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Torf – Erlebnisse – Wärme

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Sigrid erwachte.

Hahnenschrei und ihre innere Uhr weckten sie um fünf. Es war völlig hell. Die Sonne schien durch den Gardinenschlitz. Sie drehte sich vorsichtig im Bett um, um ihre große Schwester, Schwester genannt, nicht zu wecken, die mit tiefen Atemzügen schlief. Deshalb lag sie ganz still und lauschte den Geräuschen, die durch die dünnen Holzwände des Hauses drangen.

Die Hähne im Dorf krähten und antworten einander. Es hieß, dass sich die Hühner mit einem Hahn im Hühnerhof am wohlsten fühlten und mehr Eier legten. Sigrid war morgens immer gut aufgelegt, im Gegensatz zu Schwester, der es schwerfiel aufzuwachen. Sie war die Erste, die zu Bett ging, da sie abends müde war. Zu den sanften Klängen der Harmonika war sie in den Schlaf gefallen. Sie schlief in der Kammer, die zum Pfad und dem großen Stein hin lag. Sigrid liebte die Harmonika, das einzige Musikinstrument der Dorfbewohner.

Sie erinnerte sich an die Abmachung, am Morgen mit zum Torfstechen zu gehen und freute sich darauf, obwohl sie erst fünf Jahre alt war. Am 10. August wurde sie sechs.

Der flötende Morgengesang der Vögel war das schönste, das sie kannte. Die Aneinanderreihung schwirrender Töne des Brachvogels, die abwärtsgehenden tiefen Töne der Bekassine. Das klip-klip des tjaldur, des Austernfischers, erweckte Frühlings- und Sommergefühle im Herzen.

Die Dachbodentreppe knarrte. Es war Vater, der früh zum Bootshaus wollte, das in der Ostbucht lag. Er wollte das Boot teeren und es für den nächsten Fischfang bereitmachen. Das Netz musste ausgebessert und die Leinen repariert werden. Sie hörte ihn im Keller poltern, er suchte etwas, das er mitnehmen wollte. Sigrid stand auf und zog sich an.

Bevor sie die Haustür öffnete, um in den Keller zu gehen, hörte sie die pfeifenden Stare, die emsig am alten Nistkasten, der am Schuppen hing, zugange waren.

Sie ging hinaus und um das Haus herum. Dort glaubte sie, eine kleine Maus zwischen den Steinwällen huschen zu sehen. Doch es war keine, sondern der kleinste Vogel des Dorfes, graubraun mit Stupsschwanz: músabróður, der Zaunkönig. Er ließ seine eindringliche Stimme, ein kräftiges charakteristisches Trillern, erklingen. Sein kugelrundes Nest hatte er tief in den Steinen versteckt, so dass man nicht herankam. Ein anderer kleiner, gräulicher Vogel wohnte ebenfalls in den Steinmauern, gewöhnlich in einem Meter Höhe. Er bewegte sich ruckend und stieß kleine Warnrufe aus. Es war der steinstólpa, der Steinschmätzer, dessen Nest mit Jungen man eher finden konnte.

Weiter unten am Pfad sah Sigrid einen hübschen kleinen Vogel, weiß und grau, mit schwarzer Zeichnung und langem, wippendem Schwanz. Das war die Bachstelze, die im Färöischen den vornehmen, königlichen Namen Erla Kongsdóttir trägt.

Sigrid liebte Vögel, sie atmete die morgendliche Luft ein und ging in den Keller. Erst musste sie auf das nátthúskassi, das Plumpsklo, hinter dem Schornstein im Keller.

Sie grüßte Vater. Er sammelte Eier ein, denn Mutter sollte für jeden eins kochen, um es mit auf den Ausflug ins Tal zu nehmen.

Die Hühner waren bereits hinausgegangen, sie liefen frei herum und grasten. Durch das Gras bekam das Eigelb eine hübsche dunkelgelbe Farbe. Sie gab den Hühnern Körner und goss frisches Wasser in die Schale.

Sigrid mochte keine Eier und würde ihres einem der Brüder geben. Sie erinnerte sich, wie sie welche essen musste, bis sie sich schließlich übergab. Seitdem konnte sie keine gekochten Eier ausstehen, ein Gefühl, das sie nie loswurde.

