Читать книгу Krimi Koffer September 2021 - 7 Krimis auf 1000 Seiten - Alfred Bekker - Страница 13
5
ОглавлениеGegen Abend belebte sich das Dorf. Die Fischerboote kehrten zurück, der Fang wurde ausgeladen, sofort sortiert, ausgenommen und entweder eingesalzen oder auf Stangen über Räuchergruben gehängt. Das besorgten die Frauen, während die Männer die Netze zum Trocknen auf Holzgestelle hängten. Dazwischen wimmelten die Kinder umher und vollführten Handreichungen. Die jüngeren waren sämtlich unbekleidet, das Tragen der Tuniken begann offenbar erst nach Erreichen des Fruchtbarkeitsalters.
Luca Ladora kam in die Steuerzentrale. »Es ist alles vorbereitet, Taff«, meldete er. »Wir können sofort aufbrechen.«
Caine winkte jedoch ab und wies auf die Bildschirme.
»Das hätte jetzt wenig Sinn, die Leute sind voll beschäftigt. Lassen wir ihnen Zeit, ihre Dinge zu erledigen, bei denen wir doch nur im Wege wären. Oder gelüstet es dich danach, Fische zu salzen oder zu räuchern?«
Der Kybernetiker grinste. »Sehe ich so aus? Wenn ich Arbeit sehe, bekomme ich immer automatisch zwei linke Hände. Außerdem mag ich den Fischgeruch nicht.«
Taff grinste zurück. »Eigentlich schade, möchte ich sagen. Die Mädchen da drüben werden nämlich nachher recht intensiv nach Fisch riechen. So werden sie um den Genuss kommen, von dir angehimmelt zu werden, Alter.«
Dorit Grenelle begann zu kichern und machte einige ergänzende Bemerkungen, doch der Commander achtete nicht weiter darauf. Er trat zu den Wissenschaftlern, die vor dem Zentralschirm standen, auf dem sie das Geschehen im Dorf und am Strand aus der Vogelperspektive beobachten konnten.
»Sagen Ihnen die Vorgänge da drüben etwas?«, erkundigte er sich. Janine Latep nickte eifrig, ohne ihren Blick von dem Schirm zu lösen.
»Und ob, Taff. Gewisse Verhaltensweisen der einzelnen Individuen können sehr viel über eine Kultur aussagen. Um Ihnen ein Beispiel zu geben: Schon der Umstand, ob eine Tätigkeit vorzugsweise mit der rechten oder der linken Hand ausgeführt wird, kann bedeutungsvoll sein. Erst recht natürlich die Tatsache, ob diese Arbeit von Männern oder Frauen durchgeführt wird, welchen Altersgruppen diese angehören, und so weiter. Die Summe solcher oder ähnlicher Beobachtungen ergibt viele einzelne Mosaiksteine, die sich nach und nach zu einem sinnvollen Ganzen zusammenfügen lassen. Auch die sprachlichen Wendungen spielen dabei eine Rolle für den, der sie richtig zu deuten weiß, auch sie sagen viel über die psychische Haltung und Einstellung eines Volkes aus.«
»Ich verstehe«, sagte Taff, und seine Achtung vor der unscheinbar wirkenden Frau wuchs rapide. »Sie werden hier allerdings die Wirkung der schwarzen Spiegel auf die Eingeborenen mit ins Kalkül ziehen müssen, Janine. Falls diese hier sich genauso in Geheimniskrämerei ergehen, wie die in Volkans Dorf, dürfte Ihnen das manch harte Nuss zu knacken geben, fürchte ich.«
»Wir werden jedenfalls alle unser Bestes tun«, meinte Valentina Feodorowa und strich sich das Haar aus der Stirn. Es war jetzt längst nicht mehr ungepflegt, denn Mitani und Dorit hatten sich ihrer bereits angenommen. »Es gibt übrigens dort hinten noch ein zweites, verlassenes Dorf, wussten Sie das? Wenn Sie auf den linken Sektorenschirm sehen, können Sie die Häuser in etwa fünfhundert Meter Entfernung entdecken. Offenbar lag diese Siedlung ungünstiger, wurde zu oft vom Meer überspült und deshalb aufgegeben. Das geschah wahrscheinlich schon vor langer Zeit, denn die Gebäude befinden sich in einem ziemlich schlechten Zustand. Doch gerade das reizt mich, je älter sie sind, um so besser. Auch die Veränderung der Stilelemente und der Verzierungen an den Häusern lässt gewisse Rückschlüsse auf die kulturelle Entwicklung der Letho-Dimonds zu.«
Carlo Lavazza lächelte mit einer Spur Resignation.
