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8. Kapitel

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Als Twist den letzten Hügel vor Wood Green hinter sich gebracht hatte, war es vierzehn Uhr geworden, und der Himmel halte sich mehr und mehr eingetrübt. Er hatte nach dem Telefongespräch mit Susan das Weichbild der Stadt nach Norden verlassen und befand sich auf dem Weg zur Villa seines ehemaligen Vorgesetzten.

Dort angelangt, stellte Twist den Wagen ab und ging zu Fuß bis zum Portal. Auf sein Klingeln öffnete fast sofort ein straffer, sehniger alter Herr, mit buschigen Augenbrauen und vollem, ergrautem Haar.

„Guten Tag, Sir!“, sagte Twist straff. „Wir haben uns lange nicht gesehen!“

Erst jetzt erkannte der Hausherr den Major. „Gütiger Himmel — Captain Twist! Das heißt ...“ — verbesserte er sich sofort — „Major Twist, muss ich ja wohl sagen ...“

„Major a. D.“, korrigierte Twist grimmig. „Sir, uns Offizieren steht der Weg zu einem vertrauenswürdigen Vorgesetzten offen, wenn wir selbst nicht mehr weiterwissen. Mir geht es so. Ich bitte in einem Fall von großer Wichtigkeit und Eile um Ihr Gehör!“

„Mir ganz aus der Seele gesprochen! Fühlt sich seinen Vorgesetzten auch nach der Entlassung zugehörig. War immer gut der Mann, und ist es noch! Kommen Sie, lieber Twist, ich stehe Ihnen zur Verfügung!“

Während der alte Herr Whisky, Gläser und Tabatiere aus dem Schrank holte, berichtete Twist in gesammelter Haltung und im Ton eines militärischen Rapports, was ihn so sehr bedrückte.

Der alte Herr — er mochte etwa 65 sein — machte ein grimmiges Gesicht. „Sie sind der Meinung, dass ich Ihnen helfen könne — sonst wären Sie gar nicht zu mir gekommen. Also wird es Ihnen auch recht sein, wenn ich in meiner Weise eingreife. Haben Sie Vertrauen zu mir?“

„In jeder Beziehung, Sir!“

„Dann ist es ja gut! — Entschuldigen Sie mich einen Augenblick und bedienen Sie sich bitte mit Whisky und Zigaretten. Ich bin gleich wieder da!“

Der Hausherr verließ das Zimmer. Twist hörte ihn draußen in der Diele telefonieren. Als er wieder eintrat, setzte er sich zu seinem Besucher und goss sich einen Whisky ein. „Ich habe einen alten Freund angerufen. Er arbeitet nicht direkt beim Secret Service, sondern hat in exponierter Stellung bedeutende Vollmachten und ist beim Foreign Office genauso im Spiel. Er dürfte für Sie der richtige Mann sein. Ich habe eben mit ihm gesprochen. Er lässt Ihnen sagen, Sie möchten ganz ruhig nach Hause fahren; er werde Sie spätestens heute Abend aufsuchen.“

„Danke, Sir!“, sagte Twist erleichtert. „Wissen Sie, die Last der Verantwortung ist mir allmählich zu groß geworden. Danke! — Darf ich Näheres über Ihren Freund erfahren?“

„Das wird Ihnen Dane selbst sagen, Twist! — Darf ich Ihnen eine etwas indiskrete Frage stellen?“

„Bitte!“

„Wir haben einander fast zehn Jahre nicht gesehen. Das ist kein Vorwurf, denn ich bin genauso an unserer Entfremdung schuld wie Sie. Inzwischen ist aber auch genügend über Mary und mich hereingebrochen.“ Er seufzte bitter, und die Falten und Runzeln auf seinem harten, störrischen Gesicht versteiften sich. „Deshalb werden Sie nicht beleidigt sein, wenn ich Ihnen sage, dass mich Ihr Besuch in Erstaunen versetzt hat — in freudiges Erstaunen natürlich. Hatten Sie einen besonderen Grund, ausgerechnet mich als Ihren Beistand zu wählen?“

