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Endlich — nach titanenwildem Ringen mit den immer wieder niederziehenden Mächten der Finsternis erklommen die nichts mehr vom Alltag wissenden Töne jene firnreine Höhe, von der hernieder man nur noch jauchzen konnte —: da ließ auch Constanze, dem Taktstockwink des Dirigenten gehorchend, mit dem ganzen Chor das Lied an die Freude aus ihrer Kehle jubeln!

Nach dem unirdischen Adagio-Ausklang des dritten Satzes schrieen noch einmal grell die Trompeten auf. Die Kontrabässe tobten die leisen Sehnsuchtstimmen nieder. Das Adagio wurde immer wieder flügellahm im Sturm der düsteren Stimmen aus der Tiefe. Dann — mit einem Male — begannen nur erst die Geigen leise zu singen: Freude schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium — —

Sooft Constanze die Neunte Sinfonie Beethovens früher schon gehört hatte, immer stieg ihr die alles überwältigende Rührung in den Hals hoch, immer kamen ihr dann die Tränen, wenn also die Geigen zu flüstern begannen. Bis dann endlich Chor und Orchester aufjubelten —!

Und diesmal sang sie es selbst, das mitreißende Lied an die Freude! Sie entwich auf den Klängen, von Geigen und Flöten getragen, in die wie eine Nordlichtglorie aufstrahlende Verklärung, zu der Beethoven sich selbst mit dieser Sinfonie empor trug. Constanze fühlte: höher konnte kein irdischer Geist entrücken, wie es hier geschah.

Sie spürte plötzlich den Blick des Dirigenten auf sich gerichtet. Er sah, daß sie weinte. Ja, die Tränen rannen ihr die Wangen herunter, während sie ihrem kleinen Sopran die immer mächtiger anschwellenden Jubeltöne entlockte. Tasso Sempach dirigierte. Die Berliner Hochschule für Musik hatte ihn, den weit Gerühmten, als Gast von Hamburg herübergeholt; mit der Neunten Sinfonie sollten die Hochschüler, die im Orchester und Chor mitwirkten, das neue Jahr unter seiner sicheren Stabführung begrüßen. Constanze fühlte die Weihe des Augenblicks mit ganzer Macht.

Seid umschlungen, Millionen,

diesen Kuß der ganzen Welt.

Brüder, überm Sternenzelt

muß ein guter Vater wohnen.

Tasso Sempach beschwichtigte die Bässe und lockte aus den Geigen die letzte Süße. Er pflückte von den singenden Mündern mit bebenden Händen die inbrünstigen Worte voll sieghaften Glaubens. Sein kühnes Profil mit der mächtigen Hakennase ragte aus dem hintüber gereckten Haupt mit dem glatt zurückgekämmten schwarz glänzenden Haar empor, als öffnete sich die Kuppel des Saales —: und alle Sterne tauten hernieder in die klare Winternacht.

Jetzt, da der Chor die Worte anstimmte „Wem der große Wurf gelungen, eines Freundes Freund zu sein, wer ein holdes Weib errungen, stimm in unsern Jubel ein —” da traf die singende Constanze, die nun keine Tränen mehr wegzuwischen brauchte, denn die zu tiefst überwältigende Rührung war verwunden — ein andrer Männerblick —: Brillengläser funkelten auf, hinter denen zwei dunkle große Augen von den Noten weg aus dem tiefer sitzenden Orchester zu ihr emporschauten. Ein kurzes Lächeln umzuckte den Mund des zu ihr aufblickenden Cellospielers. Es war Stefan Klodwig, ihr thüringischer Landsmann und ihr hilfsbereiter Freund, dem sie vor allem zu danken hatte, daß sie hier überhaupt mitsang. Stefan stand schon vor der Abschlußprüfung; als Schüler der Meisterklasse würde er sie natürlich glänzend bestehen. Seine Lehrer sagten ihm als Klavierspieler eine glänzende Zukunft voraus. Nebenher meisterte er noch das Cello und manches andere Instrument. Auch mit dem Taktstock wußte er umzugehen. Constanze dagegen —: nie hätte sie die Forderungen der Aufnahmeprüfung geschafft, hätte sie Stefan Klodwig nicht in seine Zucht genommen. Sie hatte vorher ein privates Konservatorium in Berlin besucht; dort lernte sie Stefan kennen, als er einen Lehrer vertrat. Sie gestand ihm ihren heimlichen Ehrgeiz, in die Klavierklasse der Hochschule für Musik aufgenommen zu werden.

„Nichts leichter als das!” hatte Stefan gelacht. Aber es wäre sehr schwer für Constanze gewesen, hätte sich der gute Stefan nicht ihrer angenommen trotz der Überlastung mit dem eigenen Lernen und Üben. Nun war sie sogar Schülerin bei dem unerbittlich strengen Professor Ignatz Dämpfinger. Und durfte im Hochschulchor singen:

Freude! Freude — —

Sie nickte Stefan nur für ihn bemerkbar zu. Und Stefan lächelte, während er unermüdlich weiter sein Cello streichelte.

O wie die Töne erlösten! So ins Erhabene entrückt, hatte Constanze noch nie ein neues Jahr begonnen. Der Himmel öffnete sich: mit seinem jauchzenden Licht alles andre in den Schatten zwingend, verbrauste — Tasso Sempachs hocherhobener Stab vibrierte, als wäre er mit elektrisierenden Kräften geladen — das über Zeit und Raum hinausstrebende Finale.

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