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Erstes und zweites Bändchen
VIII.
Was Keine Majestät König Ludwig XIV. im Alter von zweiundzwanzig Jahren war

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Durch die Erzählung, die wir zu geben versuchten, hat man gesehen, daß der Einzug von König Ludwig XIV. in die Stadt Blois geräuschvoll und glänzend war. Seine junge Majestät schien damit auch sehr zufrieden.

Als er unter die Halle des Schlosses der Stände kam, fand hier der König, umgeben von seinen Wachen und Edelleuten, S. K. H. den Herzog Gaston von Orleans, dessen von Natur majestätische Physiognomie von den feierlichen Umständen einen neuen Schimmer und eine neue Würde angenommen hatte.

Mit ihren großen Ceremoniengewändern geschmückt, erwartete Madame auf einem inneren Balcon den Einzug ihres Neffen. Alle Fenster des alten, an gewöhnlichen Tagen so öden und trübseligen Schlosses glänzten von Damen und Kerzen,

Unter dem Lärmen der Trommeln, der Trompeten und der Vivats überschritt der junge König die Schwelle des Schlosses, in welchem Heinrich III. zweiundsiebzig Jahre früher den Mord und den Verrath zu Hilfe gerufen hatte, um auf seinem Haupte und in seinem Hause eine Krone zu bewahren, welche schon von seiner Stirne glitt, um auf eine andere Familie zu fallen.

Aller Augen, nachdem sie den jungen, so schönen, so reizenden, so edlen König bewundert hatten, suchten den so alten, so bleichen, so gebückten andern König von Frankreich, der ganz anders König war, als der erste, und Cardinal von Mazarin genannt wurde.

Ludwig war damals ausgestattet mit allen natürlichen Gaben, welche den wahren Edelmann bilden: er hatte ein glänzendes und zugleich sanftes Auge von reinem Azurblau, Doch die geschicktesten Physiognomiker, diese Taucher der Seele, hätten, ihre Blicke darauf heftend, wenn es einem Unterthan gegönnt gewesen wäre, den Blick des Königs auszuhalten, die geschicktesten Physiognomiker, sagen wir, hätten nie den Boden dieses Abgrunds von Sanftmuth finden können. Es war mit den Augen des Königs, wie mit der unermeßlichen Tiefe des blauen Himmelsgewölbes, oder mit dem noch furchtbareren und beinahe ebenso erhabenen Azur, den das Mittelländische Meer unter dem Kiel seiner Schisse an einem schönen Sommertag öffnet, ein riesiger Spiegel, auf dem der Himmel bald seine Gestirne, bald seine Stürme wiederstrahlen zu lassen liebt.

Der König war von kleinem Wuchs; er maß kaum fünf Fuß zwei Zoll; doch seine Jugend entschuldigte diesen Fehler, der überdies durch einen großen Adel aller seiner Bewegungen und durch eine gewisse Gewandtheit in den Leibesübungen ausgeglichen wurde.

Es war in der That schon der König, und es war viel, König zu sein in jener Zeit traditioneller Ehrfurcht und Ergebenheit; doch da man ihn bis dahin dem Volk ziemlich wenig und stets ziemlich armselig gezeigt hatte, da diejenigen, welchen man ihn zeigte, bei ihm seine Mutter, eine Frau von hoher Gestalt, und den Herrn Cardinal, einen Mann von schöner Stattlichkeit, sahen, so fanden ihn Viele wenig genug König, um zu sagen: Der König ist minder groß als der Herr Cardinal.

Wie es auch mit diesen auf den Körper bezüglichen Bemerkungen sein mag, die man besonders in der Hauptstadt machte, der junge Prinz wurde wie ein Gott von den Einwohnern von Blois und beinahe wie ein König von seinem Oheim und seiner Tante, Monsieur und Madame, den Bewohnern des Schlosses, empfangen.