„Sie haben das Unausgesprochene sofort erraten, Sir! Ja, ich hatte — außer dem Vertrauen natürlich, das ich Ihnen stets entgegengebracht habe — noch einen besonderen Grund: Ich habe Susan getroffen. Ich weiß alles über Susan und über ihre Ehe und Scheidung. Ich habe Susan immer geliebt. Wir haben uns ausgesprochen, und ich habe sie gefragt, ob sie meine Frau werden will.

„Sind Sie des Teufels, Mann!“, fiel ihm Colonel Auston, kirschrot vor Zorn, in die Parade. „Heiraten Sie, wen Sie wollen, tun Sie, was Sie wollen, begeben Sie sich so tief ins Parterre hinunter, wie Sie wollen — aber lassen Sie mich aus dem Spiel. Damit das klar ist ...“

„Sir!“, fuhr Twist auf. „Ich bitte Sie ...!“

„Nehmen Sie gefälligst Folgendes zur Kenntnis: Ich habe keine Tochter, ich habe nie eine gehabt. Sie, Seldwyn, sind mir — nach wie vor — lieb wie ein eigener Sohn. Ich kann Ihnen selbstverständlich nicht verbieten, die geschiedene Mrs. Boole zu heiraten. Wenn Sie es aber tun, dann schließen Sie sich automatisch aus dem Kreis derer aus, die zu kennen und mit denen zu verkehren ich mich in der Lage fühle.“

„Aber ich bitte Sie, Sir“, begann Twist, „so unnachgiebig können Sie sich doch nicht gegen Ihre eigene Tochter stellen. Alles was recht ist, aber man muss doch vergeben und vergessen können ...“

„Major Twist“, unterbrach ihn Auston scharf, „was ich tun kann und was nicht, bestimme ich in meinem Hause und meiner Familie immer noch selbst! Merken Sie sich das! Und jetzt gehen Sie bitte. Sie können meinetwegen dann wiederkommen, wenn Sie es gelernt haben, sich zu mäßigen und sich einem Vorgesetzten gegenüber zu benehmen!“

Twist federte auf. „Sehr wohl, Sir!“, bellte er nicht weniger störrisch. „Ich bitte mich abmelden zu dürfen!“

Er wandte sich auf dem Absatz um und verließ das Haus. Colonel Auston begleitete ihn zur Tür, sprach aber kein Wort mehr und behandelte ihn wie Luft.

*


Gegen halb fünf stoppte Twist seinen Wagen vor Haus 14 Cleopatra’s Gardens und stieg aus.

Als James auf sein Klingeln nicht öffnete, beschlich ihn sofort ein banges Gefühl. Als auch der zweite und dritte Versuch vergeblich blieb, nahm er angsterfüllt die Schlüssel aus der Tasche, sperrte auf und betrat die Diele. Auf dem runden Tisch lag neben der Visitenkartenschale ein Zettel von Susans Hand:

„Liebster, ich bin zusammen mit James nach 36 Regeth Walk, St. John's Wood gefahren. Komm bitte nach, sonst erwachsen mir unerträgliche Schwierigkeiten. Bitte sofort kommen und niemandem etwas sagen!! Sehr in Eile immer Deine Susan.“

Der Major fluchte laut los. Aber alles Toben und Wüten hatte keinen Sinn, das erkannte Twist bald. Es galt zu handeln.

Er suchte nervös Colonel Austons Nummer in Wood Green. Als er sie gefunden hatte, rief er an.

„Hier bei Colonel Auston“, sagte eine ergebene Stimme,

„Holen Sie bitte den Colonel an den Apparat, aber schnell, Mann!“ Twists Kommandoton hatte Windstärke zwölf angenommen.

