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Kapitel 6: Die Natur

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Je eine unterirdische Monorail verband das Hotelgebäude mit den fünf Teilen der Insel. Vom Wohnbereich gelangte Kendra nach ein paar Stationen im Personalteil zur Hauptstation im dritten Untergeschoss des Hotels. Dort stieg sie in die Monorail um, die zur ‚Natur’ fuhr. Die unterirdischen Monorailstationen waren modern und nüchtern. Aufzüge brachten die Fahrgäste an die Oberfläche der Stationen, die je nach Inselzone verschieden gestaltet waren. Der oberirdische Teil der Stationen im Abschnitt ‚Natur’ war eine kleine Holzhütten und passte somit perfekt in die Landschaft. Es gab mehrere Stationen, da die verschiedenen Attraktionen relativ weit voneinander entfernt waren.


So gab es eine Station beim Reitstall, eine im Seengebiet mit den am Seeufer verteilten Blockhütten, eine direkt am Strand beim Wassersportzentrum und eine weitere beim mysteriösen Eissee.

Mitten im Wald war eine Station in der Nähe des Zoos, der eigentlich mehr eine Tierpflegestation war.


Die meisten Tiere lebten frei im Wald. Bei der Station ‚Zoo’ stieg Kendra aus. Sie atmete tief die frische Luft ein und nahm den wohltuenden Waldgeruch war. Sie ging über eine Lichtung an deren Rand sie das Elchgehege schon von Weitem sehen konnte. Vier Elchkühe waren dort mit ihren Kälbern zum Schutz untergebracht. Gleich daneben war ein eingezäuntes Areal mit mehreren Rentieren, von denen einige kleinere Verletzungen hatten. Deshalb wurden sie hier vorübergehend gepflegt.

Kendra liebte ihr Leben auf Inaara, obwohl die vielen Geheimnisse der Insel eine wahre Qual für sie waren, weil sie extrem neugierig war. Es ärgerte sie, dass sie keine Antworten auf die Phänomene der Insel fand. Oft hatten sie und Kimi mögliche Erklärungen diskutiert. Mittlerweile kamen ihnen aber die mysteriösen Gegebenheiten schon ganz normal vor. Kendra hielt kurz an der Koppel mit den prachtvollen Isländerpferden und beobachtete wie ein Teil der Herde zum Bach galoppierte. Sie bewunderte diese herrlichen Tiere.


Ein übermütiges Fohlen wälzte sich genüsslich in der Wiese. Seine Mutter lag ganz in der Nähe in der Wiese und sah ihrem schwarzen Fohlen aufmerksam zu. Zwei weiße Pferde kratzen sich gegenseitig am Hals. Von einer kleinen Gruppe galoppierender Pferde war ein freudiges Wiehern zu hören. Als sich Kendra der Holzhütte näherte, die etwa 100 Meter von den Koppeln entfernt war, rief sie laut: „Kimi! Peachy!“ Da sie zwar Peachy in der Hütte hören konnte, aber von ihrem Freund keine Antwort erhielt, zückte sie ihr Handy – auf Inaara gab es auch ein eigenes Funknetz – und wählte Kimis Nummer.

„Hallo?“

„Hei! Wo bist du?“

„Bei den Bären. Und du?“

„Bei deinem Haus. Ich komm zu dir rüber. Ich muss dir was Unglaubliches erzählen.“

„Gut. Bis dann. Aber lass Peachy nicht raus!“

Die Unterbringungen der Raubtiere waren weitere 200 Meter vom Wohnhaus entfernt. Die meisten Tiere waren auch hier nur untergebracht, wenn es die Situation erforderte. Ein aggressiv gewordener Vielfraß musste nun in artgerechter Gefangenschaft leben. Eine Wölfin, die nicht genug Milch für ihre fünf Jungen hatte, wurde in einem eingezäunten Areal mit ihren Kindern versorgt. Ein erblindeter, alter Wolf hatte ein eigenes Gehege, das keine Verletzungsgefahr darstellte. Drei von Hand aufgezogene Luchse hatten die Scheu vor den Menschen verloren und bewohnten ein großes, eingezäuntes Gebiet.

Kimi war bei dem Braunbären, der letzte Woche mit einer verletzten Pfote gefunden wurde. Er hatte dem Patienten gerade sein Futter gebracht und beobachtete ihn wie er genüsslich seine Mahlzeit einnahm. Der Bär hatte schnell zu seinem vorübergehenden Betreuer Vertrauen gefasst. Kimi widmete fast seine ganze Zeit den Tieren. Mit Menschen konnte er weniger gut umgehen. Er hatte von den meisten Menschen eine schlechte Meinung und lebte sehr zurückgezogen. Deshalb fanden ihn viele etwas sonderbar. Kendra hatte sich unter anderem wegen seinem liebevollen Umgang mit Tieren in ihn verliebt. Sie bewunderte ihn für seine konsequente Hingabe, mit der er sich um seine Schützlinge kümmerte und beneidete ihn fast dafür, wie leicht er das Vertrauen von wilden Tieren gewinnen konnte. Kimi hatte eigentlich hellbraune Haare, die aber stets tiefschwarz gefärbt waren, und so seine hellblauen Augen noch mehr betonten. Als Kimi seine Freundin sah, lächelte er sie an und ging ihr entgegen.

