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Empathie und der Gender Care Gap

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Das erschwerte Vorankommen von Mädchen und Frauen im technisch-naturwissenschaftlichen Umfeld ist einer der Gründe, die zum ›Gender Pay Gap‹ führen, der Tatsache also, dass Männer im Schnitt 22 Prozent mehr verdienen als Frauen14. Während das Thema der unterschiedlichen Entlohnung von Männern und Frauen alljährlich am ›Equal Pay Day‹ von Politik und Medien aufgegriffen wird, ist der ›Gender Care Gap‹* noch kaum im öffentlichen Bewusstsein angekommen, obwohl er mindestens ebenso starke Verwerfungen in der Gesellschaft bewirkt und Hauptursache ist für den PayGap: Über 80 Prozent der Care-Arbeit, also der Sorgearbeit in unserer Gesellschaft, werden von Frauen geleistet15, nämlich Erziehung und Betreuung der Kinder, Pflege von Alten und Kranken, von Menschen mit Behinderung, alle Kümmerarbeit im weitesten Sinn.

Auch hier spielt die Stereotypbedrohung eine große Rolle und macht es den wenigen Männern in diesem Bereich unnötig schwer. Das nur selten hinterfragte Klischee dahinter lautet, Männer seien weniger empathisch als Frauen. Eine Alltagstheorie, die Harald Martenstein in seinem umstrittenen Zeit-Artikel »Schlecht, schlechter, Geschlecht« mit einer längst widerlegten Studie zu untermauern versuchte: »Wenn auf Fotos Gesichter zu sehen sind, traurige oder fröhliche, dann entschlüsseln Männer die Emotionen der abgebildeten Personen im Durchschnitt schlechter.«16 Er vergisst zu erwähnen, dass nach neueren Erkenntnissen in dieser wie in allen anderen Studien das Setting mit über die Aussage entscheidet: Genderbezogene Informationen können das Ergebnis eines solchen Tests beeinflussen. Je offensichtlicher es nämlich für die Proband*innen ist, dass ein Test mit Empathie zu tun hat, umso größer wird der Vorsprung der Frauen. Deshalb tragen auch Tests wenig zur Aufklärung bei, in denen Teilnehmende ihre Empathiefähigkeit selbst einschätzen sollen, etwa mit Feststellungen wie: »Ich kann gut erkennen, wann jemand ein Gespräch anfangen will.« Sie sind ebenso nichtssagend wie subjektive Einschätzungen über mathematische Kompetenzen: »Ich beherrsche die Regeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung.« Deshalb käme wohl auch niemand auf die Idee, sie auf diesem Wege abzufragen. Tatsächlich hat sich gezeigt, dass »Selbstbeobachtungsdaten zur sozialen Sensitivität«17 praktisch untauglich sind, wenn es darum geht, gute oder schlechte Menschenkenner zu identifizieren. Trotzdem baut der britische Psychologe Simon Baron-Cohen auf Fragebogen-Tests dieser Art seine Thesen vom höheren Empathiequotienten des weiblichen Gehirns auf, um dann selbst zu dem Schluss zu gelangen, dass nicht einmal 50 Prozent der Frauen ein »weibliches Gehirn« hätten18. Er belegt damit vor allem eines: dass nämlich Frauen und Männer sich vor allem darin unterscheiden, wie empathisch sie anderen und sich selbst gegenüber erscheinen wollen. Über ihre tatsächliche Empathiefähigkeit ist damit noch nichts gesagt.

