Читать книгу Vier Bergromane Sammelband: Hochmut kommt vor dem Fall und andere Romane - Alfred Bekker - Страница 20

Оглавление

14


Der Krainacher-Max war an einem der folgenden Tage wieder einmal auf der Pirsch. Es gab immer genug zu tun im Hochwald, aber insgeheim hoffte er natürlich, den Wilderer stellen zu können.

Selbst wenn mein Bruder etwas damit zu schaffen hat! Ich kann keine Nachsicht üben!, ging es ihm durch den Kopf.

Aber der Toni war ja nun gewarnt. Und wenn er klug war, dann hatte er zum letzten Mal gewildert und ließ er es von nun an bleiben!

Max stieg hinauf zum Hochwald.

Zwischendurch ging sein Blick immer wieder zum Himmel, an dem jetzt Wolken aufgezogen waren. Max hoffte nur, dass das Wetter nicht umschlagen würde.

Schließlich hatte er die Lichtung erreicht, auf der er den Wildschütz zum letzten Mal gesehen hatte.

Er kann sich damals doch net in Luft aufgelöst haben!, ging es dem jungen Jägersmann durch den Kopf. Aber offenbar war genau das geschehen! Auch wenn es unglaublich schien!

Max sah sich noch ein wenig um und folgte noch einmal dem Weg, von dem er glaubte, dass der Wildschütz ihn genommen hatte.

Er durchquerte den Wald, stieg immer steilere Hänge empor und war am Ende dort, wo der Wald aufhörte. Schroffe Felsen erhoben sich hier und schmale Pfade führten weiter hinauf.

Wer hier umherkletterte, musste schon die Geschicklichkeit und den sicheren Tritt einer Berggemse mitbringen, wollte er sich nicht ernsthaft in Gefahr begeben.

Früher waren sie oft hier oben in den Felsen gewesen, die beiden Krainacher-Buben.

Mit sicherem Instinkt hatten sie immer ihren Weg gefunden und so manche schöne Stunde im Angesicht der fernen, schneebedeckten Gipfel verbracht.

Aber die Zeiten hatten sich geändert.

Der Beruf ließ Max, dem Jäger, kaum noch Zeit, um einfach nur so zum Vergnügen zu herumzuklettern. Und seinem Bruder ging es nicht anders, seit er beim Vater auf dem Hof voll eingestiegen war.

Und was, wenn der Kerl doch seine Beute hier oben versteckt, und dann irgendwann später abgeholt hat?, ging es Max durch den Kopf.

Er hatte das ursprünglich nicht für möglich gehalten, aber jetzt, da er den Toni in Verdacht hatte, begann er umzudenken.

Der Toni war - genau wie er selbst - ein hervorragender Kletterer. Und wenn es einem zuzutrauen war, mitsamt seiner Jagdbeute hier her, in diese zerklüftete Felslandschaft zu flüchten, dann dem Toni!

Etwas umsehen kann ich mich hier ja mal!, sagte sich der Jäger, hängte sich das Gewehr auf den Rücken und machte sie sich daran, die steilen Hänge zu erklimmen.

Über einen schmalen Grat ging es dann weiter, vorbei an engen Felsspalten.

Ein Versteck besser als das andere!, dachte der Max grimmig.

Aber all diese Spalten zu durchsuchen, das war kaum möglich, es sei denn, der junge Jäger würde eine ganze Woche hier oben verbringen.

Es ist aussichtslos!, sagte eine Stimme in ihm, aber eine andere Stimme hielt ihn an, nicht aufzugeben und trotz allem weiterzusuchen.

Vielleicht fand er ja doch etwas, das ihn weiterbrachte.

Und wenn es am Ende auch nur der pure Zufall war, der ihm jetzt weiterhelfen musste!

Ein Geräusch ließ den Jäger dann auf einmal zusammenfahren.

Irgendwo stürzten ein paar Brocken in die Tiefe. Im nächsten Moment schrie jemand laut auf und es gab einen schauerlichen Widerhall.

Als ob jemand gestürzt ist!, durchzuckte es den Jäger wie ein Blitz.

Max ließ den Blick umherschweifen, konnte aber niemanden sehen. Mit schnellen Bewegungen kletterte er dann in die Richtung, aus der er den Schrei gehört hatte. Das Gewehr und die Jagdtasche ließ der junge Mann zurück, um schneller voran zu kommen.

Wenn hier wirklich jemand abgestürzt war, dann ging es um jeden Augenblick.

Vielleicht kam auch schon jede Hilfe zu spät, aber daran mochte Max nicht denken.

"Hallo!", rief er laut, als er auf ein Felsplateau kam und ein paar Mal tief durchgeatmet hatte. "Ist da jemand?"

"Hier!", ächzte eine Männerstimme.

Und dann hörte Max erneut, wie irgendwo Geröll und Steine in die Tiefe gingen.

Jetzt gab es für den jungen Grünrock kein Halten mehr.