Alle im Dorf genossen den Sommer, während sie gleichzeitig hart arbeiten mussten, um zu überleben. Es war Anfang Juni. Die vier ältesten Kinder hatten Schulferien bekommen, um beim Torfstechen zu helfen. Das Haus erwachte zum Leben, die Kinder zogen sich an, plauderten und lachten, freuten sich über die Schulferien. Sie genossen das freie und gemütliche Familienleben, wenn sie im Torf arbeiteten. Anna kümmerte sich um Proviant für den Trupp. Er bestand aus tjógv, getrocknetem Lammschenkel, einem Laib selbst gebackenem Schwarzbrot, Eiern, Margarine, Salz und zwei Trockenfischen. Anna hatte am Vortag einen Kardamomkuchen gebacken, damit es am Nachmittag etwas Leckeres gab.

Als Letzte stand die vierzehnjährige Schwester auf, die morgens immer so müde war.

Sie ging nie gerne in den Keller, um zu machen. Aus Gewohnheit machte sie ihren Stuhlgang im Nachttopf, der in der Kammer auf dem Bett stand. Ein kurzes, sehr dickes Stück. Es sah immer gleich aus.

„Sigrid, komm her und leer den Nachttopf aus.“ Sigrid gehorchte.

Ness schaute in den Topf und lachte schallend. „Jetzt wird geleert, jetzt wird die Tonne geleert.“

Anna hatte Borghild, die im August zwei wurde, die Windeln gewechselt und sie hübsch angezogen. Ihre Schwester Sára sollte heute auf Borghild aufpassen. Um zehn Uhr waren alle bereit. Henry, der älteste der Jungen, trug Borghild in seinem leypur1auf dem Rücken.

Unterwegs kamen sie an Sáras Haus vorbei, wo sie Borghild abgaben. Alle Kinder freuten sich, Tante Sára oder Sáragumma, wie sie sie nannten, zu sehen. Sára war immer so lustig, fröhlich und heiter, viel lustiger als Mutter. Stolz wie eine Henne mit ihren Küken, kam Anna mit ihrer Kinderschar aus Uppi við Garð, das in der nordwestlichsten Ecke lag, und lief die drei Kilometer quer durch das ganze Dorf, um zum Torftal Richtung Südosten zu gelangen. Sie hatte viele Kinder und hielt den Rücken gerade, wohl wissend, dass Augen hinter den Gardinen und Pelargonienblumentöpfen ihr und den Kindern folgten. Die Jungen trugen das Essen in kleineren leypar auf dem Rücken. Sie liefen fröhlich vorneweg. Ness war ernst und Aksel wuchs nie aus dem Spielalter heraus.

Sie machten einen rund sieben Kilometer langen Spaziergang. Sigrid hielt Mutter an der Hand. Beide gingen nicht so schnell wie die Jungen, da Mutter immer schwerfällig und langsam lief. Sie kamen an vielen Schafen mit Lämmern vorbei, die Sigrid zählte. Schwester redete wie eine Erwachsene mit Mutter, sie redeten über ihren Kopf hinweg. Sigrid lauschte mit offenen Ohren, still und wissbegierig, sie hatte ein angeborenes gutes Erinnerungsvermögen. Im Tal angekommen, hatten die Jungen, Henry, Ness und Aksel, bereits das Schafsfleisch und Brot hervorgeholt, denn sie hatten immer einen Bärenhunger. Das Essen gab ihnen die Energie, die sie für einen Tag wie diesen brauchten.

Im Tal, hinter dem Malinsfjall, besaß Jóanis ein großes Stück Land, das er von seinem Vater, dem Bauern Janus, bekommen hatte. Es war ihr eigener Torfboden. Unter den Grassoden gab es erstklassige, feine Torferde. Der Torf musste immer im Frühjahr – Mai, Juni – gestochen werden. Es war so schwer, dass nur die Männer genug Kraft zum Torfstechen hatten. Sie waren vor einigen Tagen hier gewesen und hatten die Torfstücke in große Stapel gelegt, damit etwas von der Feuchtigkeit herausziehen konnte. Henry durfte dieses Jahr bei den Männern sein. Er war mit zwölf Jahren alt genug zum Torfstechen, und er fühlte sich erwachsen.

Erst wurde die oberste Grasschicht mit einem speziellen Spaten abgeschält. Danach wurde die nächste Schicht, die Torfschicht, vorsichtig mit dem Spaten in viereckige Torfstücke geteilt. Das Torfmoos war feucht und weich. Heute war es also die Aufgabe von Jóanis’ Familie, den Torf zum Trocknen auf den Rasen zu legen. Der Torf wurde dorthin gebracht und in gerade, ordentliche Reihen gelegt.