»Unsere Damen sind schon jetzt voll in ihrem Element, wie Sie sehen, Taff. Leider kann ich da nicht mithalten, weil es bei den Eingeborenen keinerlei Technik gibt, die ich erforschen könnte. Ich werde mich gewaltig anstrengen müssen, um aus den vagen Erinnerungen an die Dimonids etwas herauszupicken, das mich vielleicht weiterbringt.«
»Falls nötig, werden wir alle Kontinente mit den Spears abfliegen, um eventuell vorhandene Spuren von ihnen aufzufinden«, versicherte ihm Caine. »Wer immer sie auch sind oder gewesen sein mögen, irgendwelche Spuren ihres Wirkens auf Thorga müsste es geben.«
Wenig später hatten die Letho-Dimonds ihre Arbeiten beendet. Die Männer und Frauen begaben sich in ihre Häuser, und auch die Kinder verschwanden nach und nach. Die Sonne stand schon dicht über dem Horizont, in etwa einer Stunde musste die tropische Nacht in typischer Plötzlichkeit anbrechen.
»Kommen Sie«, sagte Taff und schaltete die Bildschirme ab. »Da hinten steht Welgun und sieht zu uns herüber, er wartet also bereits auf unser Erscheinen. Wir begeben uns zu Fuß ins Dorf, Luca bringt das Gepäck hinüber. Auf, Computerbändiger, es geht los.«
Sie fuhren mit dem Zentrallift hinunter, niemand blieb an Bord. Der Kybernetiker schleuste eine steuerbare Antigravplattform aus, auf der sich alles befand, was die Crew und die Wissenschaftler für ihren Aufenthalt unter den Eingeborenen brauchten. Dabei waren auch verschiedene Spezialgeräte des Brain-Teams, außerdem ein Sortiment von nützlichen Gegenständen, die als Geschenke für die Letho-Dimonds gedacht waren.
Sie wurden als erstes abgeladen, und ein Zug von Befriedigung flog über das Gesicht des »Dorfhüters«.
»Ihr seid sehr großzügig, Mensch Taff«, sagte er beeindruckt. »Ich danke euch im Namen aller, ihr könnt auf entsprechende Gegenleistungen rechnen. Kommt jetzt, bald wird es dunkel. Ich werde euch die beiden Häuser zeigen, unsere Frauen haben sie mit allen Annehmlichkeiten ausgestattet, die wir zu bieten haben.«
»Wir werden es zu würdigen wissen«, versprach der Commander.
Die Häuser lagen nebeneinander am Innenrand der Siedlung. Taff bemerkte, dass sich in ihrer Nähe eine »Speicherhütte« befand, in der überzählige schwarze Spiegel aufbewahrt wurden, aber er schwieg dazu. Er hatte auch darauf verzichtet, seinen eigenen Spiegel sehen zu lassen, obwohl er ihn bei sich trug. Vor dem Gang ins Dorf hatte er noch einen Blick auf die glänzende schwarze Fläche geworfen, aber es war keine Reaktion darauf erfolgt, und das beruhigte ihn.
Beide Gebäude waren den Umständen nach gut eingerichtet. Es gab zwei Stockwerke mit jeweils zwei Räumen, in jedem befanden sich niedrige Holztische, dazu Hocker und Betten mit Matratzen, die mit Seegras gefüllt waren. Darauf lagen überraschend weiche Decken aus Pflanzenfasern, mit stilisierten bunten Mustern bedeckt, die hauptsächlich Auslegerboote und Fische aller Arten darstellten. Auf den Tischen standen Holzschalen mit verschiedenen Früchten und Keramikkrüge, die mit Wasser gefüllt waren. Vor den Fenstern gab es dichtmaschige Netze, um Insekten fernzuhalten.
