Читать книгу Das große Buch der Berlin-Krimis 2017 - Romane und Erzählungen auf 1000 Seiten - Alfred Bekker - Страница 19

Оглавление

​ 12


Jemandem die Botschaft überbringen zu müssen, dass ein geliebter Angehöriger tot ist, gehört zu den Pflichten eines Polizisten, die psychisch die größte Belastung erzeugen. Man überlegt sich ein paar nette Worte, versucht zu trösten so gut es geht, aber am Schluss hat man doch immer das Gefühl, es nicht richtig gemacht zu haben. Ich kenne jedenfalls keinen Kollegen – weder beim BKA noch bei der Schutzpolizei – der von sich behaupten würde, darin Routine zu haben.

Wir fuhren also nach Norden Richtung Potsdam und schon die Tatsache, dass unsere Fahrt zunächst ziemlich schweigsam war, zeigte, was los war. Ich kannte Rudi gut genug, um zu wissen, dass er genauso darüber brütete, wie man Roswitha Delgado die Wahrheit beibringen konnte.

Mochte ihr Bruder auch ein Gangster gewesen sein, so gab es für uns doch keinerlei Hinweise, dass sie irgendetwas mit dessen Geschäften zu tun gehabt hatte.

Wir erreichten schließlich Potsdam.

Roswitha Delgados Adresse lag in einem gutbürgerlichen Viertel mit breiten Alleen und großzügig angelegten Bungalows auf Grundstücken, die für Berliner Verhältnisse schon fast unvorstellbar groß gewesen wären.

In einem dieser Bungalows wohnte Roswitha Delgado.

Wir parkten den Sportwagen an der Straße und stiegen aus.

Rudi klingelte an der Tür. Ein Hund bellte daraufhin. Es öffnete niemand. Rudi versuchte es noch einmal und nun meldete sich über die Sprechanlage eine weibliche Stimme.

„Was wollen Sie?“

„Rudi Meier, BKA. Mein Kollege Kubinke und ich müssen Sie dringend sprechen. Es geht um Ihren Bruder Jochen.“

Es machte „Knack“ und dann war erstmal eine volle Minute lang gar nichts mehr zu hören. Der Hund beruhigte sich anscheinend etwas.

Schließlich öffnete sich die Tür einen Spalt. Die Vorhängekette blieb aber geschlossen. Der Hund hechelte im Hintergrund. „Ich möchte gerne Ihren Ausweis sehen“, sagte die weibliche Stimme, die wir schon über die Sprechanlage gehört hatten. Ich gab ihr meinen Dienstausweis durch den etwa handbreiten Schlitz.

Die Tür ging wieder ins Schloss.

Dann öffnete sie schließlich die Tür vollends und gab mir den Ausweis zurück.

Eine Dogge, so hoch wie ein Shetland-Pony saß neben ihr und fletschte bedrohlich die Zähne, während die etwa 35jährige, dunkelblonde Frau, die uns gegenüberstand dem Tier hinter den Ohren herum kraulte. „Der macht nichts“, meinte sie.

„Mir wäre es trotzdem lieber, Sie würden ihn anleinen.“

„Rufus gehorcht aufs Wort“, versicherte sie.

„Sind Sie Roswitha Delgado?“, fragte ich.

„Ja. Und was meinen Bruder Jochen angeht, so komme ich weder für Schäden auf, die er angerichtet haben mag, noch kann ich etwas zu seinem Aufenthaltsort sagen, da ich schon seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr zu ihm habe. Also können Sie sich die Mühe sparen, mich in die Mangel zunehmen. Das haben vor Jahren schon andere versucht und sich auch die Zähne ausgebissen und wenn Sie...“

„Wir müssen Ihnen eine traurige Nachricht überbringen, was Ihren Bruder betrifft“, unterbrach ich ihren feindseligen Redefluss.