„Hallo. Du hast am Telefon ziemlich aufgeregt gewirkt. Was ist passiert?“, fragte er sie und gab ihr einen Kuss.

„Frederick Saarinen wurde ermordet!“, platzte sie heraus. Sie musste mit ihm einfach darüber sprechen. Der verblüffte und sprachlose Kimi führte sie zu einer kleinen Holzbank vor dem Wolfsgehege. Sie setzten sich und Kendra berichtete ihm von den Ereignissen. Als sie das Wesentliche erzählt hatte, fragte sie Kimi: „Kennst du eigentlich Niklas Saarinen? Lisas Bruder? Sie glaubt, ihr seid befreundet?“

Einen kurzen Moment musste Kimi noch die vielen Informationen verarbeiten, dann antwortete er: „Ja, wir kennen uns von der Uni. Er hat Geologie studiert. Wir haben gelegentlich Kontakt per Email. Niki war auch schon hier auf der Insel, aber da warst du noch nicht hier. Ich glaube, er ist jetzt auf einer Expedition oder so.“

„Laut Lisa auf einem U-Boot.“ Kendra mochte Lisa nicht besonders. Sie fand die Nichte des Direktors und Tochter des wahrscheinlichen Hauptbesitzers arrogant. Kimi meinte, dass ihre kühle Art eher aus Unsicherheit resultierte und weniger Überheblichkeit war. Kendra fand die stets topgestylte Lisa dennoch unsympathisch.

„Ist Niklas seiner Schwester sehr ähnlich?“ Es kam ihr der Gedanke, dass ein Täter von außerhalb, eine Person, die sie nicht kannte, ein besserer Täter wäre als jemand aus ihrem Bekanntenkreis.

„Nein, er ist echt nett. Auch äußerlich sind sie einander eher unähnlich. Niki ist recht sportlich und groß.“

„A-ha. Hat er auch hier gearbeitet?“

„Nein, nur Urlaub gemacht. Er war meistens kiten oder snowboarden.“

„Weißt du auch was über den Vater von Lisa? Oder die Mutter?“

„Nein, kaum was. Komm gehen wir rein. Ich mache uns etwas zu essen.“ Kimi war ein guter Koch, der auch als strenger Veganer kreative und abwechslungsreiche Gerichte zaubern konnte. Kimi hatte Kendra zum Nachdenken über den Umgang mit Tieren in der Lebensmittelindustrie gebracht. Es hatte nicht viele Berichte oder Bilder gebraucht, um sie zur überzeugten Vegetarierin zu machen. Kendra sah einfach nicht mehr weg wie die meisten, sondern dachte darüber nach, wie das Stück Fleisch am Teller zuvor leben musste und dann den meist langen und qualvollen Weg zur Endstation ertragen und oft noch einen grausamen Tod erleiden musste. Schließlich verlor sie den Appetit auf Fleisch und alles, wofür ein Tier sterben musste. So konsequent wie Kimi, der auch Eier- und Milchprodukte ablehnte, war Kendra aber nicht. Schließlich waren Schokolade und Eis auch aus Milch. Die Sojavarianten waren kein adäquater Ersatz. Nach dem köstlichen Abendessen unternahm das Paar noch einen gemütlichen Spaziergang zum Eissee. Als der Himmel sich zu verdunkeln begann, wussten sie, dass es nicht mehr weit bis zum See war.


Im ganzen Abschnitt ‚Natur’ schien bis spät in die Nacht die wunderbare und zart wärmende Mitternachtssonne am Himmel, die gegen Mitternacht zwar hinter dem Horizont verschwand, aber dennoch die Landschaft in ein Dämmerlicht hüllte. Nur bei diesem einen See, der immer zugefroren war, war alles ein bisschen anders. Der Himmel war bis auf ein paar Stunden um die Mittagszeit immer dunkel und der See wurde künstlich beleuchtet. Häufig zeigten sich in der Dunkelheit wunderschöne Polarlichter, die egal wie oft man sie schon gesehen hatte, nichts an Faszination verloren. Der Eissee wurde von den Gästen zum Eislaufen oder Hockey spielen genützt oder für romantische Spaziergänge unter den Lichterscheinungen, die sich wie bunte Schleier im Wind in ungefähr 100 m Höhe bewegten. Kendra war von dem doch recht langen Spaziergang müde geworden und so fuhren sie mit der Monorail zurück. Diese Nacht blieb sie bei Kimi.

Tatort: Dimension, Inaara

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