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Halbmond und Sichel

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Nach Wawilows mutiger und bahnbrechender Arbeit über den Ursprung von Getreidearten kamen weitere botanische und archäologische Belege für ein weitläufiges Gebiet im Nahen Osten als „Wiege der Landwirtschaft“ zusammen. Der sogenannte „fruchtbare Halbmond“ umfasste das Land zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris sowie deren Umgebung bis hinüber zum Jordantal und wurde berühmt als der Entstehungsort der eurasischen Jungsteinzeit – einer der Orte auf der Welt, an denen zuerst Ackerbau betrieben wurde. Hier entstanden die ersten domestizierten Varianten von Weizen, Gerste, Erbsen, Linsen, Linsen-Wicke, Kichererbsen und Flachs, also alle Pflanzen, die als founder crops („Gründer-Nutzpflanzen“) der eurasischen Jungsteinzeit berühmt wurden. Jüngere Studien deuten darauf hin, dass Ackerbohnen und Feigen eigentlich auch auf diese Liste gehören.

Archäologische Funde belegten sehr frühe Ackerbaugemeinden in dem Gebiet, in dem heute die Türkei und Nordsyrien liegen, vor 11 600 bis 10 500 Jahren. Es gibt jedoch auch Belege dafür, dass die Menschen im Nahen Osten wildes Getreide schon lange nutzten, bevor sie es domestizierten. Spuren domestizierten Getreides, darunter Gerste, Emmer und Einkorn, sind häufig in flacheren, jüngeren archäologischen Schichten zu finden, direkt über tieferen und älteren Schichten, die die Spuren ihrer wilden Gegenstücke enthalten: Die ersten Weizen-, Gersten-, Roggen- und Haferarten, die im archäologischen Kontext auftauchen, sind gesammeltes Wildgetreide.

Tausende Körner von wilder Gerste und wildem Hafer, zwischen 11 400 und 11 200 Jahre alt, wurden in Gilgal im Jordantal entdeckt. Belege für wilden Roggen mit frühen Zeichen der Domestikation – größere, offenbar gedroschene Körner – wurden in Abu Hureyra am Euphrat ausgegraben. Und an einigen Orten finden sich interessante Hinweise darauf, was die Jäger und Sammler mit dem wilden Getreide gemacht haben, das sie sammelten.

Kleine, in Felsen gemeißelte Vertiefungen an Ausgrabungsstätten in der südlichen Levante haben die Archäologen jahrzehntelang vor Rätsel gestellt. Einige stellten die These auf, dass diese Topfbohrungen das Ergebnis urzeitlicher Steinmetzwettbewerbe sein könnten. Oder dass sie Genitalien darstellen könnten. (Ich kann mir absolut vorstellen, dass einige kulturelle Artefakte tatsächlich solche wichtigen anatomischen Elemente darstellen – es wäre seltsam, wenn es nicht so wäre. Aber es ist sehr schwierig, die Interpretation jedes beliebigen Buckels oder Lochs als Zeichen der Sexualität nicht eher für bezeichnend für die Fantasie des Archäologen zu halten als für die des urzeitlichen Schöpfers eines solchen Artefakts.) Auf jeden Fall scheint eine prosaischere Erklärung für diese besonderen Vertiefungen wesentlich wahrscheinlicher: Dass es sich um Mörser handelt, in denen Nahrung zubereitet wurde, genauer gesagt, in denen Getreidekörner zu Mehl gemahlen wurden.

Viele dieser angeblichen Mörser wurden in natufischen Stätten gefunden, gehörten also zu einer Kultur, die vor 12 500 Jahren bereits in voller Blüte war, gut 800 Jahre vor den ersten Anzeichen der Jungsteinzeit in diesem Gebiet. Die natufische Kultur verdankt ihren Namen einer Höhle im Wadi an-Natuf im Westjordanland, die in den 1920er-Jahren von Dorothy Garrod entdeckt wurde. Die archäologische Bezeichnung für die Periode des Natufien ist das späte Epipaläolithikum. Sie bedeutet so viel wie „um die Altsteinzeit herum“ und drückt die Implikation und die Erwartung des Wandels gut aus. Gesellschaft und Kultur entwickelten sich, wie man deutlich an den archäologischen Funden sehen kann, aber es war noch nicht ganz die Jungsteinzeit.

