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III. Gründungsgewalt – eine kritische Re-evaluation 1. Mehrschichtiger Gewaltbegriff zwischen „potestas“ und „violentia“

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In Mark Jones’ Werk ist insbesondere von „staatlich lizenzierter Gewalt“ und „staatlich geförderte[r] Gräuel“ der Ebert-Scheidemann-Noske-Regierung die Rede.52 Im englischen Original wird dabei der Begriff „violence“ verwendet, das breitere Bedeutungsfeld des Gewaltbegriffs zwischen „potestas“ und „violentia“ aber nicht aufgespannt.53 Beachtet man das Selbstverständnis der politischen Akteure und ihre Bedrohungswahrnehmungen, so strebten sie nicht oder höchst selten nach brutaler Gewalt, sondern überwiegend nach der Wiederherstellung respektive Durchsetzung von Staatsgewalt – also (im Englischen) nach „power“ und „authority“, nicht aber nach „violence“.

Es gilt mithin, das Problem- und Begriffsfeld zu erweitern, Fragen nach der Wiedergewinnung, Aufrechterhaltung, Wahrnehmung und Übersteigerung von staatlicher Autorität54 in die Betrachtung mit einzubeziehen und beide Begriffsebenen miteinander in Beziehung zu setzen. Für die Sichtweisen der politischen Akteure während der ersten Monate der politisch-gesellschaftlichen Transformation von 1918/19 ergeben sich daraus Fragen, die durch weitere Forschungsarbeit erst noch differenziert beantwortet werden müssen: Wie nahmen sie das Spannungsverhältnis von legitimer Staatsgewalt und willkürlicher physischer Zwangsgewalt wahr? Welche Aussagen lassen sich zur Zweck-Mittel-Relation finden? Wie gestaltete sich das Verhältnis zwischen Legalität und Legitimität auf der einen Seite, zwischen Illegalität und Illegitimität der Gewalt auf der anderen? Wegen des Übergangscharakters der Systemtransformation lassen sich Antworten häufig nicht mit der gewünschten Eindeutigkeit formulieren.

Hinzu kommt selbst im Falle einer für legal und legitim gehaltenen Gewaltausübung die Frage nach der angemessenen Regulierung respektive nach den Überreaktionen von Sanktionsgewalt. Dies betrifft auch Kontrollverluste gegenüber einer situativen Gewaltdynamik. In der Tat ließ sich während der Umbruchszeit in Freikorpskreisen eine „Reduktion des Staatlich-Politischen auf Kampf“ feststellen: unter „Verzicht auf rechtlich-normative Qualifizierungen“.55 Das Verhältnis von Rechtsstaat und Gewaltmonopol befand sich in solchen Konstellationen realiter in einer Schieflage. Die Disbalance hatte eine allgemeinere Ursache, beruht das Gewaltmonopol doch prinzipiell auf der Legitimation der gesamten Rechtsordnung, die in revolutionären Übergangsphasen erst fixiert werden muss, bis eine neue Verfassung für die erforderliche Verrechtlichung sorgt.56

Die von Ebert angeführte Regierung reagierte auf Zustände, die – zumal ihrer Beobachtung und ihrem Empfinden nach – einer bedrohten Ordnung entsprachen und von „multipler Souveränität“ geprägt waren. Für Charles Tilly ist „multiple Souveränität“ ein typisches Merkmal von Revolutionen, gerade zur Erklärung kollektiver Gewaltphänomene.57 Wo Macht – im Sinne von „potestas“ – nicht vorhanden ist oder zumindest herausgefordert wird, kommt Gewalt – im Sinne von „violentia“ – ins Spiel, das wusste schon Hannah Arendt.58 Keineswegs zufällig, sondern vor dem Hintergrund einer in Turbulenzen geratenen Staatlichkeit formulierte Max Weber in seiner berühmten Rede Politik als Beruf Ende Januar 1919, dass der Staat „diejenige menschliche Gemeinschaft [sei], welche innerhalb eines bestimmten Gebietes […] das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht“.59 Angesichts dieser klassischen Definition, die den Kontext der Novemberrevolution spüren lässt, hat Dieter Grimm festgestellt, dass es sich bei der Bezeichnung „staatliches Gewaltmonopol“ um einen Pleonasmus handele: „Wo es am Gewaltmonopol fehlt“, so die logische Ableitung im Anschluss an Webers Formel, „besteht kein Staat, sondern entweder ein andersartiger Herrschaftsverband oder Anarchie.“60

