Читать книгу Der Graf von Bragelonne - Александр Дюма - Страница 14

Erstes und zweites Bändchen
XIV.
Worin der König und der Lieutenant jeder von ihrem Gedächtniß Probe ablegen

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Als der König, wie alle Verliebte der Welt, lange dem Wagen, der seine Geliebte fortführte, nachgeschaut und ihn am Horizont hatte verschwinden sehen; als er sich hundertmal immer wieder nach derselben Seite umgewandt hatte und es ihm endlich gelungen war, die Aufregung seines Geistes und Herzens ein wenig zu mildern, erinnerte er sich endlich, daß er nicht allein war.

Der Officier hielt immer noch das Pferd am Zügel und hatte nicht jede Hoffnung verloren, den König auf seinen Entschluß zurückkommen zu sehen.

Es gab noch das Mittel, wieder zu Pferde zu steigen und dem Wagen nachzujagen: man würde durch das Warten nichts verloren haben.

Doch die Einbildungskraft des Lieutenants der Musketiere war zu glänzend und zu reich; sie ließ die des Königs hinter sich, der sich vor einem solchen übermäßigen Luxus wohl hütete.

Er begnügte sich, ganz nahe auf den Officier zuzugehen, und sagte mit kläglicher Stimme zu diesem:

»Vorwärts . . . es ist beendigt . . . zu Pferde.«

Der Officier ahmte diese Haltung, diese Langsamkeit, diese Traurigkeit nach, und bestieg langsam und traurig sein Pferd. Der König spornte sein Roß, der Lieutenant folgte ihm.

Auf der Brücke wandte sich Ludwig zum letzten Mal um. Geduldig wie ein Gott, der die Ewigkeit vor sich und hinter sich hat, hoffte der Officier abermals auf eine Rückkehr der Energie. Doch es war vergebens, nichts erschien. Ludwig erreichte die Straße, welche nach dem Schlosse führte, und kam zurück, als es sieben Uhr schlug. Als der König wirklich zurückgekehrt war und der Officier, der Alles sah, gesehen hatte, wie eine Ecke vom Vorhang am Fenster des Cardinals aufgehoben wurde, stieß er einen gewaltigen Seufzer aus, wie ein Mensch, dem man die engsten Fesseln abnimmt, und sagte mit halber Stimme:

»Ah! mein Officier, ich hoffe, das ist vorbei!«

Der König rief seinen Cavalier und sprach zu ihm:

»Ich werde vor zwei Uhr Niemand empfangen, versteht Ihr, mein Herr?«

»Sire,« erwiederte der Cavalier, »es ist Jemand da, der vorgelassen zu werden gebeten hat.«

»Wer denn?«

»Euer Lieutenant von den Musketieren.«

»Derjenige, welcher mich begleitet hat?«

»Ja, Sire.«

»Ah!« sagte der König, »laßt ihn eintreten.«

Der Officier trat ein.

Der König machte ein Zeichen, der Cavalier und der Kammerdiener gingen hinaus.

Ludwig folgte ihnen mit den Augen, bis sie die Thüre geschlossen hatten und die Vorhänge wieder hinter ihnen herabgefallen waren.

»Mein Herr,« sprach der König, »Ihr erinnert mich durch Eure Gegenwart an das, was ich Euch zu empfehlen vergessen, nämlich die vollkommenste Verschwiegenheit.«

»Oh! Sire, warum macht sich Eure Majestät die Mühe, mir dergleichen zu empfehlen? Man sieht wohl, daß sie mich nicht kennt.«

»Ja, mein Herr, das ist die Wahrheit. Ich weiß, daß Ihr verschwiegen seid, doch da ich nichts vorgeschrieben hatte . . . «

Der Officier verbeugte sich und fragte:

»Hat mir Eure Majestät nichts mehr zu sagen?«

»Nein, mein Herr, Ihr könnt Euch entfernen,«

»Werde ich die Erlaubniß erhalten, dies nicht eher zu thun, als bis ich zum König gesprochen habe, Sire?«

»Was habt Ihr mir mir zu sagen? Erklärt Euch, mein Herr.«

»Sire, eine Sache, ohne Wichtigkeit für Euch, die mich aber ungeheuer interessirt. Verzeiht mir also, daß ich davon rede. Ohne die Dringlichkeit, ohne die Nothwendigkeit hätte ich es nie gethan, und ich wäre stumm und klein, wie ich es stets gewesen, verschwunden.«

»Wie, verschwunden!«

»Ja.«

»Ich verstehe Euch nicht, mein Herr.«

»Sire, mit einem Wort,« sprach der Officier, »ich bitte Euch um meinen Abschied.«

Der König machte eine Bewegung des Erstaunens.

