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Die Fußgänger­brücke in Nürnberg

Im Nürnberger Stadtteil Langwasser führt eine Fußgängerbrücke über die stark befahrene, vierspurige Breslauer Straße. Und die Brücke ist 1a in Schuss. Zugegeben, ein kleines, nicht ganz unwichtiges Detail sticht bei näherem Hinsehen schon ins Auge. Aber »überflüssig«, »nutzlos« und »sinnlos«? Die Nürnberger finden viele gemeine Ausdrücke, um diese besondere Brücke zu beschreiben. Nur, weil sie ein wenig anders ist. Anders als andere Brücken. Dabei hat sie zum Beispiel ganz normale Brückenpfeiler, Stahlseile, die den Gehweg tragen, einen Auf- und einen Abgang, stabile Geländer – eine Brücke halt. Aber ja, es stimmt, auf gewisse Weise ist sie etwas eigen. Weil man sie nicht – wie bei Brücken normalerweise so üblich – nutzen kann, um von A nach B zu kommen. Das ist vielleicht ein wenig ungewöhnlich für eine Fußgängerbrücke. Aber das mag damit zusammenhängen, dass sie – nun ja – keinen Boden hat.

Doch das hat einen guten Grund: Die Stadt Nürnberg hat die Brücke 2007 gesperrt. »Die Bohlen waren zum großen Teil richtig durchmorscht, durchfault«, sagt Christoph Miller von der Stadt Nürnberg. »Dann musste man handeln und diesen Bohlenbelag in der Gänze auch abnehmen.«

Die Bohlen wurden entfernt und nie erneuert. Die Instandsetzung war der Stadt zu teuer, ein Abriss aber auch. Nun steht sie einfach so da, die Brücke ohne Boden. Aber überflüssig, nutzlos oder gar sinnlos ist sie deswegen noch lange nicht! Schließlich beschäftigt die Brücke viele Leute. Die, die sie wegen ihrer bodenlosen Besonderheit fotografieren, über sie reden oder sich über sie wundern zum Beispiel. »Das schaut aus wie ein Stück aus einem schlechten Witzebuch«, sagt eine Passantin. »Völlig hirnverbrannt«, meint eine andere. Aber damit nicht genug: Die Brücke beschäftigt auch ganz konkret die, die sie auf ihre Standfestigkeit hin kontrollieren müssen. Denn auch das holzbohlenbefreite Brückengerippe wird selbstverständlich regelmäßig gewartet. Seit acht Jahren. Aus Betriebssicherheitsgründen. Dabei ist völlig unerheblich, dass der Betrieb längst nicht mehr möglich ist. Die Wartung erfolgt gemäß der Brücken-DIN-Norm 1076. »Eine sorgfältige Überwachung und Prüfung der Bauwerke durch sachkundige Personen ist unerlässlich«, heißt es darin. »Mit den Prüfungen ist ein sachkundiger Ingenieur zu beauftragen, der auch die statischen und konstruktiven Verhältnisse der Bauwerke beurteilen kann.«


Na da schau her: Die bodenlose Brücke zieht Schaulustige an. Das Bauwerk ist schließlich auch ein echtes Unikat.

Und wer könnte das besser als die Brückenexperten der Stadt Nürnberg? Sie kümmern sich rührig um ihr Bauwerk: »Es gibt sogenannte laufende Beobachtungen, es gibt die Sichtprüfung, auch in der DIN vorgeschrieben, und es gibt die Einfachprüfungen«, sagt Stefan Parbel vom SÖR, dem Servicebetrieb öffentlicher Raum Nürnberg.

Die Norm sieht alle sechs Jahre eine Hauptprüfung vor, alle drei Jahre eine einfache Prüfung und jedes Jahr eine Sichtprüfung. Hierzu klopfen Christoph Miller und sein Kollege beispielsweise mit einem Hammer an den Stahlpfeilern und auf den Betonteilen an den Treppenaufgängen herum, um zu prüfen, ob sich Teile lösen. Ist dies nicht der Fall, ist die Brücke weiterhin verkehrssicher.

Das Ganze kostet natürlich. Aber nur um die 15.000 Euro im Jahr. Und für dieses Geld bekommen die Nürnberger ja auch etwas. Denn: »Mittlerweile hat sich massiv Vegetation und auch schützenswerte Vegetation in dem Bereich ergeben«, erklärt Parbel.

Eben! Das Brückengerippe wuchert so richtig schön zu. Mit schützenswerter Vegetation.


Natur und Beton werden eins: Nach acht Jahren der Sperrung hat sich rund um die Brücke schützenswerte Vegetation entwickelt.

Und so gibt es noch eine Gruppe Menschen, die die Brücke beschäftigt: die, die sie rechtfertigen müssen. Und das ist bei Weitem die schwierigste Aufgabe. Wer will da noch von überflüssig, nutzlos und sinnlos sprechen? Höchstens die Fußgänger vielleicht, die ohnehin unter der Brücke hindurch statt über sie hinüber gehen. Ist ja auch viel praktischer, denn genau unter der Brücke befindet sich eine Fußgängerampel, die die Überquerung der Straße ganz einfach macht.


Dass die Brücke keinen Boden hat, ist eigentlich auch gar nicht so schlimm. Denn direkt darunter kommen Fußgänger und Radfahrer problemlos über die Straße, dank einer Ampel.

WAS IST DRAUS GEWORDEN?

Zum Zeitpunkt der extra 3-Berichterstattung und eine Weile darüber hinaus hielt die Stadt Nürnberg am Erhalt der Brücke fest. »Ein Brücken-Stahlgerüst ohne Belag ist sicherlich ungewöhnlich«, schrieb die Stadt in einer Stellungnahme, »aber aufgrund der alternativen Querungsmöglichkeit durch die Ampelkreuzung im Moment eine Lösung, die die Kosten am besten im Auge behält.« Erhalt vor Abriss – für die Stadt eine Kostenfrage. Und eine der Praktikabilität. »Weder aus Gründen der Verkehrsführung noch aus Gründen der Gefahrenabwehr gibt es derzeit einen Handlungsdruck.« Gleichzeitig hieß es aber: »Nichtdestotrotz wird SÖR in diesem Jahr eine Zukunftslösung für die Brücke erarbeiten.« Die Zukunftslösung für die Brücke sah dann so aus, dass sie keine hat. Also keine Zukunft. Im August 2016 wurde Nürnbergs bodenlose Brücke tatsächlich abgerissen. Die Kosten dafür beliefen sich nach Angaben der Stadt auf 140.000 Euro, berichtet der Bayerische Rundfunk. Für diese Summe hätte man die einmalige Brückenkonstruktion fast noch zehn Jahre unterhalten und pflegen können! Doch das wäre den Steuerzahlern gegenüber eine bodenlose Unverschämtheit gewesen.

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