»Wir sind zufrieden, Welgun«, sagte Caine nach der ersten kurzen Besichtigung. »Gibt es Dinge, auf die wir besonders achten müssen?«
Der Dorfvorsteher machte die Geste der Verneinung.
»Bewegt euch so, wie ihr es gewohnt seid, Mensch Taff. Ihr kommt von einer anderen Welt, habt also auch andere Sitten, und wir werden das respektieren. Ich bitte euch nur, euch in Kürze auf dem freien Platz in der Dorfmitte einzufinden. Wir haben ein Gastmahl vorbereitet, euch zu Ehren.«
»Wir werden kommen«, erklärte Taff.
Als sich die Dunkelheit ausbreitete, hatte sich das Gesicht des kleinen Dorfes verändert. Alle Erwachsenen waren ins Freie gekommen, auf dem Platz hatte man lange Bohlentische aufgestellt. Zahlreiche kleine Feuer flackerten und gaben der Szene einen romantischen Anstrich. Sie beleuchteten auch die Dinge, die auf den Tischen standen: Früchte aller Art, mehrere Sorten von gebratenem Fleisch, vor allem aber Fische aller Größen, gekocht und geräuchert. Außerdem gab es Krüge, die nicht nur Wasser enthielten, sondern ein weinartiges Getränk, das aus Früchten bereitet worden war.
»Wirklich ausgezeichnet«, raunte Mitani ihrem Gefährten zu. »Diese Fischer haben sich mächtig angestrengt, um uns etwas zu bieten. So gut dürften sie wohl kaum alle Tage leben.«
Das Mahl verlief in vollkommener Stille. Alle aßen eifrig, natürlich mit den Fingern, denn Bestecke waren auf Thorga unbekannt. Die Menschen bevorzugten besonders die geräucherten Fische, die wirklich hervorragend schmeckten. Das Getränk, das in flache Keramikschalen geschenkt wurde, bildete mit seiner herben Süße eine ausgezeichnete Ergänzung dazu.
Die Feuer brannten langsam nieder, es wurde aber trotzdem nicht völlig dunkel. Die zahlreichen Riesensonnen des Sternhaufens standen hell strahlend am Himmel und verbreiteten ein milchiges Dämmerlicht.
»Langsam, ihr beiden«, raunte Taff und zog den Weinkrug zur Seite, aus dem sich Orvid und Luca eifrig bedienten. »Nicht, dass ihr plötzlich beginnt, lose Lieder zu singen, dieser Trank hat erheblich mehr Volumenprozente in sich, als es scheint. Wir können es uns einfach nicht leisten, hier irgendwie aus der Rolle zu fallen.«
»Verstanden, hoher Boss«, feixte Ladora.
Gleich darauf wurde es unter den Eingeborenen lebendig. Welgun gab ihnen ein Zeichen, blieb selbst aber bei seinen Gästen sitzen. Die Männer und Frauen dagegen sprangen auf und formierten sich zu einer losen Kette um die Tische. Dann begannen sie mit einem Wechselgesang, der von rhythmischem Händeklatschen begleitet wurde. Dazu bewegten sie sich im Kreis herum, in einem steif anmutenden, offenbar rituellen Tanz.
Doch der Alkohol zeigte auch bei ihnen seine Wirkung. Bald wurden die Gesänge lauter, der Rhythmus schneller und intensiver. Einzelne Gruppen formierten sich und boten Tanzfiguren dar, die das tägliche Leben der Letho-Dimonds widerspiegelten. Die Ausfahrt aufs Meer ließ sich darin erkennen, das Auswerfen und Einholen der Netze, das vergebliche Zappeln der gefangenen Fische. Es war eine eindrucksvolle Schau für die Menschen.
Taff Caine warf Janine Latep einen Blick zu und sah, dass sie all das wie verzückt, zugleich aber auch mit wissenschaftlich sezierendem Blick betrachtete. Vermutlich gaben ihr diese Tänze bereits weitere bedeutsame Anhaltspunkte für ihre Analyse der Kultur der Letho-Dimonds.
Die Bewegungen der Tänzer und Tänzerinnen wurden schneller, fast hektisch. Einige Anzeichen wiesen darauf hin, dass sie nun in eindeutig erotische Richtung steuerten, und das schien dem Dorfhüter nicht ganz zu behagen. Er erhob sich plötzlich und stieß einen durchdringend lauten Ruf aus.
