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IX
ОглавлениеDer D-Zug flog in die verschneite Hang- und Hügelwelt der thüringischen Saalelandschaft hinein. Da waren schon Saaleck und Rudelsburg, mit Schneepelzen wunderlich vermummt! Die Dornburger Schlösser träumten noch verschlafener, als sie es im Sommer gewohnt sind.
Jena. Hier verließen Constanze, Charlo und Stefan den D-Zug, um mit einer gemächlicher dahinfahrenden Gebirgseisenbahn Wasungen zu erreichen. Das war Constanzes Zuhaus.
Als sie, mit ihren Skiern bewaffnet, in dem geräumigen 3. Klasse-Abteil für Reisende mit Traglasten unter kiepenbepackten Marktfrauen und knasterrauchenden Spielzeugmachern in den immer märchenhafter verschneiten Thüringer Wald hineinfuhren, legte Charlo den Arm um Constanzes Schulter und sah sie dankbar an: „Nochmals — Stanzi, herzinnigen Dank, daß du mich mitnahmst. Ich habe diese Erholung arg nötig — und hier, weiß ich, werd ich mich erholen —”
Stefan nickte mit seinem gutmütigsten Grienen Constanze schweigend zu; das sollte heißen, ich schließe mich dieser Dankkundgebung begeistert an. Stefan stand rechts, Charlo links von Constanze, alle drei in ihre dicken Wintermäntel verpackt; Charlo mit ihrem kurzen Nerzpelz erregte unter den Marktfrauen staunende Blicke und bewundernde Flüsterworte. Constanzes Mantel mit einem Biberkrägelchen war sportmäßig geschnitten und betonte das noch immer fast kindlich Wirkende ihrer Figur.
Nach einer Weile, als der Zug von einer Kleinbahnstation zur andern sich wieder einmal in Bewegung setzte und in einer schon hochwandigen Waldschlucht fauchend und prustend emporkeuchte, fragte Charlo: „Hast du auch deine Eltern gefragt, ob wir willkommen sind — Stefan und ich?”
„Ich hab euch angemeldet. Und wen ich anmelde, für den hält mein Vater die Gastzimmer von Wasungen offen.”
„Aber deine Mutter?” forschte Charlo weiter, während sie sich ein Cuckloch in die Eisblumenfenster des Kleinbahnwagens hauchte, „Erzähltest du nicht früher, daß sie eigentlich dagegen war?”
„Wogegen?”
„Gegen dein ganzes Musikstudium. Daß sie gemeint hätte, dies wäre nicht die für dich gegebene gesellschaftliche Atmosphäre. Ich glaube, so drückte sie sich nach deinen Worten aus —”
„Wie kann jemand die Musik eine gesellschaftliche Atmosphäre nennen?” warf Stefan ein.
„Es ist so,” nickte Constanze, einen Augenblick lang mit einer Unmutfalte in der Stirn versinnend, Charlo und Stefan zu. „Aber was tut’s? Mama wird nicht mehr umlernen. Und ich weiß, was ich will. Im übrigen braucht ihr Mama keineswegs zu fürchten. Sie ist so sehr Dame, — zu sehr für meine Wildfanggefühle, die mich in Wasungen immer besonders toll überkommen — ja, sie ist so sehr Dame, daß sie euch mit der vornehmen Freundlichkeit, die ihr eingeboren ist, empfangen wird. Natürlich müßt ihr auch —”
Stefan fiel ihr lachend ins Wort: „Nein, wir werden sie mit Schneebällen beschmeißen und schreien: Na, alte Dame, auch noch rüstig auf den Beinen?”
Charlo lachte: „Ich wußte gar nicht, Stefan, daß du so witzig sein kannst —”
„Ich auch nicht,” lächelte Constanze, „er kriegt jetzt schon rote Backen! Und wir haben vier Tage vor uns. Ja, wenn ich Hubert Feinboese nicht im Tiergarten getroffen hätte —”
„Was hat unsere Fahrt mit diesem feinbösen Knaben zu tun? Wer ist das überhaupt?”
