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III

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Constanze erwachte am Neujahrsmorgen mit einem großen Glücksgefühl. Zuerst war ihr, als hätte sie nur einen glücklichen Traum gehabt, von dem sie im Aufwachen — seine Bilder vergessend — nur noch den Duft in sich spürte, aber dann wurde ihr klar: das Glück blühte aus wirklichem Erleben. Das Gespräch mit Tasso Sempach im Tiergarten und hier vor dem Haus klang so beglückend in ihr nach.

Sie knipste den kleinen Rundfunkapparat an, den sie auf dem Nachttisch stehen hatte; ja, sie war zu guter Stunde aufgewacht, obwohl die kleine Pendeluhr im Zimmer nebenan 2 Uhr schlug, als sie sich ins Bett legte und sofort einschlief, selig wie als Kind. Aus dem Radio schallten ihr die frischen Kommandos des Gymnastiklehrers entgegen. Sie sprang aus dem Bett, öffnete das Fenster, das nur einen Spalt offen hatte, ganz weit und zog den Tüllvorhang vor, warf den Pyjama ab und machte brav die befohlenen Kniebeugen, Armschwingungen und Körperdrehungen. Sie hüpfte kunstgerecht zwischen den Möbeln hin und her. Plötzlich blieb sie erstarrt vor Charlos Bett stehen, das hinter einer spanischen Wand ganz im Winkel des Zimmers stand, während Constanze in der Nähe des Fensters schlief. Sie brauchte die frische Luft; Charlo dagegen fror leicht und hatte sich daher in ihre „Kabüse”, wie sie ihren Bettwinkel nannte, zurückgezogen.

Doch Charlo war in der Kabüse nicht zu finden. Constanze knipste den Rundfunk aus, warf einen leichten hellblauen Seidenmantel über, und öffnete die Tür nach nebenan, wo die „unheilige Cäcilie” auf einer Couch schlief. Die unheilige Cäcilie erhielt von Stefan Klodwig diesen Spitznamen, weil sie im Gegensatz zu Constanze und Charlo, die diese möblierte Wohnung sich gemietet hatten und darin nun (endlich ohne Wirtin!) selber wirtschafteten, gänzlich unmusikalisch war. Dennoch war das Zimmer, in dem Cäcilie schlief, voller musikalischer Dinge: das Klavier stand hier und Charlos Saxophon, Notenpulte, Notenständer und in zwei Regalen eine kleine musikwissenschaftliche Bibliothek. Dazu ein Rundfunkapparat. Und zu alledem: Schnurri, der fröhlichste aller Kanarienvögel.

Von all diesen Dingen hatten eigentlich nur die Couch, auf der Cäcilie Stumpf schlief, und dieser lustige Schnurri, der ihr persönliches Eigentum war, etwas mit ihr zu tun. Ansonsten war Cäcilie völlig unmusikalisch, konnte mühsam „Fuchs, du hast die Gans gestohlen” richtig singen (allenfalls im Chor traf sie den rechten Ton) — gerade deshalb war sie die herrlichste Wohngenossin für die andern beiden. Oft, wenn Constanze und Charlo den ganzen Nachmittag abwechselnd geübt hatten, schmiß die temperamentvolle Charlo dann abends die Tür zu: „Ich kann den ganzen Schmeißdreck nicht mehr sehen!” (Charlo war nicht sehr wählerisch in ihren Ausdrücken.)

Dann lachte Cäcilies rundes frisches Bubengesicht so hell auf, daß ihre lustigen Augen, deren Iris immer in einem unbestimmbaren Grüngraublau schillerten, ganz klein wurden: „Mich stört der Kram nicht. Gegen den Maschinenlärm in unsrer Fabrik ist das, was ihr beiden Lämmerchen vollführt, ein lustiges Gequieke!”

Constanze fuhr dann mit gemachter Empörung auf: „Unerhört! Wenn Charlo Wildhofer — „die” Wildhofer, wie es schon in der Hochschule höchst prominent heißt — eine Beethovensonate spielt, daß man ganz elektrisiert ist, das nennt die unheilige Cäcilie „lustiges Gequieke”. Wie kam denn deine Mutter darauf, dich nach der Schutzpatronin der Musik Cäcilie zu taufen?”

„Sie hatte gerade einen Roman gelesen, in dem die Heldin Cäcilie hieß —”

„Ein neuer Beweis für die Verwerflichkeit aller Romanlektüre —” schrie Charlo dann; sie lag schon im Bett, knabberte Kekse und las einen so recht spannenden und blutrünstigen Kriminalroman.

Cäcilie aber gab es Charlo zurück, indem sie ein Lied anstimmte, das sie einmal hatte Constanze singen hören und das ihr sehr gefiel, weil es nach ihrer Meinung so schön traurig klang: „Die Sonne scheint nicht mehr” von Brahms.

Sie sang es so falsch, daß Charlo meinte, die Mitbewohner dieses ehrenwerten Gartenhauses, allwie man in Berlin die Hinterhäuser dezent bezeichnet, würden glauben, die „drei Cikaden” (so bezeichnete sie sich, Constanze und Cäcilie, weil aller dreier Namen mit „C” anfing) hätten sich einen kleinen Hund angeschafft, der besonders schön zu jaulen wüßte.

Cäcilie Stumpf hatte die Neujahrsnacht verschlafen. Sie war Laborantin in einer chemischen Fabrik und hatte die letzten Wochen mit Überstunden arg an ihre Arbeit herangehen müssen. So war ihr die Silvesternacht eine willkommene Ruhenacht gewesen.

