Читать книгу Killer-Zimmer: Krimi Koffer mit 1300 Seiten - Alfred Bekker - Страница 23
9. Kapitel
ОглавлениеAls Twist wieder erwachte, war ihm sterbenselend zumute. Sein Schädel schmerzte, und er hörte einen Engelschor singen. Vom Fluss her kam immer mehr Nebel, nicht der richtige „Fog“, aber widerwärtig genug, um in der Kehle zu kitzeln, dabei durfte Twist nicht husten. Jetzt endlich konnte er nämlich wieder einen vernünftigen Gedanken fassen. Er wurde getragen. Einer hatte ihn bei den Beinen gepackt, ein zweiter unter den Achseln. Kein Zweifel, die Verbrecher hatten den betäubenden Schlag für viel kräftiger gehalten, als er wirklich gewesen war. Sie hielten Twist für ohnmächtig, während er in Wirklichkeit in ständig steigendem Maße Herr seiner Sinne wurde. Er fasste einen ganz bestimmten Plan und war fest entschlossen, ihn um Susans willen durchzuführen. Auf Hilfe von dritter Seite konnte er freilich nicht mehr rechnen. Selbst wenn Colonel Austons geheimnisvoller Freund etwas unternommen hatte, war er mit 99 Prozent Sicherheit inzwischen von den Entführern abgehängt worden.
Die beiden Träger wurden mit Twist vom Schlagschatten eines hohen Gebäudes aufgenommen. Plötzlich verhielt der Vordermann seine Schritte.
„Was ist los?“, fragte eine Stimme — Edgelands Stimme!
„Halt's Maul!“ Der Vordermann war Sarketh, der o-beinige Sarketh!
Ein schriller Pfiff ertönte, noch einer ...!
„Polente!“, wisperte Edgeland tonlos. „Lass ihn fallen, der ist noch für Stunden hinüber. Holen ihn später!“
Sie ließen ihn tatsächlich fallen. Twist flog genau mit dem Kreuz auf einen Stein. Es tat gemein weh, aber er biss sich auf die Lippen, so ein Stöhnen unterdrückend.
„Los — ab!“
Twist war allein.
Er griff automatisch in die Tasche — und hätte beinahe aufgeheult vor Freude. Goddam — sie hatten ihm die Pistole gelassen!
Twist zog die Beine an und richtete sich halb auf. Das Geräusch, das seine Entführer so sehr erschreckt hatte, war verklungen. Sie konnten jeden Augenblick wiederkommen. Twist versuchte, sich zu orientieren. Vor ihm ragten die Umrisse einiger Gebäude zum Himmel. Mechanisch setzte er sich in Bewegung. Ihm war gar nicht wohl zumute. Unter normalen Umständen hätte er sich gehütet, auf eigene Faust weiter vorzugehen, aber es ging um Susan! Er drückte sich an Mauern und Schuppen vorbei und arbeitete sich zu den ragenden Gebäuden vor, bis er mit dem Knie an einen Kistenstapel stieß. Es gab ein donnerndes Gepolter. Twist zuckte erschrocken zusammen und machte sich so klein wie möglich. Wohin waren die beiden Banditen verschwunden?
Da das von ihm verursachte Geräusch niemanden alarmiert hatte, war es wohl auch nicht gehört worden. Twist richtete sich langsam auf und spürte einen Druck am Schädel. Damned — ein Fensterflügel! Sollten Edgeland und Sarketh ...?
Aufs Geratewohl, einem unerklärlichen Gefühl folgend, kletterte Twist auf den Kistenstapel, was nicht ohne Geräusch abging. Dann packte er mit beiden Händen zu, erfasste den Sims und zog sich zu einem Fenster hinauf, das für seine breiten Schultern fast zu schmal war. Sekundenlang ruderte er in der Luft — die Arme im Raum, die Beine draußen — wie ein Frosch, und war dabei hilflos, weil er die Pistole wieder hatte einstecken müssen. Gleich darauf gelang es ihm, eine Rolle vorwärts zu machen und auf seine Füße zu kommen. Er fühlte sie auf Fliesen klappern! Ein herber Geruch von Desinfektionsmitteln sagte ihm, dass er in einer Toilette stand. Zehn Schritte brachten ihn zur Tür, durch die er einen völlig finsteren Korridor betrat. Betreten sah er sich um. Rechter Hand bemerkte er einen Lichtfaden. Sekunden später stand er vor dem Schlüsselloch, bückte sich, sah hinein. Der Raum dahinter war leer. Soll ich oder soll ich nicht ...?
