Читать книгу Der Beginn einer kosmischen Saga: Chronik der Sternenkrieger - Der Einstiegsband: 1200 Seiten Romanpaket - Alfred Bekker - Страница 58
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ОглавлениеDie Neptun-Bahn lag längst hinter ihnen und es lagen noch viele Tage eintönigen Fluges vor ihnen.
“ Seien Sie ehrlich, Lieutenant, so haben Sie sich das nicht vorgestellt, oder?”, sprach Crewwoman Gao sie beim Frühstück an. Das Frühstück nahmen sie im hinteren Teil des Raumbootes ein, während Tahano die DEFIANT-29 im Alleingang steuerte. Wenn dessen Schicht zu Ende war, war Sunfrost wieder dran und und Gao hatte sich um einen routinemäßige Überprüfung der Triebwerke zu kümmern.
Alles ging seinen Gang.
“ Ich gebe zu, dass unsere Mission bis jetzt nicht gerade aufregend war”, sagte Sunfrost. “Allerdings muss das ja nicht unbedingt ein schlechtes Zeichen sein.”
“ Haben Sie auch wieder recht. Aber ich bin ganz ehrlich”, sagte Gao.
“ Wie meinen Sie das?”
“ Wenn ich ein gutes Angebot für irgendeinen Frachter kriege, bin ich raus aus dem Space Army Corps.”
“ Das wäre schade.”
“ Wenn man sich schon zu Tode langweilt, kann man das auch zu den besseren Bedingungen der Privatwirtschaft, finde ich.”
“ So kann man das natürlich auch sehen.”
“ Ich sehe es so.” Gao zuckte mit den Schultern. “Leider war noch nicht das Passendes dabei. Aber ich verfolge die Ausschreibungen, wann immer wir Netzkontakt haben.”
“ Nun, danke, dass Sie mich darüber unterrichten”, sagte Sunfrost.
“ Ich schenke Menschen, mit denen ich zu tun habe, immer gerne reinen Wein ein.”
“ Ich schätze Ihre Arbeit, Gao. Und es hätte mich eigentlich gefreut, wenn wir länger zusammen auf einem Schiff gedient hätten.”
Gao lächelte verhalten, wie es ihre Art war. Ein hintergründiges Lächeln, das nie zu hundert Prozent zu deuten war. Sie strich sich eine Strähne ihres blauschwarzen Haars hinter die Ohren, während sie den letzten Schluck aus ihrem Becher nahm.
“ Ich bin ja noch nicht weg”, sagte sie. “Und mich so einfach davonmachen, das geht hier draußen ja wohl schlecht.”
“ Allerdings!”
Sunfrost musste schmunzeln.
“ Sehen Sie!”
“ Was trinken Sie da übrigens?”, fragte Sunfrost.
“ Kaffee. Kennen Sie das nicht?”
“ Ich habe davon gehört.”
“ Ist auf jeden Fall sehr viel besser als diese Synthodrinks, die fast jeder trinkt. Ich lass dieses Gift nicht mehr in mich hineinlaufen und mach mir dafür lieber die Mühe, mir richtigen Kaffee zu machen, auch wenn das ziemlich aus der Mode gekommen ist. Wollen Sie ihn bei Gelegenheit mal probieren?”
“ Warum nicht!”, sagte Sunfrost. “Der Geruch gefällt mir jedenfalls!”
120 Astronomische Einheiten von Zuhause, dachte Sunfrost, während einer ihrer Soloschichten. 120 mal der Abstand Erde-Sonne...
Bis Raumfort Matthews war es jetzt nicht mehr weit.
Sunfrosts Aufmerksamkeit wurde durch einen Himmelskörper abgelenkt, dem man den Namen ‘Tempel’ gegeben hatte.
