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VIII
ОглавлениеDer große silberweiße Saal der Hochschule für Musik konnte nicht allen Zuhörern, die zu dem öffentlichen Schülerkonzert herbeieilten, einen Platz bieten. Viele mußten stehen; Nachzügler mußten umkehren. In der vordersten Reihe sah man diesen und jenen dem Publikum aus den Berliner Konzertsälen schon wohlbekannten Künstlerkopf: Klaviervirtuosen, Komponisten, Geiger von Rang und Ruf. Dazwischen die Schar der lauschenden Schüler und Verwandte, Bekannte der Mitwirkenden.
Die Magneten des Konzerts hießen Charlo Wildhofer, Mirko Machaczek, Stefan Klodwig.
Mirkos Cremoneser Geige triumphierte diesmal über Charlos Klavier und Stefans Cello. Er spielte hinreißend, dieser dreiundzwanzigjährige Prager, dem die Musik im Blut lag. Schon bei der Beethovenschen Violinsonate wollte der Beifall kein Ende nehmen; noch niemals aber war in der Hochschule so unaufhörlich in die Hände geklatscht worden, wie nach der rasenden Tarantella eines modernen Komponisten, deren schwierige Tonfolgen Mirko Machaczek mühelos meisterte.
Der Haß gegen die hoffnungslos geliebte Charlo ließ ihn in diesem musikalischen Wettbewerb über sich hinauswachsen. Als er die Tarantella spielte, bekam sein Gesicht etwas Satanisches. Die um seine Leidenschaft für die Wildhofer wußten, merkten es alle: er spielt dieses Stück nur für Charlo — oder vielmehr gegen Charlo. Er wollte sie niederzwingen. Wenigstens im Konzertsaal als Sieger über das Mädchen triumphieren, deren Herz er gern ebenso besiegt hätte.
Charlo wurde trotzdem ebenfalls sehr gefeiert. Sie hatte ein festliches Kleid an von braunem Seidensamt mit einem bestickten weißen Chiffoneinsatz, aus dem sich ihr brünettes Gesicht sehr apart und wirkungsvoll heraushob. Die hochgestellte Lockenfrisur zeigte ihre kluge runde Stirn. Aus ihren Augen sprühte Hingerissenheit und gänzliches Vergehen in dem Meisterwerk, als sie Beethovens Waldstein-Sonate in ihrer ganzen zu den Sternen greifenden Kühnheit zu erfassen versuchte. Charlo durfte den Sonderbeifall Ferdinand Dumonds einernten, des berühmten Beethovenspielers. Dumond sagte zu dem Direktor der Hochschule: „Ich hätte es kaum besser gemacht.”
Auch Stefan hatte, wenn zwar einen im Beifall sanfteren, so doch voll anerkannten Erfolg mit dem sauberen und klaren Cello-Solo-Vortrag der zauberselig schwermütigen Rokokovariationen von Tschaikowsky. Immer sang und jubelte und klagte sein Cello dominierend über dem begleitenden kleinen Orchester. Ja, das Cello Stefans sang, jubelte und klagte voller Inbrunst — aus tiefster Seele; denn er spielte für Constanze, die im darauffolgenden fröhlichen Forellenquintett von Schubert als Spielerin des Klavierparts sich an seine Seite gesellte.
Constanze, in Stefan Klodwigs Nähe sehr ruhig und mutig, heimste hier einen kleinen Sondererfolg ein. Als sie sich am Schluß des Quintetts auch erhob, um für den Beifall zu danken, da wurde das Händeklatschen da und dort etwas stärker. Ignatz Dämpfinger aber strich sich mit dem Mittelfinger der Rechten den Hindenburgschnurrbart und nickte ihr wohlwollend zu. Constanze lächelte Stefan beglückt an und Stefan lächelte noch viel beglückter zurück, als sich jetzt alle fünf Spieler noch einmal verneigen mußten. „Die beiden kommen doch noch zusammen. Wetten, daß —” sagte Hermann Pieskow, das größte Munkelmaul der Hochschule, zu seinem Nachbarn, dem neunzehnjährigen Christoph Sanden, einem blondhaarigen frischen Jungen, der schüchtern und heimlich von fern Constanze Dornbühl anschwärmte. „Wetten, daß —” schlug Christoph in die hingehaltene Hand Hermann Pieskows ein. „Ich glaub es nicht. Sie liebt ihn nicht. Er sie — ja. Aber sie ihn — nein.”
Christoph Sandens Blicke hingen mit einer keuschen Verehrung an Constanzes lieblicher Gestalt. Wie schön sah sie in ihrem schlichten cremefarbigen Waschkleidchen mit der schottengemusterten Schärpe aus. Charlo, Issy und die meisten anderen Schülerinnen traten schon ganz als große Damen auf in „grande toilette”. Constanze wäre sich „so zurechtgemacht” komisch vorgekommen. Sie kritisierte keineswegs Charlos Diva-Gebaren deshalb; zu Charlo gehörte das, ihr lag es nicht.