Die natufische Kultur in der südlichen Levante entstand vor rund 14 500 Jahren und brachte eine wichtige Veränderung mit sich: vom rastlosen Umherziehen zur Sesshaftigkeit. Die Natufier waren immer noch Jäger und Sammler, aber sie waren sesshaft. Sie lebten das ganze Jahr über in permanenten Dörfern statt in provisorischen Lagern. Vor 12 500 Jahren dann meißelten diese Dorfbewohner Löcher in Steine, die wie Mörser aussahen. Das einzige Getreide mit großen Körnern, das damals in dieser Gegend wuchs, war wilde Gerste. Und so beschloss eine Gruppe von Archäologen kürzlich, diese Steinmörser zu testen: Wie gut konnte man wohl in ihnen Gerstenkörner zu Mehl mahlen?

Die Archäologen gestalteten das Experiment so authentisch wie nur möglich. Sie verkleideten sich zwar nicht als urzeitliche Natufier, führten die gesamte Prozedur aber ausschließlich mit Werkzeugen nach Art der natufischen Kultur durch. Zuerst ernteten sie wilde Gerste mit einer Steinsichel; frühere Experimente hatten gezeigt, dass das Schneiden von Stängeln mit nachgearbeiteten Feuersteinsicheln genau denselben Glanz auf ihnen erzeugte, wie er auf archäologischen Feuersteinwerkzeugen zu sehen ist, die als Sicheln interpretiert werden. Dann sammelten sie die Ähren in einem Korb. Anschließend droschen sie die Gerste mit einem gebogenen Stock, um die Grannen – die langen Borsten – von den Ährchen zu trennen. Dann wurden die Ährchen in einem konischen Mörser mit einem Holzstößel gestampft, um Grannenansätze und Spelzen zu entfernen. Die Spreu wurde durch vorsichtiges Blasen abgeschieden. Nun wurden die nackten Körner wieder in den Mörser gegeben und mit dem Holzstößel mit rührenden, stampfenden Bewegungen zu Mehl gemahlen. Zum Schluss stellten die Archäologen mit dem Mehl einen Teig her, aus dem sie über den Kohlen eines Holzfeuers ein ungesäuertes Fladenbrot buken, ähnlich wie Pitabrot. Dann aßen sie den experimentellen Laib und gingen vermutlich ein Bier trinken.

Die Archäologen hatten für ihr Experiment einen echten urzeitlichen Steinmörser von der Ausgrabungsstätte Huzuk Musa verwendet. Man hatte 31 schmale konische Mörser in dieser Stätte gefunden sowie vier große Dreschplätze in der Nähe. Auf der Grundlage ihres Experiments argumentierten die Archäologen, dass die Natufier in Huzuk Musa problemlos so viel Gerste verarbeiten konnten, dass sie das Grundnahrungsmittel der etwa hundert Einwohner vor 12 500 Jahren hätte sein können. Dabei war es wichtig, dass sich die Getreidekörner in den konischen Mörsern offenbar so gut entspelzen ließen. Gerste mit Spelzen hätte man zu Grütze, Brei oder grobem Mehl verarbeiten können. Aber entspelzte Gerste lässt sich zu viel feinerem Mehl mahlen, und dafür gibt es eigentlich nur einen Grund: um Brot zu backen. Es ist eine faszinierende Vorstellung, dass die urzeitlichen Einwohner von Huzuk Musa vielleicht Gerste gesammelt, sie gedroschen, zu Mehl verarbeitet und daraus Brot gebacken haben, und das mindestens tausend Jahre, bevor jemand auf die Idee kam, Getreide anzubauen.

Wenn man sich vorstellt, dass Brot schon Hunderte von Jahren vor dem Aufkommen der Landwirtschaft zum Grundnahrungsmittel im Nahen Osten geworden war, ist die neolithische Revolution leichter zu verstehen. Sobald die Menschen damit begonnen hatten, wildes Getreide zu sammeln und zu verarbeiten, war meiner Meinung nach die Domestizierung dieser Arten – nicht nur der Gerste, sondern auch von Weizen und anderem Getreide – fast unvermeidlich. Wenn man sich so sehr auf ein bestimmtes Nahrungsmittel verlässt, dann ist es vielleicht zu gefährlich, sich von der Ernte wilden Getreides abhängig zu machen. Besser ist es da, es selbst anzubauen. Aber das setzt voraus, dass unsere Vorfahren bewusst den Plan fassten, wilde Pflanzen zu kultivieren. Wahrscheinlich spielten aber Zufall und glückliche Umstände eine viel größere Rolle in der Entstehung der Landwirtschaft als sorgfältig ausgeklügelte Pläne.