Es ist jedoch nicht zu leugnen, als er im Empfangssaal Fauteuils von gleicher Größe für sich, seine Mutter, den Cardinal, seine Tante und seinen Oheim sah, eine geschickt durch die Halbkreisform der Versammlung verborgene Anordnung, da erröthete Ludwig XlV. vor Zorn und schaute umher, um sich durch die Physignomie der Anwesenden zu versichern, ob man ihm diese Demüthigung absichtlich bereitet habe. Da er jedoch nichts auf dem unempfindlichen Gesicht des Cardinals, nichts auf dem seiner Mutter, nichts auf dem der übrigen Anwesenden sah, so fügte er sich und nahm Platz, dabei indessen besorgt, sich vor aller Welt zu setzen.

Die Edelleute und die Damen wurden Ihren Majestäten und dem Herrn Cardinal vorgestellt.

Der König bemerkte, daß seine Mutter und er selten den Namen derjenigen kannten, welche man ihnen vorstellte, während, der Cardinal im Gegentheil nie verfehlte, mit einem vortrefflichen Gedächtniß und einer bewunderungswürdigen Geistesgegenwart mit jedem von seinen Gütern, von seinen Voreltern oder seinen Kindern zu sprechen, von denen er ihnen einige nannte, was diese würdigen Dorfjunker entzückte und in dem Gedanken bestätigte, derjenige sei allein und wahrhaft König, welcher seine Unterthanen kenne, aus demselben Grunde, aus dem die Sonne keine Nebenbuhlerin habe, weil die Sonne allein erwärme und erleuchte.

Seit langer Zeit begonnen, obgleich man dies nicht vermuthete, nahm also das Studium des jungen Königs seinen Fortgang, und er betrachtete aufmerksam, um wo möglich irgend etwas in ihrer Physiognomie auszuscheiden, die Gesichter, die ihm Anfangs unbedeutend und trivial vorgekommen waren.

Man servirte einen Imbiß. Ohne daß er es wagte, die Gastfreundschaft seines Oheims anzusprechen, erwartete ihn der König voll Ungeduld. Auch diesmal wurde ihm alle, wenn nicht seinem Rang, doch wenigstens seinem Appetit gebührende Ehre zu Theil.

Der Cardinal begnügte sich, mit seinen verwelkten Lippen ein Bouillon zu berühren, das man ihm in einer goldenen Tasse anbot. Der allmächtige Minister, der der Königin Mutter ihre Regentschaft, dem König sein Königthum genommen hatte, war nicht im Stande gewesen, der Natur einen guten Magen zu nehmen.

Anna von Oesterreich, welche schon am Krebs litt, Woran sie sechs oder acht Jahre später sterben mußte, aß kaum mehr als der Cardinal.

Monsieur, der noch ganz verwirrt und verblüfft von dem Ereigniß war, das in seinem Provinzleben in Erfüllung ging, aß gar nichts.

Madame allein hielt, als wahre Lothringerin, Seiner Majestät Stand, so daß Ludwig XIV., der ohne diese Partnerin gleichsam allein gegessen hätte, seiner Tante zuerst und sodann Herrn von Saint-Remy, ihrem Oberhofmeister, der sich wirklich ausgezeichnet hatte, großen Dank wußte.

Als der Imbiß vorüber war, erhob sich auf ein Zeichen der Billigung von Herrn von Mazarin der König und fing an, in Folge einer Einladung seiner Tante, die Reihen der Versammlung zu durchwandern.

Die Damen bemerkten nun, – es gibt gewisse Dinge, für welche die Damen eben so gute Beobachterinnen in Blois, als in Paris sind, – die Damen bemerkten nun, Ludwig XlV. habe einen raschen und kühnen Blick, was den Reizen von einem guten Gehalt einen ausgezeichneten Würdiger versprach. Die Männer ihrerseits bemerkten, der Prinz sei stolz und hochmüthig, er liebe es, die Augen sich senken zu machen, die ihn zu lang und zu fest anschauten, was einen strengen Herrn zu weissagen schien.

Ludwig XlV. hatte ungefähr den dritten Theil seiner Revue vollendet, als seine Ohren ein Wort traf, das Seine Eminenz aussprach, welche sich mit Monsieur unterhielt.

Dieses Wort war ein Frauenname.

Kaum hatte Ludwig XIV. dieses Wort vernommen, als er nichts Anderes mehr hörte und, den Bogen des Kreises, der seinen Besuch erwartete, vernachlässigend, nur bemüht war, so rasch als möglich das Ende der krummen Linie zu expediren.