Er hätte hinterher nicht begründen können, warum er seinem Impuls nachgab und lautlos, mit schussbereiter Pistole, das gut eingerichtete Herrenzimmer betrat: großer Schreibtisch, Telefon, Bücherschrank, zwei runde Tischchen, Aktenständer. Apropos Telefon: Gab es da vielleicht ein Schildchen mit der Nummer? Es g a b ein Schildchen: CAMden 896 2.
In diesem Augenblick erlosch schlagartig das Licht. Twist zuckte zusammen. Was tun? Er entfernte sich lautlos aus der Mitte des Zimmers und nahm beim Bücherschrank Deckung. Dabei stieß er mit dem Fuß an den Papierkorb, der mit knackenden und rasselnden Geräuschen umfiel und seinen Inhalt auf den Teppich entleerte.
„Nehmen Sie die Hände hoch!“, befahl eine amüsierte Stimme, und etwas Hartes bohrte sich in Twists Rücken. „Dachten Sie, Sie könnten uns entkommen? Dachten Sie das wirklich, Sie Stümper?“ — Es war Edgeland. Twist hatte keine Wahl. Er gehorchte zähneknirschend.
Fast im gleichen Augenblick flammte das Licht wieder auf.
„Drehen Sie sich um, Mr. Twist“, befahl er, „aber machen Sie keine Dummheiten!“
Twist musste wohl oder übel gehorchen.
Auf kurze Distanz stand er dem famosen Schriftsteller gegenüber, der reichlich nervös schien, und dessen linkes Augenlid unaufhörlich zuckte — ganz im Gegensatz zu der äußerlichen Gelassenheit, die er sich zu verleihen suchte.
„Immer brav die Ärmchen hochhalten!“, fuhr er fort. „Ja keine Dummheiten machen!“
Diesmal presste er die Pistole von vorne genau auf Twists Herz. Mit der Linken tastete er den Regenmantel des Majors ab und entdeckte die Pistole in der rechten Seitentasche.
„Ein echter Browning!“, schmunzelte er. „Nobel, nobel, so etwas lob ich mir! Sie wird mein kleines Waffenarsenal wundervoll ergänzen.“
Unter normalen Umständen hätte sich Twist lieber die Zungenspitze abgebissen, als dass er den Verbrecher um etwas gebeten hätte, aber die quälende Sorge um Susan zwang ihn dazu, den Mund aufzumachen: „Edgeland, sagen Sie mir, was Sie mit Miss Auston gemacht haben!“
„Oh, der jungen Dame geht es ausgezeichnet! Übrigens eine ungewöhnlich hübsche und charmante Frau! Wo hatte ich bloß meine Augen im 'Little Soul's Joy'! Aber das, was ich dort versäumt habe, kann ich hier in London leicht nachholen“ Er bemerkte Twists Zusammenzucken und lachte hässlich. „Immer ruhig Blut bewahren, Major Twist! So ein lächerlicher Zwischenfall wird doch einen bewährten Weltkriegssoldaten nicht auf die Palme treiben — oder?“
Die Tür zum Nebenraum öffnete sich: Joey Sarketh trat ein in Reithosen, Schaftstiefeln und Tweedjackett.
„Je später der Abend, desto schöner die Gäste“, sagte er lächelnd. „Bring ihn schon ’rüber, Willi!“
Die beiden nahmen ihren Gefangenen in die Mitte und stießen ihn in den Nebenraum. Nebeneinander auf der Couch saßen zwei gefesselte und geknebelte Gestalten: Susan Auston und James.
