Читать книгу Das große Buch der Berlin-Krimis 2017 - Romane und Erzählungen auf 1000 Seiten - Alfred Bekker - Страница 23

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Vladi Gruschenko schloss die Augen. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und gab sich ganz dem Genuss der Musik hin. Der Raum war schalldicht und so dröhnte der Klang der Berliner Symphoniker nicht in die anderen Räume.

Ja, dachte er. Das ist perfekte Harmonie...

In diesem Meer aus reinem Wohlklang konnte sich Gruschenko regelrecht verlieren. Er vergaß dann alles. Seine Sorgen, die Geschäfte, die Probleme mit der Justiz oder der Konkurrenz...

Manchmal sogar die Zeit selbst. Er geriet dann in einen Zustand, der irgendwo zwischen Trance und Traum zu definieren sein musste. Das war seine ganz persönliche kleine Flucht, aber Gruschenko fand, dass sie ihm zustand. Niemand durfte ihn dabei stören. Nicht einmal Violetta.

Ein grobes, hartes Geräusch riss ihn allerdings diesmal aus seiner Versenkung heraus. Jemand öffnete die Tür. Schritte auf dem glatten Parkett mischten sich in den Klangteppich der Streicher hinein wie ein unpassend gespieltes Schlagwerk.

Und dann die heisere Stimme, die ihn anfauchte.

Gruschenko öffnete die Augen und starrte in das hochrote Gesicht von Artur Titow, einem seiner Neffen. Vladi Gruschenko hatte geglaubt, dass Titow der ideale Kandidat für seine Nachfolge wäre. Der Plan, Artur zu seinem Nachfolger aufzubauen, verfolgte Vladi Gruschenko schon lange. Schließlich musste es ja auch nach seinem Ableben irgendwie weitergehen. Aber seitdem Vladi Gruschenko seinen Neffen in diesen Plan eingeweiht hatte, ließ Artur mitunter den nötigen Respekt vermissen. Er fühlt sich zu sicher!, dachte Gruschenko. Und das ist immer ein Fehler.

„Was fällt dir ein, hier hereinzuplatzen!“, schimpfte der Musikliebhaber und Sänger. Seine Stimme hatte genügend Kraft, dass er die Stereoaufnahme übertönen konnte und trotzdem noch verständlich sprach – anders als es bei Titows Gekrächze der Fall war. Es kam eben letztlich immer auf die nötige Atemtechnik an. Zwerchfellatmung – das war das Geheimnis und das Fundament dieser Stärke.

Artur zuckte regelrecht zusammen.

„Onkel Vladi, es muss etwa geschehen! Ich habe soeben gehört...“

„Nein, jetzt hörst du mir erstmal zu!“, unterbrach Vladi Gruschenko seinen Neffen, nachdem er per Fernbedienung die Musik abgeschaltet hatte. „Wie kannst du hier hereinplatzen, wo du genau weißt, dass mir diese Augenblicke heilig sind? Wie kannst du außerdem versuchen, mir vorzuschreiben, was ich zu tun habe?“

Violetta betrat jetzt den Raum. Sie sah ziemlich unglücklich aus und warf einen entschuldigenden Blick in Richtung ihres Mannes. „Es tut mir leid“, sagte sie. „Aber Artur ist einfach durch die Wohnung gestürmt...“

„Schon gut, Violetta. Dir mache ich keinen Vorwurf“, knurrte Vladi Gruschenko. Dann wandte er sich an Artur Titow. „Hör zu, ich bin schon wesentlich länger im Geschäft als du. Und vor allem habe ich mich schon eine ganze Weile gehalten! Dass du das auch kannst, musst du erst noch unter Beweis stellen!“

„Es geht um die Sache in Wien, Onkel Vladi! Das wächst uns über den Kopf!“

Vladi Gruschenko hob die Augenbrauen. „Erst handeln ohne nachzudenken und dann herumwinseln, wenn's mal ein bisschen Gegenwind gibt! Verdammt, das habe ich schon gerne! Reiß dich gefälligst zusammen!“

Artur Titow sah seinen Onkel mit festem, Entschlossenheit signalisierenden Blick an. „Du denkst, dass du die Sache auf deine bewährte Art und Weise schaukeln könntest... Aber das wird nicht der Fall sein. Wir werden uns etwas anderes ausdenken müssen.“

„Ich bin immer offen für vernünftige und praktikable Vorschläge“, sagte Vladi Gruschenko hart. „Nur für Geseiere habe ich wenig übrig.“

Das große Buch der Berlin-Krimis 2017 - Romane und Erzählungen auf 1000 Seiten

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