»Um Euren Abschied, Ihr, mein Herr? Ich bitte, auf wie lange?1«

»Auf immer, Sire.«

»Wie, Ihr wolltet meinen Dienst verlassen, mein Herr?« fragte Ludwig mit einer Bewegung, welche mehr als Erstaunen verrieth.

»Sire, ich bedaure, dies thun zu müssen.«

»Unmöglich.«

»Doch, Sire; ich werde alt; seit vier und dreißig bis fünf und dreißig Jahren trage ich den Harnisch; meine armen Schultern sind müde; ich fühle, daß ich den Platz Jüngeren überlassen muß; . . . ich bin nicht vom neuen Jahrhundert; ich habe noch einen Fuß im alten stecken, und daraus geht hervor, daß mich, da meinem Auge Alles fremd ist, Alles in Erstaunen setzt und betäubt. Kurz, ich habe die Ehre, Eure Majestät um meinen Abschied zu bitten.«

»Mein Herr, sprach der König, während er den Officier anschaute, der seine Kasake mit einer Leichtigkeit trug, um die ihn ein junger Mensch beneidet hätte, »Ihr seid stärker und kräftiger als ich.«

»Oh!« erwiederte der Officier mit einem Lächeln falscher Bescheidenheit, »Eure Majestät sagt mir das, weil ich noch ein ziemlich gutes Auge und einen ziemlich sichern Fuß habe, weil ich nicht schlecht zu Pferde bin, und weil mein Schnurrbart noch schwarz ist; aber Sire, das ist lauter eitel Ding; das sind lauter Illusionen . . . Schein, Rauch, Sire! Ich sehe noch jung aus, das ist wahr, doch im Grunde bin ich alt, und ehe sechs Monate vergehen, davon bin ich überzeugt, werde ich bresthaft, podagrisch, lahm sein. Also, Sire . . . «

»Mein Herr,« unterbrach ihn der König, »erinnert Euch Eurer Worte von gestern; Ihr sagtet mir auf demselben Platz, auf dem Ihr steht, Ihr erfreuet Euch der besten Gesundheit von ganz Frankreich, Strapazen seien Euch unbekannt, es mache Euch nicht die geringste Sorge, Tage und Nächte an Eurem Posten zuzubringen. Habt Ihr mir das gesagt, ja oder nein? Sucht in Eurem Gedächtnis, mein Herr.«

Der Officier stieß einen Seufzer aus.

»Sire,« sagte er, »das Alter ist eitel, und man muß wohl den Greisen verzeihen, wenn sie ihr Lob aussprechen, das Niemand mehr ausspricht. Es ist möglich, daß ich dies sagte; doch eine Wahrheit ist es, daß ich müde bin und um meinen Abschied bitte.«

»Mein Herr,« sprach der König, indem er mit einer Geberde voll jugendlicher Majestät auf den Officier zuging, »Ihr gebt mir nicht den wahren Grund an; Ihr wollt allerdings meinen Dienst verlassen, aber: Ihr verbergt mir den Beweggrund Eures Rückzugs.«

»Sire, glaubt mir…«

»Ich glaube, was ich sehe, mein Herr: ich sehe einen energischen , kräftigen Mann, voll Geistesgegenwart, den besten Soldaten von Frankreich vielleicht, dieser Mann kann mich entfernt nicht überreden, er bedürfe der Ruhe.«

»Ah! Sire,« sprach der Lieutenant mit Bitterkeit, »welche Lobeserhebungen! Euere Majestät macht mich ganz verwirrt! Energisch, kräftig, geistreich, tapfer, der beste Soldat der Armee! Sire, Eure Majestät übertreibt mein geringes Verdienst, so daß ich mich, eine so gute Meinung ich auch von mir habe, in der That gar nicht mehr erkenne. Wäre ich eitel genug, nur die Hälfte von den Worten Eurer Majestät zu glauben, so würde ich mich als einen kostbaren, unentbehrlichen Menschen betrachten; ich würde sagen, ein Diener, der so viele und so glänzende Eigenschaften in sich vereinige, sei ein unschätzbares Gut. Sire, nun bin ich aber, ich muß es sagen, heute ausgenommen, meiner Ansicht nach sehr unter meinem Werthe geschätzt worden. Ich wiederhole. Eure Majestät übertreibt also.«

Der König faltete die Stirne, denn er sah ein Lächeln bittern Spottes im Grunde der Worte des Officiers.