Offensichtlich ist es möglich, dass sich mindestens einige der Veränderungen, die domestizierte Getreidearten von ihren wilden Vorfahren abgrenzen, zufällig vollzogen haben oder zumindest als unbeabsichtigte Folgen menschlichen Handelns. Ein wesentlicher Unterschied zwischen wildem und domestiziertem Getreide ist die Stärke der zentralen Achse oder Rachis, an der die Samenkörner befestigt sind und so die Ähre bilden. Bei Wildtypen ist die Rachis spröde und zerbricht: Die einzelnen Ährchen mit den Samen brechen von selbst aus der Ähre, wenn sie reif sind, und werden vom Wind verstreut. Eine Ähre domestizierten Getreides dagegen bleibt nach dem Reifen intakt. Die Rachis ist hart und ganz und gar nicht spröde. Für ein Wildgras würde dieses Merkmal einen ernsten Nachteil darstellen, da die Samen nicht frei dem Wind überlassen und verteilt werden können. In freier Natur wäre dies eine problematische Mutation, die rasch durch die natürliche Auslese ausgerottet wäre. Aber auf einem Getreidefeld wird die harte Rachis zum Vorteil.

Wenn die Ernte hinausgezögert wurde, bis die meisten Ähren gereift waren, hatten diejenigen mit einer spröden Rachis schon viele ihrer Samen verloren, hingegen die mutierten Pflanzen mit der harten Rachis hatten noch all ihre Ährchen. Alle noch am Halm sitzenden Samenkörner wurden also zum Dreschplatz gebracht – einige zum Verzehr, einige für die Wiederaussaat. Mit jeder Generation wuchs auf diese Weise der Anteil der Samen und Pflanzen mit harter Rachis. Auch hier sehen wir wieder ein Beispiel, wie ein bestimmtes Merkmal fast an sich selbst Auslese betreibt. Die Bauern brauchten nicht aktiv bestimmte Pflanzen auszuwählen, die noch all ihre Samen hatten. Sie mussten nur warten, bis der Großteil des Weizens reif war, und was sie dann ernteten war besonders reich an dem Typ mit der harten Rachis; die Verbreitung dieses besonderen Merkmals könnte also auch eine unbeabsichtigte Folge früher Anbaupraktiken gewesen sein.

Tatsächlich ist es möglich, dass die Auslese nach einer harten Rachis schon vor der Landwirtschaft begann. Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Jäger und Sammler und bringen Arme voll wilden Getreides in Ihre Siedlung zurück, um es dort zu verarbeiten. Unterwegs verlieren Sie viele Samen. Aber wenn ein Teil des Weizens, den Sie gesammelt haben, durch Mutation eine harte Rachis aufweist, dann bleiben seine Ähren intakt. Wenn Sie sie zu Hause dreschen, werden einige Samenkörner mit Sicherheit danebenfallen, keimen und wachsen. Entstanden so die ersten Felder um die Dreschplätze herum, noch bevor man irgendeine Form der Kultivierung betrieb? Mit Sicherheit ist das eine Möglichkeit, aber letztendlich musste der Weizen mit der harten Rachis ausgesät werden. Das Merkmal mag sich als unbeabsichtigte Folge der Art entwickelt haben, wie das Getreide geerntet und verarbeitet wurde, aber sobald sich bestimmte Weizenstämme auf diese Weise entwickelt hatten, waren sie in ihrer Allianz mit dem Menschen gefangen – die Pflanzen konnten ohne unsere Hilfe nicht mehr überleben. Sie konnten nur an den Rändern des Dreschplatzes wachsen – oder aber auf Feldern, auf denen sie bewusst gesät worden waren.

Das Merkmal der harten Rachis verbreitete sich im Laufe von rund 3000 Jahren langsam aber sicher im urzeitlichen Weizen, während die Menschen immer abhängiger von Getreide wurden und begannen, es anzubauen. Einige Ausgrabungsstätten in der Levante gaben eine kleine Menge nicht spröden Einkorns bzw. Emmers frei, der bis zu 11.000 Jahre alt war. Vor 9000 Jahren (7000 v. Chr.) war der Weizen an allen Stätten zu hundert Prozent nicht mehr spröde: Das Merkmal war in den Populationen urzeitlichen domestizierten Getreides eindeutig zur Norm geworden oder, wie die Genetiker sagen, „fixiert“.