Sie blickte in meine Richtung. Ihre braunen Augen flackerten leicht. „Was wollen Sie damit sagen?“

„Können wir vielleicht einen Moment hereinkommen, um das im Einzelnen besprechen zu können.“

Ihr Gesicht wurde zu einer Maske. Sie atmete tief durch. „Kommen Sie herein“, sage sie und ging voraus. Ihre Dogge folgte ihr auf dem Fuß und ließ nur noch ein kurzes, sonores Knurren hören.

Rudi schloss die Tür.

Wir folgten ihr durch einen Flur, dann durch das große Wohnzimmer, das allein mindestens hundertfünfzig Quadratmeter hatte. Die Tür zur Terrasse stand offen. Durch einer Front von bis zum Boden reichenden Fenster hatte man einen freien Blick auf den ziemlich großen und gut gepflegten Garten. An den Grenzen zu den Nachbargrundstücken waren blickdichte Sträucher gepflanzt worden. Außerdem gab es einen Pool.

„Kommen Sie mit auf die Terrasse“, sagte Roswitha Delgado. Auf dem Gartentisch lag ein auseinander geknicktes Taschenbuch. Sie bot uns Plätze an. Wir setzten uns.

„Sie wollen mir sicher sagen, dass mein Bruder nicht mehr lebt“, sagte sie.

„Haben Sie schon von anderer Seite davon gehört?“, fragte ich.

Sie schüttelte energisch den Kopf und setzte sich. Die Dogge nahm neben ihrem Sessel Platz und wirkte jetzt tatsächlich so ruhig, als ob sie Modell für ein Standbild stehen wollte.

„Nein, das nicht, Herr...“

„Kubinke“, erinnerte ich sie an meinen Namen.

„Aber Ihnen wird ja wohl auch bekannt sein, dass mein Bruder diverse Schwierigkeiten hatte, von denen ihn jede Einzelne hätte ins Grab bringen können. Schwierigkeiten mit der Justiz und Schwierigkeiten mit ein paar wirklich üblen Leuten, die im Zweifelsfall wohl kaum davor zurückschrecken würden, jemanden gewaltsam aus dem Weg zu räumen.“

„Dann wissen Sie doch mehr darüber?“, hakte ich nach. „Ihrem Bruder können Sie jetzt nicht mehr schaden. Also hat es auch keinen Sinn, ihn noch schützen zu wollen.“

Roswitha blickte ein paar Augenblicke lang zu den Sträuchern im Garten hinüber. Ihr Gesicht machte einen abwesenden Eindruck. Ich fragte mich, was wohl in diesem Moment hinter ihrer Stirn vor sich gehen mochte.

„Wie gesagt, über meinen Bruder weiß ich so gut wie gar nichts – es sei denn, Sie wollten etwas über unsere gemeinsame Kindheit wissen. Aber deshalb werden Sie kaum hergekommen sein.“ Sie vollführte eine ruckartige Bewegung und sah mich auf einmal mit einem sehr intensiven Blick an. Ihre Augenbrauen zogen sich dabei etwas zusammen. „Wie ist Jochen gestorben?“

Ich hatte mich schon gefragt, ob sie das überhaupt nicht wissen wollte. In knappen Worten fasste ich ihr das Wenige zusammen, das bislang über die Geschehnisse in Wien bekannt war. Sie nahm das mit vollkommen regungslosem Gesicht zur Kenntnis. Wie versteinert saß sie da. Und starrte auf den Tisch, so als wollte sie ihn mit ihrem Blick durchbohren.

„Ihren Bruder konnten wir anhand unseres Datenverbundsystems identifizieren - den Täter leider nicht, obwohl sein Gesicht auch dem Screenshot genauso deutlich erkennbar ist.“ Ich zeigte ihr eine Vergrößerung von dem Gesicht des Rothaarigen, die Max Herter für uns angefertigt hatte.

Sie sah sich das Bild kurz an und sagte dann kopfschüttelnd: „Habe ich noch nie gesehen, Herr Kubinke.“

„Sehen Sie sich das Bild noch mal genauer an. Vielleicht ist Ihnen der Mann schonmal aufgefallen. Denken Sie vielleicht ein paar Jahre zurück, als Ihr Bruder noch jünger war.“

Sie reichte mir das Bild zurück und schien nicht gewillt zu sein, weiter darüber zu sprechen.