Augenblicklich wurde es ringsum still. Die tanzenden Gruppen blieben stehen, die schrill gewordenen Gesänge verstummten. Die Männer und Frauen schienen wie aus einem Traum zu erwachen, standen sekundenlang still und entfernten sich dann, um in ihren Häusern zu verschwinden.
»Schluss der Vorstellung, Herrschaften«, sagte Taff leise. »Zieht euch ebenfalls zurück, ich übernehme es, mich bei Welgun zu bedanken. Du wartest aber auf mich, Mitani, ja?«
Die Crew hatte ausgemacht, die PROKYON X während der Nachtstunden nie sich selbst zu überlassen. Eine fremde Welt, wie paradiesisch sie auch scheinen mochte, bot nie die Gewähr dafür, dass es immer ganz ohne Zwischenfälle abging. Taff und Mitani hatten verabredet, in dieser Nacht zurück an Bord zu gehen, und so geschah es dann auch.
*
Am nächsten Morgen ging das Leben im Dorf seinen gewohnten Gang. Als die Menschen ihre Häuser verließen, waren die Fischerboote längst wieder auf dem Meer. Die übrigen Dorfbewohner gingen ihren üblichen Tätigkeiten nach, als gäbe es keine PROKYON und keine fremden Besucher.
Einige junge Frauen übernahmen es, sich um die Gäste zu kümmern. Sie zeigten ihnen alles, was für sie wissenswert war, und richteten ihnen auf einem Tisch im Freien eine Morgenmahlzeit. Lars Gunnarsson aktivierte sein Armbandfunkgerät und rief den Commander an.
»Wir sind eben dabei, das Schiff zu verlassen«, teilte ihm Taff mit. »Wir bringen auch einen großen Behälter voll Kaffee mit, der eure kleinen grauen Zellen anregen soll. Allerdings habe ich vor, vor dem Frühstück ein Bad im Meer zu nehmen. Seid ihr auch dabei?«
Lars bejahte, und wenig später tummelten sich alle neun im Wasser. Als sie sich genügend erfrischt hatten, kehrten sie ins Dorf zurück und machten sich über das Essen her. Mitani hatte auch für Brot gesorgt, damit ihre Ernährung nicht zu einseitig wurde.
»Was gedenken Sie jetzt zu unternehmen?«, erkundigte sich Caine anschließend bei den Wissenschaftlern.
»Ich mische mich hier unter das Volk«, erklärte Janine Latep. »Es ist meine Absicht, langsam und methodisch vorzugehen, damit keine Wissenslücken entstehen können. Zunächst will ich die Letho-Dimonds passiv beobachten, nur mit Kamera und Recorder ausgerüstet. Voraussichtlich morgen werde ich dann dazu übergehen, Angehörige verschiedener Altersgruppen über alles zu befragen, was mir wissenswert erscheint. So wird sich nach und nach ein vollständiges Bild ihrer Lebensweise und Kultur ergeben, von denen uns viele Feinheiten bei oberflächlicher Betrachtung verborgen bleiben müssen. Damit werde ich wohl einige Tage zu tun haben. Erst später kann ich dann daran gehen, auch den Ereignissen aus früheren Zeiten nachzuspüren, die wieder ein Wissenskomplex für sich sind.«
Carlo Lavazza lächelte zwiespältig.
»Janine hat es gut, sie weiß wenigstens, wo sie mit ihrer Arbeit anzusetzen hat. Ich dagegen bin vorläufig arbeitslos. Technische Anlagen, die ich erforschen könnte, gibt es weit und breit nicht, offensichtlich auch keine Spuren der ominösen Dimonids. Ich werde notgedrungen abwarten müssen, bis Janine im Lauf ihrer Tätigkeit genügend über das alte Sagengut herausbekommen hat, das sich mit ihnen beschäftigt. Erst dann kann ich beginnen, die Schilderungen über die Vergangenheit vom Gesichtspunkt der Prähistorie-Exploration aus zu sichten, ihrem vermutlichen Wahrheitsgehalt nach einzuordnen und daraus meine Schlüsse zu ziehen.«
Valentina Feodorowa lachte amüsiert auf.
