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»Sie haben Besuch.«

»Wer ist es denn?«

»Tülle Karla«, sagte der Beamte.

Er stand sofort auf und öffnete ihr die Tür. Karla begrüßte ihn.

»Eigentlich wollte ich nicht mehr kommen.«

»Du warst bei der Kleinen?«

»Ja, deswegen bin ich da.«

»Nimm Platz.«

»Aus zwei Gründen möchte ich mit dir sprechen.«

»So lege los.«

»Ich brauche Claudia, sie verkümmert im Heim. Ich darf sie nicht dort lassen. Sie zerbricht sonst. Vera würde mir das nie verzeihen. Ich möchte von dir erfahren, was ich tun muss, damit man mir das Kind zuspricht.«

Verden blickte sie überrascht an.

»Soll das heißen, du willst es adoptieren?«

»Ja, nicht mehr und nicht weniger.«

»Ich fürchte, das wird nicht gehen.«

Sie beugte sich vor. »Das Kind wird sterben, wenn ich es nicht da raushole. Man kann Kinder adoptieren, ich weiß es.«

»Natürlich, aber du kannst es nicht.«

Sie bäumte sich auf.

»Weil ich eine Hure bin? Es gibt viele Huren, die Kinder haben.«

»Eigene Kinder, gewiss.«

»Ich werde alles für Claudia tun, für sie sorgen. Es wird ihr an nichts fehlen. Ich verdiene nicht schlecht und habe auch Geld auf dem Konto.«

»Karla, das glaube ich dir ja alles. Wenn es nach mir ginge, dann könntest du sie auch haben. Aber die Gesetze sind nun mal so. Nicht allein deshalb, weil du eine Dirne bist, kannst du sie nicht adoptieren.«

Ihre Augen glühten: »Gut, wenn das der Hauptgrund ist, werde ich den Beruf aufgeben.«

»Karla, so hör mir doch zu. An ledige Personen werden keine Kinder abgegeben.«

Sie blickte ihn sprachlos an.

»Wie soll ich das verstehen?«

»Nur verheiratete Paare können ein Kind adoptieren.«

»Vera war nicht verheiratet, ihr hat man das Kind nicht fortgenommen.«

»Das ist etwas ganz anderes.«

»Ich verstehe das nicht. Das ist mir zu hoch. Wieso besteht ein Hinderungsgrund? Ob ich nun ledig bin und ein Kind habe, ein eigenes wohlverstanden, oder ledig und eins adoptiere. Begreifen die Behörden denn nicht, dass zuerst das Wohl des Kindes auf dem Spiel steht?«

»Sie denken ausschließlich an das Wohl des Kindes.«

Sie lachte rau auf.

»Da soll man nicht verrückt werden.«

»Karla, ich habe die Gesetze nicht gemacht. Mich darfst du nicht beschimpfen.«

Sie stöhnte auf.

»Ich werde um Claudia kämpfen, sie glaubt an mich. Ich darf sie nicht enttäuschen.«

»Vielleicht gibt es eines Tages einen Weg, Karla. Du kannst mir vertrauen. Ich werde dir helfen. Du musst mir glauben.«

»Du bist anständig«, sagte sie leise. »Ich vertraue dir ja auch. Aber es ist so schrecklich.«

Er schenkte ihr Kaffee ein.

Sie starrte aus dem Fenster. Die Welt schien ihr wie zugenagelt.

»Du hast vorhin gesagt, du hättest zwei Gründe, deretwegen du heute zu mir gekommen bist.«

Sie erwachte aus ihrer Erstarrung.

»Ja, das habe ich gesagt.«

»Um was geht es denn?«

Sie kam in die Wirklichkeit zurück. Ihr Gesicht war jetzt zum Fürchten, kalt der Blick und schmal die Lippen.

