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Alfred Bekker

EIN VAMPIR BEIM ZAHNARZT



Niemand geht gern zum Zahnarzt und für unsereins gilt das ganz besonders.

Dr. Weston war ein kleiner, etwas rundlicher Mann, auf dessen Kopf kaum noch ein Haar zu finden war. Sein Gesicht wirkte blass und blutleer - genau wie das meine. Er wirkte fast wie einer von uns...

Ich warf einen Blick auf seine Hände, die mir einen geschickten Eindruck machten. Das beruhigte mich etwas.

»Sie wissen, dass ich nur privat abrechne?«, fragte Dr.

Weston mich geradeheraus.

»Ja. Aber das ist kein Problem.«

Weston war der einzige Zahnarzt weit und breit, der seine Sprechstunde abends abhielt. Deswegen hatte ich ihn ausgewählt.

Ich setzte mich auf den Zahnarztstuhl, und einen Augenblick später hängte mir Dr. Westons blutjunge Arzthelferin eine Papierserviette um und machte ein grelles Licht an.

»Ah...«, hörte ich mich selbst aufstöhnen.

»Was ist?«, fragte die junge Frau.

»Ich bin sehr... lichtempfindlich.«

»Es muss aber sein«, mischte sich Dr. Weston in einem Tonfall ein, der keinerlei Widerspruch duldete. Er warf einen Blick in meinen Mund, und ich sah, wie sich auf seiner Stirn tiefe Furchen bildeten. »Mein Gott...«, flüsterte er. »Ihre Eckzähne....«

»Ja, ich weiß, dass ich früher hätte kommen sollen«, erwiderte ich, als ich den Mund wieder schließen durfte. »Aber tagsüber kann ich nicht. Und Sie sind der erste Zahnarzt, der um diese nachtschlafende Zeit seine Sprechstunde abhält...«

»Ich habe noch nie ein Gebiss mit derartig langen Eckzähnen gesehen!«, bekannte er freimütig. Er lächelte. »Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, aber wenn ich nicht wüsste, dass es so etwas nicht gibt, dann würde ich an einen Vampir denken...« Ehe ich etwas erwidern konnte, machte er eine beschwichtigende Geste.

»Ich hoffe, Sie verstehen mich nicht falsch!«

Ich war ziemlich ärgerlich.

»Sehen Sie zu, dass Sie meine Zähne wieder herstellen!«, fuhr ich Dr. Weston etwas zu barsch an.

»Ich bringe Ihre Zähne sogar umsonst wieder in Ordnung, falls ich die Arbeit an Ihrem Gebiss zu Forschungszwecken verwenden dürfte. Alles natürlich völlig anonym. Aber ein Gebiss wie das Ihre ist so einmalig, dass...«

Welche Wahl hatte ich? Und wie hoch war die Chance, jemals wieder auf einen Dentisten mit nächtlichen Öffnungszeiten zu treffen? Ich war auf Dr. Weston angewiesen, und so sagte ich ja.

Er war geradezu entzückt, faselte etwas von genetischer Disposition und dergleichen, während ich mich daran erinnerte, dass ich heute noch nichts gegessen hatte.

Bevor Dr. Weston also zur Tat schritt, ließ er mich noch einmal vom Stuhl aufstehen und wies seine Arzthelferin an, Röntgenaufnahmen von meinen Zähnen zu machen.

Die Arzthelferin war noch recht jung. Sie führte mich in einen Nebenraum hatte dann einige Schwierigkeiten mit dem Röntgenapparat.

»Lohnt sich eine Praxis mit solchen Öffnungszeiten denn überhaupt?«, fragte ich sie, nachdem die Prozedur vorbei war.

»Sicher«, nickte sie. »Es gibt genug Freiberufler, Selbständige und dergleichen, die tagsüber keine Gelegenheit hätten, zum Zahnarzt zu gehen.«

»Ah ja...?«

Ein paar Augenblicke später befand ich mich wieder auf Dr.

Westons Stuhl, der meine Eckzähne ansah, als wären sie bereits vergoldet.

»Es muss dieses Phänomen schon in früherer Zeit gegeben haben«, meinte Dr. Weston. »Und vielleicht ist so der Vampir-Mythos entstanden...?«

Ich widersprach ihm nicht. Wie hätte ich auch, war ich doch gehalten, meinen Mund so weit wie irgend möglich zu öffnen.

Und während Dr. Weston sich mit dem Bohrer in der Hand über mich beugte, sah ich aus den Augenwinkeln heraus die rosigen Wangen und den nackten Hals seiner jungen Gehilfin, die auf der anderen Seite des Zahnarztstuhles stand und ihrem Chef Handreichungen machte. Ein unstillbarer Hunger erfüllte mich.

Sie wirkte um so vieles lebendiger, jünger, blutvoller als Dr.

Weston, dessen aschfahles Gesicht dem meinen jetzt so nahe war...

Dann fühlte ich, wie der Bohrer sich in meine Zähne fraß, und für einige Augenblicke waren alle anderen Gedanken wie verflogen.

Als ich fertig war, ließ er mich noch eine kurze handschriftliche Erklärung unterschreiben, dass ich mit einer Veröffentlichung meiner Röntgenbilder einverstanden sei. Dann verabschiedete er sich sehr höflich von mir und ließ mich mit seiner Helferin allein.

»War doch gar nicht so schlimm, was?«, lächelte sie.

»Nein.«

»Wir müssen noch einen Termin wegen des Zahnsteins machen.«

»Ach, das eilt nicht.«

Ich fragte mich, weshalb sich jemand wie Sie einen Nacht-Job suchte. Andere junge Leute gingen um diese Zeit aus - sie musste Spucknäpfe anreichen...

Ich erhob mich und trat neben sie, während sie in ihrem Terminkalender nachschlug. Wie gesagt, ich hatte an diesem Tag noch keine Mahlzeit gehabt. Ihr Hals schimmerte rosig und einladend.

Ich öffnete den Mund, schloss ihn jedoch sogleich wieder.

Jegliches Verlangen war von einem Moment zum anderen wie weggeblasen. Sie hatte auf ihrem Bleistift herumgekaut und dabei für einen kurzen Moment den Blick auf einen ihrer sehr, sehr langen Eckzähne freigelegt.


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