Die fünfstellige Nummer, unter der dieses Objekt offiziell zu finden war, konnte sich ohnehin niemand merken. Die Götternamen selbst der entlegensten irdischen Kulturen hatten im frühen einundzwanzigsten Jahrhundert als Namensgeber der immer zahlreicher werdenden Zwergplanet-Entdeckungen herhalten müssen. Makemake zum Beispiel war nach dem Schöpfergott der Osterinsel benannt.
Aber irgendwann waren keine Götter mehr übrig geblieben. Inzwischen - fast zweieinhalb Jahrhunderte später, verkaufte die Weltraumagentur der Humanen Welten an Privatpersonen das Namensrecht an den unzähligen Objekten des Kuiper-Gürtels. Gegen eine Gebühr konnte man einem Planeten den eigenen Namen geben.
Auch wenn es nur ein Zwergplanet war. Man hatte einen Platz im Universum. Wer allerdings einen sehr häufig vorkommenden Namen trug, hatte Pech gehabt, denn Doppelbenennungen waren nicht zulässig.
Eine beträchtliche Anzahl der Kuiper Belt Objects (KBO) war daneben aber auch inoffiziell von Prospektoren und Frachterbesatzungen benannt worden. Meistens nach der äußeren Erscheinung oder irgendwelchen markanten Merkmalen.
So war es wohl auch beim Tempel gewesen. Und ganz gleich, ob irgendeine Weltraumagentur der Humanen Welten entschied, dass dieses Objekt nun nach einem zahlenden Erdenbürger oder einer noch ungeehrten Gottheit irgendeiner Südseeinselkultur benannt werden sollte - der Tempel würde seinen Namen wohl zumindest inoffiziell für immer behalten.
Sein Äußeres war einfach zu markant.
Er war 1000 km breit und 500 km hoch. Seine Form glich der eines griechischen Tempels. Es waren säulenartige Strukturen zu erkennen und dazwischen tiefe Höhlen. Niemand wusste, welche Kräfte diese Formen geschaffen hatten. Für die Tendenz der Natur zu harmonischen Formen gab es viele Beispiele: die regelmäßigen Formen von Schneeflocken, die wiederkehrenden Muster von Wellen oder Gesteinsformationen, die aussahen, als wären sie künstlichen Ursprungs und doch nur durch Wind und Wetter geformt worden waren.
Inzwischen gab es eine Unmenge an obskuren Theorien über die Entstehung des Tempels. Es schien ähnlich wie mit den berühmten Mars-Gesichtern zu sein, die auch nichts anderes als völlig willkürlich entstandene geologische Formationen waren: Der Mensch konnte sich anscheinend nicht damit abfinden, dass etwas ohne Sinn und aus dem zufälligen Zusammenwirken natürlicher Kräfte entstanden war.
So war es auch mit dem Tempel.
Es gab die Theorie, dass eine außerirdische Rasse ihn geformt hätte. Aber alle wissenschaftlichen Untersuchungen sprachen eigentlich dagegen.
Schon während ihrer Zeit auf der Space Army Corps Akademie hatte Sunfrost die These gehört, dass die Qriid dieses Objekt geschaffen hätten - durch Einwirkung ihrer Traser-Strahlenwaffen auf eines der unzähligen Gebilde des Kuiper-Gürtels. Danach hatten die Qriid den Tempel quasi aus einem kugelförmigen Zwergplaneten herausgefräst - was die Formabweichung zu erklären vermochte, die doch ganz erheblich war. Schließlich hatte der Tempel eigentlich genug Masse, um im Lauf seiner Geschichte eine zumindest annähernde Kugelform auszubilden.
Sinn dieser Aktion der Qriid sei es gewesen, ein Zeichen ihres Glaubens zu setzen. Noch wusste man nur vage über die religiösen Vorstellungen der Qriid Bescheid, aber es stand fest, dass ihr Rückzug in der Entscheidungsschlacht des Krieges und der danach folgende unerklärte Waffenstillstand mit dem Tod ihres religiösen Oberhauptes zu tun hatte. Und es war wohl auch gesichert, dass die Qriid sich als ein auserwähltes Volk sahen, das von Gott dazu auserkoren war, dem Universum eine Ordnung zu geben. Ihre Soldaten verstanden sich als Gotteskrieger. In so fern machte die Errichtung eines heiligen Tempels mitten im ‘Feindesland’ durchaus Sinn...
