Читать книгу Die Rosa-Hellblau-Falle - Almut Schnerring - Страница 17
»Familienarbeit«
ОглавлениеMit guter Ausbildung und fester Arbeitsstelle, ohne Kinder, aber mit einem engen Freund*innenkreis und Wohnung in der (Groß-)Stadt hat Frau oder Mann relativ gute Chancen, vom Thema Gleichberechtigung lange Zeit unberührt zu bleiben. Da stellt sich leicht der Eindruck ein, dass so langsam wirklich genug gesagt und geschrieben worden ist dazu. Weil Frauen ja nun gleichgestellt seien, wird an manchen Stellen gar das Ende der Geschlechterdebatte ausgerufen, die viel beschworene Gläserne Decke sei in Wirklichkeit ein Scherbenhaufen1. Viele Frauen unter dreißig, die Abitur haben, gehen ganz selbstverständlich davon aus, »dass sie mit einer guten Ausbildung beruflich erfolgreich sein werden, Karriere machen und, wenn ein Kind kommt, sich Haushalt, Erziehung und Beruf mit ihrem Partner gerecht teilen«2. Zu diesem Schluss kommt eine im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend durchgeführte Untersuchung über »20-jährige Frauen und Männer heute«: Für die Mehrheit der in den 1980ern Geborenen sind Fragen der Gleichstellung abstrakt, denn die wenigsten haben Situationen erlebt, in denen sie eine Gleichbehandlung durchsetzen mussten; unfaire Entscheidungen hatten andere Ursachen, am Geschlecht lag es sicher nicht. Doch sobald zwei zusammenziehen und entscheiden, Kinder zu bekommen, ziehen täglich die neuen-alten Fragen mit ein, die längst geklärt schienen, die Polarität ist ungebrochen.
Zwar stimmen Frauen und Männer laut der »Vorwerk-Familienstudie 2012« mehrheitlich der Idealforderung zu, dass beide sich die Familienarbeit gleichberechtigt teilen, doch die Theorie kommt im Alltag nicht wirklich an. Der Anteil der Väter, die sich voll oder zur Hälfte in Haushaltsarbeit und Kindererziehung einbringen, sei in den vergangenen Jahren nicht gestiegen, auch wenn der Studie zufolge in der Bevölkerung der Eindruck überwiegt, Väter würden sich heute stärker an der Erziehung und Betreuung ihrer Kinder beteiligen als noch vor fünf oder zehn Jahren: »76 Prozent der Mütter machen nach eigener Aussage ›alles‹ oder ›das meiste‹ selbst, und 68 Prozent der Väter bestätigen dies, indem sie ihren eigenen Beitrag zur Familienarbeit mit dem ›kleineren Teil‹ (61 Prozent) oder ›kaum etwas, gar nichts‹ (7 Prozent) umschreiben«3, so das Ergebnis. Und auch die Untersuchungen der Bamberger Soziologen Florian Schulz und Hans-Peter Blossfeld bestätigen, dass es im Laufe der meisten Paarbeziehungen oder Ehen zu einer Verschiebung der Arbeitsteilung in Richtung traditioneller Strukturen komme4.
Doch wenn beide gleichermaßen arbeiten und verdienen, so sollte man meinen, sorgen Paare für eine faire Verteilung der Aufgaben rund um Waschen, Kochen, Putzen, je nachdem, wie viel Zeit der*m Einzelnen bleibt. Und tatsächlich nimmt der Frauenanteil an der Hausarbeit mit steigendem Gehalt ab, allerdings nur, solange sie weniger verdient als er.5 Sobald sich das Verhältnis nämlich umkehrt und sie mehr verdient als er, gleichen Paare diese seltene Rollenverteilung durch besonders traditionelle Zuständigkeiten im Haushalt wieder aus: Je mehr sie verdient, desto größer wird dann auch ihr Anteil an der Hausarbeit, schreiben Michael Bittman und Kolleg*innen im »American Journal of Sociology«6. Diese eigenartige Entwicklung gehe so weit, dass Frauen sogar dann den Hauptanteil übernehmen, wenn er gar nicht arbeitet.
