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Der Bänkestreit in Köln

Die Kölner Schildergasse ist die meistbesuchte Einkaufsstraße Deutschlands. Knapp 17.000 Menschen schieben sich hier zu Stoßzeiten in der Stunde durch. Hier gibt es alle großen Bekleidungsläden, viele Fast-Food-Restaurants – nur seit einer Straßensanierung 2010 keine Bänke mehr, auf denen sich die vielen Passanten einmal ausruhen könnten.

Das soll sich 2013 ändern. Die Stadtverwaltung und die Bezirksversammlung Köln-Mitte wollen die Schildergasse wieder möblieren. Beamte und Politiker haben also das gleiche Ziel. Das bedeutet jedoch nicht, dass dieses auch zeitnah erreicht werden kann. Nicht in Köln.

Auf der Schildergasse werden erst mal keine Bänke aufgestellt.

Denn wer denkt, dass das so einfach wäre, der unterschätzt die Tragweite der Herausforderung. Wenn wir hier Sitzgelegenheiten schaffen, dann soll das auch eine sichere Bank sein, denkt sich das Baudezernat und schafft zunächst einmal eine sogenannte Probefläche. Schließlich geht es um das Management des Stadtraums, und um das kümmert sich Stadtraummanagerin Franka Schinkel. Sie erinnert sich: »Es gab einfach ein paar Bänke, die aufgestellt wurden, und es wurden Politiker gebeten, sich draufzusetzen.«

Auf der Probefläche unweit des Kölner Doms testen im Mai 2013 Vertreter der Bezirksversammlung die Bänke. Sie sollen das letzte Wort haben über das Bankmodell, so war es im Vorfeld vereinbart worden. Unter den Politikern ist auch Bezirksbürgermeister Andreas Hupke von den Grünen. Vier Modelle stehen zur Auswahl, keine leichte Entscheidung. »Das war eine zeitlich sehr ausführliche und auch intensive Probesitzung und wir hatten uns dann einstimmig für das Modell ›Urbanis‹ entschieden«, sagt Hupke.

Ein einstimmiger Beschluss für das moderne Modell aus grauem Metall, weil »Urbanis« leicht zu reinigende Streben habe und relativ robust gegen möglichen Vandalismus sei. Der Wunsch der Politik wurde in der Verwaltung gehört – und verworfen. »Wir bekamen dann einen neuen Baudezernenten, und der sagte: ›Was Sie sich da ausgesucht haben, das gefällt mir nicht‹«, berichtet Hupke. Die Entscheidung des Stadtteilparlaments wird nicht umgesetzt.

Auf der Schildergasse werden erst mal keine Bänke aufgestellt.

Das Amt möchte im Fall des Falles nicht auf »Urbanis« sitzen bleiben, sondern favorisiert eine andere Bank: »Wir sind für die ›Landi‹-Bank, weil die ›Landi‹-Bank vielseitig ist, weil sie in allen urbanen Kontexten, in allen städtischen Räumen vorstellbar ist«, so Stadtraummanagerin Schinkel.

Das Baudezernat lässt daher im Mai 2014 erneut abstimmen zwischen »Landi« und »Urbanis«. »Da hat sich aber die Bezirksvertretung wieder für die ›Urbanis‹-Bank entschieden«, sagt Schinkel. »Wir haben uns das nicht so einfach bieten lassen und haben gesagt: Nee, wir wollen dieses Modell«, so Hupke. Weiterhin ein Patt. Dabei wird die Frage nach »Urbanis« oder »Landi« immer bedeutender, die Folgen immer weitreichender.

Denn im Baudezernat wird jetzt ein Banktyp nicht nur für die Schildergasse gesucht, sondern ein Gestaltungshandbuch für ganz Köln entwickelt. »Wir wollen natürlich einen Standard einführen, der stadtweit für eine Ruhe sorgt, eine Gleichmäßigkeit und für eine standardisierte Möblierung«, sagt Schinkel. »Da ist es natürlich gut, wenn wir eine Bank haben, die die ganze Stadt trägt.« Auf der Schildergasse hingegen wären ältere Menschen sicherlich schon froh, wenn ein paar Bänke sie kurz beim Ausruhen tragen könnten.


Stadtraummanagerin Franka Schinkel will Köln mit der »Landi«-Bank Gutes tun, während Andreas Hupke und die Bezirksversammlung für das Modell »Urbanis« sind.

Aber auf der Schildergasse werden erst mal keine Bänke aufgestellt.

Auch wenn »Urbanis« bei der Abstimmung zwei Mal gewonnen hat, geschieht nichts. Denn »Landi« sei doch viel besser, findet die Stadt: »Wir denken, dass wir Köln damit etwas Gutes tun können«, ist Schinkel überzeugt. Hupke sieht das etwas anders: »Da steht keine Bank, aber da wiehert der Amtsschimmel. Manche sagen auch schon, in der Innenstadt gibt es eine Bankkrise.« Mittlerweile sind zwei Jahre seit der ersten Probesitzung vergangen.

Auch im Baudezernat drängt man nun auf ein Ergebnis – und hofft auf die Einsicht der Politik, den Empfehlungen des Gestaltungshandbuchs zu folgen und sich doch für »Landi« auszusprechen. »Deswegen haben wir jetzt gebeten, noch mal drüber nachzudenken, weil sich einfach die Randbedingungen geändert haben«, sagt Schinkel.