Dass der Tempel inzwischen auf den Aufnahmen einiger Observatorien entdeckt worden war, die aus dem mittleren 21. Jahrhundert stammten - also lange bevor es überhaupt den ersten Kontakt zwischen Menschen und Qriid gegeben hatte, ließ die Anhänger dieser Theorie keineswegs verstummen.
Die Gotteskrieger des Heiligen Imperiums der Qriid hätten bereits in der Prä-Weltraum-Ära das Sol-System besucht und diesen Tempel hinterlassen, so ihre Argumentation.
Sunfrost hatte solchen Thesen immer sehr skeptisch gegenübergestanden.
Sie war eigentlich grundsätzlich der Ansicht, dass man zunächst nach der naheliegendsten Erklärung suchen sollte. Und in diesem Fall waren das die zahllosen Kollisionen im Zusammenwirken mit den Gravitationskräften benachbarter Zwergplaneten, in Verbindung mit dem offenbar sehr porösen und nicht besonders dichten Material, aus dem der Tempel zum größten Teil bestand. Es handelte sich vermutlich um das Bruchstück eines größeren Himmelskörpers, dessen andere Bestandteile inzwischen vielleicht schon zu feinerem Geröll und sogar zu Staub zerfallen waren.
Als Sunfrost während dieser einsamen Solo-Schicht an den Steuerkontrollen der DEFIANT-29 saß und auf die Anzeigen starrte, glaubte sie daher im ersten Moment, einer Täuschung aufgesessen zu sein, als sie etwas sah, das ihr bekannt vorkam.
Etwas, das sie so oft schon gesehen hatte, dass es ihr in Fleisch und Blut übergegangen war, die entsprechenden Muster selbst aus einem unübersichtlichen Datenwust heraus zu identifizieren.
Sie nahm noch ein paar Modifikationen an den Einstellungen vor, um sicher zu gehen.
Aber es war kein Zweifel mehr möglich.
Eine Qriid-Signatur, ging es ihr durch den Kopf. Einwandfrei! Da gibt es kein Vertun!
Schon auf der Akademie hatte man den angehenden Raumfahrern des Space Army Corps beigebracht, worauf sie zu achten hatten. Und hier trafen nun gleich eine ganze Reihe von Merkmalen zu.
Die geringe Emission von Traser-Strahlen zum Beispiel. Sie waren in dieser Dosierung weder für die Besatzung des Qriid-Schiffes, noch für sonst irgendwen gefährlich, aber es war kaum möglich, ein Traser-Geschütz an Bord zu haben, ohne dass diese Emissionen angemessen werden konnten.
Sunfrost erinnerte sich daran, dass die Qriid sich im Verlauf des Krieges immer größere Mühe gegeben hatten, diese Signaturen zu unterdrücken. Aber völlig ohne Abstrahlungen, Emissionen, Wärmemuster und so weiter flog kein Raumschiff durch das All. Es ging letztlich immer darum, die typischen Muster zu identifizieren.
Eigentlich müsste ich jetzt unverzüglich Feindalarm geben, ging es Sunfrost durch den Kopf. Aber für einen Moment war sie wie erstarrt.
Ihre Gedanken gingen zurück.
Ein Gefecht gegen die Qriid, während ihres Stabsdienstes an Bord der NEW CALIFORNIA. Mehrere Traser-Treffer in einen Bereich des Schiffes, in dem ich mich gerade aufhielt. Die Arbeit an einer Großsimulation der Flottenstrategie wurde unterbrochen. Wer hatte schon Lust, an einem optimalen Operationsplan für ein koordiniertes Vorgehen der Space Army Corps-Kräfte in mehreren Grenzsystemen nachzudenken. Eine Operation über fünf Lichtjahre hinweg.