Schwester war hinter ihren Geschwistern her, ständig ermahnend.

„Seid vorsichtig und passt auf, dass der Torf nicht zerbricht.“

Sie sah ihre Geschwister streng an.

Ness schaute auf ihre gerunzelte Stirn und neckte: „Hygg nú illsinnabitin, hann hongur so síður í dag.“ Übersetzt etwa: „Seht die Zornesfalte (die Falte zwischen den Augen), heute sitzt sie sehr tief.“

Dann runzelte Schwester die Stirn noch mehr und versuchte, ihn zu fassen zu bekommen, doch lief er gewandt davon und erblickte ein laut krächzendes Tjaldurpärchen. Tjaldur ist ein Austernfischer, der Nationalvogel der Färöer, weshalb ich ihn in der Regel so bezeichne: Tjaldur.

„Kommt her, sie haben bestimmt Junge!“, rief er, und die Kinder beschlossen, nebeneinander in einer Reihe zu gehen, um das Nest mit den Eiern oder Jungen zu finden. Die erwachsenen Vögel schimpften. An einer Stelle lagen Kieselsteine zwischen Grasbüscheln. Dort waren drei frisch geschlüpfte, gräuliche Junge, die direkt auf den Kieselsteinen in einer kleinen Vertiefung, die das Nest bildete, lagen. Die Tarnung war hervorragend, sie ähnelten den Kieseln, hatten die gleiche gefleckte Farbe. Die Kinder freuten sich über die niedlichen flauschigen Vogelkinder, von denen zwei ganz trocken waren. Es war eine Art Hobby, Nester mit Eiern oder Jungen zu finden. Bald würden die Kleinen überall im Gras herumlaufen, während die Elternvögel sie verteidigten, auf sie aufpassten und fütterten.

Alle sechs arbeiteten mehrere Stunden lang angestrengt. Anna richtete ihren steifen Rücken und schweren Körper auf. „Kinder, es ist Zeit fürs Mittagessen!“

Die Sonne schien vom blauen Himmel herab, einer der wenigen, fast wolkenlosen Tage des Jahres. Die leichte Brise aus dem Westen erreichte nicht das Tal im Osten, hier war es warm und still. Die Sonne hatte die Steine erwärmt, alle setzten sich auf einen warmen Stein.

Anna seufzte, sie war immer müde.

„Mama, ruhen Sie sich nachher ein wenig aus.“ Schwester kümmerte sich fürsorglich um ihre Mutter. Sie wusste, dass diese immer voller Schwung war und bemerkte ihre Müdigkeit. Alle blickten liebevoll zu ihrer Mutter.

„Ja“, erwiderte Anna, „eine kleine Pause wäre schön.“

Nach der Mahlzeit legte sie sich auf einen großen, warmen, flachen Stein auf die Seite. Sie zog den Pullover aus und legte ihn sich unter den Kopf. Die Kinder wollten hart arbeiten und sie damit überraschen, wie viel sie schafften, während sie schlief. Sie liebten ihre Mutter.

Lang lebe die Neugier. Die Kinder gingen im Torfgebiet auf Entdeckungstour, dort, wo die Männer gegraben hatten. Hier gab es deutliche Spuren von Bäumen. Sie gruben und zogen, bekamen einen großen Ast oder eine Wurzel zu fassen. Wo kam das her? Auf den Färöern gab es keine Bäume, keine Äste, keine Baumwurzeln. Wie konnte ein Baum hierher gelangen, hoch oben auf dem mit Gras spärlich bewachsenen Berghang, ins Tal? Warum konnte Torf brennen, Erde aber nicht? Torf besteht aus gepressten Pflanzenresten.

Die Kinder hatten noch nie einen Baum gesehen. Der Pflanzenbewuchs reichte ihnen nicht über die Knöchel. War der Berghang einst von großen Wäldern bedeckt gewesen? Sie wunderten sich, ohne zu philosophieren, sie akzeptierten ganz einfach, dass es so war, es gab so viel Unerklärliches.

Am ersten Tag bestand die Arbeit darin, alle Torfstücke auf dem Gras auszubreiten, ohne dass sie sich berührten – wie ein dichter Teppich. Der Wind sollte durchziehen können. Sie erhielten ihre flache, gerade Form, da sie auf flachem Untergrund trockneten.