Twist wollte mit einem Aufschrei auf Susan losstürzen, man stellte ihm aber blitzschnell ein Bein, und er ging krachend zu Boden. Er holte sich dabei eine blutige Nase; wieder drohte ihn wütender Schmerz im Kopf kampfunfähig zu machen. Als er seine fünf Sinne wieder soweit beisammen hatte, saß er ebenfalls gefesselt — aber nicht geknebelt — auf der Couch.
Sarketh stellte sich mit dem Rücken gegen die Füllung der Korridortür und spielte lässig mit seiner Pistole.
Edgeland nahm am ovalen Tisch Platz und ließ die Beine baumeln.
„Jetzt werden wir das miteinander halten“, sagte er beißend, „was man in unseren Kreisen eine gebildete Unterhaltung nennt ...“
„Ich werde kein Wort dazu beitragen“, versetzte Twist entschieden, „ehe man nicht Miss Auston und meinen Diener von den Knebeln befreit hat.“
Edgeland entgegnete kopfschüttelnd: „Mr. Twist — meine Hochachtung vor Ihrer Person ist derart grenzenlos, dass ich Ihnen aufs Wort glaube! — Aber wie wäre es, wenn ich mich an Miss Susan halten würde, he?“
Das half!
„Well“, sagte Twist böse, „ich werde reden, nehmen Sie aber Miss Auston vorher den Knebel ab — bitte!“
„Wenn es unbedingt sein muss ...“
Edgeland befreite zunächst Susan und dann James von den lästigen Knebeln.
Susan holte tief und befreit Luft und schluchzte: „Seldwyn, jetzt bist du ihnen doch in die Falle gegangen! — Sie sind ja so gemein! So grenzenlos gemein!“
James sagte kein Wort. Er senkte betreten den Blick — er schämte sich.
„Halt den Mund, Mädchen, kein Wort, das ich dir nicht erlaube!“, herrschte Edgeland Susan an.
In diesem Augenblick schlug im Nebenzimmer der Telefonwecker an.
Edgeland wandte sich um. „Geh du hin, Joe!“
Sarketh trat in den angrenzenden Raum hinaus, führte ein kurzes Gespräch und kam dann wieder:
„Otello will mich unten sprechen“, sagte er achselzuckend. „Sei so freundlich und warte mit dem Verhör, bis ich zurück bin — ich will nämlich auch hören, was hier gespielt wird.“
Fünf Minuten vergingen — zehn Minuten — niemand sprach ein Wort. Edgeland hatte sich in aller Ruhe eine Zigarette angezündet und beobachtete spöttisch Twist und Susan.
Endlich ertönten im Korridor Schritte. Eine heisere Stimme flüsterte: „Komm schnell raus, Willi ...!“
Der Ausdruck von Verwunderung trat in Edgelands brutales Gesicht. Er ging rückwärts zur Tür, öffnete mit dem Ellbogen und trat noch einen Schritt zurück — im gleichen Augenblick hörte Twist einen sausenden Hieb und einen dumpf polternden Fall. Ehe er begriffen hatte, was eigentlich geschehen war, wurde die Tür vollends aufgezogen, und ein großer, breitschultriger Mann, tadellos gekleidet, mit einem schmalen, aristokratischen Gesicht, in dem die hohe, kluge Stirn, die fast klassische Nase, das kantige Kinn und der harte Mund besonders auffielen, trat ein. Er musterte Twist mit schief gehaltenem Kopf etwas amüsiert.
„Major Twist ...?“, fragte er.
„Allerdings!“, erwiderte dieser kühl.
„Ich bin Major Dane Taylor! Ein Glück, dass wir Sie noch rechtzeitig gefunden haben! Zunächst einmal möchte ich aber die Dame von ihren Fesseln befreien ...“
*
Nach Twists Anruf hatte Colonel Auston sofort Major Taylor angerufen und diesem über die veränderte Lage berichtet. Taylor hatte seine Leute auf den Regeth Walk angesetzt, und auf diese Weise hatten sie Twist ständig beschattet. Alles hatte bis zu dem Augenblick geklappt, wo man den betäubten Twist in den Hinterhof in Camden Town getragen hatte. Durch ein Zusammentreffen unglücklicher Umstände hatte man sowohl die Entführer als auch den Entführten für eine halbe Stunde aus den Augen verloren. Aber dann war alles doch noch gut gegangen. Taylors Leute — Zivilisten und dazu noch elegant gekleidete Zivilisten — hatten zuerst Zurlini zu überwältigen vermocht, ihn dann gezwungen, Sarketh in den Keller zu locken, und am Ende war in der bekannten Weise auch Edgeland unschädlich gemacht worden.