So lang war jener imaginäre Frontabschnitt im All, für den Admiral zuständig gewesen war.
Fünf Lichtjahre Grenze zum Niemandsland, dem Raumgebiet aus dem der Feind immer wieder vorstieß.
Und dann sah ich ihn.
Unmittelbar und ohne jede ortungstechnische Unterstützung durch eines der Sichtfenster!
So nahe war der Kreuzer der Vogelwesen herangekommen!
Eine Nussschale im All, wenn man ihn mit dem riesigen Schlachtschiff der Dreadnought-Klasse verglich.
Aber auch ein kleiner Skorpion kann zum tödlichen Stich ansetzen. Größe ist nicht immer Kampfkraft. Und schon gar nicht bei den Qriid, die darüber hinaus in dem Glauben angreifen, dass Gott sie ausgesandt hat und die darum weniger Rücksicht auf ihren eigenen Überlebensinstinkt zu nehmen gewohnt sind.
Im Schleichflug hatte sich der Kreuzer genähert, hatte alle Maschinen abgestellt, alles vermieden, was als Signatur erfasst werden konnte und nur den Schwung seiner vorherigen Beschleunigung genutzt.
Und jetzt war er herangekommen.
So nahe, wie es eigentlich niemals hätte passieren dürfen.
Und doch war es geschehen, allen Sicherheitsmaßnahmen und den modernsten Ortungstechnologien der Humanen Welten zum Trotz...
Ich hätte sofort sagen müssen, was ich sah, ging es Sunfrost durch den Kopf. Doch ich habe gezögert. Und eine Sekunde später kam der Angriff mit mehreren schweren Treffern.
Die Geschützbatterien der NEW CALIFORNIA hatten den Angreifer buchstäblich zerfetzt. Mindestens ein Dutzend schwere Projektile hatten die Außenhülle des Qriid-Raumers durchschlagen. Er platzte daraufhin regelrecht auseinander und verwandelte sich in einen Feuerball.
Aber davon hatten die Mitglieder der Stabsgruppe, der ein gewisser junger Fähnrich namens Sunfrost angehörte, nichts mitbekommen. Denn dort musste man ums nackte Überleben kämpfen. Es gab einen Hüllenbruch. Menschen wurden ins All geschleudert, wo augenblicklich ihr Blut zu kochen begann. Siebzig Prozent des menschlichen Körpers bestehen aus Wasser. Die Siedetemperatur für Wasser liegt auf der Erde bei 100 Grad Celsius. Aber nur dort, unter dem irdischen Druck und im Rahmen der irdischen Temperaturskala. Aber schon ein paar Kilometer höher, in der Stratosphäre liegt der Siedepunkt bei 37 Grad und im freien All noch niedriger. Manche hielten den Weltraum für einen kalten Ort, aber Sunfrost wusste, dass das nicht stimmte. Man wurde gekocht, wenn man ohne Druckanzug ins All geriet. Und dass Sunfrost das nicht am eigenen Leib zugestoßen war und sie nur anderen dabei hatte zusehen müssen, wie sie dahinschwebten und innerhalb von Augenblicken überall aufplatzten, weil ihre Flüssigkeit zu sieden begann. Genau wie bei Kometen, wenn sie das Sonnenlicht traf und ihr Eis ohne das flüssige Aggregat zu erreichen gleich zu Wasserdampf wurde.
Allerdings gab es keinen schönen Schweif dabei.
Und das Vakuum verschluckte jeden Schrei.
Sunfrost hatte sich irgendwo festhalten können, während eine Notfallschaltung aktiviert wurde. Sie regelte die künstliche Schwerkraft hoch. So hoch, dass Sunfrost an den Boden gepresst wurde. Und mit ihr der noch nicht entwichene Teil der Atemluft.
Das hatte sie gerettet.