„Hubert stammt aus dem Dorf Wasungen. Aus einer sehr kinderreichen Holzfällerfamilie. Er ist der Älteste von neun Geschwistern und lernt in Berlin das Schriftsetzen in einer kleinen Druckerei am Monbijouplatz. Und neulich trafen wir uns, als ich von der Hochschule her zum Potsdamer Platz durch den Tiergarten lief. Ich stand schon ein wenig von Heimweh geplagt am Neuen See, wo die Entchen herumschwammen — es war Mitte Februar, als die frühlingswarmen Tage waren — ja, und wenn ich Entchen seh, dann muß ich an meine Wasunger Entchen und Hühnerchen denken, und als mich in diesem Augenblick im heimatlichen Tonfall eine Stimme ansprach: ‚Grüß Gott, Fräulein Dornbühl!‘ da schrie ich: ‚Wahrhaftig — der Hubert!‘ und da war’s wieder mal aus —”
„Warum war’s aus?” fragte Stefan erstaunt.
„Ja, es war wieder mal aus mit der Freude an Berlin, an der Musik, an unserer Cikadenbude in der Salzburgerstraße. Nix wie heim! dachte ich und konnte den Gedanken nicht abwehren. Hubert Feinboese begleitete mich bis zum Potsdamer Platz. Wir sprachen den ganzen Weg von zu Haus. Und all dies hier entstand vor mir so verlockend, daß ich es als eine Fügung des Himmels ansah, als der Direktor tags darauf verkündete, er müßte uns allen fünf Tage Zwangsferien zudiktieren, weil dringende Reparaturarbeiten in mehreren Sälen und Übungszimmern ein Musizieren wegen des notwendigen Maurerlärms unmöglich machten. Da stand’s für mich doppelt fest; Nix wie heim. Und euch nehm ich mit.”
Im letzten Dämmer ächzte die Bimmelbahn durch ein Felsental. Die hohen Felsen nahmen mit ihren weißen Schneekappen wunderliche Gestalten an. Der Tannen Tanz am vorüberfahrenden Zug vorbei war ein gespenstischer Reigen in Schwarz-Weiß. Stefan öffnete das Fenster und atmete befreit. Der Wind orgelte durch die Millionen Wipfel der Tannenmeere, die hier sich wogend ansammeln — bergan, bergab. Stille Wolken umwandelten den Mond.
„Aber jetzt packt eure Siebensachen,” schlug Constanze Alarm, „Wasungen naht — da ist der kleine Bahnhof. Ihr werdet ihn in der Winterabenddämmerung kaum noch erkennen. Es fängt auch wieder an zu schneien. Aber ich seh ihn. Und da steht auch unser Schlitten. Wenn ich nicht irre, sitzt Alfons Feinboese auf dem Kutschbock, ein Bruder Huberts —”
Ja, es war Alfons, der siebzehnjährige Bruder Huberts, der aushilfsweise Kutscherdienste in Wasungen leistete, ein ebenso knallrotwangiger, untersetzter Bursch wie es Hubert war. Er wippte mit der Peitsche und legte die Hand an die Mütze.
„Sei mir gegrüßt, Don Alfonso —” winkte Constanze ihm mit der freien Linken. In der Rechten trug sie ihren Handkoffer. „Hol unsre Skier und den großen Koffer von Fräulein Wildhofer — ja, ja, das ist hier die Dame, von deren großartigem Klavierspiel ich dir einmal erzählte. Du brennst darauf, ihr etwas auf deiner Harmonika vorzuspielen, ich weiß — hier, Herr Stefan Klodwig, versteht auch viel von Musik — die beiden Künstler werden dein Spiel gern begutachten, wenn du ihnen ihr Gepäck schnell heranholst —” Alfons flitzte lachend davon.
„Du strotzt ja vor Übermut,” sagte Charlo. „Preist mich hier aus, daß die Leute neugierig stehenbleiben.”
„Ist das ein Wunder in Thüringen? Wo fast jeder sich für einen Musikanten hält und es meist auch ist?”
Das Gepäck war auf den Schlitten verstaut. Charlo und Stefan hatten sich in Decken vermummt und auf Constanzes Anweisung allein in den Schlitten gesetzt. Alfons Feinboese wollte Peitsche und Zügel ergreifen, da sprang Constanze auf den Kutschbock. „Ich fahre die Fuhre durch diese winterliche Mondnacht — Heihoo!”
