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In der Halle des Gutshauses erwarteten Constanzes Eltern die Ankommenden; Constanze warf den beschneiten Mantel beiseite und flog ihrem Vater, einem mittelgroßen Herrn mit den großen gütigen Augen und dem gelassen lächelnden Mund jener, die das Leben vor der Zeit weise gemacht hat, um den Hals. „Hoijotoh, Seppl,” schrie sie immer wieder, „Hoijotoh!” Dieser Walkürenruf war das alte Kampf- und Siegessignal zwischen Vater und Tochter noch von jenen Zeiten her, da Egbert Dornbühl Intendant des Altenburger Theaters gewesen war. Ursprünglich ist Dornbühl aktiver Offizier gewesen. Kavallerist. Bei den Merseburger Husaren. Dort hatte er auch seine Frau kennengelernt, die eine geborene von Eggeshaußen war, Tochter des ehemaligen Merseburger Regierungspräsidenten. Sie hatte viele Bewerber, doch sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, dem Oberleutnant Egbert Dornbühl ihr Herz zu schenken, obwohl sie und die Ihren eigentlich viel auf „Familie” gaben und an sich lieber einen adligen Namen mit dem Clothildes, so hieß Frau Dornbühl mit Vornamen, verknüpft gesehen hätten. Aber Egbert hatte es ihr nun einmal angetan; im übrigen stammte er aus einer Altenburger Hofbeamtenfamilie, die auch ihre Vorfahren bis ins Mittelalter hinein mit patrizierhaftem Stolz nachwies. Egbert Dornbühl allerdings gab darauf wenig. Er lebte damals das Leben unbekümmert, angriffsfroh, liebeüberströmend — eben wie ein verwegener Husar. Er wurde später noch Rittmeister und Major. Und dann, als es in der militärischen Karriere nicht weiter gehen wollte, auf Betreiben der Eggehaußenschen Verwandtschaft Hoftheaterintendant in Altenburg. Er fügte sich auch darein und machte die Sache besser als mancher erwartete; denn in ihm steckte ein gefälliges musikalisches Talent und ein natürliches Gefühl für alles Künstlerische und Schöne.

Im Weltkrieg wurde er wieder Offizier; zeichnete sich in der Flandernschlacht so aus, daß er Oberstleutnant wurde und ein Regiment bekam. Aber in diesem Krieg fielen seine beiden ältesten Söhne. Ein dritter Sohn war in Amerika verschollen. Ihm blieb nur Eufemia, die damals vierzehnjährige Tochter. Es war sehr einsam in Wasungen, als Egbert Dornbühl aus dem Krieg heimkehrte. Da gebar ihm seine Frau noch einmal ein Kind. Und dieses Kind war Constanze, die ihm jetzt mit wilder kindlicher Ausgelassenheit am Hals hing und immerzu: „Hoijotoh, Seppl!” schrie, bis Frau Clothilde ein leises „Wir sind nicht allein, Constanze” flüsterte, das gütig lächelnd geäußert war und doch scharf mahnend klang.

Von Constanzes Gesicht wich jäh die kindliche Seligkeit: „Entschuldige, Mama! Guten Abend, Mama! Verzeih, ich war so froh. Hier das sind also meine Studienfreunde: hier die berühmte Charlo Wildhofer —”

Charlo gab Constanze einen abwehrenden Puff; dann aber wurde sie ganz Dame und nahm mit einer leichten Verneigung Frau Clothildes entgegengereichte Hand. Auch Stefan Klodwig wurde von Frau Clothilde bei der Vorstellung mit liebenswürdigem Lächeln begrüßt.

Als alle zu Bett gegangen waren — die Herangereisten hatten nur noch einen Imbiß im kleinen Speisesaal eingenommen und waren dann todmüde in die Federn gesunken — gab es freilich noch eine leicht erregte Debatte zwischen Herrn und Frau Dornbühl über die etwas „unpassenden” Freundschaften Constanzes. Ihre Jüngste hätte so gar nicht die „selbstverständliche” Hinneigung zu den „standesbewußten” Kreisen, zu denen Constanze nun einmal gehörte. Es wäre doch unmöglich, wenn sie diesen sicher sehr braven, aber in gewisser Weise doch unmöglichen Stefan Klobig —

„Klodwig, Clothilde!” fiel ihr Egbert ins Wort und sah bekümmert zum Sternenhimmel hinauf, während er noch seine Gutenachtzigarette zum offenen Fenster hinaus rauchte. „Klodwig — —! Aber was soll das? Ich bin froh, daß mein Kind sich seine kindliche Unbefangenheit dem Leben und —” er betonte es ein wenig spöttisch, „— der Gesellschaft gegenüber bewahrt hat. Im übrigen kannst du ganz beruhigt sein: Constanze ist nicht verliebt.”

