Читать книгу Der Beginn einer kosmischen Saga: Chronik der Sternenkrieger - Der Einstiegsband: 1200 Seiten Romanpaket - Alfred Bekker - Страница 61
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ОглавлениеDie DEFIANT-29 beschleunigte. Das Feuer des Qriid-Raumers zu erwidern wäre im Moment vollkommen unsinnig gewesen. Die Geschütze des Raumbootes hätten gar nicht die nötige Reichweite gehabt, um eine einigermaßen akzeptable Trefferwahrscheinlichkeit garantieren zu können. Auch dann nicht, wenn alle vier Geschütze des Raumbootes gleichzeitig und im Dauermodus unzählige würfelförmige Projektile verschossen und man bedachte, dass nur ein einziges davon ausreichte, um selbst ein großes Kriegsschiff zu zerstören.
Vorausgesetzt natürlich es traf auch.
Und das vorzugsweise in einen sensiblen Bereich, etwa die Maschinen oder einen Antriebskonverter.
Aber um so einen Treffer zu erreichen, musste die DEFIANT einfach näher an ihren Gegner heran, denn besonders zielgenau waren die starren Frontgeschütze nun wirklich nicht. Sie waren ausschließlich durch Veränderung der eigenen Position des Raumboots etwas zu justieren. Aber ansonsten glichen sie dem ungenauen, aber breit gestreuten Feuer einer Schrotbüchse.
Und ironischerweise war es viel leichter, ein großes Schiff zu treffen, als ein kleines.
Für die Qriid hingegen sah die Rechnung genau andersherum aus. Ihre Traser-Geschütze waren im Vergleich zu den Waffen, mit den die Schiffe des Space Army Corps ausgerüstet waren, ausgesprochen treffsicher und zielgenau - und das auch auf große Distanz.
Aber die Wahrscheinlichkeit eines Treffers blieb dennoch gering.
Die Weite des Raums, die schiere Größe des Alls sorgte dafür.
Mochte ein Qriid-Schütze einer Traser-Waffe auch einem Scharfschützen ähneln, so hatte er trotzdem das Kunststück zu vollbringen, mit einem hauchdünnen Strahl eine Erbse auf hundert Meter Entfernung zu treffen.
“ Crewman Delan, senden Sie eine Nachricht an das Qriid-Schiff. Fordern Sie die Besatzung auf, sich zu ergeben und weisen Sie darauf hin, dass sie sich auf dem Territorium der Humanen Welten befinden.”
“ Wie Sie meinen, Captain”, erwiderte Delan. “Sie sollten allerdings nicht damit rechnen, dass unser Gegner darauf eingeht.”
“ Damit rechne ich auch nicht”, gab Sunfrost zurück. “Fähnrich Tahano?”
“ Captain?”
“ Kurs beibehalten, Beschleunigung weiterhin auf Maximalwerte.”
“ Wenn wir nicht vorher von einem ihrer Traser-Schüsse zersäbelt werden, dann werden wir sie rammen, Captain!”, meinte Tahano sarkastisch. “Leider fehlt uns dafür ein Rammsporn oder sowas, fürchte ich.”
“ Ich denke, wir haben da etwas Besseres”, glaubte Fu Davis. Der Waffentechniker der DEFIANT-29 hatte bereits alle Vorkehrungen für die Gefechtsbereitschaft getroffen. Sich beschießen zu lassen, ohne darauf antworten zu können, schien ihm nicht zu behagen. Aber noch war die DEFIANT-29 einfach nicht nahe genug an ihrem Gegner heran. Jeder Schuss wäre nichts als Munitionsverschwendung gewesen.
Fu Davis hatte eine dreidimensionale Übersicht aktiviert, die die Positionen beider Raumschiffe im Verhältnis zueinander und zum Tempel sowie einigen kleineren Gesteinsbrocken anzeigte. Ob letztere sogar Trabanten des Tempels waren, oder nur vagabundierende Brocken, die auf ihrem ziellosen Weg durch das kosmische Geröllfeld des Kuiper-Gürtels gerade von der Schwerkraft des Tempels fortgeschleudert wurden, ließ sich so ohne weiteres nicht sagen. Um das zu beurteilen, wäre ein längerer Beobachtungszeitraum notwendig gewesen.