„Hören Sie, ich glaube, ich bin nicht die richtige Gesprächspartnerin für Sie. Diesen Mann habe ich garantiert noch nie gesehen und ansonsten... Es ist genau so, wie Sie sagen, Herr Kubinke: Meinem Bruder kann nichts mehr schaden, und darum sollte man die Vergangenheit vielleicht auch ruhen lassen...“

„Ist das wirklich Ihr Ernst?“

„Ich danke Ihnen, dass Sie mich über Jochens Tod informiert haben. Sobald der Leichnam freigegeben ist, werde ich mich um die Überführung kümmern und auch für das Begräbnis aufkommen. Aber mehr gibt es wohl nicht mehr, was ich für meinen Bruder tun könnte.“

„Sie könnten uns helfen, seinen Mörder dingfest zu machen“, sagte ich.

Sie hob die Augenbrauen. „Wie ich Ihnen schon einmal sagte: Ich kann da wenig für Sie tun.“

Rudi ließ den Blick schweifen. „Es scheint Ihnen gut zu gehen. Was mache machen Sie beruflich?“

Ihre Stimme bekam einen schärferen Klang und der Hund schien das zu merken, denn er knurrte leise. „Sie scheinen zu denken, dass ich irgendwie von den Geschäften meines Bruders profitiert habe. Dieser Verdacht an sich ist schon eine Unverschämtheit und ich denke, wir sollten das Gespräch damit beenden, bevor Sie mir Weiteres unterstellen.“

„Wir unterstellen Ihnen gar nichts“, versuchte ich sie beschwichtigen. „Wir versuchen nur den Mörder Ihres Bruders zu fassen und dabei sind wir auf Ihre Hilfe angewiesen. Und ehrlich gesagt verstehe ich nicht, dass Ihnen das so gleichgültig zu sein scheint.“

„Es ist mir nicht gleichgültig“, sagte sie. „Aber meiner Ansicht nach bringt es auch nichts, die Wunden der Vergangenheit nochmal aufzureißen.“

„Von welchen Wunden reden Sie?“, hakte ich nach.

„Das wissen Sie doch besser als ich. Jochen hatte mit Leuten zu tun, über die ich eigentlich nur weiß, dass sie sehr gefährlich sind.“

„Sie sprechen von Vladi Gruschenko?“

„Ich habe keinen Namen genannt und ich kenne auch keine Namen“, behauptete sie mit einer Vehemenz, die sie in meinen Augen nicht gerade glaubwürdiger erscheinen ließ.

„Hat man vielleicht schon mit Ihnen gesprochen und Sie unter Druck gesetzt?“, fragte ich und mir fiel der seltsame Blick ein, mit dem sie mich gemustert hatte, nachdem sie vom Tod ihres Bruders erfahren hatte. Ich hatte diesen Blick erst nicht so recht zu deuten vermocht, aber jetzt sagte mir mein Instinkt, dass sie einfach nicht überrascht gewesen war. Sie hatte bereits gewusst, was mit ihrem Bruder geschehen war.

Ich war mir in dieser Sache ziemlich sicher, aber weder seltsame Blicke noch der Instinkt eines BKA-Ermittlers zählen als juristisch verwertbare Beweise.

„Tun Sie Ihren Job, aber wie ich Ihnen schon sagte: Ich kann Ihnen dabei leider nicht behilflich sein... Gehen Sie jetzt!“

Ihr letzter Satz klang sehr scharf und entschieden.

Die Dogge unterstützte ihn mit einem Knurren. Der Hund, der bisher friedlich zu Füßen seiner Besitzerin gelegen hatte, sprang nun. Das Tier fletschte die Zähne und sprang hoch.

Das große Buch der Berlin-Krimis 2017 - Romane und Erzählungen auf 1000 Seiten

Подняться наверх