Die Transformation des Weizens von wild zu domestiziert war ein langwieriger Prozess. Die langsame Umwandlung wurde durch eine ähnlich langsame Veränderung der Werkzeuge begleitet, die von den frühzeitlichen Jägern und Sammlern und Neubauern verwendet wurden. Allmählich tauchen in den archäologischen Stätten immer mehr Sicheln auf. Im Gegensatz zu den bekannteren gebogenen Metallklingen bestanden die ersten Sicheln aus Feuerstein oder Hornstein – schließlich sind wir immer noch in der Steinzeit. Die langen Klingen waren an Holzgriffen befestigt (das wissen die Archäologen, weil einige intakt in genau dieser Form gefunden wurden). Der typische „Sichelglanz“ an der Klinge zeigt, dass sie abgerieben wurden, indem sie wiederholt zum Schneiden kieselsäurereicher Grasstängel verwendet wurden. Sicheln tauchen nicht einfach aus dem Nichts auf – wahrscheinlich wurden mit diesen Werkzeugen schon lange Schilf und Riedgras geschnitten, bevor man sie zum Ernten wilden Getreides einsetzte. Ab einem Zeitpunkt vor etwa 12.000 Jahren tauchten Sicheln im archäologischen Befund etwas häufiger auf, und zwar hauptsächlich in der Levante, dem westlichen Teil des fruchtbaren Halbmondes. Die Archäologen deuten den zunehmenden Gebrauch von Sicheln als Zeichen für eine neue Abhängigkeit von Getreide, da es unwahrscheinlich scheint, dass die Menschen in der Levante ganz plötzlich zwanghaft mehr Schilf schnitten.

Vor rund 9000 Jahren werden Sicheln dann über den gesamten fruchtbaren Halbmond noch häufiger. Aber sie sind nicht ganz allgegenwärtig, was einige Archäologen zu der Annahme führt, dass die Verwendung von Sicheln eher eine kulturelle Präferenz ist als eine absolute Vorbedingung für die Getreideernte. Das ist nicht so überraschend, wie es klingt: Die Belege deuten darauf hin, dass das Pflücken von Weizen und Gerste von Hand, wie es die Bedul-Beduinen im Tal von Petra heute noch tun, ebenso effizient sein könnte wie das Schneiden mit einer Stein- oder sogar Metallklinge. Vielleicht hatte der zunehmende Gebrauch von Sicheln in Anatolien, der Levante und Mesopotamien vor 9000 bis 6000 Jahren mehr mit der kulturellen Identität zu tun – als „Kennzeichen“ der Landwirtschaft – als mit der Effizienz der Ernte selbst. Dennoch scheint die wachsende Anzahl von Sicheln mehr als nur symbolisch zu sein, sondern eine echte zunehmende Abhängigkeit von Getreide widerzuspiegeln, das ursprünglich nur ein kleiner Anteil der gesammelten Pflanzen in einer Handvoll archäologischer Stätten war. Doch um 7000 v. Chr. findet man in den meisten Stätten, an denen Pflanzenüberreste erhalten blieben, überwiegend Getreide. Und der Weizen, der geschnitten und gesammelt wurde, hielt nicht nur die Ährchen fest – die Körner waren auch größer als die seiner wilden Vorfahren. Wieder wird hier ein Merkmal, das in der Wildnis nachteilig gewesen wäre, da die Samen zu groß waren, um vom Wind verteilt zu werden, für den Bauern zum Plus.

Eine gewisse Zunahme der Korngröße ist beim wilden Weizen schon festzustellen, bevor das Merkmal der harten Rachis auftritt. Und dann werden die Körner über drei- bis viertausend Jahre immer größer und größer. Ein Teil der Größenzunahme ist definitiv auf genetische Veränderungen zurückzuführen, aber ein anderer wahrscheinlich auf Umweltfaktoren: Das kultivierte Getreide profitiert vom Wachstum in aufbereitetem Boden, muss sich weniger gegen Unkräuter durchsetzen und wird auch noch ausreichend bewässert.