Die zunehmende Annäherung der DEFIANT-29 und des Qriid-Raumers war maßstabsgerecht sichtbar. Die Markierungen der Raumer selbst war jedoch nicht in ihren realen Größenverhältnissen dargestellt. Denn dann hätte man auch auf dieser Darstellung nur zwei winzige, stecknadelgroße Punkte gesehen, die für das menschliche Auge kaum auszumachen gewesen wären.
Auf seinem Display konnte Fu Davis verfolgen, ab und wann die Trefferwahrscheinlichkeit groß genug war, um eine Feuereröffnung rechtfertigen zu können.
Ein grünlich schimmernder Blitz schien auf einmal das Innere der DEFIANT-29 so grell zu erleuchten, dass die Besatzung geblendet wurde. Das transparente Material der Frontscheibe war chipgesteuert und veränderte seinen Transparenz je nach Intensität der Lichteinstrahlung.
“ Explosion 27 Grad Backbord, 12 Grad Höhe über Null-Ebene”, meldete Seku Delan. “Traser-Treffer auf einem nicht katalogisierten Gesteinsbrocken von ungefähr 50.000 Meter Durchmesser.”
“ Gehen Sie auf Ausweichkurs, Fähnrich Tahano”, ordnete Sunfrost an.
“ Ausweichkurs eingeleitet”, bestätigte Tahano.
Während die DEFIANT-29 ein scharfes Manöver nach Steuerbord vollführte und damit auch die Andruckabsorber an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit brachte, war nun die Explosion deutlich zu sehen. Die Transparenz-Materialien der Sichtfenster hatten sich in ihrer Tönung angepasst.
Stumm explodierte da ein kleiner Himmelskörper aus porösem Gestein und etwas gefrorenem Methan und Trockeneis. Kein Laut entstand dabei. Die Trümmerstücke aus teilweise aufgeschmolzenem Gestein geisterten wie Irrlichter durch die ewige Nacht der Schattenzone des Tempels und ließen sie für kurze Zeit etwas heller erscheinen.
Als ob in diesem sternenlosen Hinterhof des Universums plötzlich doch ein paar Sterne geboren worden wären, dachte Sunfrost.
––––––––
Im nächsten Moment ging ein Ruck durch die DEFIANT-29. Mehrere harte Schläge schienen die Außenhülle zu treffen.
“ Kollision mit Trümmerstücken”, meldete Seku Delan.
Die Gesteinsbrocken prasselten regelrecht auf die Außenhülle der DEFIANT ein. Innen wurden dadurch hämmernde Geräusche erzeugt.
“ Eine Schubdüse funktioniert nicht mehr”, stellte Tahano plötzlich fest.
“ Ist getroffen worden”, ergänzte Seku Delan. “Schaden der Kategorie 3.”
“ Können Sie da was machen, Gao?”, wandte sich Sunfrost an die Triebwerkstechnikerin.
“ Ich glaube, es wäre im Moment ein ungünstiger Augenblick, um im Druckanzug auszusteigen und da mal nach dem Rechten zu sehen”, gab Gao zurück.
“ Haben Sie keinerlei Systemzugriff?”, fragte Sunfrost nochmal nach.
“ Momentan nicht. Mein Rechner meldet einen Totalausfall des entsprechenden Bereichs. Ich fürchte, da lässt sich so schnell nichts aus dem Hut zaubern.”
“ Sehen wir es positiv”, meinte Brent Tahano. “Es ist nur eine Schubdüse. Und auf die kann ich notfalls verzichten, sodass wir trotzdem noch ans Ziel kommen.”
“ Fragt sich nur, ob ich ohne diese Schubdüse noch sowas wie eine gezielte Geschützsalve abgeben kann”, maulte Fu Davis.
Im Gefechtsfall wurde die Lenkung des Schiffs an den Waffentechniker übergeben, der das Raumboot dann jeweils exakt so ausrichtete, wie es der angestrebten Schussrichtung entsprach.