Dass sie von keinem der glühenden Metallteile getroffen worden war, war pures Glück gewesen - denn auch vagabundierende Trümmer waren natürlich von diesem erhöhten Gravitationsniveau angezogen worden.
Sie hatte in jenen Momenten geglaubt, dass ihre Rippen unter den mörderischen Gravitationskräften brechen müssten. In einer Schicht, die kaum einen halben Meter dick war, herrschte darüber hinaus ein Luftdruck, der so hoch war, als wäre sie von einer Sekunde zur anderen zwanzig Meter tief getaucht.
Die Lungen schmerzten. Und manchmal, wenn sie daran dachte, spürte Sunfrost diesen Schmerz wieder.
So wie in diesem Moment. Sie starrte auf den Tempel. Auf die dunklen Höhlen und säulenähnlichen Gebilde, die wie von einem kosmischen Bildhauer dahingemeißelt aussahen.
Irgendwo da drin, in diesen Höhlen muss ein Qriid-Schiff sein, dachte Sunfrost. Ein kleines vielleicht. Möglicherweise eine Art Jäger, obwohl wir bisher nichts davon wissen, dass sie so etwas entwickelt hätten...
Sie nahm ein paar weitere Einstellungen und Modifikationen vor, versuchte alles aus den Ortungssystemen herauszuholen, was möglich war, um wirklich auch die letzte Möglichkeit eines Irrtums auszuschließen.
Und gleichzeitig löste sie den Feindalarm aus und leitete ein Bremsmanöver ein.
Es war so stark, dass es jeder an Bord der DEFIANT-29 zu spüren bekam.
Auch die Schläfer, die zur Zeit in Dracula’s Home ein bisschen Ruhe fanden.
Es dauerte nur Augenblicke bis die gesamte Besatzung der DEFIANT-29 nicht nur auf den Beinen, sondern auch auf dem Posten war.
“ Waffensysteme klar”, meldete Fu Davis.
Sunfrost zögerte einen Moment, als sie für Fähnrich Brent Tahano die Steuerkonsole freigeben sollte.
“ Captain?”, fragte Tahano etwas irritiert.
“ Übernehmen Sie, Tahano.”
“ Wie lauten die Befehle?”
“ Bremsmanöver fortsetzen.”
“ Bleiben wir hier?”
“ Sind Sie eine Fragemaschine oder ein Rudergänger?”
Sunfrost gelangte zum Sitz des Captains. Sie taumelte dabei etwas. Die Andruckabsorber taugten wirklich nichts. Ein derartiges Bremsmanöver brachte die ungeschminkte Wahrheit einfach an den Tag. Jene Wahrheit, die wahrscheinlich kein Verantwortlicher des Space Army Corps und schon gar kein Politiker des Humanen Rates gerne hören wollte. Und diese Wahrheit hieß: Die Ausrüstung des Corps ließ erheblich zu wünschen übrig. Zumindest, wenn man nicht gerade auf einer Hochglanz-Dreadnought seinen Dienst tat, auf der zudem auch noch der Befehlshaber eines ganzen Abschnitts seinen Stab unterhielt.
Ein Zittern durchlief jetzt das Raumboot. “Ich muss den Kurs modifizieren. Wir geraten auf Grund der starken Abbremsung ins Schlingern - und ich habe ehrlich gesagt keine Lust mit dem Tempel aneinander zu geraten”, meldete Tahano.
“ Versuchen Sie die Resonanz-Phänomene zu eliminieren, Crewwoman Gao”, wandte sich Sunfrost an die Technikerin der DEFIANT-29.
Gao sah angestrengt auf ihre Konsole. Sie selbst wurde von dem Zittern ebenso erfasst wie alle anderen Besatzungsmitglieder. Das machte es nicht unbedingt leichter, das Menue des Displays zu bedienen.
“ Ich tue mein Bestes, Madam!”, rief Gao.
Und die Art und Weise, wie die Technikerin das Wort Madam aussprach, hatte schon einen sehr speziellen Unterton.