Als guter Höfling erkundigte sich Monsieur bei Seiner Eminenz nach der Gesundheit ihrer Nichten. Es waren in der That fünf bis sechs Jahre früher drei Nichten aus Italien bei dem Cardinal angekommen: die Fräulein Hortensia, Olympia und Maria von Mancini.

Monsieur erkundigte sich also nach der Gesundheit der Nichten des Cardinals; er bedaure, sagte er, nicht die Ehre zu haben, sie zugleich mit ihrem Oheim zu empfangen; gewiß haben sie an Schönheit und Anmuth zugenommen, wie sie dies zu thun versprochen, als Monsieur sie zum letzten Mal gesehen.

Was dem König Anfangs auffiel, war ein gewisser Contrast in der Stimme der zwei Redenden. Die Stimme von Monsieur war ruhig und natürlich, als er so sprach, während die von Herrn von Mazarin, wenn er ihm antwortete, um anderthalb Töne unter seine gewöhnliche Stimmlage sank.

Es war, als wünschte er, daß diese Stimme am Ende des Saals ein Ohr träfe, das sich zu sehr entfernte.

»Monseigneur,« erwiederte er, »die Fräulein von Mancini haben noch eine ganze Erziehung zu vollenden, Pflichten zu erfüllen, eine Stellung zu erlernen. Der Aufenthalt an einem jungen und glänzenden Hof zerstreut sie ein wenig.«

Bei diesem letzten Beiwort lächelte Ludwig traurig. Wohl war der Hof jung, doch der Geiz des Cardinals hatte es so eingerichtet, daß sich nichts von Glanz bemerkbar machte.

»Doch Ihr habt nicht die Absicht, sie in ein Kloster zu bringen oder zu Bürgerinnen zu machen?« entgegnete Monsieur.

»Keines Wegs,« erwiederte der Cardinal, indem er seine italienische Aussprache so bezwang, daß sie von sanft und sammetartig, wie sie war, scharf und vibrirend wurde; »keines Wegs. Ich habe ganz einfach die Absicht, sie zu verheirathen, und zwar so gut, als nur immer möglich.«

»Es wird nicht an Partien fehlen, Herr Cardinal,« sagte Monsieur mit der Treuherzigkeit eines Handelsmanns, der seinem Zunftgenossen Glück wünscht.

»Ich hoffe, Monseigneur, um so mehr, als Gott ihnen zugleich die Anmuth, die Weisheit und die Schönheit gegeben hat.«

Während dieses Gespräches vollendete, wie gesagt, Ludwig XlV., geführt von Madame, den Kreis der Vorstellungen.

»Mademoiselle Arnoulx,« sagte die Prinzessin, Seiner Majestät eine große Blonde von zweiundzwanzig Jahren vorstellend, die man bei einem ländlichen Feste für eine Bäuerin im Sonntagsstaate hätte halten können, »Mademoiselle Arnoulx, die Tochter meiner Musiklehrerin.«

Der König lächelte. Madame hatte nie vier Noten richtig auf der Violine oder auf dem Clavier hervorbringen können.

»Mademoiselle Aure von Montalais,« fuhr Madame fort, »ein Mädchen von Stand und eine vortreffliche Dienerin.«

Diesmal war es nicht mehr der König, der lachte, sondern es war die Vorgestellte, weil sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben von Madame, die sie gewöhnlich durchaus nicht verdarb, auf eine so ehrenvolle Weise bezeichnen hörte.

Montalais, unsere alte Bekanntin, machte auch Seiner Majestät eine tiefe Verbeugung, und dies sowohl aus Ehrfurcht, als aus Noth , denn es handelte sich darum, gewisse Zusammenziehungen ihrer lachenden Lippen zu verbergen, welche der König wohl nicht ihrem wahren Beweggrund hätte zuschreiben können.

Gerade in diesem Augenblick geschah es, daß der König das Wort hörte, das ihn beben machte.

»Und die dritte heißt?« fragte Monsieur.

»Marie, Monseigneur,« antwortete der Cardinal.