»Der gute Carlo tut mir leid, Taff. Ich habe ihn deshalb gebeten, mich auf meinem Abstecher zu der alten Siedlung zu begleiten, den ich anschließend unternehmen will. Dort hoffe ich, dieses oder jenes zu entdecken, das wenigstens halbwegs in mein Fach schlägt. Carlo wird es übernehmen, das Alter der verfallenden Gebäude mittels Kohlenstoffanalyse zu ermitteln. Auf diesem Gebiet bin ich leider nicht firm, das haben bisher immer Spezialisten für mich erledigt.«
Taff Caine krauste die Stirn.
»Damit wäre unser Brain-Team also vorerst ausgelastet, aber wo bleiben wir dabei? Ich sehe weit und breit keine Gelegenheit, etwas für die Rettung des Universums zu tun, auf welche Aufgabe wir uns seit Langem ausschließlich spezialisiert haben. Hier scheinen auch die schwarzen Spiegel längst nicht die Rolle zu spielen, wie bei Volkans Stamm. Ich habe bis jetzt noch niemand gesehen, der sich vor unseren Augen mit ihnen beschäftigt hat. Vermutlich tut man es hier nur zuweilen im stillen Kämmerlein, so dass wir uns deswegen kaum Sorgen zu machen brauchen. Nichtstun liegt uns aber nicht ...«
»Dir vielleicht nicht«, unterbrach ihn Luca respektlos wie immer. »Mir schon, ich habe durchaus nichts dagegen ...«
»Dich mit der hiesigen Weiblichkeit zu beschäftigen, ich weiß«, fuhr ihm Taff in die Parade. »Genau das will ich aber verhindern, du alter Schürzenjäger! Auf Vortha im Solsystem sitzt Erethreja und sehnt sich nach dir, aber das vergisst du geflissentlich, sobald wir weiter als ein paar Lichtstunden vom Mars entfernt sind.«
»Du siehst das vollkommen falsch, Taff«, protestierte der Kybernetiker, aber Caine ließ ihn nicht zu Wort kommen.
»Ich ordne für den heutigen Tag folgende Diensteinteilung an: Mitani und Dorit bleiben hier im Dorf bei Janine, um sie bei ihrer Tätigkeit zu unterstützen. Orvid und ein gewisser widerspenstiger Ladora begeben sich ins Schiff und werten dort die Aufzeichnungen unserer astronomischen Geräte über die Verhältnisse im Sternhaufen NGC 188 aus. Diese Arbeit muss getan werden, denn alle früher ermittelten Daten sind mit der PROKYON IX verlorengegangen. Du, Lars, wirst zusammen mit deinem viel geplagten Kommandanten als Begleitschutz für Valentina und Carlo fungieren. Gefährliche Tiere soll es hier zwar nur in den unwegsamen Gebieten rings um die alten Vulkane geben. Es ist jedoch nie ganz auszuschließen, dass sich einige Exemplare dieser Spezies auch in andere Gebiete verirren, und ich möchte das Leben unserer Experten nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.«
Ein sehr unmutiger Luca Ladora und ein still lächelnder Astrogator begaben sich zur PROKYON zurück. Die beiden Mädchen gesellten sich zu Janine Latep, während Taff und Lars mit den beiden anderen Wissenschaftlern gingen. Sie holten das notwendige technische Gerät aus deren Haus und machten sich dann mit ihnen auf den Weg zu der alten Siedlung.
Der Marsch dorthin bereitete kaum Schwierigkeiten. Das Gelände war nur sparsam bewachsen und fast eben, sie kamen gut voran. Erst in dreihundert Meter Entfernung vom Dorf stießen sie auf die ersten unbekannten Tiere, die eine entfernte Ähnlichkeit mit irdischen Rehen besaßen. Sie waren jedoch sehr scheu und ergriffen bei der Annäherung der Menschen sofort die Flucht. Das bewies, dass sie von den Letho-Dimonds gejagt wurden. Vermutlich stammte das Fleisch, das sie aßen, von diesen Tieren.
Nach etwa einer Viertelstunde war das verlassene Dorf erreicht. Es lag tatsächlich tiefer als die jetzige Ansiedlung, zum Meeresufer hin war der Boden ausgewaschen und mit ausgetrockneten Überresten von Wasserpflanzen bedeckt.
