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Gefühlte Armut

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Wer sich arm fühlt, obwohl sein Einkommen eigentlich gar nicht so gering ist, er aber in einer Gegend wohnt, in der er von noch reicheren Menschen umgeben ist, ist oft ein Opfer von Neid und anderen Gefühlen, die die Freude am Leben verderben können.

Wie sehr die Gefühle die objektiven Tatsachen verändern können, hat bereits die Geschichte von dem Hotelier gezeigt, der auf einer kleinen Insel ein Hotel baute und damit scheinbar alle anderen bitterarm machte. Wie wichtig die Gefühle dabei sind, auch unabhängig von den verzerrenden Eigentümlichkeiten von Statistiken, zeigt folgende Geschichte:

In einer Ortschaft lebten zwei kleine Handwerker, ein Maurer und ein Zimmermann. Beide besaßen ein kleines Häuschen, dessen Raten sie mühselig abstotterten.

Eines Tages lag der Vater des Zimmermanns im Sterben, und er rief seinen Sohn zu sich und sagte ihm: „Im Garten unseres Hauses liegt ein Schatz aus dem Weltkrieg vergraben. Mein Vater hat ihn nach dem Abzug der Nazis gefunden und aufbewahrt. Nie hat sich ein Eigentümer gemeldet. Ich habe ihn immer aufbewahrt, falls wir einmal in Not geraten sollten. Nun, da ich sterbe, verrate ich dir das Geheimnis. Hüte den Schatz gut und gib ihn nur aus, wenn es mal wirklich wichtig wird.“

Als der Vater tot war, grub der Zimmermann den Schatz aus und stellte fest, dass er mehr als eine Million Euro wert war. Da er nicht wollte, dass seine Verwandten und Freunde erführen, dass er nun reich sei, und ihn mit Bitten um Geld nerven, grub er den Schatz wieder ein. Er beschloss, die Raten für das Haus wie bisher abzustottern und den Schatz nur in einem wirklich wichtigen Fall oder Notfall anzurühren.

Aber auch ohne dass er das Geld benutzte, machte der Schatz sein Leben viel besser, denn er wusste ja nun, dass er in Wirklichkeit sehr reich war und keine Angst mehr vor der Zukunft zu haben brauchte und konnte daher gelassen und ohne Angst vor plötzlicher Armut durch Erwerbslosigkeit, Krankheit oder Unfall in die Zukunft blicken.

Er wusste indes nicht, dass jemand ihn bei der Grabung beobachtet hatte, und zwar der jugendliche Sohn des Maurers. Dieser war drogensüchtig und nutzte die einmalige Chance, kletterte nachts über den Zaun, grub den Schatz aus, verschloss das Loch, hinterließ alles ansonsten so wie vorher und flüchtete mit dem Schatz.

Da er kein besseres Versteck wusste, vergrub er ihn erst einmal im Garten seiner Eltern, lediglich zwei Goldmünzen entnahm er, um Drogen kaufen zu können.

Am nächsten Tag kaufte er bei einem Dealer eine große Portion Drogen. Der Dealer wunderte sich über die Goldmünzen und wollte wissen, woher sie stammten. Der Jugendliche erzählte von einem Schatz, aber um das Versteck nicht zu gefährden, verdrehte er die Tatsachen und sagte, der Schatz sei im Garten des Bürgermeisters vergraben. Der Dealer fragte nach, und als die ersten Unstimmigkeiten zu Tage kamen, erschoss er den Jugendlichen zur Abschreckung für andere, die es wagen sollten, einen Dealer zu belügen.

So wusste niemand von dem Versteck des Schatzes. Der Vater des Jugendlichen wurde bald Rentner und starb ziemlich verbittert, da er unglücklich darüber war, dass andere zu Wohlstand gekommen waren, während er als ehrlicher kleiner Maurer den Gürtel so eng schnallen musste. Da er nicht wusste, dass er einen Schatz im Garten besaß, wähnte er sich arm.

Anders hingegen der Zimmermann. Er hielt mit seinem Geld Haus und hatte niemals den Schatz gebraucht, daher hatte er nicht bemerkt, dass er längst nicht mehr in seinem Besitz war. Er glaubte all die Jahre, dass er reich sei und starb glücklich und zufrieden, obwohl er in Wirklichkeit genauso wenig Geld wie der Maurer ausgeben konnte.

Diese Geschichte ist ein besonders krasses Beispiel, das zeigt, dass es oft reicht, lediglich zu glauben, dass man reich sei. Beispiele dafür, dass die Gefühle schwerer wiegen als die nackten Tatsachen, finden sich viele in der Geschichte der Menschheit.

Nehmen wir zum Beispiel die Apartheid, die Rassentrennung, die Vermischung verhindern sollte und daher die Rassen in Schulen und anderen Orten trennte, wobei die Einrichtungen regelmäßig für die herrschende Rasse deutlicher besser waren. Besonders in Südafrika und Rhodesien wurden früher die Schwarzen, die zwar die Mehrheit stellten, aber von Weißen regiert wurden, anders als die Weißen behandelt. Sie verdienten meistens weniger, durften nicht auf denselben Sitzplätzen wie die Weißen im Bus, auf Parkbänken usw. sitzen, hatten schlechtere Schulen und viele andere Nachteile. Sie waren natürlich sehr aufgebracht darüber und mit der Zeit protestierten sie immer lautstärker und auch gewaltsamer. Konfrontiert mit zusätzlichen Schwierigkeiten durch internationalen Druck gaben die Weißen ihre Vorherrschaft schließlich auf und bei freien Wahlen errangen die schwarzen Parteien die Herrschaft.

