Читать книгу Das große Buch der Berlin-Krimis 2017 - Romane und Erzählungen auf 1000 Seiten - Alfred Bekker - Страница 25

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Rudi und ich gingen ins Wohnzimmer. Die Schonzeit für Roswitha Delgado war vorbei.

„Sie sollten uns jetzt reinen Wein einschenken“, sagte ich.

Sie wandte den Kopf in meine Richtung und musterte mich auf eine Weise, die mir sehr kühl zu sein schien. Aber sie sagte kein Wort.

Also fuhr ich fort. „Entweder Sie hatten doch Kontakt zu Ihrem Bruder oder jemand denkt das. Allerdings läuft das für diejenigen, die Sie umbringen wollen, wohl auf dasselbe hinaus. Aber wenn Sie wollen, dass Ihr Leben geschützt wird, dann müssen Sie mit uns kooperieren. Sonst werden wir kaum etwas für Sie tun können. Der Killer, der es auf Sie abgesehen hatte, wird es erneut versuchen. Sie wissen nicht wann oder wo... Also packen Sie jetzt aus...“

„Möglicherweise wären Sie ein Fall für das Zeugenschutzprogramm“, ergänzte Rudi. „Sie könnten dann mit neuem Namen und neuer Identität weiterleben...“

Roswitha schluckte. „Okay“, murmelte sie. „Ich werde alles sagen...“

„Bitte!“, nickte ich. „Am besten fangen Sie mit dem Tag an, als Sie Ihren Bruder zum letzten Mal gesehen haben.“

„Das ist erst ein paar Wochen her“, gab sie zu. „Sie hatten recht mit Ihrer Vermutung, ich habe mich regelmäßig mit Jochen getroffen, seit er untergetaucht ist. Nicht oft natürlich. Nur so oft, wie es seine Sicherheit zuließ. Mal in Marokko, mal in der Schweiz oder...“

„In Wien?“

„Ja, da auch. Jochen mochte die Stadt sehr. Er lebte dort unter falscher Identität.“

„Sie werden mir sicher einen Namen nennen können.“

„Ich hatte ihm zuletzt einen englischen Pass besorgt. Er nannte sich Richard Reilley. Zuvor hatte er jahrelang unter der Identität eines Südafrikaners namens Ray van Straat gelebt, aber das brachte einige Komplikationen mit sich. Südafrika ist kein Mitglied der Europäischen Union und dadurch war es für ihn viel komplizierter, das Land zu wechseln, eine neue Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen und so weiter. Aber die Pässe von dort sind wohl leichter zu fälschen. Jedenfalls kostete es viel weniger...“ Sie atmete tief durch und machte eine Pause. Ihr Blick ging an mir vorbei und starrte auf die vom Spezialglas aufgefangenen Kugeln. Dann schloss sie für einen Moment die Augen, ehe sie fortfuhr. „Jochen konnte nur Englisch. Für Fremdsprachen hatte er einfach kein Talent, deswegen musste er mit einer Identität unterwegs sein, zu der das passte, was ihn natürlich etwas einschränkte. Außerdem wollte er natürlich in der Nähe seines Geldes sein...“

„...das vermutlich auf Schweizer Nummernkonten gut angelegt ist“, vermutete ich.

„Ja, unter anderem in der Schweiz, in Liechtenstein. Überall da, wo man das Bankgeheimnis respektiert.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Er hatte immer Freude an Geldgeschäften und er konnte es natürlich auch nicht lassen, als er im Exil war...“

Exil – allein, dass Roswitha Delgado dieses Wort benutzte, sprach Bände darüber, wie sie die Geschäfte ihres Bruders sah. Aber Jochen Delgado war kein politischer Flüchtling, sondern ein Gesetzesbrecher auf der Flucht vor der Justiz, dessen Tätigkeit zu den Säulen des organisierten Verbrechens gehört hatte. Schließlich waren die ganzen Gewinne aus dem Geschäft mit Drogen nichts wert, wenn man dieses schwarze Geld nicht irgendwann in weißes verwandeln konnte. Geld, das dann auf möglichst unauffällige Weise in den Wirtschaftskreislauf zurückfloss und in völlig unauffällig wirkenden Investments steckte, die kaum noch Rückschlüsse auf die kriminelle Herkunft dieser Mittel zuließen.

„Jochen wollte reinen Tisch machen“, behauptete Roswitha. „Mehrfach war er knapp einem Attentat entkommen. Die Leute, für die er früher gearbeitet hat, fürchteten wohl, dass er sein Wissen früher oder später an die Justiz weitergegeben hätte.“

„Sie meinen Vladi Gruschenko.“

„Wer dahintersteckt, wird sich nie beweisen lassen. Jemand beauftragt einen Killer von einem Internet Café aus per Email über einen ausländischen Server... Es gibt unzählige Möglichkeiten, um keinerlei Zusammenhang zwischen Auftraggeber und dem Lohnkiller offenbar werden zu lassen. Und jemand wie Vladi Gruschenko bräuchte es noch nicht einmal ausdrücklich zu sagen, dass er den Tod von jemandem wünscht. Tatsache ist jedenfalls, dass Jochen nicht länger die Kraft hatte, immer wieder die Identität zu wechseln und von vorn zu beginnen. Er wollte ins Zeugenschutzprogramm und dafür im vollen Umfang aussagen.“

„Dann wären sicherlich ein paar Köpfe innerhalb des organisierten Verbrechens gerollt“, meinte Rudi.

Roswitha nickte. „Ganz sicher.“

„Wissen Sie den Namen des Mittelsmannes, der den Kontakt zur Justiz herstellen sollte?“, fragte ich.

Sie schüttelte den Kopf.

„Nein, tut mit leid.“

„Ist es vielleicht schon zu einem ersten Sondierungsgespräch gekommen?“

„Auch das weiß ich nicht. Ich weiß nur, was mir Jochen bei unserem letzten Treffen gesagt hatte.“ Ihr Gesicht lief dunkelrot an. Sie wischte sich durch die Augen und musste schlucken. „Er war so optimistisch, dass alles jetzt eine gute Wendung für ihn nehmen würde und dieses auf der Flucht sein für ihn nun ein Ende hätte...“ Sie schüttelte den Kopf und in ihren Augen glänzten Tränen. „Aber diese Hoffnung war leider vergebens...“

„Nennen Sie uns bitte jeweils Ort und Zeitpunkt Ihrer Treffen, die Sie mit Ihrem Bruder hatten“, forderte ich.

Sie sah auf. „Alle?“

„Alle, an die Sie sich erinnern oder die Sie durch Flugtickets und andere Unterlagen rekonstruieren können.“

„Ist das wirklich nötig?“

„Ja. Und außerdem möchten wir genaueres über die Umstände wissen, unter denen Ihr Bruder zuletzt gelebt hast. Vor allem wäre es wichtig, alle Kontaktpersonen zu kennen, von denen Sie wissen.“

Sie nickte leicht. „Sie denken, dass eine diese Personen Jochen verraten hat, nicht wahr?“, murmelte sie. Es war nur der Satzmelodie nach eine Frage.

Ich nickte. „Ja, das ist eine Möglichkeit, die wir in Betracht ziehen müssen.“

Das große Buch der Berlin-Krimis 2017 - Romane und Erzählungen auf 1000 Seiten

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