Ein Samenkorn des heutigen domestizierten Weizens besteht aus drei wichtigen Bestandteilen. Zum einen ist da der Pflanzenembryo oder Keimling – schließlich handelt es sich ja um ein Samenkorn. Darüber liegen Frucht- und Samenschale (Perikarp und Testa), die etwa 12 Prozent des Gewichts des Korns ausmachen und gemeinhin als Kleie bezeichnet werden. Der weitaus größte Teil des Korns ist aber das Endosperm, der Mehlkörper, der 86 Prozent des Korngewichts ausmacht. Wie der Dotter im Ei soll das Endosperm den wachsenden Weizenembryo mit Nährstoffen versorgen. Es enthält Stärke – eine Menge Stärke – sowie Öle und Proteine. Das Endosperm schwoll überproportional stark an, als die Körner größer wurden, und damit hatte jedes einzelne Weizenkorn mehr Nährstoffe als vorher. Der Embryo wurde ebenfalls größer – nicht annähernd so viel wie das Endosperm, aber immer noch bedeutend. Und großkörnige Getreidearten weisen ein sehr wichtiges Merkmal auf, wenn es um Keimung und erstes Wachstum geht: Ihre Sämlinge sind wesentlich robuster als die ihrer kleinkörnigen Verwandten.

Die Annahme, dass ein Zuwachs an Korngröße durch bewusste, absichtliche Auslese großkörniger Pflanzen durch frühe Bauern erfolgt ist, scheint vernünftig. Aber auch die Auslese nach diesem Merkmal könnte eher versehentlich abgelaufen sein. Die ersten Bauern konzentrierten sich wahrscheinlich eher darauf, Größe und Ertrag ihrer Felder zu erhöhen anstelle der Größe einzelner Körner. Großkörnigere Weizenstämme mit kräftigeren Sämlingen hatten vielleicht einfach einen eingebauten Vorteil und überflügelten so kleinkörnigere Varietäten. Der Wettbewerb zwischen den Sämlingen, zu dem es zwischen den vom Wind verstreuten wilden Varietäten vielleicht gar nicht kam, könnte in dicht besäten Kulturfeldern schärfer geworden sein. Von Sommer zu Sommer füllten sich die Felder dann zur Freude der Bauern langsam mit großkörnigeren Varietäten.

Diese beiden wichtigen Merkmale – die harte, nicht zerbrechliche Rachis und die größeren Körner – entwickelten sich nicht in jeder Art zur selben Zeit. Sie treten eindeutig nicht im Paket auf wie Zahmheit und Fellfarbe bei Hunden. Sie entwickelten sich unterschiedlich schnell und aus verschiedenen Gründen. Und ganz ähnlich wie bei den ersten Schritten in Richtung Domestizierung bei den Wölfen, die den eiszeitlichen Jägern und Sammlern folgten, scheint der Prozess mit deutlich weniger Voraussicht von menschlicher Seite begonnen zu haben, als oft angenommen wurde. Aber selbst ohne spezifische Absicht brachten die Handlungen der Menschen eine bedeutende Veränderung bei diesen Getreidearten hervor, die sie fast versehentlich noch produktiver machte. Als die Domestikationsmerkmale sich unter diesen Pflanzen verbreiteten und fixierten, wurden sie für die Menschen noch wertvoller. Weizen nahm in der urzeitlichen Ernährung eine immer größere Rolle ein und seine Zukunft als Grundnahrungsmittel war dadurch gesichert.

Die lange, komplizierte Geschichte der Domestikation des Weizens liest sich fast wie die Handlung eines Liebesromans. Zwei potenzielle Partner – in diesem Fall eine Homo-Art und eine Triticum-Art – treffen aufeinander. Sie werden zusammengewürfelt und hätten danach ganz einfach wieder getrennt ihrer Wege gehen können. Aber der Kontakt hat in beiden etwas geweckt. Sie beginnen miteinander zu tanzen. Sie kommen sich näher. Die menschliche Kultur verändert sich, um Platz für Triticum zu schaffen; der Weizen verändert sich, um für die Menschen noch attraktiver zu werden.

Die Verpartnerung von Menschen und Weizen ist allerdings ein wenig komplizierter. Zum einen gibt es nicht nur einen einzigen Weizentyp. Die moderne Botanik kennt heute noch die Einteilung in die drei großen Weizengruppen, die Wawilow identifiziert hatte und die sich durch unterschiedliche Chromosomenzahlen auszeichnen. Und die moderne Genetik hat die komplexen Beziehungen zwischen ihnen aufgedeckt.