Der Bänkestreit geht in die dritte Runde: Hupke beruft daraufhin eine Sondersitzung der Bezirksversammlung ein, »um jetzt eine Entscheidung unbedingt hinzubekommen, damit die Bänke noch vor dem Sommer 2015 installiert werden« können, wie er sagt. Doch zuvor sei eine Sache unbedingt geboten: »Diese beiden Banktypen müssen noch mal aufgestellt werden, damit auch die Neuen, die jetzt im Stadtteilparlament sind, die testen können und dann darüber befinden.«

Und so geschieht das kaum mehr für möglich Gehaltene: In der Kölner Innenstadt werden Bänke installiert. Allerdings nur auf der Probefläche nahe des Doms, die es praktischerweise immer noch gibt. Dort stehen sich »Landi« und »Urbanis« direkt gegenüber. Das Duell der Bank-Giganten.

Nur auf der Schildergasse, da werden erst mal keine Bänke aufgestellt.

Die Sondersitzung der Bezirksversammlung, so viel ist klar, wird wirklich eine Sonder-Sitzung. »Das wird eine Probesitzung werden«, ist sich Hupke sicher. Wie schon zwei Jahre zuvor. Der Bürgermeister ist optimistisch, dass das Thema endlich nicht länger ausgesessen wird: »Am 30.04. soll die Entscheidung fallen.« Stadtraummanagerin Schinkel sagt, dass sie danach dann wirklich den Stadtraum managen möchte, auch wenn wieder »Urbanis« gewinnen sollte und nicht »Landi«: »Wenn dann zugunsten dieser Bank entschieden wird, dann ist das so und dann werden wir die aufstellen.«

WAS IST DRAUS GEWORDEN?

Ein Jahr später, Frühjahr 2016: Andreas Hupke geht durch die Schildergasse. Und geht und geht und geht. Setzen kann er sich nirgends. Immer noch nicht. Auch nicht nach der dritten Probesitzung, bei der wenig überraschend herauskam: »Wir bleiben bei dem Modell ›Urbanis‹.«

Doch auf der Schildergasse werden erst mal keine Bänke aufgestellt.

»Die Verwaltung hat sich das wieder anders überlegt, und die favorisieren immer noch das Modell ›Landi‹«, klagt Hupke. Das liegt auch daran, dass es barrierefrei sei, wie das Baudezernat mitteilt. »Urbanis« hingegen habe nur hinten Füße und sei daher für Menschen mit Sehbehinderung vorne schwer zu ertasten. Allenfalls eine barrierefreie Sonderanfertigung von »Urbanis« könne zum Zuge kommen. Doch darauf müsste man sich erst mal mit der Bezirksvertretung verständigen. »Wir sind noch nicht zu einer Einigung gekommen«, sagt Hupke.

»Da fügt sich eins zum anderen: Der Kölsche Dialekt hat ja von allen Mundarten die höchste phonetische Nähe zum Vollrausch.«


Entgegen der Beteuerungen von Frau Schinkel wird der Innenstadtraum also noch nicht mit Sitzgelegenheiten gemanagt. Bis auf eine Ausnahme: Hinter der Oper in der Krebsgasse sind neue Bänke platziert worden. Hupke nimmt Platz. Sie seien durchaus bequem mit ihrem gummiummantelten Metallgestänge, meint er und erinnert noch einmal daran, zwischen welchen beiden Bankmodellen seit Jahren hin- und hergestritten wurde: »Zwischen ›Urbanis‹ und ›Landi‹«. Logisch daher, welches Modell hier aufgebaut wurde: »Burri«!


Nach langem Hin und Her zwischen »Urbanis« und »Landi« schafft die Stadt endlich Fakten und stellt Bänke auf – und zwar das Modell »Burri«.

Lange bevor es zum Streit über »Landi« oder »Urbanis« gekommen sei, habe man sich für »Burri« auf dem sanierten Platz ausgesprochen. Ganz ohne Gestaltungshandbuch. »Das Modell war völlig in Vergessenheit geraten, weil der Diskussionsprozess ja schon drei Jahre weiter ist«, sagt Hupke. Doch nun steht es da – und das gleich zwölf Mal. Aber nicht locker über den Platz verteilt, sondern aneinandergeschraubt, sechs und sechs, Rücken an Rücken. »Die so kumuliert an einer Stelle hinzustellen ist völlig daneben«, findet Hupke.

Besser wäre es aus seiner Sicht gewesen, die – wenn auch falschen – Bänke auf der Schildergasse zu verteilen. »Das wäre ein Segen für die Menschen, die sich die Konsummeile immer hoch- und runterquälen«, findet Hupke.

Doch auf der Schildergasse werden erst mal keine Bänke aufgestellt.

Solche elementaren Entscheidungen werden in Köln offenbar gern auf die lange Bank geschoben. Als man sich dann nach erneuten Abstimmungsprozessen zwischen Politik und Verwaltung auf das modifizierte, von Blinden ertastbare »Urbanis«-Modell einigt, kommt noch eine Schwierigkeit hinzu, wie das Baudezernat schreibt: »Da es sich um ein ganz neu herzustellendes Sondermodell handelt, haben die Lieferzeiten für die ersten Bänke länger gedauert.« Doch im Sommer 2016 dann geschieht das kaum mehr für möglich Gehaltene:

AUF DER SCHILDERGASSE WERDEN BÄNKE AUFGESTELLT!

Und zwar acht Stück. In der gesamten Innenstadt sogar 32 Stück. Von nun an werde das Sondermodell als Standardbank in ganz Köln eingesetzt, heißt es aus dem Baudezernat. Die »Urbanis«-Spezialanfertigung hätte übrigens nach all dem Hin und Her keinen besseren Namen bekommen können als »Typ Cologne«.

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