»Nun mein Herr,« sagte er, »greifen wir die Frage offen an. Sprecht, gefällt Euch mein Dienst nicht? Auf, keine Umwege, antwortet keck, freimüthig, ich will es.«

Der Officier, der seit einigen Augenblicken mit ziemlich verlegener Miene seinen Hut in seinen Händen hin und her drehte, erhob das Haupt bei diesen Worten und sprach:

»Oh! Sire, das macht es mir ein wenig leichter. Auf eine Frage, welche so offenherzig gestellt ist, werde ich auch offenherzig antworten. Die Wahrheit sagen ist ein gutes Ding, sowohl wegen des Vergnügens, das man empfindet, wenn man sich das Herz erleichtern kann, als wegen der Seltenheit der Sache. Ich werde also meinem König die Wahrheit sagen, während ich zugleich einem alten Soldaten seine Offenherzigkeit zu verzeihen bitte.«

Der König schaute seinen Officier mit einer lebhaften Unruhe an, die sich durch die Beweglichkeit seiner Geberden kundgab.

»Nun wohl, sprecht also,« erwiederte er; »denn ich bin ungeduldig, die Wahrheit zu hören, die Ihr mir zu sagen habt.«

Der Officier warf seinen Hut auf einen Tisch, und sein schon so verständiges und martialisches Gesicht nahm plötzlich einen seltsamen Charakter von Größe und Feierlichkeit an.

»Sire,« sagte er, »ich verlasse den Dienst des Königs, weil ich unzufrieden bin. Der Knecht darf sich in dieser Zeit achtungsvoll seinem Herrn nähern, wie ich es thue, ihm über seine Arbeit Bericht machen, ihm die Werkzeuge überbringen, ihm Rechenschaft über die Gelder ablegen, die ihm anvertraut worden sind, und sprechen: »»Meister, mein Tagewerk ist abgemacht, bezahlt mich, ich bitte Euch, und trennen wir uns.««

»Mein Herr, mein Herr!« rief der König, purpurroth vor Zorn.

»Ah! Sire,« entgegnete der Officier, einen Augenblick das Knie beugend, »nie war ein Diener ehrfurchtsvoller, als ich es vor Eurer Majestät bin; nur habt Ihr mir die Wahrheit zu sprechen befohlen. Und nun, da ich sie zu sagen angefangen, muß sie auch zu Tage ausgehen, selbst wenn Ihr mir zu schweigen befehlen würdet.«

Es lag ein solcher Ausdruck von Entschlossenheit in den gefalteten Gesichtsmuskeln des Officiers, daß ihm Ludwig nicht zu sagen brauchte, er könne fortfahren; er fuhr auch fort, während der König ihn mit einer Mischung von Neugierde und Bewunderung anschaute.

»Sire, es sind, wie gesagt, bald fünf und dreißig Jahre, daß ich dem Hause Frankreich diene; wenig Menschen haben in diesem Dienste so viel Degen als ich verbraucht, und die Degen, von denen ich spreche, waren gute Degen, Sire. Ich war ein Kind und unwissend in allen Dingen, mit Ausnahme des Muthes, als der König, Euer Vater, in mir einen Mann errieth. Ich war ein Mann, Sire, als der Cardinal von Richelieu, der sich darauf verstand, in mir einen Feind errieth. Sire, die Geschichte dieser Feindschaft der Ameise und des Löwen hättet Ihr von der ersten bis zur letzten Zeile in den geheimen Archiven Eurer Familie lesen können. Wenn Ihr je Lust bekommt, thut es, Sire; es lohnt sich schon der Mühe bei dieser Geschichte, das sage ich Euch. Ihr werdet darin lesen, daß der Löwe, ermüdet, abgemattet, keuchend, endlich Gnade verlangte und, man muß ihm diese Gerechtigkeit widerfahren lassen, auch begnadigte. Oh! Sire, das war eine schöne Zeit mit Schlachten besät wie eine Epopöe von Tusso oder Ariost! Die Wunder jener Zeit, an welche zu glauben die unsrige sich weigern würde, waren für uns Alltäglichkeiten. Fünf Jahre lang war ich ein Held alle Tage, wenigstens wie mir einige Personen von Verdienst sagten, und, Sire, ein Heldenthum von fünf Jahren ist lang. Ich glaube jedoch an das, was mir diese Leute gesagt haben. Man nannte sie Herr von Richelieu, Herr von Buckingham, Herr von Beaufort, Herr von Retz, auch ein tüchtiges Genie, dieser Mann, beim Straßenkrieg! König Ludwig XIII. endlich und sogar die Königin, Eure erhabene Mutter, welche eines Tags: »»Ich danke! zu mir zusagen die Gnade hatte! Ich weiß nicht mehr, welchen Dienst ich ihr zu leisten so glücklich gewesen war. Verzeiht mir, Sire, daß ich mich so kühn äußere, doch das, was ich Euch erzähle, ist, Geschichte, wie ich schon Eurer Majestät zu sagen die Ehre gehabt habe.«

