Читать книгу Das große Buch der Berlin-Krimis 2017 - Romane und Erzählungen auf 1000 Seiten - Alfred Bekker - Страница 21

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In der Zwischenzeit trafen sich unsere Kollegen Jürgen Carnavaro und Olli Medina mit ihrem Informanten an einem Kanal.

Ein unscheinbarer älterer Mann – schätzungsweise Mitte 60 – angelte dort.

Sein Name war Tom Abu-Khalil. Ihm gehörten ein Coffee Shop, mehrere Kioske und Tabakläden im Wedding und außerdem ein Friseursalon. Das war nämlich seine ursprüngliche Profession. Er hatte als Friseur angefangen und sich dann hochgearbeitet.

Aber inzwischen hatte er die laufenden Geschäfte längst an andere übergeben. Kinder hatte er keine. Aber mehrere Cousins, die er für tüchtig hielt.

Aber auch wenn er inzwischen niemandem mehr selbst die Haare schnitt oder einen Cappuccino zubereitete, so hatte sich doch eins in all den Jahren nicht geändert: Er war einer der bestinformiertesten Männer im Wedding und darüber hinaus. Es gab niemanden, der in der Unterwelt Berlins eine Rolle spielte, den er nicht kannte und wahrscheinlich hatte er auch selbst bei dem einen oder anderen kriminellen Geschäft mitgemischt.

Aber es war in seinem Fall nie genug zusammengekommen, um daraus eine Anklage zu machen, so dass ein Verfahren eröffnet werden konnte.

Tom Abu-Khalil tat erst so, als hätte er Jürgen und Olli gar nicht bemerkt. Olli blieb in einiger Entfernung stehen und und sah sich um, während Jürgen an den Informanten herantrat.

„Wie geht es Ihnen, Herr Abu-Khalil?“, fragte Jürgen.

„Eigentlich sollte ich so tun, als würde ich Sie nicht kennen“, sagte Abu-Khalil. „Schließlich halten Sie sich nicht an die Abmachungen.“

„Wieso?“

„Ich habe ausdrücklich gesagt, dass ich mit Ihnen sprechen will, Carnavaro!“

„Herr Medina ist mein Partner. Wir habe sowieso keine Geheimnisse voreinander. Was Sie mir erzählen, wird er ohnehin erfahren und ich dachte mir, dass es aus Sicherheitsgründen für uns beide besser ist, wenn noch jemand in der Nähe ist, und die Lage beobachtet.“

„Sehe ich aus wie ein Angsthase?“

„Angst ist manchmal nur ein anderes Wort für Vorsicht, Herr Abu-Khalil.“

„Ach was!“

„Und vorsichtig sollten Sie auf jeden Fall sein. Es sind schließlich schon zwei Menschen innerhalb sehr kurzer Zeit ums Leben gekommen, die beide mit Vladi Gruschenko in einem Zusammenhang standen.“

„Wie kommen Sie auf zwei? Ich meine, wenn Sie jetzt jeden von Dima Modestas Leuten extra zählen...“

„Ich spreche von Jochen Delgado“, schnitt Jürgen Carnavaro ihm das Wort ab.

Tom Abu-Khalil war ein kleiner, sehr hagerer Mann, mit eingefallenen Wangen und dem grauen, fahlen Teint eines Kettenrauchers. Die gelben Fingernägel passten dazu.

„Oh, den hat's inzwischen auch erwischt?“

„Sollte ich Ihnen tatsächlich mal voraus sein, was Neuigkeiten angeht, Herr Abu-Khalil?“

Er hob die buschigen, grauen Augenbrauen, die sich nach oben bogen und ihm daher ein Aussehen gaben, das immer etwas an ein Teufelchen erinnerte.

„Angesichts der technischen Möglichkeiten, die Ihnen zur Verfügung stehen, wundert mich das noch nichtmal. Der Überwachungsstaat ist doch schon so weit fortgeschritten, dass Sie unsereins nur noch dazu missbrauchen, die Dinge zu bestätigen, die Sie ohnehin schon wissen...“

„Nun übertreiben Sie aber, Herr Abu-Khalil.“

„Ich denke nicht.“

„Bei unserem letzten Gespräch haben Sie gesagt, Sie könnten mehr über darüber herausbekommen, wer den Sprengstoff gekauft hat, mit dem Dima Modestas Laden in die Luft gesprengt wurde.“