„Sehr wohl, Sir!“, antwortete die Dienerstimme mit unerschütterlicher Gelassenheit.

„Ich muss Sie trotzdem vorher bitten, Ihren Namen zu nennen!“

„Notruf von allerhöchster Dringlichkeit! Kehrt, marsch — marsch!“

Twist handelte richtig. Hätte er seinen Namen genannt, dann hätte sich Auston mit Sicherheit verleugnen lassen.

Wenig später hörte er die Stimme seines ehemaligen väterlichen Freundes: „Darf ich erfahren, wer mich auf so ungewöhnliche Weise ans Telefon zitiert?“

Hier, so wusste Twist, musste er gleich mit der Tür ins Haus fallen, deshalb bellte er:

„Während meiner Abwesenheit ist Susan entführt worden. Man versucht, mich in das Haus 36 Regeth Walk, St. John's Wood, zu locken. Obwohl ich Trottel genau weiß, was mir dort blüht, gehe ich selbstverständlich hin, Susan herauszupauken. Ihr Freund, von dem vorhin die Rede war, wird zu einem späteren Zeitpunkt seinen Besuch nachholen müssen — vielleicht kann er auch etwas für Susan tun. Ich wiederhole: 36 Regeth Walk, St. John's Wood.“

„Um Gottes willen, Twist, hängen Sie noch nicht auf ... — so hören Sie doch ...!“

Twist hörte nicht hin, er knallte den Hörer auf die Gabel und machte sich in Windeseile zum Ausgehen fertig. Die Pistole und drei Ersatzmagazine schob er in die Tasche seines Regenmantels, setzte sich in seinen Daimler und raste unter rücksichtsloser Missachtung aller Verkehrsvorschriften zum Piccadilly Circus. In dessen unmittelbarer Nähe ließ er den Daimler auf einem Parkplatz stehen und fuhr in einer Taxe weiter. Er war jetzt ganz ruhig, ganz sicher und ganz gelassen. Er war fest entschlossen, entweder Susan herauszuhauen — und James natürlich auch — oder sich, falls dies nicht möglich war, an den Entführern blutig zu rächen.

*


Ein Umstand gab Twist besonders zu denken. Er hatte St. John's Wood bisher, wenn auch nicht für eine besonders feudale Wohngegend, so doch für einen Stadtteil gehalten, in dem ehrenwerte Leute wohnten, und konnte sich das Viertel ganz einfach nicht als Verbrecherschlupfwinkel vorstellen. Irgendein Trick musste dabei sein — aber welcher? Vergebens zermarterte er sich den Kopf, er kam auf keine Erklärung.

Mit hellsichtiger Klarheit wusste Twist, was geschehen war. Irgendjemand — entweder Zurlinis oder Louella Bendix' Leute — hatten James überwältigt und Susan in Schach gehalten, und dann hatte man Susan gezwungen, den bewussten Zettel zu schreiben — oder aber der Zettel stammte gar nicht von Susan ...

Twist erinnerte sich nicht daran, jemals ihre Handschrift gesehen zu haben ... oder doch? Er erinnerte sich an den ersten Tag im „Little Soul's Joy“, als er die Eintragungen im Gästebuch studiert und dabei auch Susans Eintragung gelesen hatte. Jetzt fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.

Susans Handschrift war steil und groß, charaktervoll, mit deutlichen Buchstaben, der Zettel aber, den er jetzt zu Rate zog, war mit viel kleineren Schriftzeichen bedeckt.

„Setzen Sie mich an der nächsten Straßenkreuzung ab!“, bat Twist den Chauffeur.

Wenig später stieg er aus und setzte den Rest des Weges zu Fuß fort. Der Regeth Walk entpuppte sich als eine lange, schmale Straße mit hochragenden, schmalbrüstigen Häusern, die aber einen durchaus gepflegten Eindruck erweckten und von Familien des untersten, redlichen Bürgerstandes bewohnt schienen.