Der König biß sich auf die Lippen und warf sich heftig in einen Lehnstuhl.

»Ich bin Eurer Majestät beschwerlich,« sprach der Lieutenant. »Ei! Sire, so ist es mit der Wahrheit, es ist eine rauhe Gesellin; sie hat lauter eiserne Stacheln und verwundet den, welchen sie berührt, und zuweilen auch den, welcher sie sagt.«

»Nein, mein Herr,« entgegnete der König, »ich habe Euch aufgefordert zu sprechen, sprecht also.

»Nach dem Dienst des Königs und des Cardinals, kam der Dienst der Regentschaft, Sire. Ich habe mich auch gut bei der Fronde geschlagen; minder gut indessen als das erste Mal.

»Die Menschen singen an kleiner an Gestalt zu werden. Nichtsdestoweniger habe ich die Musketiere Eurer Majestät bei einigen gefährlichen Veranlassungen geführt, welche indessen auf dem Tagesbefehl der Compagnie geblieben sind. Mein Loos war damals ein schönes, ich war der Günstling von Herrn von Mazarin: Lieutenant hier! Lieutenant dort! Lieutenant rechts! Lieutenant links! Es wurde in Frankreich nicht ein Puff ausgetheilt, mit dessen Austheilung man nicht Euren unterthänigen Diener beauftragte; doch bald begnügte sich der Herr Cardinal nicht mehr mit Frankreich; er schickte mich für Rechnung von Herrn Cromwell nach England. Auch ein Herr, der nicht zart war, dafür stehe ich Euch, Sire. Ich habe die Ehre gehabt, ihn kennen zu lernen und vermochte ihn zu würdigen. Man hatte mir viel in Beziehung auf diese Sendung versprochen. Da ich alles Andere that, nur das nicht, womit man mich beauftragt hatte, so wurde ich auch großmüthig belohnt, denn man ernannte mich endlich zum Kapitän der Musketiere, nämlich man verlieh mir die beneidetste Stelle des Hofes, die, welche den Vortritt vor den Marschällen von Frankreich gibt: und das ist Gerechtigkeit, denn wer Kapitän der Musketiere sagt, sagt die Blüthe der Soldaten und der König der Braven!«

»Kapitän, mein Herr?« entgegnete der König, »Ihr irrt Euch, Lieutenant wollt Ihr sagen.«

»Nein, Sire, ich irre mich nie; Eure Majestät verlasse sich in diesem Punkte auf mich: Herr von Mazarin hat mir das Patent gegeben.«

»Nun?«

»Aber Herr von Mazarin, Ihr wißt das besser, als irgend Jemand, gibt nicht oft und nimmt zuweilen wieder, was er gibt; er nahm es mir wieder, als der Friede geschlossen war und er meiner nicht mehr bedurfte. Ich war allerdings nicht würdig, Herrn von Treville, erhabenen Andenkens, zu ersetzen, aber man hatte mir am Ende versprochen, man hatte mir gegeben und mußte dabei bleiben . . . «

»Das ist es, was Euch unzufrieden macht, mein Herr? Wohl! ich werde Erkundigungen einziehen; ich liebe die Gerechtigkeit und Eure Reclamation, obgleich militärisch gemacht, mißfällt mir nicht.«

»Oh! Sire,« erwiederte der Officier, »Eure Majestät hat mich schlecht verstanden; ich reclamire nun nichts mehr.«

»Uebermaß von Zartgefühl, mein Herr; ich werde auf Eure Angelegenheiten mein besonderes Augenmerk haben, und später . . . «

