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II. Zwei Interpretationslinien 1. Schwierige, letztlich aber erfolgreiche Demokratiebegründung

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Für die erste Interpretationsrichtung, das Paradigma der Demokratie, stehen insbesondere die Gesamtdarstellungen von Wolfgang Niess, Robert Gerwarth und jene des Autorenduos Keil/Kellerhoff.22 Niess markiert den Fluchtpunkt seiner Argumentation schon im Untertitel seiner Revolutionsgeschichte deutlich: Der wahre Beginn unserer Demokratie. Nach Keil und Kellerhoff könne man die „Bedeutung der demokratischen Revolution von 1918/19 kaum überschätzen“. Daraus leiten sie gleichsam einen – wenngleich ohne Ausrufungszeichen – interpretatorischen Imperativ ab: „Sie verdient statt Verachtung Lob.“23 Auch Robert Gerwarth stimmt grundsätzlich in diesen Tenor ein, indem er Theodor Wolffs berühmtes Wort von der „größten aller Revolutionen“ für den Titel seiner Synthese aufgreift. Er wahrt Abstand gegenüber dem zeitgenössischen Pathos, hält den Umbruch von 1918/19 gleichwohl für bedeutend. Zur Begründung nennt er das hohe politische wie auch ein beachtliches soziales und kulturelles Veränderungspotenzial sowie das im grenzüberschreitenden Vergleich geringe Niveau der Gewalt. Ihre Ausprägung in den Verliererstaaten des Ersten Weltkriegs ist seit vielen Jahren Gerwarths Leitthema.24 Er sensibilisiert dafür, Revolution in modernen Gesellschaften nicht vorrangig über bewaffnete Aufstände und Barrikadenkämpfe im Sinne performativer Akte zu definieren. Eigentlich revolutionär erscheine die Einführung und Durchsetzung neuer politischer Prinzipien sowie erweiterter Partizipations- und Bürgerrechte.25

In diesem Zusammenhang verdiene Friedrich Ebert als zentraler Akteur besondere Anerkennung. An der Spitze einer unerfahrenen Regierung und unter denkbar ungünstigen Ausgangsbedingungen habe er Beachtliches geleistet. Ihm sei das „Kunststück“ geglückt, die „revolutionäre Energie zu kanalisieren“ und Deutschland in eine parlamentarisch-demokratische Ordnung mit einer liberalen Verfassung zu überführen.26 Ebert bevorzugte den Weg der Reform gegenüber einer grundstürzenden Revolution, die ihn Unordnung und Chaos, gar „russische Verhältnisse“ befürchten ließen. Diese waren seit dem Epochenjahr 1917, als die USA in den Krieg eintraten und eine Avantgarde von Berufsrevolutionären in Russland den Bolschewismus an die Macht beförderte, kein Hirngespinst, sondern eine reale Gefahr. Vor diesem Hintergrund interpretiert Gerwarth das oft zitierte Diktum Eberts von der Revolution, die er wie die Sünde hasse, nicht als Ausdruck konservativer Beharrlichkeit, sondern als Ablehnung einer „kommunistischen Revolution“, die auf Gewalt und die Herrschaft einer Minderheit setzte.27

Eine verzerrende Sichtweise sei auch in der These zu erkennen, Ebert habe mit seiner Begrüßung der Frontsoldaten vor dem Brandenburger Tor am 10. Dezember 1918 mit den Worten „kein Feind hat Euch überwunden“ die „Dolchstoßlegende“ befördert. Eberts Worte seien weder von übersteigertem Nationalismus noch von „Realitätsverlust“ bestimmt gewesen, sondern „Ausdruck seines Bemühens, die Veteranen der Armee für das neue Regime zu gewinnen, was verständlich war angesichts der Gefahren, die von der rechtsnationalen Opposition wie von jenen Linken drohten, die radikale Umwälzungen forderten“.28 Schließlich sei es abwegig, in Absprachen zwischen der Übergangsregierung und der Obersten Heeresleitung – in einem Telefonat zwischen Ebert und dem Ersten Generalquartiermeister Wilhelm Groener am 10. November 1918 – einen „faustischen Pakt“ auszumachen. Dieser Vorgang habe vielmehr einer „pragmatische[n] Übereinkunft“ aus beiderseitig nachvollziehbaren Gründen geglichen.29