Auch die Häuser, die zahlreicher waren als in dem neuen Dorf, waren zum Teil unterspült. Ihre Dächer waren zumeist eingestürzt, die Holzwände morsch und ausgebleicht. Trotzdem waren die Farben der eingeschnitzten Verzierungen noch sehr kräftig, so dass die stilisierten Figuren fast lebendig wirkten.
Valentina Feodorowas Gesicht strahlte förmlich auf. Mit dem sachkundigen Blick der Expertin musterte sie die Gebäude, die elektronische Kamera in ihrer Hand surrte fast unaufhörlich. Taff und Lars durchforschten inzwischen das umliegende Gelände, entdeckten jedoch nichts, das Anlass zu Besorgnissen gab. Nur Vögel aller möglichen exotischen Arten lärmten in den Bäumen und Büschen, die einzigen Lebewesen außer ihnen waren Insekten in vielen Formen und Größen. Einige von ihnen waren Blutsauger, hielten sich aber von den Menschen fern, die sich mittels eines Sprays gegen sie präpariert hatten.
»Hast du wirklich im Ernst damit gerechnet, hier auf Tiere zu stoßen, die Letho-Dimonds oder Menschen fressen?«, erkundigte sich Lars gedämpft. Taff Caine grinste belustigt.
»Natürlich nicht, Beherrscher aller Schiffsmaschinen. Mir ging es nur darum, eine Beschäftigungstherapie für alle zu finden, uns beide eingeschlossen. Das einzige, was wirklich wichtig ist, sind die Daten, die Orvid und Luca jetzt ausarbeiten. Das wird sie aber nur heute beschäftigen, für morgen werde ich mir etwas anderes ausdenken müssen.«
Sie schlugen einen Bogen und kehrten zu den Wissenschaftlern zurück. Die Feodorowa filmte immer noch, während Lavazza inzwischen einige Geräte ausgepackt hatte. Mit einem kleinen Beil schlug er Proben aus dem Holz der verfallenen Häuser, legte es dann in kleine Kammern der Instrumente und aktivierte diese. Die Analysatoren, durch kleine Hochleistungsbatterien mit Arbeitsstrom versorgt, begannen zu summen und zu knattern. Sie maßen, auf der Basis des Kohlenstoff-Stickstoff-Umwandlungs-Zyklus, das Alter dieser Hölzer. Diese Methode, bereits im 20. Jahrhundert bekannt, war inzwischen erheblich verfeinert worden. Es gab keine annähernden Grobwerte mehr, sondern wissenschaftlich vollkommen exakte Zeitbestimmungen.
»Wie sieht es aus, Carlo?«, erkundigte sich Taff nach einiger Zeit. Der Professor antwortete nicht, sondern notierte sorgfältig die Angaben, die auf den winzigen Digitalskalen erschienen. Erst nach einiger Zeit sah er auf und schaltete die Geräte wieder aus.
»Ziemlich genau eintausend Jahre, Taff!«, sagte er fast andächtig. »Es erscheint mir fast unglaublich, dass diese Häuser schon so alt sein sollen, aber die Analysatoren lügen nicht. Valentina bekommt eine ausgesprochen gute Basis für ihre Arbeiten.«
»Wie viel Zeit, denken Sie, wird über den Forschungen insgesamt vergehen?«, fragte Lars Gunnarsson. Lavazza zuckte mit den Schultern, während er seine Instrumente wieder verpackte.
»Das lässt sich jetzt noch nicht genau sagen, Lars. Es geht um vielschichtige Dinge, die unter verschiedenen Aspekten zu betrachten sind, und so etwas lässt sich nicht über das Knie brechen. Mit einigen Wochen müssen Sie schon rechnen, wenn alle Arbeiten gewissenhaft erledigt werden sollen. Das gilt allerdings nur für den Fall, dass sie auf die Fachgebiete der beiden Damen beschränkt bleiben. Sollten wir, wie ich natürlich hoffe, auch Spuren der Dimonids entdecken, denen nachgegangen werden kann ...«
Taff hob die Hand in einer Gebärde komischer Verzweiflung.