Ohne Zweifel lag in diesem Wort eine Zauberkraft, denn der König bebte, wie gesagt, als er es hörte; er zog Madame gegen die Mitte des Kreises, als wollte er irgend eine vertrauliche Frage an sie richten, in Wirklichkeit aber, um sich dem Cardinal zu nähern, und sagte hier lachend und mit halber Stimme:

»Frau Tante, mein Lehrer in der Geographie hat mich nicht davon unterrichtet, daß Blois so wunderbar weit von Paris entfernt ist.«

»Wie so, mein Neffe?« fragte Madame.

»Es scheint in der That, die Moden brauchen mehrere Jahre, um diesen Raum zu durchdringen. Seht doch die Fräulein an!«

»Ich kenne sie.«

»Einige sind hübsch.«

»Sagt das nicht so laut, Herr Neffe, Ihr werdet sie verrückt machen.«

»Wartet, wartet, meine liebe Tante,« erwiederte der König lächelnd, »der zweite Theil meines Satzes muß den ersten verbessern. Nun! meine liebe Tante, Einige scheinen alt und Andere scheinen häßlich zu sein durch ihre zehnjährigen Moden.«

»Aber, Sire, Blois ist nur fünf Tagereisen von Paris entfernt.«

»Ei!« sagte der König, »das ist es, zwei Jahre Aufenthalt im Tag.«

»Ah! wahrhaftig, Ihr findet? Das ist seltsam, ich bemerke es nicht.«

»Seht, meine Tante,« fuhr Ludwig XIV. fort, indem er sich immer mehr Mazarin näherte, unter dem Vorwand, seinen Gesichtspunkt zu wählen, »schaut neben diesem gealterten Plunder, neben diesen anmaßenden Frisuren dieses einfache weiße Kleid an. Es ist ohne Zweifel eines von den Ehrenfräulein meiner Mutter, obgleich ich es nicht kenne. Seht diese einfache Tournüre, diese anmuthige Haltung! Das lasse ich mir gefallen! das ist eine Frau, während alle die Andern nur Kleider sind.«

»Mein lieber Neffe,« entgegnete Madame lachend, »diesmal hat Euch Eure Wahrsagekunst getäuscht. Die Person, welche Ihr so lobt, ist keine Pariserin, sondern eine Blaisoise.«

»Ah! meine Tante!« rief der König mit einer Miene des Zweifels.

»Nähert Euch, Louise,« sprach Madame.

Und das Mädchen, das uns schon unter diesem Namen erschienen ist, näherte sich schüchtern, erröthend und beinahe gebeugt unter dem königlichen Blick.

»Mademoiselle Louise Fransoise de la Beaume-Leblanc, Tochter des Marquis de La Vallière,« sprach Madame mit ceremoniösem Tone zum König.

Und die Vorgestellte verbeugte sich mit so viel Anmuth unter der tiefen Schüchternheit, die ihr die Gegenwart des Königs einflößte, daß dieser, sie anschauend, einige Worte des Gesprächs von Monsieur und dem Cardinal verlor.

»Stieftochter,« fuhr Madame fort, »von Herrn von Saint-Remy, der bei der Bereitung des vortrefflichen getrüffelten Truthahns, den Eure Majestät so sehr lobte, präsidirte.«

Es gab keine Anmuth, keine Schönheit, keine Jugend, die einer solchen Vorstellung widerstehen konnte. Der König lächelte. Mochten die Worte von Madame ein Scherz oder eine Naivetät sein, es war jedenfalls die unbarmherzige Aufopferung Alles dessen, was Ludwig reizend und poetisch an dem Mädchen gefunden hatte.

Fräulein de la Vallière war für Madame und durch den Gegenschlag für den König im Augenblick nur die Stieftochter eines Mannes, der ein erhabenes Talent für getrüffelte wälsche Hühner besaß.

Doch die Fürsten sind einmal so beschaffen. Die Götter waren auch so im Olymp. Diana und Venus mußten wohl die schöne Alkmene und die arme Jo mißhandeln, wenn man sich aus Zerstreuung herabließ, zwischen Nektar und Ambrosia von den sterblichen Schönheiten bei der Tafel von Jupiter zu sprechen.