Alles hängt mit allem zusammen, dachte Sunfrost. Ohne funktionierende Schubdüsen sind auch die stärksten Geschütze des Universums nichtmal das Schwermetall wert, das in ihren Projektilen steckt...
Die DEFIANT-29 taumelte dahin, während ein paar weitere Traser-Schüsse beinahe den den Schiffskörper des Raumboots trafen. In Kürze würden die Qriid treffen. Da war auch Sunfrost sicher.
“ Feuern Sie, Davis!”, wandte sich die Kommandantin dann an den Waffentechniker.
“ Captain, die Gefechtsentfernung ist noch nicht einmal annähernd erreicht. Wir müssten...”
“ Bis dahin haben die uns zerstört. Feuern Sie jetzt mit allem, was Sie haben und so gut es ohne die defekte Schubdüse geht.”
“ Aye, Captain.”
Auch Brent Tahano machte ein skeptisches Gesicht.
Er schien es Fu Davis nicht so recht zuzutrauen, die DEFIANT-29 mit einer Schubdüse weniger so zu manövrieren, dass ein Anvisieren des Gegners überhaupt möglich war.
Aber da der Captain davon überzeugt zu sein schien, das Richtige zu tun, sagte Tahano schließlich: “Steuerkontrolle an Waffen übergeben.”
“ Steuerkontrolle übernommen”, bestätigte Fu Davis. “Wir fliegen im Gefechtsmodus.”
Die DEFIANT-29 drehte sich etwas zur Seite. Und da die Andruckabsorber offenbar nicht mehr ganz zuverlässig waren, wurden Sunfrost und die anderen Besatzungsmitglieder zur Seite gerissen. Ohne die Sicherheitsgurte wären sie hilflos durch die Gegend geschleudert worden.
Aber so hielten sich die Blessuren in Grenzen.
Dann begann Fu Davis zu feuern. Die Geschütze des Raumboots entließen ihre tödliche Ladung. Aus allen vier Rohren wurde gleichzeitig gefeuert.
Mit schier unglaublichen Beschleunigungswerten jagten die Geschosse der platzsparenden Lagerung wegen als würfelförmige Geschosse durch das All. Hohe Geschwindigkeit und spezifische Dichte machten die Durchschlagskraft dieser Geschosse aus. Es war kaum eine Panzerung denkbar, die ihnen auf Dauer widerstehen konnte. Dazu war die kinetische Aufprallenergie einfach zu groß. Einfach, grausam und effektiv - auf diesen Nenner konnte man diese Geschütze bringen.
Es gab einen Treffer.
Allerdings handelte es sich nicht um das Qriid-Schiff, sondern um einen anderen, vagabundierenden Gesteinsbrocken. Ein einziges Projektil spaltete ihn. Das wolframumantelte Geschoss mit einem Kern, der wahlweise aus Uran oder Blei bestand, fetzte durch das Gestein hindurch, als wäre da kaum ein Widerstand. Die beim Durchschlag entstehende Reibung erzeugte Wärme. Der Gesteinsbrocken von immerhin fast einem halben Kilometer Durchmesser platzte förmlich auseinander. Teilweise schmolz er auf. Der Eis-Anteil verdampfte fast augenblicklich.
Ein Anblick, der Sunfrost an einen blasenden irdischen Pottwal oder einen aufschießenden Geysir erinnerte. Auch jetzt flogen wieder einige Bruchstücke in Richtung der DEFIANT-29. Die Treffer waren im Inneren des Raumboots wie Hagelschlag zu hören. Aber glücklicherweise waren diese Stücke - anders als die Geschosse aus den Jagdgeschützen des Raumbootes - nicht schnell und massereich genug, um wirklich Schaden anrichten zu können.
Aber wie sehr schon ein kleiner Schaden wie der an einer der Schubdüsen, die Kampfkraft zu beeinträchtigen vermochte, hatte sich ja gerade erst gezeigt.
Seku Delan meldete den Ausfall einer Außenkamera, die offenbar etwas abbekommen hatte.
Aber das stellte kein größeres Problem dar.