Keils/Kellerhoffs Lob der Revolution gründet auf ähnlichen Erwägungen zur Mehrheitssozialdemokratie unter Friedrich Ebert. Ohne sein umsichtiges Agieren wäre in ihren Augen die Geburt der Demokratie in Deutschland von vornherein missglückt. Keine der drei Studien, die in das Zentrum ihrer Interpretation die Begründung der parlamentarischen Demokratie stellen, blendet Gewalthandlungen innerhalb der Novemberrevolution aus. Harte Kritik erfährt insbesondere Gustav Noske, der während der blutigen ersten Jahreshälfte 1919 zum Teil mit unverhältnismäßiger Schärfe gehandelt habe. Mit dem Einsatz von Freikorps zur Abwehr der radikal-linken Bedrohung habe er den überwiegend antirevolutionären und republikfeindlichen Charakter dieser Verbände unterschätzt und durch das brutale Vorgehen das Ziel einer nachhaltigen Befriedung letztlich konterkariert.30

Von der Warte des Jahres 1923 aus, als die Weimarer Republik eine verschärfte Krise zu überstehen hatte, bevor eine Phase relativer Stabilität einsetzte, zieht Gerwarth ein Resümee, in dem er nochmals die dominierende Blickrichtung der ersten Interpretationslinie bündelt: „Von einer ‚gescheiterten‘ oder auch nur ‚halbherzigen‘ Revolution zu sprechen, erscheint aus der Perspektive am Ende dieses Jahres unangemessen: Deutschland hatte […] eine demokratisch legitimierte Regierung, eine liberale Verfassung, die seinen Bürgern weitreichende politische und soziale Grundrechte garantierte, und eine sich spürbar erholende Wirtschaft. […] Extremistische Minderheiten auf der politischen Linken und Rechten waren marginalisiert, ihre Versuche die Republik mit Gewalt zu stürzen, waren gescheitert. […] Am Ende des Jahres 1923 war das Scheitern der Demokratie weit unwahrscheinlicher als ihre Konsolidierung.“31

In den Arbeiten der ersten Interpretationsrichtung dominiert mit Blick auf Periodisierungsfragen, in Anlehnung an die ältere Forschung, die Gliederung der Revolution in zwei Phasen: eine erste friedliche Phase im November und Dezember 1918 und eine zweite gewaltsame Phase ab Januar 1919 mit Höhepunkten während der Berliner Märzkämpfe und der Niederschlagung der bayerischen Räterepublik im Mai 1919.32 Gelegentlich ist für die zweite Periode auch nur von „nachrevolutionären“33 Kämpfen oder Wirren die Rede, nachdem die Revolution an sich bereits vollzogen worden war. Das heißt in der Konsequenz, dass die zweite Phase der Gewalt für einen vergleichsweise kurzen Zeitraum für Unruhe sorgte, im Grunde aber keine geschichtsgestaltende Prägekraft besaß. Für Heinrich August Winkler kennzeichneten die im November und Dezember getroffenen oder in die Wege geleiteten politischen Entscheidungen die eigentlich formative Phase der Revolution, in der Grundlagen für die Weimarer Republik geschaffen worden seien, während der anschließende, von Gewalt geprägte soziale Protest „zu keiner Zeit“ eine Chance auf Mehrheitsfähigkeit besessen habe.34 Nach dieser Lesart kam „Gewalt“ lediglich eine vergleichsweise kurze Nebenrolle zu.

Revolutionäre Aufbrüche  und intellektuelle Sehnsüchte

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