Zum Glück War Louise so tief gebückt, daß sie die Worte von Madame nicht hörte, daß sie das Lächeln des Königs nicht sah. Wenn dieses arme Kind, das genug guten Geschmack besaß, um allein unter allen seinen Gefährtinnen auf den Einfall zu kommen, sich weiß zu kleiden, wenn dieses für alle Schmerzen so leicht Zugängliche Herz von den grausamen Worten von Madame, von dem selbstsüchtigen und kalten Lächeln des Königs berührt worden wäre, die Unglückliche würde auf der Stelle gestorben sein.

Und Montalais selbst, das Mädchen mit den geistreichen Ideen, hätte es nicht versucht, sie zum Leben zurückzurufen, denn die Lächerlichkeit tödtet Alles, selbst die Schönheit.

Doch Louise, der die Ohren summten, deren Augen verschleiert waren, hörte, wie gesagt, zum Glück nichts, sah nichts, und der König, dessen Aufmerksamkeit beständig auf die Unterhaltung des Cardinals mit seinem Oheim gerichtet war, beeilte sich, zu diesen zurückzukehren.

Er kam gerade in dem Augenblick, wo Mazarin mit den Worten endigte:

»Marie reist mit ihren Schwestern in dieser Stunde nach Brouage ab. Ich lasse sie dem User der Loire folgen, das dem entgegengesetzt ist, welchem wir folgen, und wenn ich ihre Reise gut berechne, so werden sie nach den Befehlen, die ich gegeben habe, morgen auf der Höhe voll Blois sein.«

Diese Worte wurden mit dem Takt, der Maßhaltung, der Sicherheit rücksichtlich des Tons, der Absicht und des Gewichts gesprochen, welche del Signor Giulio Mazarini den ersten Komödianten der Welt machten.

Folge hiervon war, daß sie gerade in das Herz von Ludwig XlV. trafen, und daß der Cardinal, als er sich auf das einfache Geräusch der Tritte Seiner Majestät, welche sich eben näherte, umwandte, auf dem Antlitz seines Zöglings die unmittelbare Wirkung wahrnahm, die eine einfache Röthe den Augen Seiner Eminenz verrieth. Was war es aber auch, ein so einfaches Geheimniß zu ergründen, für denjenigen, dessen Schlauheit seit zwanzig Jahren alle Diplomaten Europas überlistet hatte?

Es schien von nun an, sobald er diese letzten Worte gehört, als hätte der König einen vergifteten Pfeil ins Herz bekommen. Er hielt es nicht mehr am Platze aus, er ließ einen unsichern, todten Blick auf dieser ganzen Versammlung umherschweifen. Er befragte mehr als zwanzigmal mit dem Auge die Königin Mutter, die sich dem Vergnügen der Unterhaltung mit ihrer Schwägerin hingab und überdies, durch den Blick von Mazarin zurückgehalten, die in den Mienen ihres Sohnes enthaltenen Bitten nicht zu verstehen schien.

Von diesem Augenblick an wurde Alles, Musik, Blumen, Lichter, Schönheiten, verhaßt und albern für Ludwig XIV. Nachdem er sich hundertmal auf die Lippen gebissen, seine Arme und seine Beine gereckt hatte, wie das wohlerzogene Kind, das, weil es nicht zu gähnen wagt, alle Arten, seine Langweile kundzugeben, erschöpft; nachdem er abermals vergebens Mutter und Minister angefleht hatte, wandte er ein verzweifeltes Auge nach der Thüre, das heißt nach der Freiheit.

An dieser Thüre sah er, umrahmt von der Vertiefung, an die sie sich anlehnte, kräftig hervortretend, eine stolze Gestalt mit braunem Gesicht, einer Adlernase, einem harten, aber funkelnden Auge, grauen, langen Haaren und schwarzem Schnurrbart, einen wahren Typus militärischer Schönheit, dessen Ringkragen, mehr funkelnd als ein Spiegel, alle Lichtstrahlen, die sich auf ihm concentrirten, brach und in Blitzen, zurücksandte. Dieser Officier hatte einen grauen Hut mit rother Feder auf dem Kopf, ein Beweis, daß er im Dienst hierher berufen war, und nicht für sein Vergnügen: wäre er für sein Vergnügen erschienen, wäre er Höfling gewesen, statt Soldat zu sein, so hätte er, da man sein Vergnügen immer um einen gewissen Preis bezahlen muß, seinen Hut in der Hand gehabt.