„Ein gutes neues Jahr, Cillychen!” Constanze setzte sich mit diesen Worten behutsam auf die Couch und streichelte Cäcilie eine herabgefallene blonde Strähne aus der Stirn.

Cilly gähnte, dehnte ihre robusten Rekordschwimmerin-Arme und sagte schlaftrunken: „Prost Neujahr, Stanzi!”

„Wo mag Charlo stecken?” fragte gerade Constanze, da erhob sich auf der Treppe des Gartenhauses ein ziemlich toller Lärm. Bald darauf klirrten Schlüssel im Schloß und, von Stefan mit Vorsicht aufrecht gehalten, erschien Charlo auf der Szene, einen Luftballon am Hut und um den Bauch eine Girlande von bunten Papierschlangen gewunden.

„Da bist du ja endlich, Stanzi,” sprach Charlo etwas stockend und mühsam und sah ihr mit starr aufgerissenen Augen ins Gesicht. „Pupille!” schrie sie. „Pupille!”

„Aber Charlo —” versuchte Constanze zu lächeln. An sich tat ihr Charlo leid.

„Sie wollte nicht aufhören! Immer noch ein Glas Sekt —”

„Immer noch! Jawoll! Immer noch mal rum, du Kleine — Constanze, hör mal zu! Kennst du den? Hat Stefan erzählt. Dein kreuzbraver Stefan.”

Stefan winkte beschwichtigend ab: „Sie weiß ja kaum, was sie redet. Übermüdet.” Aber er war rot geworden, als Charlo zu Constanze mit eigentümlicher Betonung „Dein kreuzbraver Stefan” sagte.

„Stanzi, kennst du den? Hat Stefan erzählt,” begann Charlo von neuem; sie hatte sich in den großen Lehnsessel an der Balkontür geworfen. Draußen ging die Sonne auf. Der Schnee funkelte rot auf den Dächern. Also hör zu: Eine Grräfin, eine feine Grräfin fragte Max Reger bei einem Konzert, ob die Fagottbläser diese dunklen bizarren Tonfiguren — diese dunklen bizarren Tonfiguren, sagte sie — oho! — mit dem Mund vorbrächten. Worauf Max Reger verlautbaren läßt: „Das will ich stark hoffen.”

Charlo schlug eine riesige Lache an. Als sie von neuem „Stanzi, kennst du den?” immer schlaftrunkener lallte, packten Constanze und Cilly sie kurzerhand, transportierten sie ins Schlafzimmer, zogen sie aus und legten sie ins Bett.

Charlo schlief sogleich ein. Ohne ein Wort.

Als die beiden andern wieder ins Balkonzimmer zurückkamen, war Stefan fortgegangen.

„Der hatte auch ein schlechtes Gewissen,” sagte Cäcilie.

Constanze aber ging in die kleine Küche und bereitete das Frühstück. In dieser Woche hatte sie Küchendienst.

Nach dem Morgenkaffee lief Constanze allein durch den Schöneberger Park. So sehr sie sich auch über Charlos Schwips wunderte, wußte sie zu genau, daß Charlo in ihrem kleinen Finger mehr musikalisches Talent besaß als sie selbst in beiden Händen. Constanze mußte sich alles mühselig erringen. Gewiß, auch Charlo übte fleißig — doch sie konnte alles bald, was sie können sollte, und es waren sehr schwierige Musikstücke. Constanze konnte dagegen kaum das, was sie können mußte. Nun war ihr Probesemester um. Wird Professor Dämpfinger sagen: Sie dürfen bleiben? Oder wird sie bei Semesteranfang ein höfliches Schreiben des Hochschuldirektors vom Sekretär in Empfang nehmen müssen. „Da ihr Können den Anforderungen der Staatlichen Akademischen Hochschule für Musik nicht genügt, bitten wir Sie, Ihr Studium an der Hochschule aufzugeben.” Constanze scheuchte die bangen Gedanken fort. Ist ja Unsinn! Dann hätte Dämpfinger es ihr längst angedeutet, daß sie wieder lieber ins Privatkonservatorium gehen solle. Doch — mit Stefans Hilfe — hatte sie die aufgegebenen Sonaten und Etüden so gut geübt, daß sie sogar diese und jene ohne Noten vorspielen konnte. Und Dämpfinger hatte sie ja auch schon für das Schülerkonzert Mitte Januar üben lassen.

Nein, die Befürchtung war sinnlos. Und nun wollte noch Sempach, der Berühmte, Fürsprache bei Dämpfinger einlegen.

Constanze lächelte. Dieses Lächeln verklärte das in seinen Linien noch ganz weiche Oval ihres kindseligen Gesichtes so, daß ein alter Herr kopfschüttelnd auf dem Parkweg, der nach der Kaiserallee führte, stehen blieb und: „So viel entzückende Jugend! So undenkbar viel Jugend!” murmelte. Er sah ihr nach. Constanze merkte es gar nicht.

Hoch und hell stand die Sonne schon am Himmel, als sie die Kaiserallee überschritt und weiter in den Hindenburgpark hineinwanderte.

Die Hindenburgbüste, die dort stand, erinnerte sie an Dämpfinger, der auch einen solchen Schnurrbart trug wie der alte Feldmarschall.

Rein und weiß erstrahlte der Großstadtpark im Sonnenschneeglanz. Es schillerte rundum, als hätte es Perlmuttermuscheln geschneit. Im Winde sang’s wie Harfenklang.

Constanze grüßte einsamselig beglückt den ersten Tag eines Jahres, von dem sie mit Hoffen und Bangen Ungewöhnliches erwartete, sie wußte selbst nicht warum.

Du selber bist Musik

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