Sie sagte es im Tonfall einer trotzigen Beleidigung.
Sunfrost überhörte das.
Im Augenblick kam es auf etwas anderes an. Die Signatur des Qriid-Raumfahrzeug.
Sunfrost schaltete sich die Ortung auf das Armlehnendisplay des Kommandantensitzes.
“ Captain, Sie haben den Qriid-Alarm ausgelöst, aber ich sehe nirgends eine Signatur...”
Crewman Seku Delan, der inzwischen seinen Platz an der Konsole für Ortung und Kommunikation eingenommen hatte, wurde von Sunfrost unterbrochen.
“ Schauen Sie richtig hin, Crewman!”
“ Nein, schauen Sie richtig hin. Da ist nichts. Buchstäblich gar nichts.”
Sunfrost überprüfte die eingehenden Daten mit Hilfe ihres eigenen Zugangs zum Ortungssystem über ihr Armlehnendisplay. Verdammt, er hat Recht, wurde es ihr schlagartig klar. Die Signatur wurde nicht mehr identifiziert.
“ Ich sehe gerade, Sie haben die Alarmmeldung bereits an Raumfort Matthews übermittelt”, stellte Seku Delan fest.
Sunfrost nahm noch ein paar Einstellungen an ihrem Display vor, checkte die Daten und versuchte irgendeine Erklärung dafür zu finden, dass die Signatur plötzlich nicht mehr identifiziert wurde.
“ Macht ja nichts”, meinte Crewwoman Gao. “Blinder Alarm ist besser als zu später Alarm.”
“ Das war kein blinder Alarm!”, beharrte Sunfrost. Sie schaltete den Hauptschirm ein. Auf Grund des großen Frontalsichtfensters war dieser Hauptschirm erstens viel kleiner als Sunfrost es von überlichtschnellen Kriegsschiffen gewöhnt war und zweitens war er kaum in Gebrauch. So gut wie nie, um genau zu sein. In einem Raumboot der DEFIANT-Klasse flog man meistens auf Sichtweite. Die meisten Raumbootmannschaften waren sich in dem Punkt einig: Der Hauptschirm war eigentlich eine überflüssige Einrichtung auf einem Raumer wie der DEFIANT-29.
Sunfrost ließ in der schematischen Darstellung die Position markieren, an der die Signatur identifiziert worden war.
"Das Signal hat es tatsächlich gegeben“, stellte Seku Delan nach kurzer Überprüfung fest.
“ Haben Sie eine Erklärung dafür, dass es verschwunden ist?”, fragte Sunfrost.
“ Es gibt nur die eine: Das Qriid-Schiff ist tatsächlich so selbstmörderisch gewesen in die Höhlen des Tempels hineinzufliegen.”
“ Niemand, der bei Verstand ist, würde so etwas tun”, mischte sich Tahano ein. “Ich bin ein guter Pilot und ich traue mir viel zu, aber wenn das jemand von mir verlangen würde, würde ich streiken.”
Gut zu wissen, dachte Sunfrost.
“ Wer sagt denn, dass die Qriid bei Verstand sind?”, meinte Fu Davis. Der Waffentechniker der DEFIANT-29 verdrehte dabei der Augen. “Das soll jetzt nicht wie ein Vorurteil gegen Aliens klingen, aber eine Rasse, die dem Universum Gottes Ordnung aufzwingen will - oder das, was sie dafür hält - kann ja wohl nur aus Verrückten bestehen.”
“ Solche Verrückten gab es in der Geschichte der Menschheit auch schon”, meinte Sunfrost. “Und wenn man es genau nimmt, sind wir erst vor relativ kurzer Zeit von solchen Ideen mehr und mehr abgekommen...”
Zumindest vorläufig, dachte Sunfrost. Denn wenn sie daran dachte, was Mitglieder von radikalen politischen Bewegungen wie zum Beispiel der immer einflussreicher werdenden HUMANITY FIRST so an Zielen propagierten, dann kamen ihr die kaum aufgeschlossener vor als qriidische Glaubenskrieger, die einfach den Geboten ihrer Religion und ihres Heiligen Imperiums folgten.