Was noch mehr bewies, daß dieser Officier im Dienst war und eine Aufgabe, an die er gewöhnt, erfüllte, ist der Umstand, daß er mit gekreuzten Armen, mit einer merkwürdigen Gleichgültigkeit und einer erhabenen Apathie die Freuden und die Langweile dieses Festes überwachte. Er schien besonders wie ein Philosoph – alle alte Soldaten sind Philosophen – unendlich viel besser die Langweile, als die Freuden zu verstehen; doch die eine nahm er hin, während er der anderen gar wohl zu entbehren wußte.

Er lehnte also, wie gesagt, am geschnitzten Simswerk der Thüre, als die traurigen und müden Augen des Königs zufällig den seinigen begegneten.

Es war, wie es scheint, nicht das erste Mal, daß die Augen des Officiers diesen Augen begegneten, und er kannte aus dem Grund den Styl und den Gedanken derselben, denn sobald er seinen Blick auf die Physiognomie des Königs geheftet und durch die Physiognomie gelesen hatte, was in seinem Herzen vorging, nämlich welcher Berg er, welcher Ueberdruß es bedrückte, wie der schüchterne Entschluß, wegzugehen, sich in der Tiefe dieses Herzens regte, begriff er, man müsse dem König einen Dienst leisten, ohne daß er es verlange, ihm einen Dienst leisten beinahe wider seinen Willen, und er rief kühn, als ob er die Cavalerie an einem Schlachttage befehligte, mit schallender Stimme:

»Der Dienst des Königs!«

Bei diesen Worten, welche die Wirkung des Donners machten, der mit seinem Tosen Orchester, Gesänge, Rauschen und Summen der Spaziergänger übertäubte, schauten der Cardinal und die Königin Mutter mit Erstaunen Seine Majestät an.

Bleich, aber entschlossen, unterstützt durch die Anschauung seines eigenen Gedankens, den er im Geist des Officiers der Musketiere wiedergefunden hatte, was ihm durch den Befehl, den dieser gab, sich geoffenbart, erhob sich Ludwig XIV. von seinem Fauteuil und machte einen Schritt gegen die Thüre.

»Ihr geht, mein Sohn?« fragte die Königin, während Mazarin sich begnügte, mit seinem Blick zu fragen, der sanft hätte scheinen können, wäre er nicht so durchdringend gewesen.

»Ja, Madame, ich fühle mich ermüdet und möchte überdies gern diesen Abend schreiben.«

Ein Lächeln schwebte über die Lippen des Ministers, der den König mit einem Zeichen des Kopfes zu entlassen schien.

Monsieur und Madame beeilten sich, den Officianten Befehle zu geben.

Der König verbeugte sich, durchschritt den Saal

An der Thüre erwartete den König ein Spalier von zwanzig Musketieren.

Am Ende dieses Spaliers stand der unempfindliche Officier, sein bloßes Schwert in der Hand.

Der König ging vorüber und die ganze Menge erhob sich auf die Fußspitzen, um ihn noch einmal zu sehen.

Zehn Musketiere, welche die Menge in dem Vorzimmer und auf den Stufen trennten, machten dem König Platz.

Die zehn andern umschloßen den König und Monsieur, der Seine Majestät hatte begleiten wollen.

Die Leute vom Dienst kamen hinten.

Dieser kleine Cortége begleitete den König bis zu den für Ihn bestimmten Gemächern.

Es waren dieselben, welche König Heinrich III. während seines Aufenthalts bei den Ständen bewohnt hatte.

Monsieur hatte seine Befehle gegeben. Die Musketiere begaben sich, geführt von ihrem Officier, in den kleinen Gang, der parallel von einem Flügel des Schlosses mit dem andern in Verbindung steht.

Dieser Gang bestand Anfangs aus einem kleinen viereckigen Vorzimmer, das selbst an schönen Tagen düster war.

Monsieur hielt Ludwig XIV. auf.

