Читать книгу Spiel des Lebens - Alice Roberts - Страница 14
Der erste Kontakt
ОглавлениеWir können uns nur vorstellen, wie es dazu kam, dass sich eiszeitliche Jäger und Sammler mit Wölfen zusammentaten. Wahrscheinlich fand es, ob tatsächlich oder beinahe, viele Male an vielen verschiedenen Orten statt. Vielleicht bildeten sich bei einigen Gelegenheiten fragile Allianzen, die dann wieder zerbrachen. Die Geschichte ist keine gerade Straße, die zu einem Ziel führt. Sie mäandert, nimmt Abzweigungen und landet häufig in Sackgassen (die wir erst im Rückblick erkennen). Aber schließlich hielt wenigstens eins dieser Bündnisse, wie wir dank dem großen Vorteil der wissenschaftlich fundierten Rückschau heute wissen, und festigte sich so, dass eine fortgesetzte Partnerschaft zwischen Menschen und ihren vierbeinigen Gefährten gesichert war.
Wir wissen jedoch nicht so recht, wer hier eigentlich wen erwählte. Instinktiv nehmen wir wohl an, dass unsere menschlichen Vorfahren, die doch sicherlich überlegene Meister ihres eigenen Schicksals waren, die Wölfe aussuchten, sie versklavten und bewusst über Generationen hinweg zu Hunden formten. In Wirklichkeit hatte die bewusste Absicht vielleicht nur sehr wenig mit der Umwandlung bestimmter Wölfe in eine domestizierte Art zu tun. Vielleicht fing alles als eine behutsame Form der Symbiose an, als lockere Partnerschaft auf der Grundlage gegenseitiger Vorteile, etwa nach dem Vorbild der Geschichte zu Beginn dieses Kapitels. Vielleicht waren es sogar die Wölfe, die den Prozess vorantrieben. Man braucht sich dazu nicht vorzustellen, dass sie eine Art gewieften Masterplan hatten. Indem sie immer mehr Zeit in der Nähe der Menschen verbrachten, selbst wenn sie nur deren Müll nach Fressbarem durchwühlten, brachten die Wölfe die Menschen vielleicht unbewusst dazu, sie zu akzeptieren – erst als Nachbarn und dann als Gefährten.
Ein erfolgreiches Bündnis zwischen den beiden Arten muss von einer entsprechenden Veranlagung auf beiden Seiten abhängig gewesen sein, auf gegenseitiger Bereitschaft. Sowohl Menschen als auch Hunde sind soziale Tiere, aber es muss mehr sein als das; schließlich gibt es viele soziale Tiere, mit denen wir uns nicht zusammengeschlossen haben. Weder Erdmännchen noch Affen oder Mäuse wurden so domestiziert wie der Hund. Es erschien mir daher möglich, dass es etwas anderes, etwas Besonderes im Verhalten von Wölfen gab, das es ihnen ermöglichte, eine Bindung zu Menschen einzugehen. Um herauszufinden, was das gewesen sein könnte, musste ich mich in die Nähe von Wölfen begeben.
Hoch auf dem Bergzug zwischen der Überschwemmungsebene des Severn streift ein kleines Wolfsrudel durch uralte Wälder. Es besteht aus nur fünf Tieren, alles Brüder. Zwei von ihnen sind drei Jahre, drei sind vier Jahre alt. Es sind Eurasische Wölfe, schlank, kompakt und langbeinig. Obwohl sie auch Grauwölfe genannt werden, weisen sie mit ihren rostroten Flanken und den schwarzen Sprenkeln auf dem unteren Rücken mehr Farben auf, als dieser Name vermuten lässt. Die Schwänze sind am Ansatz und an der Spitze schwarz, Unterkiefer und Wangen weiß. Ihre spitzen schwarzen Ohren sind von schwarzem Fell gesäumt.
Die Wölfe patrouillieren regelmäßig durch ihr Revier, traben in federndem Gang über Waldpfade, springen mit fließender, müheloser Leichtigkeit über gefallene Bäume. Wenn sie aufgeschreckt werden, laufen sie schneller und gehen in einen Galopp über, doch bald darauf suchen sie sich eine Lichtung, auf der sie ruhen können. Wenn es regnet, finden sie Schutz im Unterholz. Sie fressen Fleisch – von Pferden, Rindern, Kaninchen und sogar Hühnern. Aber sie haben noch nie etwas Größeres als eine Elster gejagt. Das müssen sie auch nicht, denn die Menschen, die sich um sie kümmern, versorgen sie mit so viel Fleisch, wie sie brauchen. Das Wolfsrudel lebt in Gefangenschaft im Wild Place, einer ländlichen Enklave des Zoos von Bristol in der Wildnis von South Gloucestershire.
Ich besuchte die Wölfe mit einer ihrer Tierpflegerinnen, Zoe Greenhill, und blieb dabei sicherheitshalber außerhalb ihres Geheges. Sie kannte die Wölfe sehr gut, weil sie täglich eng mit ihnen arbeitete, und versuchte gerade, sie an den Transfer in ein kleineres Gehege zu gewöhnen, in dem bei Bedarf tierärztliche Untersuchungen stattfinden konnten. Das war jedoch schon das äußerste Ziel des Trainings; diese Wölfe sollten nicht gezähmt werden. Und obwohl sie sich an Zoes Gesellschaft gewöhnt hatten, waren sie Menschen gegenüber allgemein immer noch misstrauisch und schreckten bei plötzlichen Bewegungen oder lauten Geräuschen schnell auf. Nervös machten sie auch neue Objekte in ihrem Gehege; Zoe erzählte mir, dass es einige Zeit gedauert hatte, bis sie sich an einige neu gepflanzte Tannen gewöhnt hatten. Ich fragte mich, ob diese Gruppe, ein kleines Rudel junger Tiere, besonders nervös war, aber Will Walker, der Direktor von Wild Place, erzählte mir, dass alle Wölfe, die er je kennengelernt hatte, ähnlich vorsichtig und scheu gewesen waren.