Besonders in Rhodesien führte das allerdings zu neuen Ungerechtigkeiten, Korruption, Unterdrückung, Gewalt und großer Armut, allerdings gleichermaßen unter den Schwarzen wie den Weißen. Den allermeisten Schwarzen ging es bald wesentlich schlechter als zuvor unter der weißen Herrschaft, während die Weißen größtenteils auswanderten.

Würde man die Schwarzen, die beides erlebt haben, nämlich die totale Armut, die bis heute andauert, und das etwas bessere Leben unter den Weißen, an dem sie sich aber nicht freuen konnten, da sie sahen, wie die Weißen ungerechterweise viel mehr besaßen, fragen, ob sie lieber wieder in der Apartheid leben wollten, würden sie bestimmt mehrheitlich verneinen, denn sie würden lieber arm sein, wenn alle arm sind, als unter Zurücksetzung und Ungerechtigkeit zu leiden.

Apartheid ist natürlich ein krasses Beispiel, denn weder Begabung noch Fleiß noch Charakter können die Rassenschranken niederreißen. Wer heute in Europa arm ist, kann immer hoffen, sein Schicksal zu ändern. Auch ein Schwarzer unter der Apartheid konnte reich werden, auch wenn er es schwerer als die Weißen hatte, aber selbst als Reichem blieben ihm viele Türen verschlossen, er hatte keine politische Gleichberechtigung, er durfte auf bestimmten Bänken nicht sitzen, bestimmte Einrichtungen nicht benutzen usw.

Diese Unzufriedenheit ist wohl leicht nachzuvollziehen. Auch heute noch sind Schwarze unzufrieden, wenn sie weniger als Weiße verdienen, selbst wenn das Gehalt eigentlich ganz gut ist. Das würde auch den Weißen so gehen, wenn es irgendwo umgekehrt wäre. So beklagen weiße Frauen in reichen europäischen Ländern nicht, dass sie generell zu wenig verdienen, aber sie ärgern sich, wenn sie feststellen, dass sie in ihrer Branche weniger als Männer verdienen, wobei auch hier natürlich die Art und Weise, wie die Statistik angelegt wird, das Ergebnis bestimmt und die Unzufriedenheit von bestimmten Gruppen bewusst geschürt wird.

Wenn die Unzufriedenheit erst geschürt wird, wie etwa in der Geschichte von dem Hotelier, der auf einer kleinen Insel mit 20 Bewohnern ein Hotel baut und damit angeblich alle in bittere Armut stürzt, wird den Bewohnern mit der politischen Agitation kein Gefallen getan. Auch viele Populisten, Rechtsradikale und Linke machen die Leute oft aus Eigennutz unzufrieden und verderben ihnen somit die Lebensqualität. Sie wissen, dass Unzufriedene viel eher populistische, rechtsradikale oder linke Politiker wählen. So machen sie Wählerstimmen, und Wählerstimmen bedeuten außer Macht meistens auch Gehälter und andere geldliche Zuwendungen für diese Parteien und ihre Politiker, die aus Spenden und staatlichen Töpfen kommen.

In Ostdeutschland gibt es etliche Menschen, die sich heute schlechter fühlen als zur Zeit des Kommunismus, obwohl ihr Lebensstandard eindeutig deutlich höher ist als damals und sie dazu alle möglichen Freiheiten besitzen. Vielleicht halten sie gerade ein Handy in der Hand und ärgern sich, dass ihr Handy nur 100 Euro wert ist, sie wissen aber, dass andere Menschen, vor allem in den teuren Städten wie München oder Stuttgart, Handys im zehnfachen Wert in der Hand halten.

Man könnte ihnen entgegenhalten: „Wenn es den Kommunismus noch gäbe, hättest du wahrscheinlich gar kein Handy. Vielleicht gäbe es nicht einmal ein Handynetz.“

Er würde aber vielleicht entgegnen: „Na und? Dann hätten wenigstens alle kein Handy.“

Ja, so lernen wir allmählich den Kern des Problems kennen: Es ist besser, wenn niemand ein Handy hat, als wenn ich ein einfaches Handy habe, bei anderen aber ein wesentlich teureres entdecke.

Das Gleiche gilt fürs Auto, den Fernseher, das Haus usw.

Das heißt allerdings auch, dass dieser Mann das alles gar nicht so richtig braucht, denn er könnte sich durchaus vorstellen, ohne diese Dinge zu leben, aber um nicht hinter den anderen zurückzubleiben muss er sie auch haben, und zwar möglichst in der gleichen Luxusausgabe.

Aber ist das noch selbstbestimmtes Leben, wenn mein Wohlbefinden und meine Zufriedenheit davon abhängt, was andere besitzen?

Die erfundene Armut

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