Twist hatte keine Ahnung, wohin die Fahrt nun ging. Er saß in einer mächtigen Limousine auf dem Rücksitz und hielt Susan im Arm. James saß betreten daneben.
„Wie ist es eigentlich gekommen, dass ihr überwältigt wurdet?“, wandte sich Twist an Susan.
„Du darfst James keinen Vorwurf machen!“, bat Susan eifrig. „Er ist ganz unschuldig in alles hineingetaumelt. Um vier Uhr hat es geklingelt. James ging öffnen. Edgeland und Sarketh bliesen ihm Pfeffer in die Augen und betäubten ihn gleich darauf mit Chloroform. Bei mir war der Pfeffer gar nicht nötig — Chloroform allein genügte.“
„Und wer hat die Mitteilung geschrieben?“
„Welche Mitteilung?“, fragte Susan erstaunt.
Twist berichtete nun seinen Teil und musste wohl oder übel bekennen, dass er bei Colonel Auston gewesen war.
„Da hast du es!“, trumpfte Susan auf. „Mit Vater ist einfach nicht zu reden! Er wird dich, wenn du mich heiratest, genauso schneiden, wie er mich schneidet. — Du solltest es dir noch einmal genau überlegen.“
„Und du solltest nicht so dumm daherreden!“, fuhr Twist sie grimmig an — gleich darauf brachten beide in Gelächter aus.
Die Fahrt endete im Garagenhof eines Gebäudes in der Fleet Street. Der Beifahrer bat die drei Befreiten ins Haus und fuhr mit ihnen im Lift zu einer Herrschaftsetage hinauf.
„Warten Sie hier, bitte, meine Herrschaften“, sagte er. Sein Blick glitt zu Susan weiter. „Miss Auston — würden Sie die Güte haben, mich zu begleiten?“
Susan gehorchte verwundert.
*
Gegen halb neun Uhr wurde Twist in ein komfortables Arbeitszimmer gebeten. Dort saß Major Taylor hinter seinem Schreibtisch und deutete liebenswürdig auf den Besuchersessel. „Nehmen Sie Platz, bester Twist — schätze, wir müssen uns eingehend unterhalten ...“
„Würden Sie mir zunächst verraten, was mit Susan geschehen ist?“, fragte Twist prompt.
„Eigentlich sollte es für Sie eine Überraschung werden“, meinte Taylor, „aber Sie geben ja doch keine Ruhe: Miss Auston ist bei ihrem Vater. Als der alte Querkopf hörte, dass Susan in Lebensgefahr sei, ist er völlig zusammengebrochen. Ich glaube, wir können die beiden sich selbst überlassen ...“ Taylor machte eine verbindliche Geste. „Bisher habe ich nur die ganz dürftigen Angaben gehört, die mir mein Freund Auston am Nachmittag gemacht hat. Berichten Sie jetzt, bitte, im Einzelnen, worum es überhaupt geht.“
„Das sind ja schöne Geschichten!“, murmelte Taylor, nachdem Twist seine abenteuerlichen Erlebnisse erzählt hatte. „Major Twist — ich bin Ihnen zu außerordentlichem Dank verpflichtet. Ihre Wachsamkeit, Ihr Mut und Ihr Kombinationsvermögen haben mich auf etwas gebracht, was wir eine 'kochend heiße Spur' nennen. Was Siki Bagdasarian betrifft, so war er wirklich eine dunkle Persönlichkeit, die mit Vorsicht genossen sein wollte. Zuletzt wohnte er in Hendon; ich habe gleich ein Team von Leuten dort hingeschickt, der Bericht steht noch aus. Bagdasarians Rechtsanwalt, James Goldoni, ist im Augenblick leider nicht greifbar. Morgen werden wir vielleicht mehr Glück haben. Unter den vielen unklaren Punkten Ihrer Erzählung ist einer wohl entscheidend: Der 'blinde' Umschlag, den Sie bei der Anglo-Iberian Bank in Liverpool erhalten haben. Was Sie mir darüber berichteten, ergibt keinen Sinn!“