Eine solchermaßen juristisch grundierte Vorstellung kam dem bereits über einen längeren Zeitraum gereiften legalistischetatistischen Selbstverständnis der tonangebenden Sozialdemokratie entgegen. Grundsätzlich zielte Ebert auf die Wiederherstellung des Gewaltmonopols als einer zentralen Ordnungs- und Sicherungsleistung des Staates (noch unabhängig von einer spezifischen Staatsform oder demokratischen Legitimation) gegenüber den Angehörigen des Gemeinwesens. Um dies faktisch zu gewährleisten, erfolgten in den frühen Tagen der Revolution Absprachen mit Generalquartiermeister Wilhelm Groener, vor allem aber mit dem für das Heimatheer verantwortlichen preußischen Kriegsminister General Heinrich Scheuch.61

Lange Zeit hatte Ebert „gegen jede Gewaltpolitik“62 argumentiert, er hatte Blutvergießen und einen innerlinken Bruderkrieg vermeiden wollen. Weihnachten 1918 kam es dennoch zu einem von den Mehrheitssozialdemokraten angeordneten Einsatz des Militärs gegen die rebellierende Volksmarinedivision, nicht zuletzt weil Ebert um Leib und Leben des durch die Marinesoldaten gefangengesetzten sozialdemokratischen Berliner Stadtkommandanten Otto Wels fürchtete. Der Einsatz von Regierungssoldaten, auch mangels der Existenz einer eigenen „Volkswehr“, galt den Kritikern Eberts und seiner Regierung als (weiterer) Beweis für ihre Verbündung mit gegenrevolutionären Kräften. Die Kämpfe während der ersten Jahreshälfte 1919 schienen die Stichhaltigkeit dieser Sichtweise zu untermauern. Gleichwohl gerieten dabei die zentralen Motive für das zivil-militärische Bündnis aus dem Blick, nämlich die „Wahrung der Autorität“63 – eben des staatlichen Gewaltmonopols – und die Sicherung einer tatsächlich bedrohten republikanischen Regierung.64

Es steht außer Frage, dass dieses Ansinnen – die legitime Anwendung von Gewalt auf dem Weg zur Schaffung eines demokratisch-rechtsstaatlichen Gewaltmonopols konsequent durchzusetzen65 – im Prozess der Umsetzung insgesamt missglückte. Falsche Partner, die mangelnde Verhältnismäßigkeit der Mittel, aber auch die Unsicherheit der eigenen Rollenbestimmung – mal als legitime Regierung, mal als Bürgerkriegspartei – erschwerten die erfolgreiche und konsensuale Verwirklichung eines grundsätzlich legitimen Bestrebens zur Erfüllung einer Grundbedingung moderner Staatlichkeit. Diese Konstellation und das Gefühl, in die Defensive gedrängt zu sein, führten zu mancher Überreaktion. Prominent ist in dieser Hinsicht die Formulierung des Regierungsaufrufs vom 8. Januar 1919: „Gewalt kann nur mit Gewalt bekämpft werden. […] Die Stunde der Abrechnung naht.“66 Aus diesen Worten sprach stärker die Bürgerkriegspartei als die staatliche Befriedungsmacht. Es zeigt sich erneut, wie widersprüchlich miteinander verflochten das an sich legitime Streben nach „auctoritas“/„potestas“ und illegitime Handlungen im Sinne von „violentia“, von Willkür- und Gewaltherrschaft bisweilen waren.

Revolutionäre Aufbrüche  und intellektuelle Sehnsüchte

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