Tatsächlich verschwindet die viel beschriebene männliche Gefühlslosigkeit, sobald Empathie als lohnendes Ziel erscheint. Wenn im Vorfeld eines Tests das besondere weibliche Einfühlungsvermögen betont wurde, schnitten die Männer tatsächlich schlechter ab. Schien das Geschlecht aber keine Rolle zu spielen und wurde stattdessen für jede richtige Antwort eine Bezahlung in Aussicht gestellt, wie in einem Experiment der University of Oregon19, dann war dieser Unterschied plötzlich nicht mehr festzustellen. Wenn es sich lohnt, empathisch zu sein, sind Männer also sehr wohl dazu in der Lage. Im Alltag dagegen scheint sich Empathie für Männer nicht auszuzahlen. Dafür gibt es kein ironiefreies Schulterklopfen, keine ideelle Anerkennung, stattdessen ernten Erzieher aufgrund ihrer Berufswahl und Lebenshaltung diskriminierende Kommentare, und selbst Autori*nnen von Büchern und Artikeln über den »neuen Mann« sprechen über Luschen und Waschlappen und fordern mehr Coolness, Geld und Statussymbole20. Auch für die Mehrheit der Männer kommt also im Alltag wie auch in Empathietests die Stereotypbedrohung zum Tragen, und trotzdem gibt es nach wie vor Forscher*innen, die im Gehirn oder im Hormonhaushalt der Menschen nach Ursachen für diesen angeblichen Empathieunterschied suchen. Und von »weiblicher Intuition« sprechen wir weiterhin, als sei sie angeboren. Die Neuropsychiaterin Louann Brizendine ist sogar überzeugt, dass Frauen sich quasi von Geburt an in andere hineinversetzen, mitfühlen, wenn nicht sogar Gedanken lesen können, wie sie in ihrem Buch »Das weibliche Gehirn« schreibt: »Zu vermuten, was ein anderer Mensch denkt oder fühlt, bedeutet im Wesentlichen, Gedanken zu lesen. Und letztlich ist das weibliche Gehirn talentiert darin, Gedanken, Überzeugungen und Absichten anderer aufgrund von kleinsten Hinweisen schnell einschätzen zu können.«21

Die weitere Argumentation wird damit zum Selbstläufer: Wenn Frauen empathiefähiger sind, ihnen der einfühlsame Umgang mit Kindern also quasi angeboren ist, dann versteht es sich von selbst, dass es ihnen leichter fallen muss, im Job kürzerzutreten und sich mehr als ihre Männer um die Kinder zu kümmern. Und im Spiel von Mädchen finden wir dann oft eine ziemlich exakte Rollenbeschreibung ihrer Mütter wieder, sie kochen und pflegen, sie trösten und backen, sie kommunizieren und machen sich hübsch. Jungen dagegen spielen nicht ›Vater sein‹, sie spielen auch nicht ›Vater bei der Arbeit‹, sie spielen Autorennen, oder Aliens oder Neandertal. Viele Frauen amüsierten sich darüber, seien nachsichtig und inkonsequent, beobachtet Melitta Walter, die viele Jahre den Alltag in Kitas begleitete und Erzieher*innen beriet. In ihrem Aufsatz »Geschlechtergerechte Erziehung ohne reale Frauen- und Männervorbilder?« schreibt sie weiter: »Erwachsene unterstützen dieses auftrumpfende Verhalten, denn was ein richtiger Mann werden soll, der muss die Rolle des ›starken‹ Geschlechts schließlich ausprobieren können.«22 Unreflektiert würden Jungen so in klassischen Rollenmustern unterstützt.

Mitgefühl, sich in andere hineinversetzen und sich selbst in Worten und Emotionen ausdrücken zu können, wird Jungen dagegen selten nahegelegt. Der Soziologe und Familientherapeut Paul Suer fordert deshalb, dass wir unser Bild davon, wie Jungen zu sein haben, korrigieren. Ein neues, sozusagen ›menschliches‹ Jungenbild könne so aussehen: »Jungen, die weinen, sind authentisch. Sie leben ihre Gefühle und sind mit sich im Einklang. Jungen, die ihre weichen Seiten zeigen und leben, sind liebenswert. Sie finden leichter Freund*innen und werden besser verstanden. Jungen, die ihren Körper achten, gehen sorgfältig mit ihm um und schützen ihn vor Überlastung.«23

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