„Ich habe mir auch den Kopf darüber zerbrochen, Taylor“, versetzte Twist achselzuckend. „Schenken Sie dem Umstand Ihre Aufmerksamkeit, dass Antonio Rocca auch zu den Gästen des 'Little Soul's Joy' gehörte. Ich hielt ihn für einen nicht sehr überragenden Geist und zugleich für einen ehrlichen, redlichen Mann, für eine Art kultivierten Spießbürger. Aber der Schein trügt nur zu oft! Ich kam gestern Morgen nach Liverpool, um den Inhalt des Stahlfaches zu beheben, und wurde von Rocca auf den Nachmittag vertröstet. Möglicherweise war das ein Vorwand. Möglicherweise hat Rocca, der erst durch mich erfuhr, dass der Georgier ein Fach bei der Bank hatte, den ursprünglichen Inhalt des Faches entfernt und den Umschlag deshalb hineingelegt, um sich einen Vorsprung von vierundzwanzig Stunden zu verschaffen.“
„Ja — so kann es gewesen sein — einen Augenblick, bitte!“ Taylor griff zum Telefonhörer, wählte eine zweistellige Nummer — also eine interne Nummer der Dienststelle — und erteilte den Befehl, sich sofort mit Liverpool wegen Rocca in Verbindung zu setzen.
„So — wir werden recht bald wissen, woran wir mit Rocca sind“, sagte er lächelnd, nachdem er wieder aufgelegt hatte. „Und jetzt zu Ihren Entführern. — Zurlini scheint mir der Kopf der Bande zu sein.“
„Diesen Eindruck hatte ich auch.“
„Dann wollen wir uns zunächst Zurlini vornehmen ...“
*
„Mr. Zurlini“, begann Taylor, „was Sie sich zusammen mit Ihren Freunden heute geleistet haben, reicht zu einer langjährigen Zuchthausstrafe. Das mag die reguläre Polizei mit Ihnen ausmachen. Mir geht es einzig und allein um das Geschäft, das Sie mit Bagdasarian tätigen wollten ...“
Zurlini erblasste. Er sprang auf und hielt Major Taylors Blick ruhig stand.
„Geben Sie sich keine Mühe, mein Bester“, sagte er mit schwerer Zunge, „ich werde bestimmt nicht plaudern — darauf können Sie sich fest verlassen!''
„Sie werden dieses Zimmer nicht verlassen, Zurlini“, sagte Taylor in konventionellem Ton, „ohne gebeichtet zu haben! Sie haben die italienische Staatsangehörigkeit verloren und die englische nicht erworben — entspricht das den Tatsachen?“
„Das entspricht durchaus den Tatsachen, Sir“, erwiderte der Verbrecher.
„Schon ein Erfolg! Vor einiger Zeit hat die Republik Cuba auf diplomatischem Wege an uns das Ersuchen gerichtet, Sie auszuliefern; wegen gewisser Verbrechen, die Sie dort begangen haben. Wenn Sie englischer Staatsangehöriger wären, würde man Sie nicht ausliefern, aber so ...“ Taylor bog und wand sich förmlich in lautlosem Gelächter — „kostet es mich ein einziges Wort, eine knappe Anweisung, und man wird sie den Kubanern zur Verfügung stellen. — Das wird Sie doch nicht schrecken, Mr. Zurlini? Sie sind doch hoffentlich gleich mir davon überzeugt, dass man Sie auch in Cuba wie einen Gentleman behandeln wird — oder?“
Zurlini bot plötzlich den Anblick eines Mannes, den der Blitz getroffen hat. „Aber ... aber ... das werden Sie doch nicht tun!“, stöhnte er auf.