Fu Davis ließ die Geschütze der DEFIANT weite ununterbrochen feuern - bis nachgeladen werden musste.
Sunfrost blickte starr auf das Frontfenster des Raumbootes. Irgendwo da draußen war der Feind, nur sichtbar für das Ortungssystem.
Immer wieder zuckten grünliche Strahlen durch die Schwärze des Alls und unterbrachen sie mit ähnlich grellen Lichterscheinungen wie es bei den explodierenden Himmelskörpern der Fall war.
Und dort, wo der Ausgangspunkt dieser Strahlen war, musste die Position des Qriid-Raumers sein.
Ein rasselndes Geräusch drang nun unangenehm in Sunfrosts Bewusstsein.
Es dauerte einige Augenblicke, bis ihr klar wurde, was das war.
Die frischen Projektile wurden automatisch in die Geschützmagazine geschoben, damit sie anschließend abgefeuert werden konnten.
Obwohl - abgefeuert traf es nicht ganz.
Magnetisch beschleunigt. Das war das Wirkprinzip einer Gauss-Kanone.
Der Geschützladevorgang auf den Space Army Corps Schiffen war Sunfrost eigentlich natürlich bekannt. Sie hatte das auf der NEW CALIFORNIA während des Qriid-Krieges unzählige Male erlebt.
Der Unterschied war nur das Geräusch.
Auf größeren Schiffen hatte man einfach mehr Möglichkeiten, so etwas abzudämpfen. Und wahrscheinlich gab man sich an Bord eines Dreadnought-Schlachtschiffs, das den Stab eines Admirals beherbergte, auch etwas mehr Mühe, was diese Art von Luxus betraf.
Auf einem Raumboot hatte Sunfrost das Nachladen zuletzt während ihrer Zeit auf der Space Army Corps Akademie erlebt. Und irgendwie hatte sie das selbst da sehr viel leiser in Erinnerung.
Ich scheine mit den Jahren empfindlicher zu werden, dachte Sunfrost.
"Wir bekommen eine Nachricht der Qriid herein", erklärte Seku Delan.
"Lassen Sie hören, was die zu sagen haben", verlangte Sunfrost. Typisch war so eine Verhaltensweise für die Gotteskrieger des Heiligen Imperiums eigentlich nicht.
"Es ist keine Audio- oder gar Videospur dabei", erklärte Seku Delan. "Es handelt sich lediglich um eine kurze schriftliche Nachricht. Sie lautet: Qriid ergeben sich nicht. Gott ist auf unserer Seite, denn wir wurden erwählt. Fürchtet seinen Zorn."
"Ich glaube nicht, dass wir das weiter beachten sollten", meldete sich Fu Davis zu Wort. "Auf jeden Fall klingt das nicht gerade wie ein Friedensangebot, würde ich sagen."
"Dem kann ich mich allerdings nur anschließen", meinte Sunfrost.
Ein Signal zeigte an, dass der Nachladevorgang beendet war. Die DEFIANT konnte wieder feuern.
Das Qriid-Schiff hatte unterdessen den Kurs etwas geändert. Offenbar will sich der vogelköpfige Kommandant doch nicht zu hundert Prozent auf die bessere Treffsicherheit seiner Traser-Geschütze verlassen, ging es Sunfrost durch den Kopf.
Fähnrich Tahano ging auf Abfangkurs.
Das Traser-Feuer verebbte für kurze Zeit, wurde dann aber wieder aufgenommen.
Es war gut möglich, dass das Qriid-Schiff für seine Traser-Waffen in irgendeiner Art und Weise eine ähnliche Phase der Aufladung benötigte, wie es bei den Projektilgeschützen der Space Army Corps Schiffe aus ganz anderen Gründen der Fall war.
Aber um das zu beurteilen, wusste man bislang wohl einfach noch zu wenig über die Technologie der Traser.
Sunfrost hatte zwar davon gehört, dass es in streng geheimen Forschungsprojekten, die in Zusammenarbeit zwischen Rüstungskonzernen und dem Space Army Corps durchgeführt wurden, Versuche gegeben hatte, Waffen zu entwickeln, die auf ähnlichen Wirkprinzipien wie die Technologie der Qriid basierten, aber bislang war wohl offensichtlich nichts Vorzeigbares dabei herausgekommen.
