehrten in die Stadt zurück. Ich führte meinen Mann bis nach seiner Wohnung. Ich wartete, bis er Licht angemacht hatte, dann verschloß er die Thüre, nahm Abschied von mir und dankte mir durch die Thüre. Vollkommen ruhig an Leib und an Geist kehrte ich nach Haus zurück.

Als ich am folgenden Tage erwachte, sagte man mir, daß die Frau des Diebes mich in dem Eßzimmer erwartete.

Ihr Gesicht war ruhig und fast freudig.

– Herr Abbé, sagte sie zu mir, ich komme, Ihnen zu danken; mein Gatte ist mir gestern erschienen, als es Mitternacht auf der Kirche Notre-Dame schlug, und er hat zu mir gesagt:

– Du wirst morgen früh zu dem Abbé Moulle gehen und ihm sagen, daß ich Dank ihm und der Jungfrau Maria gerettet bin.

Tausend und Ein Gespenst

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