„Das steht bei Ihnen! Entweder Sie reden, was gleichbedeutend damit ist, dass Sie uns die Wahrheit sagen — oder ich lasse Sie nach Westindien schaffen.“
„Und wenn ich die Wahrheit sage, werde ich nicht ausgeliefert?“, vergewisserte sich Zurlini eifrig.
„Das ließe sich arrangieren.“
„Well“, begann Zurlini mit gepresster Stimme, „Ach will reinen Wein einschenken.“
Taylor nickte.
„Vor anderthalb Monaten bereitete Bagdasarian den Coup seines Lebens vor. Er steckte fast sein gesamtes Vermögen — 220000 Pfund — in eine Schiffsladung Infanteriewaffen und hatte die Absicht, diese über einen mir unbekannten afrikanischen Hafen an die algerischen Rebellen zu liefern. Im letzten Augenblick zerschlug sich das Geschäft, genauer gesagt, es war verraten worden — soweit ich Bagdasarians Mitteilungen Vertrauen schenken darf — und nun stand der Georgier da mit seiner Ware! Die Waffen wurden durch langes Lagern nicht besser, das Schiff verschlang jeden Tag Unsummen, er musste sich einen anderen Abnehmer suchen. Zu seinem Unglück war er auf Nordafrika spezialisiert und konnte in der Eile in eigener Regie keinen Ausweg finden. Er setzte sich mit mir in Verbindung und fragte mich, ob ich jetzt bereit sei, bei einer Gewinnbeteiligung von 15 Prozent den Mittelsmann zu spielen und die Waffen abzusetzen.
Wir trafen uns am 27. Dezember im 'Little Soul's Joy' in Ardossanock. Bagdasarian war ein ungewöhnlich harter Verhandlungspartner. Ich hatte die Möglichkeit, die Schiffsladung Waffen abzusetzen, aber ich war selbstverständlich mit 15 Prozent Gewinnbeteiligung nicht zufrieden. Die Verhandlungen zogen sich in die Länge, aber ich konnte warten, ich hatte nichts zu verlieren; zu verlieren hatte nur Bagdasarian. Und er wäre mit der Zeit reif geworden. Kurz vor seinem Tod waren wir fast einig geworden. Es ging nur mehr um unwichtige Kleinigkeiten, aber da machte dem Georgier sein Herzleiden so sehr zu schaffen, dass er bat, den endgültigen Abschluss auf den nächsten Tag zu verlegen. Schade!“
Zurlini gab weiter zu, dass ihn das Auftauchen von Sturgess Shapiro und Louella Bendix am Abend des ersten Januar sehr irritiert und dass die Gruppe Shapiro-Bendix tatsächlich den Versuch gemacht habe, ihrerseits mit Bagdasarian zu ähnlichen Bedingungen ins Geschäft zu kommen.
„Wohin wollte die Shapiro-Gruppe die Waffen verkaufen?“, fragte Taylor.
„Auf Ehre und Gewissen, Sir ...“ — Zurlini blickte den Major treuherzig an — „ich habe keinen Schimmer von einer Ahnung — glauben Sie mir!“
„Welche Rolle spielte Antonio Rocca bei Shapiro?“
„Wie bitte? Rocca, der Trottel?“
„Sprechen Sie die Wahrheit, Zurlini — Sie wissen, was für Sie auf dem Spiel steht!“
„Der Kerl war mir am Vormittag dumm gekommen. Ich ertappte ihn dabei, wie er in mein Zimmer eindrang. Er hatte dafür nur eine fadenscheinige Begründung.“
Taylor und Twist setzten das Verhör fort und gewannen am Ende den Eindruck, dass Zurlini tatsächlich alles gesagt habe, was er hatte sagen können. Entscheidendes wusste er indessen nicht: Er hatte keine Ahnung, wo das Schiff ankerte, auf das man Bagdasarians Waffen verladen hatte, noch eine Vermutung, in welchem Hafen man es suchen müsse.