Die Qriid blieben einsame Meister darin, Energiestrahlen als zielsichere Waffe zu benutzen.
“ Wollen Sie wieder übernehmen, Fu?”, fragte Fähnrich Tahano an den Waffentechniker gerichtet, denn während der Aufladephase hatte natürlich der Rudergänger wieder die Kontrolle über die Steuerung des Raumbootes gehabt.
“ Jederzeit”, gab Davis zurück.
“ Warten Sie!”, griff Sunfrost ein.
“ Kurs ist optimal auf das Abfangen unseres Gegners ausgerichtet”, erklärte Tahano. “Das Einzige, was wir jetzt tun müssen, ist, nicht zu bremsen - und keine weitere Schubdüse verlieren, denn dann kann ich für nichts mehr garantieren!”
“ Dann übergeben Sie, Fähnrich. Und Sie Davis, halten sich zurück.”
“ Wie lange?”
“ Bis ich sage, dass es soweit ist”, antwortete Sunfrost.
Der Erste Angriff war gescheitert. Sunfrost ahnte den Grund. Ich war zu voreilig. Die Entfernung war zu groß. Eine Fehlentscheidung. Aber ich werde diesen Fehler nicht wiederholen...
Sie lehnte sich im Kommandantensitz zurück. Mit einem Fingerwisch über das Armlehnendisplay zoomte sie die schematische Lagedarstellung etwas heran. Ja, Tahano hatte recht, der Kurs war optimal.
Und offensichtlich näherte sich die DEFIANT-29 dem Qriid-Raumer in einem Winkel, der aus irgendeinem Grund nicht optimal für die Schützen der Traser-Kanonen war. Die Schüsse waren nicht mehr so häufig und auch längst nicht so gut gezielt, wie in der früheren Phase des Gefechts. Das könnte daran liegen, wohin die Kanonen jeweils schwenkbar sind, wusste Sunfrost.
Sie hatte bisher zwei Traser-Kanonen beim gegnerischen Schiff vermutet. Und die Computeranalyse zeigte dasselbe Ergebnis mit einer Wahrscheinlichkeit von 89 Prozent an.
Aber seitdem der Gegner auf Ausweichkurs gegangen ist, wurde meistens ein Geschütz verwendet, glaubte Sunfrost erkannt zu haben.
“ Können Sie das Feindschiff näher heranzoomen?”, fragte Sunfrost.
“ Tut mir leid”, sagte Delan. “Ich habe bereits versucht, das Beste herauszuholen, aber leider sind einige Außensensoren durch das ständige Bombardement mit Gesteinsbrocken etwas in Mitleidenschaft gezogen worden. Eine Kamera haben wir völlig verloren. Ich will zwar nicht sagen, dass wir uns in einem Blindflug befinden, aber es kommt dem schon sehr nahe.”
“ Übertreiben Sie nicht, Delan”, mischte sich Brent Tahano ein. “Notfalls kann ich diese Kiste auch mit Hilfe des Sichtfenster navigieren, ob Sie das glauben oder nicht.”
So ein Angeber, dachte Sunfrost, hielt sich aber zurück.
“ Feindschiff scheint ein Wendemanöver zu versuchen”, meldete Delan dann ein paar Augenblicke später.
“ Feuern Sie jetzt, Mister Davis”, verlangte Sunfrost vom Waffentechniker. Ehe sie in einer Position sind, in der sie wieder beide Geschütze benutzen können, setzte sie noch in Gedanken hinzu. Denn genau das muss der Sinn dieses Manövers sein.
“ Aye, aye, Captain!”, bestätigte Davis.
Dann brachte er die DEFIANT-29 in eine Position, in der er das Qriid-Schiff anvisieren konnte.
Die maximale Gefechtsdistanz war nur knapp unterschritten.
Es bestand also das Risiko, auch diesmal nichts zu erreichen.
Aber das werden wir eingehen müssen, dachte Sunfrost, denn unsere Chancen werden sich verschlechtern, wenn das Qriid-Schiff erst wieder beide Geschütze zur Verfügung hat.
