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Wir fuhren zur örtlichen Polizeidienststelle. Eine junge Beamtin begrüßte uns. Sie hieß Regina Dörfner und dies war ihre erste richtige Stelle. Dementsprechend unsicher war sie auch.

“Wir würden gerne mit dem Dienststellenleiter sprechen”, sagte ich.

“Also der Herr Dahlheim ist gerade nicht da”, sagte die junge Beamtin. Die Uniform hing ihr wie ein Sack am Leib. Der Stress war ihr ins Gesicht geschrieben. Und es hätte mich in diesem Moment schon interessiert, ob dieser Stress etwas mit ihrem Vorgesetzten zu tun hatte.

“Das ist aber seltsam”, meinte mein Kollege Rudi.

“Was ist seltsam?”, fragte die junge Beamtin. Sie wirkte abwesend und irgendwie nicht so ganz in der Spur.

“Na, wir sind mit Herrn Dahlheim verabredet. Sowas nennt man auch landläufig einen Termin. Und da finde ich es schon eigenartig, dass er ausgerechnet dann nicht im Büro ist.”

“Waren Sie das, mit dem ich gesprochen hatte? Am Telefon?”, meinte Regina Dörfner jetzt und sah Rudi mit großen Augen an.

“Ja, das war ich. Ich hatte angerufen, als wir noch auf der Autobahn waren.”

“Ja, ich habe Jürgen ... also Herrn Dahlheim ... natürlich Bescheid gesagt. Aber da war irgendwas Dringendes, weswegen er wegmusste.”

“Und Sie wissen nicht was”, hakte Rudi nach.

“Nee, weiß ich nicht”, sagte sie.

“Ist auch seltsam”, meinte Rudi. “Einfach so zu verschwinden und nicht sagen, wo man hingeht. Ich dachte immer, der Polizeidienst sei vor allem Teamarbeit ...”

“Na ja, hier draußen auf dem Land, da ...”

“Da gibts keine Teamarbeit?”, unterbrach Rudi sie.

“Will ich jetzt so nicht sagen.”

“Dann sagen Sie's doch mal so, wie Sie es meinen.”

Sie atmete tief durch. “Ich bin noch nicht lange hier und möchte eigentlich auch nicht unbedingt gerne anecken, wenn es sich vermeiden lässt. Können Sie das verstehen?”

Ihre Abwehrhaltung war nicht zu übersehen.

“Wir sind wegen unserem BKA-Kollegen Rüdiger Schmitten hier”, sagte ich, um das Gespräch irgendwie wieder in eine Bahn zu bringen, die zumindest die Chance beinhaltet, dass es nicht als völliges Desaster endete und in das mündete, was man auch als eine kommunikative Sackgasse bezeichnen könnte.

“Ich hatte eigentlich nicht viel mit ihm zu tun. Das hat der Jürgen alles mit ihm geregelt. Also, der Herr Dahlheim.”

“Sie kennen den Herrn Dahlheim gut? Ich meine, wenn Sie ihn Jürgen nennen”, meinte ich.

“Das hat nichts zu sagen.”

“Wieso nicht?”

“Das ist hier halt so üblich. Auf unserer Wache, meine ich. Und wie ich schon sagte ...”

“Sie wollen einfach nur nicht anecken.”

“Eben!”

“Und was hat ‘der Jürgen’ in Bezug auf Rüdiger Schmitten so geregelt, wie Sie das nennen?”

“Am besten Sie besprechen das mit dem Jürgen selbst. Ich glaube wirklich, dass das das Beste ist ...”

“Ja, aber der ist doch nun mal nicht hier!”, erwiderte ich.

Eine Pause entstand.

Es war eine Pause von der Art, die sich für alle Beteiligten irgendwie unangenehm anfühlt. Aber meistens lohnte es sich, solche Pausen auszuhalten. Wer als Erster redet, hat dann verloren. Und ich bin das in der Regel nicht.

“Also, ich weiß wirklich nicht viel über die Sache. Aber es ist natürlich furchtbar, was da mit dem Kollegen Schmitten passiert ist. Wer auch immer das getan haben mag ...” Sie redete plötzlich wie ein Wasserfall. Manchmal tun Leute das, um die eigentliche Information zu verbergen. Man verbirgt Worte in Worten, Informationen in Informationen, die nichts bedeuten. Manche machen das bewusst, andere instinktiv. Falls das bei unserer jungen Kollegin der Fall war, dann war sie meinem Gefühl nach eher der instinktive Typ.

Aber egal.