„Richtig. Angeblich – das sind wirklich nur Gerüchte – soll Artur Titow etwas damit zu tun haben.“

„Der Lieblingsneffe von Vladi Gruschenko?“

„Richtig.“

„Wenn das wahr ist, dann ist es wohl sicher, dass das Ganze auf Gruschenkos Befehl hin geschah.“

„Wahrscheinlich ja. Zumindest hat er kein Veto eingelegt – gewusst hat Vladi Gruschenko auf jeden Fall davon. So viele Freiheiten könnte er seinen Leuten gar nicht lassen, ohne den Respekt innerhalb seiner Organisation zu verlieren.“

„Wer ist der Mittelsmann bei dem Sprengstoffhandel gewesen?“

„Er heißt Rainer Gabaldi. Ein ehemaliger Söldner, Südafrikaner. Für Geld besorgt der alles, was tötet – vom Profikiller bis zur Handgranate. Wenn Sie wollen, sogar eine Stinger-Rakete. Kommt ganz drauf an, wenn Sie ausradieren wollen.“

„Und wo finden wir diesen Gabaldi?“

„Wenn das so einfach wäre, wäre Gabaldi längst tot.“

„Ach kommen Sie, jetzt geben Sie sich mal ein bisschen Mühe, Herr Abu-Khalil! Sie helfen uns ja schließlich nicht umsonst.“

„Ist schon eine ganze Weile her, dass ich ihn gesehen habe. Sagen wir mal ein gutes Jahr, können auch anderthalb sein. Da hat er in meinem Coffee Shop gefrühstückt. Ich weiß das noch so genau, weil er vier oder fünf Sachen bestellt hat, die er dann wieder zurückgehen ließ, weil angeblich irgendetwas damit nicht stimmte. Bezahlen wollte er keinen Cent und gegenüber meinem Mitarbeiter hat er geäußert, wir könnten froh sein, wenn er uns nicht auf Schadensersatz verklagen würde.“

„Das haben Sie sich bieten lassen, Herr Abu-Khalil?“

„Mein Mitarbeiter hat bei mir völlig verzweifelt und am Rande eines Nervenzusammenbruchs angerufen und ich bin dann sofort hin, um die Sache zu entschärfen... Hören Sie, mit jemandem wie Rainer Gabaldi legt man sich nicht an, sonst legt der einen um.“

Jürgen langte in die Innentasche seines Jacketts und zog einen Ausdruck des Screenshots hervor, den Norbert Artlinger auf seinem Computer gemacht hatte.

Abu-Khalil setzte eine Lesebrille auf, die er umständlich aus einem Etui hervorkramte. Jürgen musste ihm die Angel abnehmen.

Dann sah sich der Informant das Bild an.

„Armer Hund“, meinte er. „Ich meine Delgado. Wollte hoch hinaus, hat sich verzockt und endet jetzt so...“ Er zuckte die Achseln. Dann runzelte er die Stirn, hielt den Ausdruck zuerst etwas näher, dann etwas weiter von seinen Augen entfernt und sah es es sich schließlich noch einmal über den Brillenrand an. „Sie haben ein Foto von der Tat? Wie kommt das denn?“

„Braucht Sie nicht zu interessieren.“

„Wo ist das?“

„In Wien. Es geht um den rothaarigen Mann mit der Lederjacke – den Täter. Kennen Sie den?“

„Ich weiß nicht seinen Namen, aber ich habe ihn schonmal gesehen...“

„Wo und wann?“

„Lassen Sie mich nachdenken...“ Er reichte Jürgen den Ausdruck zurück, nahm die Brille ab und steckte sie sorgfältig zurück ins Etui. Dann nahm er die Angel wieder an sich und kratzte sich am Hinterkopf. „Ich glaube, es war vor einem Jahr, als ich Rainer Gabaldi zum letzten Mal gesehen habe. Der Rothaarige gehörte zu den Leuten, die mit ihm gefrühstückt haben.“

„Wer war noch dabei?“

„Ich glaube einer von denen hieß Knut Sanders. Er betreibt eine Im- und Exportfirma. Adresse müsste im Berliner Telefonbuch stehen.“

„Halten Sie die Ohren offen, Herr Abu-Khalil und rufen Sie mich an, sobald Sie irgendetwas hören.“

Das große Buch der Berlin-Krimis 2017 - Romane und Erzählungen auf 1000 Seiten

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