Einkorn, sowohl die wilde als auch die domestizierte Varietät, gehört zu der Gruppe mit einem einfachen doppelten Chromosomensatz: Er hat nur sieben Paare. Die Genetiker bezeichnen ihn als einen diploiden Organismus (wie auch Sie und ich es sind). Irgendwann in der fernen Vergangenheit wurden in einer Abstammungslinie Chromosomen verdoppelt. Das passiert von Zeit zu Zeit, im Wesentlichen als Fehler bei der Zellteilung. Die Zelle verdoppelt ihre Chromosomen, teilt sich danach aber nicht in zwei neue Zellen: Sie bleibt eine Zelle mit doppelt so viel Chromosomen. Eine solche urzeitliche Verdopplung führte zu tetraploiden Weizenarten mit 14 Chromosomenpaaren (oder Paaren von Paaren von sieben Chromosomen, wenn Sie so wollen). Das geschah vor 500.000 bis 150.000 Jahren, also lange vor der neolithischen Revolution, bei den urzeitlichen wilden Vorfahren von Emmer und Hartweizen.

Dann kam es zu einem Hybridisierungsereignis, bei dem aus domestiziertem Emmer (tetraploid) und wildem Walch (diploid) ein Weizentyp mit 21 Chromosomenpaaren wurde – also mit drei Paarsätzen, eine hexaploide Pflanze. Diese Hybridisierung fand Schätzungen zufolge vor etwa 10.000 Jahren statt und brachte Triticum aestivum hervor, den Gemeinen oder Brotweizen.

Eine Verdoppelung der Chromosomen erscheint gierig genug. Die meisten Lebewesen kommen wunderbar mit zwei Chromosomensätzen aus. Vier Sätze scheinen unnötig. Sechs Sätze erscheinen außergewöhnlich verschwenderisch. Aber viele Pflanzen zeigen eine Polyploidie, besitzen also mehrere Chromosomensätze, und es scheint ihnen nicht zu schaden. Tatsächlich kann ihnen dieser Umstand sogar deutliche Vorteile bringen. Das Vorhandensein zusätzlicher Gene bedeutet: Wenn ein Gen durch eine Mutation beschädigt wird, kann ein anderes seinen Platz einnehmen und seine Funktion erfüllen. Das mutierte Gen könnte sogar eine neue, interessante Aufgabe im Genom erfüllen. Genmaterial aus unterschiedlichen Quellen zusammenzubringen, wie es geschah, als Emmer mit Walch hybridisierte, kann auch zum sogenannten Heterosis-Effekt führen, wenn neuartige Genkombinationen auch ohne Neumutationen zusammenarbeiten. Zusätzlich ist die Polyploidie bei Pflanzen oft mit einer Zunahme der Zellgröße verbunden und kann auch zu größeren Samen und besseren Erträgen führen. Ganz ungetrübt ist das Bild allerdings nicht, denn Polyploidie kann auch Probleme verursachen. Die Fortpflanzung wird etwas schwieriger, weil so viele Chromosomensätze sortiert werden müssen. Und die Embryonalentwicklung kann in eine falsche, manchmal tödliche Richtung laufen. Aber zumindest beim Brotweizen scheint die Evolution der Hexaploidie mit Sicherheit insgesamt etwas Gutes gewesen zu sein.

Insbesondere wurde die Produktivität des Brotweizens durch eine spezielle genetische Mutation erhöht, die zu einer ungewöhnlichen Ährenform führte. Die wilden Vorfahren dieses Weizens haben flache Ähren mit versetzt angeordneten Ährchen zu beiden Seiten des zentralen Stängels, der Rachis. Beim Brotweizen jedoch bewirkte eine einzelne, bevorzugte Mutation etwas ganz anderes: eine quadratische Ähre mit dicht gepackten Ährchen – die klassische Form der Weizenähre, die sie von anderen Gräsern unterscheidet. Wahrscheinlich war die Emmer-Walch-Hybride, die wir als Brotweizen kennen, Triticum aestivum, unmittelbar ein ertragreiches Getreide, das die frühen Bauern erkannten und kultivierten.

Auf diese Weise entstand eine Verbindung zwischen den Weizenarten und den Menschen, die jahrtausendelang halten und im Laufe der Zeit nur noch stärker werden sollte. Aber wo fing das alles an? Wo genau in diesem weitläufigen Gebiet des fruchtbaren Halbmonds nahmen die einzelnen Weizenarten – Einkorn, Emmer und Brotweizen – ihren Ursprung?

Der Nahe Osten ist seit zwei Jahrhunderten ein Mekka für Archäologen und der geografische Ursprung der jungsteinzeitlichen founder crops war mindestens einer der heiligen Grale, nach denen sie suchten. Aber selbst der neuen Disziplin der Archäobotanik mit ihrer präzisen Annäherung an einzelne Arten – die Wawilow sicherlich gefallen hätte – erwiesen sich die Ursprünge als recht schwer fassbar und unklar – bis vor ganz kurzer Zeit.

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