»Sire,« sagte er, »Ihr seid auf der Stelle, wo der Herzog von Guise den ersten Dolchstoß erhielt.«

Sehr unwissend in geschichtlichen Dingen, kannte der König zwar die Thatsache, ohne aber entfernt mit den Oertlichkeiten oder den einzelnen Umständen vertraut zu sein.

»Ah!« machte er schaudernd.

Und er blieb stehen.

Jedermann blieb vor und hinter ihm stehen.

»Sire,« fuhr Gaston fort, »der Herzog war ungefähr, wo ich bin; er ging in der Richtung, in der Eure Majestät geht; Herr von Loignes war an dem Ort, wo in diesem Augenblick Euer Lieutenant der Musketiere steht, Herr von Sainte-Maline und die Leute Seiner Majestät waren hinter ihm und um ihn. Hier wurde er getroffen.«

Der König wandte sich nach seinem Officier um und sah etwas wie eine Wolke über sein martialisches, kühnes Gesicht hinziehen.

»Ja, von hinten,« murmelte der Lieutenant mit einer Geberde erhabener Verachtung.

Und er suchte sich wieder in Marsch zu setzen, als ob es ihm unbehaglich zwischen diesen einst vom Verrath heimgesuchten Mauern gewesen wäre.

Doch der König, dem es wohl ganz genehm war, etwas zu erfahren, schien geneigt, diesem unseligen Ort noch einen Blick zu schenken.

Gaston begriff den Wunsch seines Neffen.

»Seht, Sire,« sagte er, indem er eine Kerze aus den Händen von Herrn von Saint-Remy nahm, »hier ist er gefallen. Es stand hier ein Bett, dessen Vorhänge er zerriß, da er sich daran halten wollte.«

»Warum scheint der Boden an dieser Stelle ausgehöhlt?« fragte Ludwig.

»Weil auf diese Stelle das Blut floß.« antwortete Gaston; »das Blut drang tief in das Eichenholz, und nur durch Aushöhlung gelang es, dasselbe verschwinden zu machen. Und,« fügte Gaston bei, indem er sein Licht dem bezeichneten Orte näherte, »und dabei widerstand noch diese röthliche Tinte allen Versuchen, die man machte, um sie zu tilgen.«

Ludwig XIV. erhob die Stirne. Vielleicht dachte er an die blutige Spur, die man ihm eines Tags im Louvre gezeigt hatte, und die, ein Seitenstück zu der in Blois, von dem König, seinem Vater, einst mit dem Blut von Cancini gemacht worden war.

»Vorwärts!« sagte er.

Man schritt sogleich weiter; denn die Erschütterung hatte ohne Zweifel der Stimme des jungen Prinzen einen befehlenden Ton gegeben, den man nicht bei ihm gewohnt war.

Als man bei der für den König bestimmten Wohnung ankam, zu der man nicht nur durch den Gang, dem wir gefolgt, sondern auch durch eine große, nach dem Hofe gehende Treppe gelangte, sagte Gaston:

»Wolle Eure Majestät diese Wohnung, so unwürdig sie ist, Euch zu beherbergen, Sire, gnädigst annehmen.«

»Mein Oheim,« erwiederte der junge Prinz, »ich danke Euch für Eure herzliche Gastfreundschaft.«

Gaston verbeugte sich vor seinem Neffen, der ihn umarmte, und entfernte sich.

Von den zwanzig Musketieren, die den König begleitet hatten, führten zehn Monsieur bis zu den Empfangssälen zurück, welche trotz des Abgangs Seiner Majestät nicht leer geworden waren.

Die zehn andern wurden von dem Officier ausgestellt, der selbst in fünf Minuten alle Oertlichkeiten mit dem kalten, sicheren Blick untersuchte, den die Gewohnheit nicht immer gibt, insofern dieser Blick dem Genie gehörte.

Als alle seine Leute aufgestellt waren, wählte er zu seinem Hauptquartier das Vorzimmer, wo er einen Lehnstuhl, eine Lampe, Wein, Wasser und trockenes Brod fand.

Er belebte die Lampe, trank ein halbes Glas Wein, drehte seine Lippen unter einem ausdrucksvollen Lächeln, richtete sich in seinem großen Lehnstuhl ein und traf alle Vorkehrungen, um zu schlafen.

Der Graf von Bragelonne

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