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4. Der völkerrechtliche Staatsbegriff
ОглавлениеDas Bedürfnis nach einem völkerrechtlichen Staatsbegriff, der von den unterschiedlichen internen Verhältnissen der einzelnen Staaten abstrahiert, ist weiterhin aktuell und entfiele nur, soweit sich eine einzige interne Struktur (etwa in Form des denationalisierten demokratischen Verfassungsstaates) |53|endgültig und weltweit umfassend durchsetzen sollte. Es entstand erstmals, nachdem Anfang des 19. Jahrhunderts mit den USA und den ersten südamerikanischen nicht-monarchischen Nationalstaaten Akteure die staatliche Bühne betraten, deren Staatsqualität nicht aufgrund ihrer kontinentalen Verortung (Europa) und ihrer Staatsstruktur (Monarchie) von vornherein feststand. Die Kritik an der heute herrschenden „Drei-Elemente-Lehre“ Georg Jellineks,[308] wonach diese mit ihren Kriterien Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt[309] allzu offen und unbestimmt sei,[310] geht insofern an der zentralen Funktion eines spezifisch völkerrechtlichen Staatsbegriffs vorbei. Dieser muss in der Lage sein, die faktische staatliche Vielfalt unter sich zu vereinen,[311] nicht aber das „wahre Sein“ des Staates gänzlich zu erfassen.[312] Es ist insofern nicht ausgeschlossen, Staatlichkeit enger oder anders zu fassen (siehe dazu sogleich); allein die Eignung einer solchen Konzeption als völkerrechtliche Staatsdefinition wäre dann in Frage gestellt. Jedenfalls eignet sich die völkerrechtliche Staatsdefinition nur bedingt dazu, „Staatspolitik“ zu betreiben, um auf diesem scheinbar formalem Wege eine bestimmte Vorstellung von Staatlichkeit zum völkerrechtlichen Normmodell zu erklären.[313] Eine tauglichere als die Jellinek’sche Definition ist vor diesem Hintergrund bisher zumindest nicht gelungen. Dieser Befund schließt nicht aus, die einzelnen Elemente näher zu betrachten und auch kritisch im Hinblick auf ihre Bedeutung zu hinterfragen. Auch hier gilt es auf wandelnde Verhältnisse und technische Möglichkeiten einzugehen – in den nächsten Jahren dürfte sich etwa die Frage stellen, wo der Weltraum beginnt (und damit der Staat völkerrechtlich „endet“) und unter welchen Voraussetzungen extraterrestrische Gebiete (Mond? Mars?) zum Staatsgebiet gerechnet werden können:[314] „However, perhaps the most fascinating development of current times is that our |54|geopolitical power struggles are now breaking free of our earthly restraints and being projected into space. Who owns space? How do you decide?“[315] Dabei handelt es sich weniger um eine originäre Aufgabe der Allgemeinen Staatslehre als um eine solche des Völkerrechts. Die Allgemeine Staatslehre muss deren Erkenntnisse integrieren, ist aber nicht dazu aufgerufen, einen eigenen völkerrechtlichen Staatsbegriff zu entwickeln.