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Wachsendes Netzwerk, Vereinsgründung und Projekte der Rosa-Hellblau-Falle®

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Unsere Kinder sind inzwischen alle drei in weiterführenden Schulen und haben natürlich durch viele Gespräche über Rollenklischees und Alltagssexismus herausgefunden, mit welchen rosa-hellblauen Sprüchen sie uns auf die Palme bringen können. Sie sind es aber auch, die uns mit kuriosen Anekdoten aus ihrem Umfeld, aus Schulunterricht, TikTok und Insta-Feed versorgen, die wir dann in unseren Workshops und Vorträgen in Kitas, Schulen, Unis und Firmen weitererzählen dürfen. Unsere Geschichten-Sammlung wächst vor allem, weil uns jede Woche Emails, Tweets und Direktnachrichten mit dem Hashtag #RosaHellblauFalle erreichen, gesendet von Gleichgesinnten, die von absurden Momenten und unfassbaren Dialogen erzählen. Immer wieder ist etwas dabei, bei dem wir denken, das sei nun wirklich nicht mehr zu toppen. Bisher haben wir uns leider jedes Mal getäuscht.

Wichtig ist uns, dem Missverständnis vorzubeugen, es ginge uns um irgendeine Schuldfrage. Wir wollen niemanden vorführen oder von oben herab erklären, was falsch und was richtig sei. Wir stecken doch selbst mit drin in der Falle! Wir sind mit denselben binären Erwartungen aufgewachsen und haben sie verinnerlicht. Aber nur im Austausch mit unseren Kindern, im Gespräch mit anderen können diese Prägungen bewusst werden. Und dafür braucht es auch diese lustigen, erschütternden, rührenden Geschichten. Wir wollen also in erster Linie informieren und sensibilisieren. Denn Vorurteile zu haben, ist nicht so schlimm wie zu glauben, man hätte keine! Wer das von sich meint, verbreitet sie munter weiter und merkt es nicht einmal. Jedenfalls haben wir uns lange sehr zurückgehalten mit Negativbeispielen aus dem Alltag anderer. Was zur Folge hatte, dass unser persönliches Erleben oft als Ausnahme herabgespielt wurde: »Also bei uns ist das kein Problem«, gehört zu den Antworten, die wir irgendwann, als es uns dann doch zu bunt wurde, ins »Bullshitbingo der Rosa-Hellblau-Falle« mit aufgenommen haben.


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Und dann gratulieren wir! Denn es ist wirklich eine Freude, wenn jemand durchs Leben gehen kann, ohne jemals in eine Klischeeschublade gesteckt und dadurch eingeschränkt zu werden. Aber auch in deren Umfeld wird es Menschen geben, Kinder, die anderes zu berichten haben.

Der Austausch über all diese Themen hat nicht nur uns gefehlt, sondern wir durften erfahren, dass es Vielen ähnlich geht. So konnte ein Rosa-Hellblau-Falle®-Netzwerk zusammenwachsen, aus dem heraus inzwischen mehrere Projekte entstanden sind. 2018 haben wir den gemeinnützigen Verein klische*esc e.V. gegründet (klischeesc.de). Er verantwortet verschiedenen Projekte, wie zum Beispiel den »Goldenen Zaunpfahl«, Preis für absurdes Gendermarketing (goldener-zaunpfahl.de); das Freispiel-Abzeichen (freispiel-abzeichen.de), das Positivbeispiele hervorhebt, nämlich Unternehmen, die sich öffentlich und explizit gegen Gendermarketing positionieren; oder den klische*esc-Medienkoffer mit Fachliteratur und Bilderbüchern für Fachkräfte in Kindertagesstätten, die sich mit der Rosa-Hellblau-Falle® im Kita-Alltag und genderreflektierter Pädagogik befassen wollen. 2016 haben wir die »Initiative Equal Care Day« gegründet, ein Aktionstag und ein Netzwerk, in dem sich Menschen aus den unterschiedlichsten Care-Bereichen für mehr Wertschätzung, Sichtbarkeit und eine faire Verteilung der Sorgearbeit einsetzen und auf den Gender Care Gap und seine individuellen wie gesellschaftlichen Folgen hinweisen.

Es erleichtert ungemein zu lesen und zu hören, dass es vielen ganz ähnlich geht wie uns. Dass wir nicht alleine sind mit unserer Kritik an einem geschlechtergetrennten Angebot, das Mädchen mit einer rosa Puppenausrüstung und Putzwägelchen versorgen möchte und Jungs in die Abenteuer-Technik-Coolness-Ecke schiebt, die sich natürlich niemals pinke Knete, Feen-Müsli oder Glitzer Stifte wünschen könnten. »Sei alles, bloß kein Mädchen!« ist die Botschaft an Jungen, die immer lauter wird, anstatt als peinlicher Spruch ignoriert zu werden. »Du Mädchen« gilt nach wie vor als Schimpfwort und taucht inzwischen sogar im Bußgeldkatalog auf, macht € 200,-, wenn man es zu einem Polizisten sagt.


Ja, wir waren naiv, als wir glaubten, Chips für den Mädelsabend und Männersalz seien kurzlebige Aktionen, denn sie werden inzwischen wöchentlich abgelöst von noch absurderen Werbeideen: Ein Globus in zwei Versionen – in der Variante für Mädchen sind sogar die Ozeane pink und es schwimmt eine Meerjungfrau darin herum. Gegenderte Globuli, die Bibel für Frauen mit Blümchen, die Bibel für Männer mit Metall-Einband, Männermarzipan, Mädchen-Burger, Wasser für Ihn, Seife mit Mutti-Siegel, Tierbuggys und Fressnäpfe farbsortiert, denn für immer mehr Tierhalter*innen entscheidet nicht die persönliche Vorliebe sondern das Geschlecht von Hund, Katze, Fisch über die Farbwahl der Accessoires.