Die Projektile schnellten jetzt wieder zu Hunderten in unglaublich kurzer Zeit aus den Rohren. Ein wahrer Geschosshagel prasselte in Richtung des fremden Raumschiffs, das seinerseits das Traser-Feuer eröffnete.
Immer noch nur mit einem Geschütz, wie Sunfrost feststellte.
Wie weit sich das Qriid-Schiff bereits gedreht hatte, war angesichts der ramponierten Ortungssysteme nicht zu sagen.
Eine wichtige Information, die eigentlich Grundlage jeder taktischen Entscheidung in so einer Situation hätte sein sollen.
Aber diese Informationen standen nunmal nicht zur Verfügung.
Der alte Satz von Clausewitz bestätigt sich, dachte Sunfrost. Jede Planung geht nur bis zum nächsten Gefecht - alles, was danach kommt ist Improvisation.
Sunfrost dachte in diesem Moment daran, wie einer ihrer Ausbilder diesen Satz zitiert hatte. Wie oft habe ich ihn schon in der Realität bestätigt bekommen, rief sie sich ins Gedächtnis. Er schien fast den Status eines Naturgesetzes zu haben.
Die Gauss-Geschütze feuerten noch. Es gab noch immer keinen Treffer. Das Qriid-Schiff war anscheinend einfach zu klein - und vier Geschütze reichen am Ende wohl nicht aus, um eine ausreichende Trefferwahrscheinlichkeit zu gewährleisten.
Ein weiteres Mal blendete sie alle plötzlich ein Traser-Schuss. Diesmal war es für kurze Zeit noch heller, als es das erste Mal der Fall gewesen war. Die automatische Abblendung schien überhaupt nicht zu funktionieren.
Sunfrost hatte das Gefühl, nur von grünlichem Licht umgeben zu sein. Selbst wenn sie die Augen schloss, sah sie nichts anderes.
Sie versuchte sich mit den Armen zu schützen.
Ein Knall ertönte. Und im nächsten Augenblick war es vollkommen dunkel in der DEFIANT-29. Nur die fluoreszierenden Streifen an den Wänden sorgten noch für etwas Licht.
“ Maximaler Ausfall der Energieversorgung”, stellte Crewwoman Gao fest. "Der Traser-Schuss hat uns zwar nur gestreift, denn sonst wären wir alle nicht mehr unter den Lebenden. Aber für unsere Energieversorgung war das trotzdem der Abgesang."
"Ich habe keine Systemkontrolle mehr", meldete daraufhin Fu Davis. “Weder über die Kanonen, noch über die Steuerung."
"Bei mir dasselbe", erklärte Tahano.
"Notaggregate aktivieren", befahl Sunfrost.
“ Das ist nicht so einfach, wie Sie das vorschlagen", meinte Gao. "Wenn ich das richtig sehe, sind die gleich mitbeschädigt worden."
"Ich habe hier noch Anzeigen auf dem Display", meldete Seku Delan.
"Also scheint doch noch was zu gehen", glaubte Sunfrost.
"Muss nichts heißen", widersprach Brent Tahano. "Was Sie nicht wissen können, Captain: Wir haben hier an Bord einige besonders sensible Systeme mit gesonderten Energiezellen gesichert. Dazu gehört auch die Ortung und die Kommunikation. Dann kann man nämlich wenigstens Hilfe rufen, wenn was richtig schiefläuft."
“ Standard ist das allerdings nicht”, stellte Sunfrost fest.
"Richtig", bestätigte Tahano. "Das ist einfach nur Trick 17 unseres geschätzten Crewmitglieds Gao. Und ihr Vorgänger als Captain der DEFIANT 29 stand auf so etwas. Ein Sicherheitsfanatiker, wenn Sie verstehen was ich meine.”
“ Also jemand, der im zivilen Leben Hosenträger und Gürtel gleichzeitig trägt”, meinte Fu Davis.
“ Exakt”, nickte Tahano.