»Oh! Sire, welch ein Wort! später! seit dreißig Jahren lebe ich auf dieses Wort voll Güte, das von so vielen hohen Personen ausgesprochen worden ist, und das nun auch Euer Mund ausspricht. Später! so habe ich zwanzig Wunden bekommen, und so bin ich vierundfünfzig Jahre alt geworden, ohne je einen Louis d’or in meiner Börse zu besitzen und ohne je einen Beschützer auf meinem Wege gefunden zu haben, ich, der ich so viele Leute beschützte! Ich verändere auch die Formel, Sire, und wenn man zu mir sagt: Später, so antworte ich nur: Sogleich. Ich verlange Ruhe, Sire, man kann sie mir wohl bewilligen, denn das wird Niemand etwas kosten.«

»Mein Herr, ich habe diese Sprache nicht erwartet, besonders nicht von Seiten eines Mannes, der stets bei Großen gelebt hat. Ihr vergeßt, daß Ihr mit dem König, daß Ihr mit einem Edelmann sprecht, der, wie ich denke, von so gutem Hause ist, als Ihr, und wenn ich sage später, so ist es eine Gewißheit.«

»Ich zweifle nicht daran, Sire; doch hört das Ende der furchtbaren Wahrheit, die ich Euch zu sagen hatte: sähe ich auf diesem Tische den Marschallsstab, das Schwert des Connetable, die Krone von Polen, so würde ich, das schwöre ich Euch statt später abermals sagen: sogleich. Oh! entschuldigt mich, Sire, ich bin aus dem Lande Eures Großvaters, Heinrich IV.: ich sage nicht oft, aber wenn ich sage, so sage ich Alles.«

»Die Zukunft meiner Regierung reizt Euch wenig, wie es scheint, mein Herr,« sprach Ludwig mit stolzem Tone.

»Vergessenheit, überall Vergessenheit,« rief der Officier voll Adel, »der Herr hat den Diener vergessen, und der Diener ist nun dahin gebracht, daß er den Herrn vergessen muß. Ich lebe in einer unglücklichen Zeit, Sire! ich sehe die Jugend voll Entmuthigung und Furcht, ich sehe sie schüchtern und entblößt, während sie reich und mächtig sein müßte, So öffne ich zum Beispiel gestern Abend die Thüre des Königs von Frankreich einem König von England, dessen Vater ich, der Schwache, beinahe das Leben gerettet hätte, wäre nicht Gott gegen mich gewesen, Gott, der seinen Auserwählten Cromwell inspirirte! Ich öffne, sage ich, diese Thüre, nämlich den Palast eines Bruders einem Bruder, und sehe, hört, Sire, das schnürt mir das Herz zusammen! und sehe den Minister dieses Königs den Geächteten fortjagen und seinen Herrn dadurch demüthigen, daß er einen andern König, seines Gleichen, zum Elend verdammt; ich sehe meinen Fürsten, der jung, schön, brav ist, der den Muth im Herzen und den Blitz in den Augen hat, ich sehe ihn vor einem Priester zittern, der über ihn hinter den Vorhängen seines Alcoven spottet, wo er alles Gold von Frankreich an sich zieht, das er sodann in unbekannten Kisten verschlossen hält. Ja, ich verstehe Euren Blick, Sire. Ich werde keck bis zum Wahnsinn; doch was wollt Ihr! ich bin ein Alter, und ich sage Euch, meinem König, Dinge, die ich demjenigen, welcher sie in meiner Gegenwart ausspräche, in die Kehle zurückstoßen würde. Ihr habt mir auch befohlen, den Grund meines Herzens vor Euch auszuleeren, und ich ergieße zu den Füßen Eurer Majestät die Galle, die ich seit dreißig Jahren angehäuft habe, wie ich all mein Blut vergöße, wenn es mir Eure Majestät befehlen würde.«

Der König wischte, ohne ein Wort zu sagen, den kalten Schweiß ab, der gleichsam in Wellen von seinen Schläfen floß.

Die Minute des Stillschweigens, welche auf diesen heftigen Ausfall folgte, stellte für den, der gesprochen, und für den, der gehört hatte, Jahrhunderte des Leidens dar.