Aber nicht nur unter den Mitschülern, auch von den Gästen richtete manch Männerblick sich mit verstohlenem Wohlgefallen immer wieder auf das so sanft und noch ganz jungmädchenhaft kühl wie eine Seerose sich in seinen schönen Linien entfaltende Antlitz, den noch etwas kindertrotzig sich wölbenden Mund, die großen tiefblauen Augen, das einen so friedvollen Glanz ausströmende Haar, das von der leuchtendbraunen Farbe junger frischer Kastanienfrüchte war. Der große Dumond flüsterte dem Direktor zu: „Wenn die Kleine so schön spielen könnte wie sie zum Anschauen ist, würde sie noch die temperamentvolle Wildhofer übertreffen. Aber Gott sei Dank, daß sie’s nicht so sehr gut kann. Ihre Schönheit würde bald darunter leiden.”
Der Direktor rief Dämpfinger heran: „Sie haben Fräulein Dornbühl den Walzer von Chopin allein vorspielen lassen. Etwas verfrüht. Fräulein Dornbühls Spiel verschwamm ein bißchen unsicher an drei, vier Stellen.”
„Na, eine Blamage war’s ja nicht. Die meisten haben’s nicht gemerkt,” wollte Dämpfinger beschwichtigen. Und auch Dumond setzte sich für Constanzes Spiel ein, sie hätte doch alles in allem ihre Sache ganz gut gemacht. Und es hätten wirklich die meisten nichts gemerkt.
„Aber ich hab’s gemerkt,” sagte der Direktor entschieden. „Also in Zukunft, lieber Dämpfinger, stellen Sie Fräulein Dornbühl in deren eigenem Interesse etwas vorsichtiger heraus!”
Constanze wußte es selbst zu gut, daß Dämpfinger ihr mit dem Auswendigspiel des Walzers in Cis-moll von Chopin zu viel zugebilligt hatte. Ja, allein im Übungszimmer hatte sie es geschafft; aber beim öffentlichen Auftreten zeigte es sich dann doch, daß sie jene unbekümmerte Souveränität, mit der eine Charlo das schwierigste Klavierstück beherrscht, nicht besaß und, wie sie, selbstkritisch genug, befürchtete, nie besitzen wird.
Als Dämpfinger ihr die kleinen Entgleisungen nach dem Konzert mit wohlwollendem Tadel anmerkte, nickte sie nur: „Ich weiß, Herr Professor. Ich will weiter studieren, damit’s besser wird — das nächste Mal! Aber sonst —”
„Im Forellenquintett und beim Vierhändigspiel der Suite von Debussy mit Issy Grenthen zusammen war nichts zu tadeln.”
Constanze lächelte: „Ich bin schon zufrieden, daß wenigstens das beides gelang. Allein — ich komme mir dann so hilflos vor — allein auf dem Podium — die vielen Menschen —”
„Sie dürfen keine Angst haben, Dornbühl,” sagte Dämpfinger gütig.
„Aber wenn sie kommt —? Ich bin eben keine Wildhofer,” seufzte sie. Dies klang so drollig, daß selbst Dämpfinger laut dröhnend lachen mußte.
Und Constanze stimmte hell in das Lachen ein. Sie wußte, trotz der kleinen Patzer im Chopin-Walzer behielt sie weiter bei Dämpfinger einen Stein im Brett.
Für Charlo dagegen endete das Konzert mit einem Mißklang. Als sie, von Dumond begleitet, die Hochschule verließ und Dumond ihr gerade ein paar sehr lobende Worte über ihr Spiel sagte (Dumond war sehr sparsam mit diesem Lob), da trat ihnen in der stillen Kurfürstenallee, die zum Bahnhof Zoo führt, Mirko Machaczek in den Weg.
„Hast du gemerkt, wie Stefan nur Augen für Constanze hat?” schrie er sie wutschnaubend an. Sein käserundes Gesicht verzerrte sich wieder so teuflisch wie während des Spiels der Tarantella. Charlo erschrak. Sie war keines Wortes mächtig. Ehe Dumond ihn zur Rede stellen konnte, war Mirko Machaczek zur Seite gesprungen und hatte den Weg wieder freigegeben.
Er verschwand wie eine Spukgestalt zwischen den müden Laternen, indem er sich buchstäblich seitab in die Büsche schlug.
Charlo bekam daheim einen Weinkrampf. Cäcilie mußte sie trösten. Sie legte Charlo fürsorglich ins Bett und kochte Kamillentee. Das entkrampft. „Ihr seid alle überreizt mit Eurer ewigen Musiziererei. Ruh dich aus, Charlo, und laß Mirko Mirko sein und Stefan Stefan.”
„Sag Constanze nichts; sie muß auch bald heimkommen, natürlich ist sie noch mit Stefan irgendwo unterwegs —” Und Charlo schluchzte von neuem auf.
Wer die heut nachmittag so Gefeierte jetzt gesehen hätte, wäre kaum dem Neid verfallen.
„Schlafe, Charlo, schlafe —” streichelte Cäcilie mit ihren guten Patschhändschen Charlos tränennasses Gesicht.
Und da schlief Charlo endlich ein, um wenigstens im Schlummer ihre Qual zu vergessen. Die Qual mit Mirko. Und die Qual mit Stefan.