Die respektlose Art, in der Tahano und Davis über ihren ehemaligen Kommandanten sprachen, gefiel Rena Sunfrost nicht. Sie hatte den vagen Verdacht, dass ihre Crew bislang ganz ähnlich über sie dachte. Daran werden wir noch arbeiten müssen, wenn wir aus diesem Schlamassel hier raus sind, ging es ihr durch den Kopf.
“ Das Qriid-Schiff verändert den Kurs”, meldete Seku Delan. “Ich denke, die flüchten jetzt.”
“ Die suchen das Weite”, kommentierte Fu Davis. “Würde ich an deren Stelle auch machen.”
“ Ich habe die Qriid eigentlich etwas anders kennengelernt”, meinte Rena Sunfrost.
Fu Davis wandte den Blick in ihre Richtung. “Wir auch, Captain. Aber ich könnte mir vorstellen, dass man an Bord des Qriid-Raumers glaubt, dass wir erledigt sind.”
“ Wundert mich. Dann müssen die keine gute Ortungstechnik haben”, sagte Sunfrost. Es muss einen anderen Grund dafür geben, dass sie sich aus dem Staub machen, ohne sich davon zu überzeugen, dass sie uns wirklich erledigt haben, war Sunfrost überzeugt. Auch wenn mir da im Moment nichts Gescheites einfällt, was die Ursache dafür sein könnte.
Oder wartet irgendwo in der Nähe ein Mutterschiff auf sie, das sie erreichen müssen?
Sunfrost überlegte, ob irgendein anderer Faktor denkbar war, der den Gegner aus einem bisher unbekannten Grund unter Zeitdruck setzte. Aber ihr fiel nichts ein.
“ Maschinen lassen sich nicht reaktivieren”, drangen Crewwoman Gaos Worte in Sunfrosts Gedanken. “Ich will Ihnen die Einzelheiten ersparen, aber Traser-Strahlen wirken nunmal sehr schädlich auf die McDoherty-Spulen. Und da sind jetzt einfach zu viele von durchgebrannt.”
“ Gab es denn da kein Abdämpfungsfeld?”
“ Wo denken Sie hin? Sowas haben vielleicht die Maschinentrakte der NEW CALIFORNIA, aber doch nicht so ein kleines Raumboot!”
“ Wie soll sie das wissen, Gao?”, sagte Fu Davis. “Während ihrer Ausbildungsflüge und taktischen Übungen mit solchen Kisten, ist sicherlich niemals der Ernstfall eines Traser-Treffers eingetreten.”
Die Erkenntnis, dass sie jetzt vollkommen hilflos in ihrer kosmischen Nussschale durch das All trieben, erreichte Sunfrost tröpfchenweise. Vielleicht wehrte sie sich innerlich einfach zu sehr dagegen, sich eingestehen zu müssen, dass ihre erste Mission in einem Desaster geendet hatte.
Das Schiff beschädigt und manövrierunfähig, der Feind entkommen - keine besonders gute Bilanz für mein erstes Kommando, ging es ihr durch den Kopf.
“ Es kann nur besser werden”, stellte Tahano fest. “Unsere Lage, meine ich.”
“ Richten Sie einen Funkspruch an Raumfort Matthews, Crewman Delan”, befahl Sunfrost. “Wir brauchen dringend Unterstützung. Geben Sie außerdem die Warnung weiter, dass sich ein Qriid-Schiff in unserer Nähe befindet und auf der Flucht ist. Senden sie sämtliche Daten darüber, damit sich Commander Sörensen ein Bild von dem Problem machen kann.”
“ Aye, Captain”, bestätigte Seku Delan. “Es wird allerdings mindestens eine halbe Stunde dauern, bis die Botschaft ankommt.”
“ Wieso?”
“ Das vergaß ich zu erwähnen. Die Energiezelle, die zurzeit noch Ortung und Kommunikation speist, ist zu schwach für den Sandström-Funk.”
“ Wir haben also keinen Überlichtfunk.”
“ Richtig.”
Sunfrost seufzte. “Dann erhält der Commander die schlechte Nachricht eben etwas später”, murmelte sie.