»Mein Herr,« sagte endlich der König, »Ihr habt das Wort Vergessenheit ausgesprochen; ich habe nur dieses Wort gehört und werde also auch nur dieses beantworten. Andere konnten vergeßlich sein, ich bin es nicht, und zum Beweise dient, daß ich mich eines Tags des Aufruhrs, eines Tags erinnere, wo das Volk, wüthend und brüllend wie das Meer, in das Palais-Royal eindrang, eines Tags endlich, wo ich mich stellte, als schliefe ich in meinem Bett, während ein einzelner Mann, mit entblößtem Schwert hinter dem Bettvorhang verborgen, über meinem Leben wachte, bereit, für mich das seinige zu wagen, wie er es zwanzigmal für die Glieder meiner Familie gewagt hatte. Sprecht, hieß der Edelmann, den ich damals nach seinem Namen fragte nicht Herr d’Artagnan?«

»Eure Majestät hat ein gutes Gedächtniß,« erwiderte kalt der Officier.

»Ihr seht, mein Herr,« fuhr der König fort, »Ihr seht, was ich, wenn ich solche Erinnerungen aus der Kindheit habe, im Alter des Verstandes ansammeln kann.«

»Eure Majestät ist von Gott reich ausgestattet worden.« sprach der Officier mit demselben Ton.

»Laßt hören, Herr d’Artagnan,« fuhr Ludwig mit einer fieberhaften Aufregung fort, »werdet Ihr nicht auch so geduldig sein, als ich bin? werdet Ihr nicht thun, was ich thue?«

»Und was thut Ihr, Sire?«

»Ich warte.«

»Eure Majestät kann das, weil sie jung ist; ich, Sire, ich habe keine Zeit, zu warten! das Alter steht vor meiner Thüre und der Tod folgt ihm, bis in den Grund meines Hauses schauend; Eure Majestät beginnt das Leben; sie ist voll von Hoffnung und zukünftigem Glück; aber ich, Sire, ich bin am andern Ende des Horizonts, und wir stehen so fern von einander, daß ich nie Zeit hätte, zu warten, bis Eure Majestät zu mir käme.«

Ludwig ging einmal im Zimmer auf und ab, stets diesen Schweiß abtrocknend, der die Aerzte sehr erschreckt haben mußte, hätten die Aerzte den König in einem solchen Zustand sehen können.

»Es ist gut, mein Herr,« sagte sodann Ludwig XIV. mit stolzem Tone; »Ihr wünscht Euren Abschied? Ihr sollt ihn haben. Ihr bietet mir Eure Entlassung vom Grade eines Lieutenants der Musketiere an?«

»Ich lege sie unterthänig zu den Füßen Eurer Majestät nieder.«

»Das genügt. Ich werde Befehl geben, daß man Euch in Ruhestand versetzt.«

»Ich werde Eurer Majestät tausendfach hierfür verbunden sein.«

»Mein Herr,« sprach der König mit einer gewaltigen Anstrengung gegen sich selbst, »ich glaube, daß Ihr einen guten Herrn verliert.«

»Und ich, Sire, ich weiß es gewiß.«

»Werdet Ihr je einen ähnlichen finden?«

»Oh! Sire, ich weiß wohl, daß Eure Majestät einzig in der Welt ist; ich werde auch fortan bei keinem König der Erde mehr Dienst nehmen und keinen andern Herrn haben, als mich selbst.«

»Ihr sagt es?«

»Ich schwöre es Eurer Majestät.«

»Ich nehme Euch beim Wort, mein Herr.«

D’Artagnan verbeugte sich.

»Und Ihr wißt, daß ich ein gutes Gedächtnis habe,« fügte der König bei.

»Ja, Sire, und dennoch wünschte ich, daß dieses Gedächtnis Eure Majestät zu dieser Stunde verließe, damit sie das Elend vergäße, das ich vor ihren Augen auszubreiten genöthigt gewesen bin. Seine Majestät steht so hoch über den Armen und Kleinen, daß ich Hoffnung habe.«

»Meine Majestät, mein Herr, wird es machen wie die Sonne, welche Alles sieht, Große und Kleine, Reiche und Arme, dem Einen den Glanz, dem Andern die Wärme, Allen das Leben verleihend. Gott befohlen, Herr d’Artagnan; Gott befohlen, Ihr seid frei.«

Und mit einem heiseren Schluchzen, das sich in seiner Kehle verlor, trat der König rasch in das anstoßende Zimmer.

D’Artagnan aber nahm seinen Hut von dem Tisch, auf den er ihn geworfen hatte, und ging hinaus.

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Diese Frage des Königs erklärt sich nur dadurch, daß die Franzosen für Urlaub und Abschied dasselbe Wort haben: congé.

Der Graf von Bragelonne

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