“ Als es gibt zwei Möglichkeiten: Ein Analysefehler unseres Systems, das vielleicht zu schnell auf Qriid-Schiffe schließt oder es ist wirklich so ein Vogel hier und versteckt sich im Tempel”, stellte Tahano fest. Er drehte sich in seinem Stuhl zu Sunfrost um. “Die Frage ist, ob wir tatsächlich den Bremsvorgang fortsetzen und die Fahrt quasi unterbrechen sollten, um hier auszuharren und darauf zu warten, dass jemand aus den dunklen Löchern des Tempels herausfliegt.”
“ Was würden Sie vorschlagen?”
“ Die Meldung an Raumfort Matthews ist doch draußen?”
“ Ja.”
“ Dann liegt der schwarze Peter nicht mehr bei uns, Captain. Jetzt kann Commander Sörensen entscheiden, ob er Unterstützung durch einen Kreuzer oder irgendein anderes Schiff des Space Army Corps anfordert. Wir brauchen uns darüber keine Gedanken mehr zu machen.”
Ja, das ist natürlich auch eine Art und Weise mit Problemen fertig zu werden, dachte Sunfrost. Man muss sich wundern, dass die Menschheit den Krieg gegen die Qriid mit dieser Einstellung überhaupt drei Jahre lang führen konnte!
“ Wir werden etwas anderes tun”, bestimmte Sunfrost. Und dabei gab sie sich große Mühe, den Ärger über Tahanos Vorschlag nicht nach außen dringen zu lassen. “Wir werden hier bleiben. Crewman Delan?”
“ Ja, Captain?”
“ Senden Sie eine Nachricht an Raumfort Matthews, dass es sich bei der georteten Qriid-Signatur um einen Messfehler des Systems gehandelt hat.”
“ Aber...”
“ Verzichten Sie auf jegliche Verschlüsselung bei der Nachricht. Ein einfacher Überlichtfunkspruch im Sandström-Spektrum.”
“ Dann wird ihn jeder mithören können.”
“ Genau das ist der Sinn der Sache, Delan. Crewman Tahano, schalten Sie die Maschinen aus und fliegen Sie im Schleichflug weiter.” Sunfrost wandte sich an Gao und fuhr fort: “Sie sorgen dafür, dass alle, wirklich alle nicht unbedingt notwendigen Systeme abgeschaltet werden.”
“ Ja, Captain”, murmelte sie.
Ihr schien es nicht sonderlich zu behagen, was Sunfrost da angeordnet hatte. Auch wenn sie sich bisher nicht dazu äußerte, so schien sie doch insgeheim Tahanos Ansicht zu sein, die schlicht zusammengefasst lautete: Wir sollten tun, als hätten wir nichts gesehen und andere den Job machen lassen.
Aber Sunfrost war entschlossen, dieser Sache auf den Grund zu gehen.
“ Die DEFIANT-29 ist hier und wir werden dieser Sache auf den Grund gehen”, stellte sie anschließend noch einmal klar.
“ Ich hoffe nur, dass Sie diesen Entschluss nicht noch bereuen, Captain”, gab Tahano zurück.
“ Ich verstehe, was Sie vorhaben, Captain”, meldete sich jetzt Fu Davis zu Wort. Der Waffentechniker grinste schief. “Sie wollen den Qriid - falls es ihn gibt - aus seinem Versteck locken.”
“ So ist es”, nickte Sunfrost. “Vielleicht werden wir etwas Geduld brauchen.”
“ Und vielleicht auch sehr viel Glück”, meinte Davis.
Vier gegen eins.
Das war das Zahlenverhältnis im Moment, was das Für und Wider dieser Vorgehensweise betraf. Aber ich bin die Eins und muss tun, was notwendig ist, ging es Sunfrost durch den Kopf.