Die große Mehrheit der Männer ist der Meinung, einen guten Vater zeichne aus, »so viel Zeit wie möglich mit seinen Kindern zu verbringen«7, ergab eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Zeitschrift Eltern. Und obwohl die Hälfte der befragten Männer angab, in ihrem Betrieb wäre Teilzeit problemlos möglich, nutzen doch nur fünf Prozent der Väter diese Möglichkeiten. Sind also die ungünstigen Verhältnisse schuld, dass Wunsch und Wirklichkeit so weit auseinanderiegen? Hindern Unternehmen, Finanzen und drohender Karriereknick die Männer daran, gute Väter zu sein? Immerhin entscheidet sich ein Viertel der Väter dafür, Elternzeit zu nehmen, doch leider bleibt es oft beim Pflichtprogramm von zwei Monaten, die es braucht, damit das Paar die vollen 14 Monate Elterngeld ausschöpfen kann, wie die Zahlen des Statistischen Bundesamts von 2013 belegen8. Halbe-halbe gibt es selten, und Väter, die den größeren Teil übernehmen, bleiben als Minderheit unter sich. Deshalb sind Berichte und Bücher interessant, in denen Männer vom Experiment Vollzeit-Vatersein berichten. Doch der Tonfall der Texte macht den grundsätzlichen Unterschied schnell deutlich: Sie »finden sich im Gegensatz zu den meisten vermeintlich sorgenvoll verkrampften Müttern so erfrischend locker«, wundert sich der alleinerziehende Vater Jochen König. In seinem Buch »Fritzi und ich. Von der Angst eines Vaters, keine gute Mutter zu sein« erzählt er: »Sie finden es pädagogisch furchtbar revolutionär, sich mit ihrem Kind eine Essensschlacht zu liefern oder es ohne Zähneputzen ins Bett zu bringen. Keinen Moment besteht ein Zweifel, dass es sich um einen vorübergehenden Rollentausch handelt, ein Experiment, das lediglich der Arbeitsmarkt- beziehungsweise der Kindergartenplatzsituation geschuldet ist, und dem die Autoren am Ende natürlich trotzdem (sobald der Spuk vorbei ist) etwas Positives abgewinnen können.«9
Dabei wollen wir unsere Kinder doch gleichberechtigt erziehen. Gleichberechtigt nicht nur in Bezug auf das Kind, das, egal welchen Geschlechts, dieselben Möglichkeiten und Förderungen erfahren soll, sondern ebenso in Bezug auf die Eltern, auf Mütter und Väter, die sich mit den gleichen Rechten und Pflichten in die Erziehung der Kinder einbringen. Doch schon Schwangere sehen sich mit einem starken Rollenvorbild konfrontiert, einer Übermutterrolle, der sie in irgendeiner Weise gerecht werden müssen und wollen. Während Schwangerschaft und Stillzeit wird ihnen ihr Frausein täglich auf einer sehr direkten, körperlichen Art bewusst (gemacht), was dazu führt, dass all die positiven wie negativen Stereotype ständig präsent sind. Das macht es nicht gerade einfach, eine individuelle Haltung zu Kind und Mutterschaft zu entwickeln. Und auch die Väter leiden unter der Stereotypbedrohung. Da es ein selbstverständliches, positives Vater-Vorbild noch gar nicht gibt, müssen Väter ständig unter Beweis stellen, dass auch sie eine gute Mutter sein können. Und der Vorwurf, dass sie das nicht so gut können, nicht gut genug jedenfalls, der kommt fein verpackt als Lob daher. Väter werden für die alltäglichste Kleinigkeit gelobt, die für Mütter – und für jeden beteiligten Vater auch! – einfach selbstverständlich sind: »Respekt, Sie sind das ganze Wochenende allein mit den Kindern? Sagen Sie aber ruhig Bescheid, wenn Sie Hilfe brauchen.«
Die Rosa-Hellblau-Falle steht also schon bereit, noch bevor ein Kind überhaupt geboren ist. In der Schwangerschaft folgt dann auf die erste harmlose Frage »Wann ist es denn so weit?« gleich die häufigste: »Was wird es denn?« Und noch bevor das Kind auf der Welt ist, erfahren werdende Eltern, dass Mädchen der Mutter die Schönheit rauben und viele Tritte oder ein spitzer Bauch auf einen Jungen hinweisen. Auch wer nichts gibt auf die alten Weisheiten, hat selbst dennoch Vorlieben: Laut einer Gießener Studie wünschen sich Männer beim ersten Kind eher einen Sohn, Frauen eher eine Tochter. Die Forscher begründen das damit, dass es wohl leichter fällt, sich mit dem eigenen Geschlecht zu identifizieren.10 Und hat man dabei nicht vielleicht schon eine Vorstellung im Kopf, was man mit Mädchen besser spielen, was man mit Jungen besser unternehmen könnte? Wohl deshalb wollen über 80 Prozent der Eltern vor der Geburt wissen, ob sie einen Jungen oder ein Mädchen erwarten, so das Ergebnis einer Umfrage der Zeitschrift Eltern11. Doch wenn sich die werdenden Eltern das Geschlecht des Fötus bei der Ultraschalluntersuchung sagen lassen, verändert sich mit dem Wissen bereits die Erwartungshaltung an das Ungeborene, erklärt Mechthild Neises, Leiterin der Abteilung Psychosomatische Gynäkologie und Geburtshilfe an der Medizinischen Hochschule Hannover: »Es ist nicht unüblich, bereits Babys im Bauch bestimmte Charaktereigenschaften zuzuschreiben. Das eine Kind wird als lebhaft, das andere als eigenwillig oder still wahrgenommen. Wenn ich jetzt das Geschlecht des Babys kenne, werden diese Charaktereigenschaften konkretisiert, und zwar meist nach den gängigen Rollenklischees. Auch die Stimmlage, mit der mit dem Baby im Bauch gesprochen wird, orientiert sich daran, ob es eine ›sie‹, ein ›er‹ oder eben noch ein ›es‹ ist.