Das alles konnten wir nicht vorhersehen, weil uns die Tragweite des Begriffs »Zielgruppe« noch nicht erreicht hatte. Jedes Ding braucht seine Bestimmung, bevor es angeboten werden kann. Eine Schneeschippe für Menschen in Schneegebieten anzubieten, wäre zu schlicht gedacht. Es braucht natürlich auch eine pinke Schneeschippe, und diese nicht etwa für Menschen, die Pink mögen, sondern für Frauen, die ja, wie alle Welt weiß, die pink-rosa-lila Palette bevorzugen und deshalb ab Tag Eins in die Wiege gelegt bekommen – dass die Kausalitätskette andersherum ablaufen könnte, wer will das schon hören? Es bleibt deshalb natürlich nicht aus, dass auch das Buch selbst, »Die Rosa-Hellblau-Falle« eine Kategorie braucht, in die es gepackt werden kann, ein Regalfach, in dem es im Buchhandel von seiner Zielgruppe gefunden wird. Und das sind nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, Menschen, die sich für Geschlechterstereotype und Rollenvorbilder im Alltag, für Feminismus oder für Normierung im Marketing interessieren, sondern zuallererst jene, die sich von der Abbildung von zwei niedlich guckenden Babys angesprochen fühlen sollen: Eltern. Und da es in mancher Buchhandlung kein Fach für »Elternratgeber« gibt, sondern stattdessen das Regal »Mutter und Kind«, steht unser Buch ironischerweise oft dort: Die Rosa-Hellblau-Falle wird also in die Rosa-Hellblau-Falle® gesteckt.


Wer aber zu Beginn noch meinte, bei der Rosa-Hellblau-Falle® handle es sich um ein Spezialthema für Eltern, spürt bald, dass es sich an allen Ecken und Enden im Alltag bemerkbar macht, auch ohne Kinder. Hat man nämlich einmal den Blick dafür geschärft, wird klar, dass es sich bei der Reproduktion enger Rollenbilder um ein strukturelles Problem handelt, das an vielen Stellen institutionell verstärkt und zementiert wird. Es ist nur leichter zu erkennen, wenn man Großeltern hat, die dem Enkelsohn keinen Puppenwagen schenken wollen, wenn man ein Umfeld hat, das irritiert ist, wenn er länger in Elternzeit geht als sie und im Beruf zurücksteckt. Man kann ihm nicht so leicht ausweichen, wenn die mathebegabte Tochter aus der Berufsberatung die Empfehlung »Was mit Sprachen« mitbringt. Aber auch ohne den Blick auf Kinder wird klar, dass Interessen und Verhaltensweisen nach Geschlecht sortiert werden, auch wenn die meisten Personaler*innen überzeugt sind, »Also wir achten ja nur auf Qualität, nicht auf Geschlecht«.

Der sogenannte ›Unconscious Bias‹, die unbewussten Vorannahmen kommen immer dann an die Oberfläche, wenn wir nur behaupten, keine Unterschiede zu machen zwischen den Geschlechtern, Menschen unterschiedlicher Religion, Alter und Herkunft, aber die Auseinandersetzung scheuen mit den eigenen Prägungen … und auch den Vorteilen, die einzelne aus diesen Verhältnissen ziehen. Doch wenn sich das wirklich ändern soll und wir es ernst meinen mit dem Wunsch, dass die Fünfjährigen von heute in 20 Jahren nicht dieselben Vorträge halten und dieselben Bücher über Prinzessinnenjungs4 und das Mädchen für Alles5, über Unsichtbare Frauen6, Männlichkeit7 und die Mental Load Falle8, über Equal Care9 und Rosa-Hellblau-Falle® schreiben müssen, dann bleibt uns nichts anderes übrig als unsere eigenen Sozialisation zu reflektieren und anzuerkennen, dass sowohl Pay Gap als auch Care Gap und Alltagssexismus ihren Anfang im Kinderzimmer nehmen. Es hilft nur dann über die Lohnlücke zu diskutieren, wenn Jungen nicht weiterhin im Durchschnitt mehr Taschengeld und die teureren Geschenke bekommen als Mädchen. Es wird sich langfristig nichts ändern, wenn Mädchen zu Hause weiterhin mehr im Haushalt mithelfen müssen als ihre Brüder. Die #aufschrei-Debatte versandet, wenn wir nicht den Bezug herstellen zum Miteinander in Kitas und auf (Grund-)Schulhöfen, wo »Mädchen«, »schwul« und »Bitch« als Schimpfwörter durchgehen.


Wir kämpfen für mehr Gleichberechtigung und lassen zu, dass unsere Kinder zunehmend und immer stärker in zwei Schubladen gepresst werden, die außen schön rosa und hellblau sind und innen mit den Rollenklischees längst vergangener Zeiten ausgepolstert, damit das Erwachsenwerden nicht so weh tut. Zeit also, die Kinderwelt mit in den Blick zu nehmen bei der nächsten Sitzung oder Konferenz, bei der Zukunftsplanung, damit es nicht noch hundert Jahre dauert bis zu Gleichberechtigung und Wahlfreiheit.

Mit vielen Grüßen von

Almut Schnerring und Sascha Verlan

Insta: @RosaHellblauFalle

Twitter: @AlmutSchnerring + @SaschaVerlan

Seite: wu2k.de

Blog: rosa-hellblau-falle.de

Die Rosa-Hellblau-Falle

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