»Ich will Veras Tod rächen.«

»Wie bitte?«

»Ich finde erst Ruhe, wenn der Mörder zur Strecke gebracht ist. Dann wird auch Vera Frieden finden. Er muss für seine Tat bestraft werden. Ich ersticke bei dem Gedanken, dass er die ganze Zeit noch hier herumläuft. Ich könnte aufschreien und nackt durch die Straßen laufen, ich ertrage es einfach nicht. Er muss für seine Tat büßen, er muss Tag für Tag leiden.«

»Was glaubst du, was wir die ganze Zeit tun?«

Sie blickte ihn starr an.

»Und mit welchem Erfolg?«, höhnte sie.

»Es ist schwer, wir haben noch keine Handhabe, und jetzt sind die Dirnen noch verschreckter.«

Karla sagte tonlos: »Ich habe eine Idee!«

»Lass hören.«

»Es ist die einzig mögliche Idee, wie man ihn fangen kann.«

»Und wie willst du das anstellen?«

»Ich werde mich als Lockvogel ausgeben.«

Verden starrte sie an.

»Du bist verrückt, Karla. Weißt du auch, was du da sagst?«

»Noch bin ich nicht verrückt. Ich werde ihn jagen. Er wird mir ins Netz gehen, das schwöre ich dir. Und wenn es das Letzte wäre, das ich tun kann. Ich werde ihn stellen, das ist sicher.«

»Und wenn es nicht hinhaut? Ich kann das nicht zulassen.«

»Du musst aber. So kann ich nicht weiterleben, Humbert. Sie war meine beste Freundin. Ich weiß, Vera hätte das auch für mich getan. Das bin ich ihr und dem Kind schuldig.«

Der Kommissar war aufgestanden und wanderte hin und her.

»Wie stellst du dir das vor?«

»Ganz einfach, ich werde mich in dem gefährlichen Viertel aufhalten.«

»Du willst Straßen-Tülle spielen?«

»Ist das ein Verbrechen?«

»Es ist ein harter Job, Karla, du weißt nicht um die Wirklichkeit.«

»Du wirst mich nicht davon abhalten können, Humbert. Wenn du mir nicht hilfst, mache ich es im Alleingang. Aber dann wird es noch schwerer.«

»Sag mal, hast du immer so einen Dickkopf?«

»Humbert, hilf mir doch!«

»Es ist gefährlich. Gut, ich gebe zu, wir haben auch schon mit dieser Möglichkeit gespielt. Doch bis jetzt haben wir nicht gewagt, eine unserer Beamtinnen loszuschicken. Außerdem würde sich auch keine bereit erklären, auf unbestimmte Zeit das Leben einer Dirne zu führen. Schließlich müsste das ja sein, wenn sie nicht auffallen soll. Bestimmt wird er sie lange beobachten, um sicherzugehen. Möglicherweise haben wir es mit zwei Mördern zu tun, denn Vera war ja keine Dirne.«

»Es ist ein und derselbe«, sagte Karla wild.

»Wieso bist du dir so sicher?«

»Weil ich es weiß. Wir waren mal zusammen. Vera und ich. Dabei hatte ich die ganze Zeit das Gefühl, als würden wir beobachtet. Ich täusche mich nicht, Humbert, es ist wahr. Da muss der Mörder angenommen haben, weil sie in meiner Nähe war, sie wäre auch ein käufliches Mädchen.«

Erregt fragte Humbert Verden: »Warum hast du mir das nicht schon früher gesagt?«

»Weil ich es vergessen habe und ihr Tod alles in mir zugeschüttet hat. Letzte Nacht fiel es mir wieder ein. Sie wurde ermordet wie die anderen Opfer, auf dieselbe Art und Weise.«

»Das stimmt. Jetzt weiß ich endlich, warum Vera daran glauben musste. Es war bislang für uns ein Rätsel.«

»Vielleicht habe ich sogar den Mann mit eigenen Augen gesehen, der uns beobachtet hat. Unter Umständen erkenne ich ihn wieder, wenn er auf mich zukommt.«