Manchmal kommt bei solchem Redeschwall auch noch irgendetwas heraus, was eigentlich gar nicht gesagt werden sollte. Und genau das sind dann die interessanten Dinge.

“Also, ich weiß, dass der Herr Schmitten hier war und der Jürgen sich so aufgeregt hat”, fuhr sie fort.

“Wieso?”, hakte ich nach.

“Weil sich der Schmitten so aufgeführt hat, als hätte er hier das Sagen, weil er vom BKA kommt. Und das kann der Jürgen nun mal nicht leiden.”

“Weil er es selber gerne zu sagen hat”, schloss ich.

Ihr Lächeln war flüchtig. Aber authentisch.

“Genau”, meinte sie. “Jedenfalls ging es darum, dass der Schmitten einen Flüchtling gesucht hat. Und der war aber nicht hier im Ort.”

“Laut unseren Unterlagen hätte er aber hier sein müssen”, sagte ich.

Sie zuckte mit den Schultern und verschränkte die Arme vor der Brust. “Keine Ahnung. Es ist nicht immer jeder da, wo er sein sollte, wenn Sie verstehen was ich meine.” Sie seufzte. “Ich komme aus Dresden. Ich habe es mir nicht ausgesucht, meine erste Stelle in so einem Loch zu bekommen und sobald ich mich versetzen lassen kann, bin ich hier auch weg.”

“Kann ich absolut nachvollziehen”, sagte ich. “Aber ich weiß jetzt nicht, was das jetzt eigentlich mit unserem Kollegen Rüdiger Schmitten zu tun hat oder mit dem Flüchtling, hinter dem er her war.”

In diesem Moment ging die Tür auf und der Dienststellenleiter kam herein. Jedenfalls nahm ich an, dass es der Dienststellenleiter war. Die Körpersprache sagte alles: Hier bin ich der Boss! Gesehen hatte ich ihn ja noch nicht, aber eigentlich war ich mir sicher, dass er kein einfacher Kollege war. Und ich sollte Recht behalten. Jürgen Dahlheim musterte zuerst uns, dann seine Kollegin, dann wieder uns.

“Harry Kubinke, BKA”, stellte ich mich vor und zeigte meinen Ausweis. Dann deutete ich auf Rudi. “Das ist mein Kollege Rudi Meier. Wir sind wegen des Falls Schmitten hier.”

“Ah, ja ...”

“Sie sind Jürgen Dahlheim?”

“Bin ich.” Er wandte sich an die junge Kollegin. “Hast du mit denen geredet?”

“Herr Dahlheim, hier stellen wir die Fragen. Und wir haben ein paar davon an Sie.”

Er sah mich ziemlich ärgerlich an. “Man hat Sie mir schon angekündigt.”

“Wir hatten einen Termin”, erinnerte Rudi ihn.

“Nennen Sie es, wie Sie wollen.”

“Wollen wir das hier machen, oder haben Sie dafür noch einen gemütlichen Raum?”, fragte ich.

“Kaffee gibt's nicht”, sagte Dahlheim ziemlich unfreundlich. “Maschine ist kaputt.” Er wandte sich an die junge Kollegin. “Geh mal für eine Weile an die frische Luft.”

Sie wirkte etwas irritiert.

Dahlheim schien es für nötig zu halten, seiner Aufforderung noch etwas Nachdruck zu verleihen. “Na los! Bei unserer hohen Kriminalitätsrate ist es unerlässlich auch mal Streife zu gehen.”

Sie verließ den Raum.

Die Art, wie sie dafür sorgte, dass die Tür knallte, sagte auch einiges über das gute Betriebsklima dieser Dienststelle.

Ich wechselte mit Rudi einen kurzen Blick.

Da wir schon lange Dienstpartner sind, verstehen wir uns manchmal auch ohne, dass einer was sagen muss.

Der Gedanke, der Rudi im Moment im Kopf herumschwirrte, war ihm quasi auf die Stirn geschrieben: Hier möchte ich nicht arbeiten müssen!

In dem Punkt waren wir uns einig.

“Was wollen Sie?”, fragte Dahlheim.

“Ein bisschen Unterstützung wäre nicht schlecht”, meinte ich.

Er verzog das Gesicht. “Unterstützung ist gerade ausverkauft”, meinte er. “War ein Witz”, fügte er dann hinzu. “Stellen Sie einfach Ihre Fragen und lassen Sie uns zusehen, dass wir den Mist hinter uns bringen.”

Killer-Zimmer: Krimi Koffer mit 1300 Seiten

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