“ Wenn Sie wirklich so sehr darauf Wert gelegt hätten, dass Commander Sörensen rechtzeitig informiert wird, hätten Sie das unmittelbar nach Ausbruch des Gefechts anordnen sollen”, sagte Seku Delan. “Aber Ihnen war es offensichtlich wichtiger, Jagd auf diesen Qriid-Raumer zu machen und ihn selbst zu erledigen, anstatt Hilfe zu holen.”
“ Das ist nicht wahr!”
“ Ach nein? Dann haben Sie die Meldung einfach vergessen?”
“ Sie hätten die Meldung an Raumfort Matthews durchführen können.”
“ Ohne oder sogar gegen Ihren Befehl, Captain?” Seku Delan schüttelte den Kopf. “Wohl kaum.”
“ Es steht Ihnen nicht zu, das zu beurteilen, Crewman Delan.”
“ Sie haben Probleme damit zuzugeben, einen Fehler gemacht zu haben. Vielleicht sogar einen schweren Fehler, der dazu geführt hat, dass die DEFIANT-29 ein Haufen Schrott und der Qriid-Raumer auf und davon ist, sodass ihn wahrscheinlich selbst ein größerer Flottenverband zwischen all den herumgeisternden Kleinplaneten und Asteroiden nicht mehr aufspüren könnte. Aber Sie haben Recht, es steht mir nicht zu, das zu beurteilen. Das wird Commander Sörensen schon erledigen, glaube ich.”
“ Lass es gut sein, Seku!”, wandte sich Tahano an den Kommunikations- und Ortungstechniker.
“ Ich sage kein Wort mehr”, knurrte Delan, der damit seinem Ärger auf ziemlich ausführliche Weise Luft gemacht hatte.
Und auf eine Weise, die nun wirklich jedweder Disziplin an Bord widersprach.
Das Problem ist nur, dass er vollkommen Recht hat, erkannte Sunfrost in diesem Moment. Eine schmerzhafte Erkenntnis. Aber sie ließ sich jetzt nicht mehr einfach ignorieren.
Zum ersten Mal fragte sich Sunfrost, ob es wirklich eine so gute Idee gewesen war, dieses Kommando anzustreben.
Vielleicht lag Admiral Raimondo mit seiner Meinung richtig und ich hätte besser eine Position als Offizier auf einem Leichten Kreuzer angenommen.
Sunfrost wandte sich schließlich an Seku Delan.
“ Sie haben vollkommen Recht, Crewman Delan. Möglicherweise habe ich einen Fehler gemacht und eine Entscheidung getroffen, die nicht angemessen war. Sie werden sich wohl oder übel damit abfinden müssen, dass Ihr Captain keine unfehlbare Maschine ist.”
Seku Delan hob den Blick und sagte nichts weiter dazu.
Tahano meldete sich zu Wort und warf ein: “Vielleicht ist es ganz gut, dass keine direkte Kommunikation möglich ist und immer etwas Zeit zwischen der Erstnachricht und Antwort vergeht.”
Sunfrost runzelte die Stirn. “Was meinen Sie damit, Tahano?”
“ Nun, ich denke, es wird Commander Sörensen etwas verwirren, dass Sie ihm nun eine Nachricht über ein Qriid-Schiff in unserem Sektor schicken, wo Sie doch vor kurzem noch eine Mitteilung mit gegenteiligem Inhalt gemacht haben.”
Und dass die aus taktischen Grünen gemacht wurde, davon kann Sörensen natürlich nichts ahnen, ging es Sunfrost siedendheiß durch den Kopf. Laut sagte sie: “Das ist leider nicht zu ändern. Ich hoffe, Commander Sörensen hat einen gnädigen Tag.”
“ Für gnädige Tage ist der Commander eigentlich nicht bekannt”, eröffnete Tahano. “Sind Sie ihm bei anderer Gelegenheit schonmal begegnet?”
“ Nein.”
“ Dann erschrecken Sie nicht. Angeblich soll seine schlechte Laune das Space Army Corps genauso viele Abgänge gekostet haben wie die Verluste des Qriid-Krieges.” Tahano grinste. “Aber das ist wahrscheinlich nur ein maßlos übertriebenes Gerücht.”