„Weißt du das so genau?”

„Ich kenne doch meine Constanze.”

„Schön, dann übernimm du die Verantwortung für deine Constanze. Ich reise morgen zu Euchen nach Leipzig. Ich will mit dem ganzen Arrangement hier nichts zu tun haben.”

„Du reist zu Euchen?” fragte Egbert scheinbar erstaunt und innerlich froh. „Wenn du meinst —” fügte er gedehnt hinzu, um seine Freude nicht zu verraten. Nun würde kein Mißklang die frohen Tage stören, die ihm die Jugend ins Haus brachte.

Am andern Morgen reiste Frau Dornbühl tatsächlich zu ihrer Tochter Eufemia, die sie zärtlich Euchen nannte, von Wasungen ab. Constanze übernahm es ohne Arg und wirklich gern, die Mutter im Schlitten zur Bahn zu fahren. Herr Dornbühl schärfte vor der Abfahrt seiner Frau noch ein: „Nichts zum Kind reden, was es befangen und stutzig macht. Vor allem nichts von Heiratsplänen. Ich bitte dich!” Clothilde war gut gelaunt und gewährte gnädig die Bitte. Sie war immer selig, wenn sie für ein paar Tage Wasungen mit seiner „Kuhdungatmosphäre” verlassen konnte und in einem „stillen vornehmen Stadthaushalt” das Leben leben durfte, das ihr als „höherer Beamtentochter” nun einmal zusagte.

Constanze plauderte während der Schlittenfahrt mit ihrer Mutter über die Nachbarn. Obwohl es sie gar nicht interessierte, fragte sie die Mutter nach dieser und jener vornehmen Familie, weil sie wußte, Mama sprach gern davon. Etwas Schalkheit lag freilich auch in der Absicht Constanzes; Mama war dann von ihren eigenen Worten so gefesselt, daß sie keine unangenehmen Fragen stellte.

So verabschiedeten sich Mutter und Tochter zwar in einer, wie zwischen ihnen üblich, angedeuteten und etwas frostigen Zärtlichkeit, aber doch ohne Mißstimmung. Als die Mutter schon in ihrem Abteil II.Klasse zum Fenster hinaussah und noch ein paar Haushaltsaufträge für die Mädchen Constanze mitgab, da betrachtete die Tochter die Mutter. Mama war alt geworden. Ganz weiß schon ihr Haar. Um den schmal zusammengebissenen Mund zwei scharfe Falten. Die Nase ragte knochenhart aus dem verfallenen Gesicht. Sie weiß nicht, was Lebensfreude ist, dachte Constanze, sie hat es nie gewußt, sie kannte nur immer ihre Standespflichten. Sie gehörte zu jenen Frauen, die immer mit der wie zur Abwehr hocherhobenen Rechten durch das Leben schritten: Bitte, nur keine falschen Anbiederungen! Und um Himmelswillen: nur keinen Skandal —!

Constanze sah, daß der Mann mit der roten Mütze die Scheibe hob. „Grüße Eucben,” rief Constanze der Mutter noch zu, lief ein Stück mit dem Zug, ihr noch einmal die Hand reichend.

Frau Dornbühl erwiderte das Lächeln Constanzes. Denn sie freute sich an dem „wirklich vornehmen” Aussehen Constanzes, die sich allerdings, als der Zug außer Sichtweite war, alles andere als vornehm benahm. Vor lauter Übermut und Freiheitsdrang raste sie mit ihrem Schlitten, aufrecht darin stehend, im Galopp davon, daß Gustl Droop, der Saalwiesenbauer, der gerade wieder auf Brautschau fuhr und mit dem Schlitten fast mit Constanzes Schlitten zusammengetroßen wäre, kopfschüttelnd ihr nachschaute:

„Ist in Constanze der Teufel gefahren oder ist das Mädel verliebt? Aber in wen?” Vielleicht wußte es Dorothee. Er wollte sie fragen, wenn er heimkam. Heute wollte er sich die Else vom Oberweißbachhof ansehen. Und das, was sie „eventuell” mitbekommt.

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