Das Plateau mündete in einen Schmalen Steig. Auf der einen Seite befand sich eine steil aufragende Felswand, auf der anderen ein Abgrund.

Einen Augenaufschlag später verschlug es Max schier den Atem.

"Mein Gott, Toni", murmelte er fassungslos.

Mochte der Himmel wissen, was der Jungbauer hier zu suchen hatte!

Der Krainacher-Toni war offenbar von dem schmalen Steig abgerutscht. Glatt genug war das Gestein ja. Und nun hing Toni über dem Abgrund. Nur ein zäher Strauch gab ihm noch Halt, aber es war lediglich eine Frage der Zeit, wann dessen Wurzelwerk das Gewicht eines erwachsenen Mannes nicht mehr halten konnte.

"Hilfe!", ächzte Toni.

Max verlor keine Zeit und kam zu so schnell wie möglich zu dem schmalen Steig. Und dabei musste er sehr aufpassen. Das Gestein war wirklich sehr glatt. Manche Brocken waren einfach herausgebrochen und in die Tiefe gestürzt.

"Toni!", rief der Jäger. "Halte durch! Es dauert net mehr lang!"

"Mei, dich schickt der Himmel, Bruder!", kam es von unten herauf.

Max war inzwischen an der Unglücksstelle angelangt. Die Aufgabe, die vor ihm lag, war alles andere, als einfach. Er musste selbst sicheren Halt haben, sonst konnte seinen Bruder nicht heraufziehen.

Am Ende würden sie noch beide in der Tiefe landen. Und wer diesen Abgrund hinabgestürzt war, der hatte keine Überlebenschance.

Der Genickbruch war einem da fast sicher.

Max versuchte, sich gut festzuhalten und gleichzeitig mit dem rechten Arm, hinab zu seinem Bruder zu reichen. Zu kurz!

Es reichte nicht.

"Max!", rief indessen der Toni. "Ich kann net mehr!"

"Halte durch!", wies der Jäger seinen Bruder an. Ihre Blicke begegneten sich und Max sah in Tonis Augen nichts als blanke Verzweiflung. "Net aufgeben, Toni!", versuchte er ihn zu ermutigen.

Was sollte der Krainacher-Max tun?

Er hatte kein Kletterseil dabei, das er zu dem Bruder hätte hinablassen können. Und außerdem rann ihm die Zeit davon.

So nahm er kurzentschlossen den ledernen Gürtel ab, den er um seine grüne Jacke trug und ließ das eine Ende hinab zu seinem Bruder gleiten.

"Hier Toni! Ich ziehe dich hinauf!", rief er. Aber der Toni zögerte. Erst als der Strauch, an dem er hing, erneut nachzugeben begann, wagte er es und klammerte sich an den Gürtel.

Max musste sich gut festhalten, nicht zusammen mit seinem Bruder in die Tiefe gerissen zu werden. Stück um Stück ging es vorwärts, bis der Toni endlich auf dem Steig war. Er atmete erleichtert auf und auch Max war froh, als es endlich geschafft war.

Ein paar kleinere Steinbrocken rieselten noch in die Tiefe.

Erst nach einigen Augenblicken konnte man sie unten aufschlagen hören.

"Mei, das war knapp", stellte der Toni fest "Net einen Augenblick später hättest kommen dürfen, Bruder! Sonst läg' ich jetzt da unten!"

"Schon gut", murmelte der junge Jäger, dem ein einziger Gedanke nicht aus dem Kopf ging: Was hatte sein Bruder hier oben zu suchen? War er etwa wieder unerlaubterweise auf die Pirsch gegangen?

Ein Gewehr oder anderes Jagdzeug hatte der Toni nicht dabei. Aber das musste nichts heißen. Entweder es war ihm in die Tiefe gefallen, als er auf dem Steig abgerutscht war, oder aber er hatte seine Sachen ohnehin hier oben, in einer sicheren Felsspalte versteckt!

Toni setzte sich indessen auf, ächzte und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

"Es ist net zu fassen!", war die Stimme des Jägers zu hören.

"Ich hab' dich eindringlich gewarnt! Ich hab' dir das Messer gezeigt, dass ich auf der Lichtung gefunden hatte - aber das alles konnte dich net abhalten, doch wieder loszuziehen..." Max schüttelte fassungslos den Kopf. "Ich versteh dich net, Bruder!"

"Max!", rief der Toni und hob hilflos die Arme.

Aber der Bruder wollte ihm kein Gehör schenken. Er machte eine wegwerfende Handbewegung.

"Zapperment! Spar dir deine dummen Ausflüchte! An die glaubst doch selbst net mehr wirklich!", schimpfte Max. "Ich habe gehofft, dass es net wahr ist. Aber nun scheint es ja wohl klar auf der Hand zu liegen! Es tut mir weh, das sagen zu müssen, Toni: Du bist ein Wildschütz! Aber glaub ja net, dass du jetzt glimpflicher davonkommst, als jeder andere, den ich hier oben hätte erwischen können, hörst du? Ein Verfahren werd' ich dir net ersparen können!"