»Hören Sie auf, Carlo, wir sind schon jetzt bedient. Der Gedanke, so lange von der Erde fort zu sein und nichts davon zu wissen, was dort vorgeht, ist für uns nicht eben erhebend. Innerhalb der Neunhundert-Parse-Raumkugel kann eine Menge geschehen, ohne dass wir etwas davon erfahren. Unser Hyperfunk reicht sogar selbst dann, wenn Dorit ihn bedient, noch keine tausend Lichtjahre weit, und selbst ein starker planetarer Sender kann nur die Hälfte der Distanz zum NGC 188 überbrücken.«
»In der Tat ein wahrhaft unerträglicher Gedanke für Männer, die daran gewöhnt sind, im Durchschnitt einmal pro Monat die Erde zu retten«, bestätigte Lavazza, um dessen Mundwinkel es verdächtig zuckte. Caines Gesicht sah für einen Moment verblüfft aus, dann begann er zu grinsen.
»Es geschieht mir recht, dass Sie mich mit meinen eigenen Worten schlagen, Meister des Wissens. In Ordnung, vergessen wir es wieder; die paar Wochen werden auch vergehen, ohne dass die Erde gleich untergeht.«
Valentina Feodorowa gesellte sich wieder zu ihnen. »Meine Filme sind aufgebraucht, Taff«, sagte sie. »Kehren wir also jetzt ins Dorf zurück, dann kommen wir gerade zum Mittagessen zurecht. Den Nachmittag werde ich im Schiff verbringen, um das Material auszuwerten, das ich für sehr bedeutungsvoll halte. Morgen mache ich dann hier weiter.«
Der Rest des Tages brachte für die Crew nicht viel mehr als Langeweile. Auch Janine Latep zog sich in die PROKYON zurück, um ihre Bild- und Tonbänder auszuwerten, Orvid und Luca hatten ihre Arbeiten inzwischen beendet. Die Dorfbewohner widmeten den Menschen bereits kein übermäßiges Interesse mehr. Ihre Aufmerksamkeit galt den eigenen täglichen Verrichtungen, die erledigt sein mussten, wenn die Fischerboote mit ihrem Fang zurückkamen.
Die Crew ging baden, räkelte sich zwischendurch faul in der Sonne und genoss das Nichtstun. An diesem Abend gab es kein weiteres Fest, die Eingeborenen zogen sich nach dem Einbruch der Nacht in ihre Häuser zurück. Nur Welgun leistete den Gästen Gesellschaft beim Abendessen und erkundigte sich nach ihrem Ergehen und eventuellen weiteren Wünschen. Es gab keine von Belang, und so entfernte auch er sich bald wieder.
»Soll das immer so weitergehen, Taff?«, maulte Luca, als sie wieder allein waren. »Dieser Einsatz beginnt schon jetzt, in Urlaub auszuarten. Weit und breit keine Gefahren, die es abzuwenden gilt, nicht einmal wilde Tiere gibt es, vor deren Nachstellungen wir unsere Damen schützen müssen. Wann hat es das bei uns je gegeben?«
»Noch nie, soviel ich weiß«, sagte der Commander nachdenklich. »Ein anomaler Zustand, fürwahr, aber ich sehe keine Möglichkeit, etwas daran zu ändern, Computerbändiger.«
»Gib ihm die Jagd auf die Mädchen der Letho-Dimonds frei«, schlug Dorit vor. »Dann werden seine Klagen schlagartig verstummen, darauf verwette ich die ganze PROKYON.«
Alle lachten, aber Caine winkte ab. »Hier herrschen etwas andere Sitten als in Volkans Dorf, Dorit-Mädchen. Die Gemeinschaft ist klein, dafür aber um so enger. Die jungen Männer würden recht sauer reagieren, wenn jemand von uns versuchen wollte, ihnen die Mädchen abspenstig zu machen. Das ist es, was mich davon abhält, mögliche Liebeleien zu unterbinden. Wir werden einige Wochen hier verbringen müssen, und jede Unstimmigkeit würde die Arbeitsbedingungen unserer Experten verschlechtern. Das muss ich als der Verantwortliche dieser Expedition verhindern, klar? Und damit Schluss der Sitzung, der erste Mond geht bereits auf. Wer schläft heute freiwillig im Schiff?«