„Ich habe mit drei verschiedenen Wolfsrudeln in Gefangenschaft gearbeitet, und ich habe niemals Wölfe erlebt, die aktiv auf Menschen zukommen und sich selbstsicher in ihrer Gegenwart bewegen“, sagte er. „Wir arbeiten in den Gehegen mit ihnen – immer zwei von uns gleichzeitig, falls doch mal etwas schiefgeht –, aber die Wölfe halten sich immer fern und bleiben am anderen Ende des Geheges. Wir machen sie so nervös, dass sie manchmal sogar ihr Futter wieder hochwürgen, bevor sie weglaufen.“
„Das ist doch aber seltsam“, antwortete ich. „Wenn Wölfe von Natur aus so zurückhaltend gegenüber Menschen sind, wie kamen sie dann jemals nahe genug an sie heran, um domestiziert zu werden?“
„Na ja, sie sind nervös, und wenn man sie konfrontiert, drehen sie sich um und laufen weg. Aber man kann schon mit ihnen spielen. Dreht man ihnen den Rücken zu und springt am anderen Ende des Geheges herum und versteckt sich hinter Bäumen, kommen sie alle mit erhobenen Schwänzen angerannt und erscheinen ganz selbstsicher. Aber sobald man sich zu ihnen umdreht, sind sie wieder weg. Es sind auf jeden Fall neugierige Tiere, sie wollen genau wissen, was wir machen, aber wagemutig sind sie ganz und gar nicht.“
Natürlich ist es absolut möglich, dass Wölfe erst vor relativ kurzer Zeit so vorsichtig gegenüber den Menschen geworden sind, auch wenn selbst Menschen mit Speeren statt Gewehren in ferner Vergangenheit eine ernsthafte Gefahr für sie dargestellt hätten. Vorsicht war sicherlich ein guter Überlebensinstinkt. Aber es gab noch etwas anderes, was Wölfe dazu bringen konnte, ihre Nervosität zu überwinden.
Will erzählte mir, wie die Wölfe auch den Pflegern folgten, wenn sie ihre Morgenrunde drehten. Wenn die Pfleger außen um das Gehege herumgingen, trotteten ihnen die Wölfe mit einigen Schritten Abstand auf der anderen Seite des Zauns hinterher. Sicher trieb vor allem die Neugier die Wölfe zu den Menschen. Dennoch, solange die Jäger und Sammler so mobil waren und ständig umherzogen, konnte diese Neugier nur zu kurzen, sporadischen Begegnungen geführt haben – es gab ganz einfach keine Gelegenheit, ein dauerhaftes Bündnis aufzubauen.
Hier könnten Veränderungen in der Umgebung eine wichtige Rolle gespielt haben. Vor rund 30.000 Jahren gestaltete sich die Umwelt im Altaigebirge zunehmend günstig dafür, dass Jäger-und-Sammler-Gemeinschaften sich in der Landschaft niederließen. Sie waren immer noch Nomaden, aber vielleicht blieben sie über Monate am selben Platz, bevor sie weiterzogen. Sobald die Menschen damit begannen, sich dauerhafter niederzulassen, hätte ihre Beziehung zu wilden Wölfen Zeit gehabt, sich weiterzuentwickeln. Zweifellos muss das Fleisch, das die Jäger heimbrachten, sowie die übrig bleibenden Kadaver eine starke Anziehungskraft ausgeübt haben. Schließlich brachten Neugier und Hunger die Wölfe immer näher an die Menschen heran, trotz ihrer natürlichen Vorsicht. Und vielleicht kam ihnen ihre Nervosität sogar zugute. Wölfe sind große, wild aussehende Tiere und furchteinflößende Räuber. Aber wenn sie nervös aussahen statt allzu kühn, hatten die Menschen vielleicht weniger Angst vor ihnen und tolerierten sie eher. Vom vorsichtigen Kontakt über die Toleranz bis zur Partnerschaft – allmählich wurde das Bündnis zwischen den zwei sehr verschiedenen Rudeln, den Menschen und den Eurasischen Wölfen, stärker.
An dem Punkt, an dem einige Wölfe sich immer länger in der Gegenwart der Menschen aufhielten, veränderten sich ihre Zukunft und auch sie selbst. Wölfe, die nervös, aber freundlich waren, wurden toleriert. Wölfe, die unberechenbar, vielleicht sogar aggressiv waren, wurden vertrieben oder es geschah Schlimmeres mit ihnen. Die Menschen übten einen evolutionären Druck auf die Wölfe in ihrer Nähe aus, und die Tatsache, dass sie die freundlichsten, am wenigsten aggressiven Tiere auswählten, beeinflusste nicht nur diese besondere Facette ihres Verhaltens, sondern hatte noch viel weitreichendere Auswirkungen.