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Schließe mir die Augen beide

mit den lieben Händen zu!

Geht doch alles, was ich leide,

unter deiner Hand zur Ruh.

Und wie leise sich der Schmerz

Well’ um Welle schlafen leget,

wie der letzte Schlag sich reget,

füllest du mein ganzes Herz.

Stefan hatte die beiden Stormschen Liebesstrophen vertont. Es war sein erster Versuch einer Liedkomposition. Aber es war ihm schon meisterlich gelungen. Bisher hatte er solche „Spielereien” streng von sich abgewehrt, wenn die Versuchung ihn ankam, auch einmal dies oder jenes freischaffend zu probieren. Nur was in die Methodik seines Lernens paßte, übte er mit Eifer und Sorgfalt aus. Er galt als der begabteste Musiktheoretiker von allen Hochschülern, die augenblicklich die Hochschule für Musikerziehung besuchten. Denn dort hatte er auch bereits mehrere Semester belegt, um noch vor Ostern das staatliche Musikerzieherexamen zu machen. Dazu — welch Klavierspieler! Wie liebkoste er sein Cello! Wie feinfühlig dirigierte er schon den Hochschulchor! Gewiß — Charlo spielte entflammter, besessener, genialer —! Stefan aber diente mit mustergültiger Hingabe den Werken der Großen.

Weil er sich der erdrückenden Übermacht dieser klassischen Werke bewußt war, hatte er bisher nichts selbst zu komponieren versucht außer solchen Stücken, die für die Tonsatzlehre unerläßlich und von den Lehrern vorgeschrieben waren.

Nun hatte er’s gewagt!

In seinem schlichten möblierten Zimmer, das Beethovens Totenmaske an der Wand zierte, sonst kahl wie eine Mönchzelle neben dem Klavier nur Bett, Schrank, Tisch und ein paar Stühle enthielt, hatte er’s ihnen, Charlo und Constanze, vorgespielt. Kaffee und Kuchen zur Feier des „Auszugs der Spanier mit ihrem harmonikadudelnden Sprößling” waren verzehrt.

Mit leiser Stimme hatte er’s gesungen. Sein sich zärtlich einschmeichelnder Bariton zitterte vor innerer Erregung. Charlo merkte es. Constanze, der das Lied galt, hörte es kaum. Jedenfalls machte sie sich nicht die Gedanken, die sich Charlo sofort machte.

Stefan hatte beiden den Rücken gekehrt, als er am Klavier sein Liebeslied sang und sich selbst begleitete. Aber Charlo spürte deutlich, wie alle unsichtbaren Wellen seiner sehnenden Seele zu Constanze hinströmten. An ihr vorbei. Das tat weh.

Als Stefan sich jetzt langsam umwendete und die Gesichter der beiden Mädchen prüfte, wie das Lied auf sie gewirkt hätte, da lächelte Charlo und kam Constanzen mit ein paar fein und klug gewählten Lobesworten zuvor. Verglich das Lied mit Pfitznerschen und Richard Straußischen Vertonungen und pries seinen ureigenen Rhythmus.

„Constanze, und was sagst du?”

„Ich hab zugehört,” sprach Constanze stockend und leise. „Und ich glaube dir auch in der Musik jedes Wort. So wie du’s sagst, so ist es.”

Stefan lachte sie glücklich an. Charlos Stirn zeigte eine kleine Unmutfalte, als jetzt Stefan Constanzes Hand ergriff und so seltsam erregt sagte: „Ich danke dir, liebe Stanzi, für dieses Wort!”

Zum ersten Mal sagte er „liebe Stanzi” zu ihr. Verstand sie denn noch immer nicht?

Denn Constanze seufzte nur: „Das aber, was du kannst, werd’ ich nie können.”

Stefan: „Aber das brauchst du ja auch nicht. Dazu bin ja ich da. Mir genügte es, wenn meine zukünftige Frau soviel von Musik verstünde wie du, Stanzi —”

„Hollalah!!” Der Ausruf flog melodisch aus Charlos Mund.

„Wie ich?” lächelte Constanze Stefan ungläubig an und ihr sanftes Gesicht bekam einen kindlich hilflosen Ausdruck. Nur in den großen Augen leuchteten unerschlossene Tiefen eine Sekunde lang auf — „Was willst du mit einer solch unbegabten Frau? Du mußt eine wie Charlo haben —”

„Na, nun, Kinder, hört mal auf,” fuhr Charlo dazwischen. Es sollte scherzhaft klingen. Klang aber nicht ganz so.

„Ist ja alles Theorie — —” wich jetzt Stefan vor Constanzes an seinem Herzen vorbeiredenden Worten zurück.

„Du wolltest uns noch die Sonate für die Prüfungsarbeit vorspielen —” sagte Constanze. Sie hatte gewiß auch Stefans heimliche Werbung herausgehört, aber sie war wirklich von ihrer Ungeeignetheit, einmal Stefans Frau zu sein, so überzeugt, daß sie das Ganze nicht für ernst nahm.

Stefan spielte die Sonate. Sie war streng nach der klassischen Regel aufgebaut: Nach einem antreibend bewegten ersten Satz folgte ein getragenes Andante, diesem ein Scherzo und darauf ein immer wieder sich emporringendes Finale.

Ja, Stefan war ein Musikant von Gottes Gnaden! Constanze kam sich ganz klein vor. Noch kleiner aber wurde sie, als Charlo Stefan vom Klaviersessel wegschob, sich selbst ans Instrument setzte und die Sonate vom Blatt mit einer erschütternden Kraft und temperamentvollen Vehemenz spielte, daß Stefan Tränen in die Augen bekam, als er hörte, wie Charlos geübte und beseelte Finger sein kleines Werk in triumphale Klänge verwandelten.

Du selber bist Musik

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