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Was ist die angemessene Bezugsgröße zur Berechnung der Armut?

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In unserer Geschichte im vorigen Kapitel wurde als Bezugsgröße das Dorf gewählt. Häufig liegen arme Dörfer aber direkt neben reichen Dörfern oder Städten. Wenn jemand als angestellter Lehrer 3000 Euro verdient, aber in so einem reichen Ort wohnt, dass er statistisch als arm gilt, bräuchte er nur in einen armen Nachbarort ziehen, und schon wäre er wie durch Zauberhand reich.

Nimmt man hingegen radikal die ganze Welt als Bezug, wären alle Deutschen steinreich, selbst wenn sie mit 500 Euro im Monat auskommen müssten.

Man muss aber dann natürlich sehen, dass die Lebenshaltungskosten in Deutschland hoch sind, so dass man mit 500 Euro nicht weit kommen kann, während etwa in Kuba viele Dinge billig sind und jemand mit 500 Euro im Monat Rente dort als reicher Ausländer leben könnte.

Sollte man dann als Kompromiss das Land zur Bezugsgröße wählen? Zunächst einmal wäre die Frage: Was ist das Land? Das Bundesland oder der Staat?

Innerhalb eines Staates und sogar eines Bundeslandes kann das Einkommen aber sehr variieren. In Brasilien, zum Beispiel, gibt es sehr arme Gegenden, in denen man mit 300 Euro Monatseinkommen bequem leben kann. Auf der anderen Seite gibt es die Hauptstadt Brasilia, in der alle Gehälter vielfach höher als anderswo sind, aber auch die Mieten an europäische Großstädte erinnern, so dass man selbst mit 1000 Euro nicht weit kommt. Würde man das ganze Land Brasilien zur Bemessungsgröße machen, wären fast alle Einwohner Brasilias reich, selbst wenn manche kaum über die Runden kommen. Wer in Brasilia arm ist, könnte in den anderen Landesteilen als reich gelten, sofern er dort dasselbe Einkommen erzielen würde.

Solche Unterschiede gibt es sogar auch innerhalb einer einzigen Stadt. Viele Städte haben luxuriöse Viertel für Reiche und Slums für Arme. Selbst in Deutschland gibt es arme und reiche Stadtviertel.

So kann ein junger Rechtsanwalt während der Ausbildung und am Anfang seiner Karriere vielleicht nur in einer Sozialwohnung in einer preisgünstigen Wohngegend seiner Stadt wohnen. Mit der Zeit verbessert sich sein Einkommen, und er gehört bald zu den Reichen in seinem Stadtteil. Eines Tages sterben seine Eltern, angesehene Richter, und der Mann erbt die elterliche Villa in einer vornehmen Wohngegend. Wie groß ist aber seine Enttäuschung, als er feststellen muss, dass die Villen in seiner Straße und Gegend fast alle von Unternehmern bewohnt werden, die weitaus mehr verdienen als er, so dass er sich nun wohl als arm ansehen muss.

Ohnehin müsste man auch definieren, ob die Meldeadresse oder der tatsächliche Aufenthalt zur Berechnung der Armut gelten soll. Wenn jemand in einem relativ armen brandenburger Dorf gemeldet ist, aber zwecks Studiums in Berlin wohnt und 2000 Euro monatlich zur Verfügung hat, ist er dann arm oder reich oder beides zugleich?

Man sieht, egal ob man eine Straße, ein Stadtviertel, eine Stadt, das Bundesland, den Staat oder die ganze Welt zur Bemessungsgrundlage macht, immer kann es zu Ergebnissen kommen, die der wahren Situation nicht entsprechen und Armut oder Reichtum nur vortäuschen.

Die erfundene Armut

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