»Die Möglichkeit besteht in der Tat, Karla.«

»Siehst du jetzt ein, dass ich dir helfen kann?«

»Es ist nicht auszudenken, wenn es so wäre. Warte einen Augenblick, ich hole meinen Vorgesetzten und die Kollegen, die mit an der Sache arbeiten. Zusammen werden wir dann einen Plan ausarbeiten, der für dich vollkommen ungefährlich sein muss. Ansonsten lasse ich es nicht zu. Ich könnte nicht mehr glücklich leben, wenn du auch sein Opfer würdest.«

»Wenn ihr dadurch den Mörder Veras bekommt!«

»Vergiss nicht Claudia!«

Sie lächelte weich.

»Ja, du hast recht. Verdammt, ich will auch nicht so früh ins Gras beißen.«

Er verließ das Büro und kam nach einer Viertelstunde mit einigen Herren zurück. Karla musste noch einmal von ihrem Erlebnis im Kaufhaus erzählen. Sie hörten ihr schweigend zu. Dann sagte der Vorgesetzte von Verden: »Das verstehe ich nicht so recht. Denn soviel ich weiß, arbeiten Sie nicht auf der Straße.«

»Das ist richtig.«

»Woher weiß der Mörder, dass Sie eine Dirne sind?«

Verblüfft schwiegen sie und blickten sich an.

»Er hat nur Straßenmädchen ermordet. Vera Celler befand sich in der Nähe des Viertels. Sie war auf dem Heimweg, deshalb musste er glauben, dass sie von der Strichstraße kam.«

»Ich weiß, dass wir beobachtet wurden«, rief Karla dazwischen. »Ich habe mit Vera darüber gesprochen.«

»Vielleicht war er in der Bar?«

»Ja, das kann schon stimmen.«

Karla zuckte zusammen: »Wollen Sie damit andeuten, dass es ein Kunde von mir gewesen sein könnte?«

»Möglich, aber Sie arbeiten in einem Haus, also wagte er es nicht.«

»Ich habe ausschließlich Stammkunden.«

»Tja, man kann leider nicht in die Menschen hineinsehen. Wir müssen mit allem rechnen.«

Sie sah die Beamten an.

»Ich stelle mich zur Verfügung. Ich werde ihn jagen. So leicht wird er mich nicht fangen können. Erstens bin ich auf der Hut und zweitens davon überzeugt, dass ich ihn irgendwie kenne. Also werde ich es im entscheidenden Augenblick wissen und mich auf den Angriff vorbereiten. Außerdem kann ich ein bisschen Karate und Judo. So leicht wird er mich also nicht rumkriegen.«

»Uns bleibt nichts anderes übrig, als Ihr Angebot anzunehmen, Karla«, sagte der Chef der Polizei liebenswürdig. »Wir müssen Ihnen dankbar sein, dass Sie sich zur Verfügung stellen wollen. Sie können versichert sein, dass wir Sie nicht aus den Augen lassen. In jedem Augenblick werden Sie beschützt sein.«

Dann kam es zu einem Fachgespräch unter den Kollegen. Karla stand am Fenster und starrte in die Wolken. Verzweifelt dachte sie: Wenn du da oben irgendwo bist, Vera, siehst du mir zu? Verstehst du mich? Ich werde dich rächen und will mich um deine Tochter kümmern. Das ist mein heiliger Schwur.

Ganz so selbstlos war sie nun auch nicht. Die Dirne dachte nämlich: Wenn ich der Polizei helfe, wenn sie tatsächlich mit meiner Hilfe den Mörder fassen kann, wird sie auch mich unterstützen, Claudia zu bekommen. Es bleibt keine andere Wahl. Eine Hand wäscht nun mal die andere.

In diesem Augenblick wusste sie noch nicht, dass in diesem Fall selbst die Polizei machtlos war.

Das Monster Krimi Paket Februar 2019 - 1300 Seiten Spannung

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