Haus Nummer 36 unterschied sich durch nichts von den anderen Häusern; außer durch eine Kneipe im Erdgeschoss.

In seiner Verzweiflung betrat Twist die Kneipe, die innen überraschend sauber und gemütlich eingerichtet war, und nahm in einer Ecknische Platz. Fünf Minuten vergingen — zehn Minuten — fünfzehn Minuten. Twist konnte seine Nervosität kaum mehr bezähmen — was sollte das alles?

Wollte man ihn seelisch weichklopfen und reif machen — oder was war sonst los?

Als weitere fünf Minuten vergangen waren, hielt er es nicht mehr aus. Ohne sein Bier berührt zu haben, stand er auf und verließ das Lokal. Bezahlt hatte er schon vorher.

Inzwischen war die Dämmerung über London hereingebrochen, und mit ihr zog Nebel in zarten Schwaden auf. Aufs Geratewohl betrat er den Hausflur neben der Kneipe und schritt, dabei ständig die Pistole griffbereit in der Manteltasche haltend, zur Treppe. Langsam ging er daran, in die oberen Etagen hinaufzusteigen. Erste Etage — zweite Etage — dritte Etage — vierte Etage — fünfte Etage — blieben nur noch der Dachboden und der Keller ...

Mit größter Vorsicht stieg er zum Dachboden hinauf und durchstreifte ihn nach allen Richtungen, fand aber nicht das mindeste. Es war einfach zum Verzweifeln!

Seine letzte Hoffnung — und zugleich eine große Gefahr — war der Keller.

Mit zusammengebissenen Zähnen stieg er hinunter. Auch hier fand er nichts Auffälliges.

Auf der Straße war in der Zwischenzeit die Sicht schlecht geworden. Etwa fünf Minuten schlenderte Twist auf und ab und hatte dabei das mehr als unangenehme Gefühl, von tausend Augen heimlich belauert und verfolgt zu werden. In trostloser Stimmung trat er noch einmal in das Lokal ein und verlangte einen Whisky. Er hatte ihn nötig.

Twist warf einen schnellen Blick auf sein Handgelenk: Achtzehn Uhr dreißig. Als er wieder ins Freie trat, parkte vor dem Lokal ein Kraftwagen, der vorher nicht da gewesen war. Twist hielt ihn für einen Morris Minor.

Morris Minor ...?, überlegte er. Hat Susan nicht in der vergangenen Nacht vor dem Rasthaus „Stranger's Inn“ Edgeland in einem Morris Minor gesehen?

Um keinen Verdacht zu erregen, wandte er sich abrupt um und verschwand in der Dunkelheit. Er war ganz sicher, dass ihm niemand gefolgt war, und schlug einen großen Bogen. Unter Aufbietung aller Vorsicht arbeitete er sich auf der jenseitigen Straßenseite zurück, bis er schräg gegenüber der Kneipe stehen blieb. Wenigstens fünf Minuten lang beobachtete er den Morris, ohne dass sich dort etwas tat.

Was ist zu tun? Auf jeden Fall sollte man das polizeiliche Kennzeichen des Morris feststellen ...!

Twist schob sich unauffällig die paar Schritte über die Straße und umkrampfte dabei fester den Pistolengriff in der Manteltasche. Inzwischen war aber der Nebel so dicht geworden, dass Twist schon dicht hinter dem Heck des Wagens in die Hocke gehen musste, wenn er die Nummer lesen wollte.

P O J 2 0 9, entzifferte er und gab sich Mühe, diese Zahlen seinem Gedächtnis einzuprägen.

Der Knüppelhieb allerdings, den er gleich darauf über den Schädel erhielt, war alles andere als gedächtnisfördernd. Zunächst einmal riss der Film jäh. Twist hörte, sah und wusste nichts mehr.

Killer-Zimmer: Krimi Koffer mit 1300 Seiten

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