„Beantworten Sie mir jetzt noch eine Frage wahrheitsgetreu: Wissen Edgeland und Sarketh mehr als Sie?“
„Ihre Frage reizt mich zum Lachen, Sir! Ich bin der Kopf, damit basta!“
„... gewesen!“, korrigierte Taylor sanft. „Gewesen! Vergessen Sie das nicht!“
Als er gerade den Befehl erteilt hatte, Zurlini abzuführen, erhielt Taylor einen Anruf. Er meldete sich und sagte am Ende: „Das ist äußerst peinlich! Bleibt am Mann — ich möchte alles über ihn wissen.“
„Eine unangenehme Nachricht?“, fragte Twist.
Taylor nickte verbissen. „Der biedere Bankbeamte Antonio Rocca ist seit gestern fünfzehn Uhr dreißig verschwunden!“
Twist fluchte und geriet in heftige Erregung. „Das hätte mir eher einfallen können! Rocca war der wahre Führer der sogenannten Shapiro-Gruppe, hatte aber keine Ahnung, dass bei seiner Bank ...“
„Moment, Moment, langsam“, bat Taylor. „Worüber hatte er keine Ahnung? Was lag im Stahlfach 91 nun wirklich?“ Taylor griff schon wieder zum Telefonhörer und befahl unwillig, Zurlini noch einmal vorzuführen.
Inzwischen war der Italiener zusehends kleiner geworden.
„Fragen Sie ihn!“, raunte Taylor Twist zu, und dieser fixierte den Verhafteten streng.
„Ich brauche noch eine ganz bestimmte Auskunft von Ihnen, Zurlini. Aus verschiedenen Gründen bin ich der Ansicht, dass Bagdasarian gewisse Unterlagen in seinem Bankfach hatte ...“
„Sehr richtig, Sir — das wissen Sie also auch? Ich vergaß es vorhin zu erwähnen. Bagdasarian hatte sämtliche Schiffs- und Ladungspapiere sowie eine von ihm unterschriebene Blankovollmacht für den Kapitän, die absolut bindend ist, bei irgendeiner Bank in England deponiert. Bei Zustandekommen des Geschäftes hätte er mir die Nummer des Stahlfaches, Namen und Niederlassung der Bank sowie ein Stichwort gegeben. Ich hätte dann nur hinzufahren und mir den Inhalt des Stahlfaches anzueignen brauchen.“
„Jetzt stehen wir fein da!“, murmelte Taylor, als er mit Twist wieder allein war. „Rocca, Shapiro und Louella Bendix haben wohl alles, was wir brauchen!“
Krachend landete seine Faust auf der Tischplatte. „Es geht hier nicht nur um die Waffen — es geht vor allem um die diplomatischen Verwicklungen, die uns aus der Affäre erwachsen können. Gerade im gegenwärtigen Zeitpunkt können wir es uns einfach nicht leisten! Ich werde natürlich sofort auf meinem eigenen Dienstweg, über Scotland Yard und über Interpol eine Großfahndung nach den dreien in die Wege leiten — aber wer weiß, ob sie zum Erfolg führt!“
„Es gäbe noch eine andere Möglichkeit“, meinte Twist.
„Und die wäre?“
„Martin Boole und Anneclaire Racklin! Ich erzählte Ihnen von den beiden. Da es sich bei diesen beiden zweifellos nicht um abgefeimte Verbrecher wie bei Rocca, Shapiro und der Bendix handelt, ist es vielleicht möglich, der beiden habhaft zu werden. Ich könnte mir vorstellen, dass beider Wissen zusammengewürfelt uns unter Umständen auch auf Roccas Spur brächte.“
Taylor sah Twist erstaunt an. Er sagte kopfschüttelnd:
„Warum, zum Teufel, hat man einen klugen Mann wie Sie aus dem aktiven Dienst entlassen? Ihr Platz wäre ganz einfach hier bei uns und nirgends anders! Nun, das ließe sich bei Gelegenheit reparieren. — Dass alles, was hier zur Sprache kam, ein Staatsgeheimnis ist, brauche ich Ihnen gegenüber wohl kaum zu betonen! — Well, ich will Sie nicht länger aufhalten — Sie haben uns einen unerhörten Dienst erwiesen ...“