Und schon klingelte der Schlitten die Bergwaldstraße ins Tal hinab. Vorbei ging es an einem spiegelglatt zugefrorenen Teich, hinein in eine von kirchturmhohen Tannen begleitete Schlucht. Dann öffnete sich jäh das Tal: fernab flimmerten golden die Lichter einer kleinen Stadt. Ihre alten Türme hoben sich als scharfe Silhouette vom Himmelsrand ab, den der letzte Schein erhellte. Der Mond schuf eine Erlkönigstimmung: er wanderte über schwarz aus dem Schnee ragende Weiden dahin, die mit ihren struppigen Köpfen in einen Bach hineinschauten, der jetzt in der weiten Schneefläche spurlos verschwunden zu sein schien.
Ein zweiter Schlitten läutete den durch die Wintereinsamkeit auf Kufen Gleitenden entgegen. „Ich kenne die Glöckchen! Das ist Dorothee vom Saalwiesenhof!” lachte Constanze. „Heihoo!!” schrie sie dem andern Schlitten entgegen.
Und „Heihoo!” kam’s zurück.
Beide Schlitten hielten in der nächsten Sekunde mit einem Ruck, daß sich die Pferde aufbäumten, und die Jugendfreundinnen lagen sich in den Armen.
„Was macht der Gustl Droop?” fragte Constanze.
„Ach der —” lachte Dorothee aus ihrer Pelzkappe heraus, deren Klappen sie über die Ohren gezogen hatte. Sie trug einen blauen Skianzug. „Auf Brautschau geht der Gustl.”
„So, so. Da fehlt also eine neue Saalwiesenbäuerin! Und ich dachte immer, du —”
„Gewiß fehlt eine —!” lachte Dorothee wieder ihr helles Lachen. Aber abwarten! Und wenn’s so weit ist, handeln. Wen bringst du denn mit? Gäste? Aus Berlin?”
„Meine Studienfreunde. Charlo Wildhofer, Stefan Klodwig —” stellte Constanze vor. „Und das ist meine Jugendfreundin Dorothee, die genau solche Schwarzkirschenaugen hat wie du, Charlo —”
„Na, na —” wehrte Dorothee ab. „Das läßt sich wohl nicht vergleichen.”
Charlo lachte: „Da haben Sie recht. Ihre Augen sind gewiß nicht so verschlafen wie meine. Aber das soll keine Mahnung sein, Constanze —”
„Trotzdem. Auch ich will nach Haus. Also — Dorothee: Kuß, Schluß.” Sie küßten sich leicht, wie sie’s als Kinder beim Abschied gewohnt waren. „Ich komme dich besuchen!”
„Tu das! Herrlich!” lachte Dorothee. „Seppl wird sich freuen!”
„Wer ist denn Seppl?” fragte Stefan, als die Pferde eine steile Anhöhe im Schritt gingen.
„Aha — eifersüchtig —” neckte Charlo.
„Ja, wer ist Seppl? Das ist eine lange Geschichte. Seppl heißt mein Vater bei uns Kindern und bei Dorothee.”
„Dein Vater heißt doch, denke ich —” wollte Charlo fragen.
„Gewiß, er trägt den schönen Namen Egbert. Aber mit dem zweiten Vornamen heißt er Josef. Und dann heißt er, wenn er Romane schreibt: Sepp Dorn.”
„Sepp Dorn? Du, den ich immer so gern lese, wenn ich abgekämpft bin? Das ist dein Vater? Und du kleines Biest hast’s nie verraten, sondern mich immer schwärmen lassen von ihm. Sieh doch an, das hätt’ ich gar nicht gedacht, daß du Geheimnisse so gut für dich behalten kannst —”
„Das war doch gerade schön,” lachte Constanze in die heimatselige Winternacht.
Der Schlitten flog an der „Liebesbank” vorbei und eine sanfte Anhöhe hinan.
Da leuchtete mit allen Fenstern golden das Vaterhaus in die verschneite Bergnacht.