«12 Ähnlich argumentiert Wassilios Fthenakis, Professor für Entwicklungspsychologie und Anthropologie an der Freien Universität Bozen, im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Die geschlechtstypische Behandlung beginne schon vor der Geburt: »Die Eltern erfahren das Geschlecht des Kindes und beginnen, die Bewegungen des Fötus geschlechtsangemessen zu interpretieren. Sie sagen etwa: ›Das ist aber ein lebendiger Junge‹, wenn der Fötus viel strampelt. Oder: ›Das ist ein braves Mädchen‹, wenn der Fötus ruhig ist. Sie entwerfen bereits ein sozial verankertes, geschlechtsstereotypes Modell. Wenn das Kind zur Welt kommt, setzt sich das auf der Handlungsebene fort.«13
»Wie süüüß!«, sagen oder fühlen Menschen, wenn ein Säugling oder Kleinkind unter den Decken eines Kinderwagens strampelt und lustige Laute ausprobiert. Und das ist auch gut so. Denn wer klein und niedlich ist, bekommt automatisch Schutz. Das Kindchenschema funktioniert zum Glück auch ohne Rosa. Deshalb gibt es nicht wirklich Anlass, es bei Mädchen durch Rüschenkleidchen und Blümchen zu verstärken. Warum soll die eine Hälfte noch süßer und niedlicher sein als die andere? Brauchen Mädchen etwa mehr Schutz und Zuwendung als niedliche, stupsnasige Jungs? Offenbar sind viele Eltern und Großeltern dieser Ansicht. Deshalb werden weibliche Säuglinge auch prompt fester angefasst und mit tieferer Stimme angesprochen, kaum dass sie hellblaue Kleidung tragen und für einen Jungen gehalten werden. Und andersherum gehen die Stimmen bei einem Jungen, der in Rosa gekleidet wird, nach oben. Weint ein Junge, nehmen Erwachsene an, dass er wütend ist, bei einem Mädchen vermuten sie dagegen eher Angst. Es sind die sogenannten ›Baby-X-Studien‹14, die belegen, wie anders Erwachsene auf ein Baby reagieren, abhängig davon, ob sie es für einen Jungen oder für ein Mädchen halten. Der Begriff geht zurück auf zwei Studien der Psychologin Phyllis A. Katz, die die unterschiedliche Spielzeugwahl (Puppe, Ball oder Ring) Erwachsener beobachtete, wenn ihnen ein Baby in gelbem Strampelanzug als Mary beziehungsweise als Johnny vorgestellt wurde. Ein und dasselbe Verhalten wird also unterschiedlich gewertet, weil wir das, was wir sehen, abgleichen mit dem, was wir als typisch Mädchen beziehungsweise typisch Junge tief im Unterbewusstsein gespeichert haben. In einem Experiment, das die motorischen Fähigkeiten von Krabbelkindern untersuchte, zeigte sich, dass Eltern dazu neigen, Jungen zu überschätzen, Mädchen dagegen zu unterschätzen, obwohl objektiv keine Unterschiede in den Fähigkeiten der Jungen und Mädchen vorhanden waren15.
Sitzt unser angebliches Wissen über Jungen und Mädchen nicht zu tief, können wir in solchen Situationen überhaupt aus unserer Haut? Wir haben nicht darauf geachtet, ob wir mit unseren Töchtern mehr gesprochen haben als mit unserem Sohn. Ob wir mit ihr einen körperlicheren Umgang gepflegt und ihm schon im Krabbelalter einen größeren Bewegungsradius zugestanden haben. Aber im Nachhinein irritiert uns schon, dass unsere älteste Tochter Mika nie gekrabbelt ist und sich dafür ausgiebig und feinstmotorisch auf ihrer Decke sitzend mit Kleinzeug beschäftigt hat. Sie hat unsere CD- und Bücherregale ausgeräumt, Schubladen und Fächer in der Küche neu sortiert, alles ohne Krabbeln. Kleiner Bewegungsradius, typisch Mädchen? Oder typisch für Eltern in der Genderfalle? Oder gar Familienerbe über die Geschlechtergrenzen hinweg, denn meiner Mutter fiel gleich wieder ein, dass ich ja auch nicht gekrabbelt sei. Als Mika laufen konnte, sind wir dann zwar über Stock und Stein durch die Bäche und Schluchten unserer Umgebung gewandert, ob das aber als Ausgleich ausreicht? Immerhin waren wir davon überzeugt, dass, was auch immer unsere Kinder von sich aus mitbringen mögen, sich Charakter, Interessen und Eigenschaften erst im täglichen Miteinander entwickeln, dass wir und unsere Kinder nicht determiniert sind, sondern uns immer weiter entwickeln können. Eltern verstärken nämlich vor allem dann das geschlechtstypische Verhalten ihrer Kinder, wenn sie davon ausgehen, es sei angeboren, erklärt Tim Rohrmann, Leiter des Instituts für Pädagogik und Psychologie und Experte auf dem Gebiet der geschlechterbewussten Pädagogik.16