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3. Der demokratische Verfassungsstaat

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Ein solches Modell kann der demokratische Verfassungsstaat sein, der sich mit der amerikanischen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts herausbildete[293] und sich dann in mehreren Wellen[294] über den Erdball ausbreitete.[295] Anders als der Nationalstaat ist er im Hinblick auf die innere Struktur des Staates nicht mehr neutral und damit das anspruchsvollere Modell:[296] Er beruht auf der Idee der gleichen (politischen) Freiheit aller als dem demokratischen Grundversprechen und setzt daher neben dem Ausgang der gesamten Staatsgewalt vom Volk die Aufteilung dieser Staatsgewalt auf unterschiedliche Institutionen (Gewaltenteilung), die Gewährleistung fundamentaler Grund- und Menschenrechte sowie den Vorrang der Verfassung voraus. Wie der Nationalstaat kommt auch dieser allerdings nicht umhin, die Zugehörigkeit zum demokratischen Staatswesen über die Staatsangehörigkeit formal zu regeln.[297] Ohne eine formale Zuordnung ist Demokratie nicht denkbar – einerseits, weil klar sein muss, wer zum Volk gehört, von dem die Staatsgewalt ausgeht, andererseits, weil Solidarität[298] und Zusammenhalt[299] (unter anderem in Form eines Sozialstaats) an eine geteilte Idee der Zugehörigkeit geknüpft sind.[300] Allerdings sollte diese Zuordnung gerade nicht auf einer wie auch immer gearteten Nation beruhen,[301] da eine solche gewisse Defizite |52|aufweist. Insgesamt drei Probleme einer solchen „Integration durch Nation“ sind zu beklagen: Erstens wird dadurch die Zusammengehörigkeit im Jetzt durch den Blick in eine (vermeintlich) geteilte Vergangenheit begründet. Das war in der Anfangszeit der Nationsidee kaum anders machbar, erscheint heute aber unnötig. Da es um eine Integration im Jetzt geht, sollte die Integration auch auf einer im Jetzt ruhenden Idee basieren. Damit wird – entgegen dem Vorwurf von Aleida Assmann – nicht pauschal die Bedeutung einer angemessenen Erinnerungskultur geleugnet.[302] Zumindest für das friedliche und integrierte Zusammenleben im Jetzt erfolgt aber durchaus eine gewisse Verschiebung des Blicks weg von der (nationalen und tendenziell exkludierenden) Vergangenheit hin zur (denationalisierten) Gegenwart. Das Stichwort, das an späterer Stelle noch einmal aufzunehmen ist lautet hier: Verfassungspatriotismus.[303] Zweitens ist unklar, welche Merkmale eine Nation in diesem Sinne begründen. Das macht die Idee anfällig für Missbrauch und allzu konstruierte (beliebige) Zusammengehörigkeiten – ein Phänomen, das bis heute immer wieder vorkommt und für politische Ziele instrumentalisiert wird.[304] Drittens ist die Zugehörigkeit zu einer Nation in vielen Fällen nicht erlernbar. Wo sich eine Nation ethnisch, religiös oder über territoriale Abstammung definiert, kann eine Integration von Neuankömmlingen schon formal nicht gelingen. Die betreffenden Personen bleiben BürgerInnen zweiter Klasse. Die Denationalisierung des demokratischen Verfassungsstaates könnte einen Weg darstellen, diesen Problemen zu begegnen.[305] Die Nation würde nach diesem „Zusammengehörigkeitsnarrativ“[306] – so wie zuvor die Religion – zur Privatsache erklärt („Staat ohne Nation“), hätte dort aber weiterhin ihren Platz. Die Zugehörigkeit zum demokratischen Gemeinwesen würde hingegen über die Anerkennung erlernbarer materiell-formeller Wertevorstellungen erfolgen, die primär in der Verfassung verankert sind.[307] Darauf wird bei der letzten Frage zurückzukommen sein.

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