"Nein!", rief der Toni. "Du irrst dich!"

"Das glaub' ich net! Aus welchem Grund solltest du wohl sonst hier oben sein!"

"Jedenfalls net, um zu wildern! Oder siehst du vielleicht ein Gewehr in der Nähe! Ich hab' keine Flinte dabei! Und auch sonst nix, was man zur Jagd so braucht!"

Max deutete in die Tiefe.

"Vielleicht finden wir deine Sachen dort unten", murmelte er düster.

"Das ist net wahr! Du kannst gerne nachschauen!"

"Dann hast die Sachen hier irgendwo versteckt! Hier oben gibt's ja mehr als genug Orte, an denen man so etwas sicher ablegen kann!"

Toni machte ein verzweifeltes Gesicht. Alles sprach gegen ihn und es schien keine Möglichkeit zu geben, den Bruder zu überzeugen.

"Du irrst dich, Max!"

"Und das Messer?"

"Ich hab's verloren!", behauptete der Toni. "Am selben Tag, an dem ich es kaufte! Das ist die reine Wahrheit, bei allem was mir heilig ist!"

Max machte eine verächtliche Geste.

"Was ist dir denn noch heilig, Bruder!" Er seufzte. "Es gab mal eine Zeit, da haben wir zusammengehalten wie Pech und Schwefel. Nix und niemand konnt' uns auseinanderbringen. Weißt noch, wie wir oben auf Bergtour waren?"

"Freilich!", bestätigte der Toni.

"Aber das ist lang her...", murmelte Max traurig. "Ich weiß auch net, welcher Dämon zwischen uns gefahren ist..."

Toni versuchte sich zu erheben, stöhnte dann aber plötzlich auf.

Und da sah Max auf das Bein seines Bruders.

"Das sieht net gut aus!", meinte der Jäger. "Hast dir ganz schön was abgeschürft!"

"Ich fürchte, es ist doch mehr, so wie das wehtut!", gab der Toni zurück.

Toni versuchte, sich hinzustellen, brach aber gleich wieder ein.

"Sei vorsichtig, Toni!", forderte Max. "Sonst landest du doch noch da unten in der Tiefe!"

"Um einen Wilderer wär's doch net schad - oder irre ich mich?", knirschte der Toni zwischen den Lippen hervor. Er schien Schmerzen zu haben.

Max sah seinen Bruder seinen Bruder entsetzt an.

"Schmarrn!", entfuhr es ihm dann. "Wie kannst so etwas nur denken!"

Dann kümmerte sich der Jäger um das Bein, um es zu untersuchen. Der Toni schrie laut auf. "Willst mich umbringen?", rief er. "Ich wusst net, dass die Strafen für Wilderei so hart sind!", Er streckte den Arm aus. "Komm, Max, hilf mir auf!"

Aber der Jäger schüttelte den Kopf.

"Na", meinte er ernst. "Das Bein ist gebrochen!"

"Soll das ein Witz sein?"

"Ich bin kein Arzt, aber ein bisserl versteh' ich schon davon!"

Max erhob sich.

"Was hast du vor?", fragte der Toni da.

"Das Bein muss geschient werden. Aber hier oben ist nix vorhanden, was sich dazu eignet. Ich werde also ein Stück hinabsteigen. Ich Hochwald gibt's genug Holz. Und außerdem muss ich meine Jagdtasche holen, die ich zurückgelassen hab, denn da ist auch Verbandszeug drin! Rühr dich net vom Fleck, hast gehört?"

Über Tonis Gesicht ging ein mattes Lächeln.

"Mei, wie denn! Da brauchst wirklich keine Sorge zu haben!"

Die beiden Männer blickten sich einen Augenblick an.

Vielleicht war der erste Schritt zwischen ihnen schon getan.

Der Toni deutete indessen zum Himmel, an dem die Wolken sich zu immer bedrohlicheren Haufen aufgetürmt hatten.

Richtig düster war es geworden.

"Das Wetter macht mir zur Zeit am meisten Sorgen", meinte der Jungbauer und deutete mit dem Finger nach droben.

Max blickte ebenfalls kurz hinauf und nickte.

"Ein schönes Unwetter könnt das werden. Da braut sich ganz schön was zusammen... Ich hoffe nur, dass wir net mehr hier oben sind, wenn es losgeht!"

"Mei, das kannst du laut sagen", murmelte der Toni. Und auf einmal schien es so, als wäre wieder etwas von der alten Verbundenheit da, die die beiden Krainacher-Buben von früher her so innig miteinander verbunden hatte.

"Ich werde mich beeilen!", versprach Max und wandte sich dann zum Gehen.

Vier Bergromane Sammelband: Hochmut kommt vor dem Fall und andere Romane

Подняться наверх