Anna spürte die Wärme vom Stein, es war herrlich, Freude durchströmte sie. Sie dachte an die Arbeit im Torf und an die Kinder.

Beim nächsten Mal musste der Torf auf der Seite liegen, von einem Torfstück gestützt. Ein paar Tage später, also beim dritten Mal, musste er gewendet und auf die andere Seite gelegt werden. Mehrere Torfstücke dienten als Stütze mit viel Luft dazwischen. Die feuchte Seite musste immer nach außen und nach oben gekehrt sein. Beim vierten Mal wurde der ganze Torf gewendet und in größeren Gruppen auf die Seite gelegt, wieder mit Luftdurchzug. Jedes Mal bildeten die Torfstücke eine gerade, gleichmäßige Reihe, ein kunstvolles, symmetrisches Muster, genau wie die feinen Muster der gestrickten färöischen Pullover. Der Torf im Tal veränderte von Mal zu Mal sein Muster.

Die Vögel sangen, die Sonne wärmte, Anna schlief, und die Kinder schufteten.

Schwester ruhte sich eine Weile aus, setzte sich und schaute auf ihre schlafende Mutter und arbeitenden Geschwister. Sie blickte über den Atlantik, der die Unendlichkeit des Himmels widerspiegelte, und deshalb einen Ton dunkelblauer als die Luft war. Sie mochte Blau und den Frieden der Natur. Ihre Augen richteten sich zum Bergkamm, der das Tal umgab. Sie glitten vom Malinsfjall, der sich hier nach Westnordwest wendete. Sie folgten dem Grat Richtung Westen und Süden, bis er südöstlich vor ihr ins Meer abfiel. Das letzte Stück war vor ihren Blicken verborgen, da sie im Tal saß und die Klippen an der Küste nicht sehen konnte. Nach Südwesten war der Kamm flach. Dahinter konnte man in das nächste Tal gehen. Weit hinten am Ende der Silhouette erweckte ein dunkler Stein ihr Interesse. Nein, das war kein Stein, denn er bewegte sich und war viel größer als ein Schaf. Was war das? Plötzlich war sie von Angst erfüllt.

„Henry! Henry! Was ist dort drüben?“, rief sie und zeigte entsetzt dorthin. Alle hörten auf zu arbeiten.

„Das ist tarvurin, der Stier“, sagten Ness und Aksel gleichzeitig, grinsend. Sie wussten, dass Schwester sehr große Angst vor Stieren hatte. Ihr Blut gefror zu Eis und sie schrie: „Mama! Mama! Sehen Sie! Der Stier!“

Anna sprang mit gewaltigem Herzklopfen auf, sie hatte gerade so schön geträumt.

„Oh, Jesus! Oh Jesus!“, rief sie laut. Man rief immer zu Jesus und Gott, wenn man Angst hatte, das machten alle. Sie fror und schwitzte zugleich. Was sollten sie tun?

Der Stier war das gefährlichste Tier der Welt. Sie hatte gehört, wie Stiere Menschen aufgespießt hatten. Und sie war allein hier mit fünf ihrer Kinder.

Sigrid bekam auch plötzlich Herzklopfen. Sie spürte Mutters Angst, eine Angst, die sich in ihr fortpflanzte, die Wurzeln schlug, die Angst der Vorfahren.

Anna war im Dorf mit den beiden Höfen aufgewachsen. Dort hatte sie als Kind gehört, dass einer ihrer Vorfahren von einem wütenden Stier aufgespießt und übel zugerichtet worden war. Ihre Mutter hatte ihr eingeschärft, sich von Stieren weit fernzuhalten. Und seitdem war ihre Angst vor Stieren ihr treuester Begleiter.

„Oh Jesus! Oh Jesus! Hilf uns!“, rief sie wieder und dann floh sie, lief in die entgegengesetzte Richtung des Stieres. Sie merkte, dass ihr Körper außerstande war zu rennen, es wurde nur ein schneller anstrengender Gang. Sigrid lief zusammen mit ihrer Mutter, zog sie an der Hand, um ihr zu helfen, schneller zu gehen. Henry eilte zu seiner Mutter.

„Mama, Sie brauchen keine Angst zu haben!“, rief er und nahm ihre Hand, um sie zu beruhigen. „Falls der Stier näher kommt, jage ich ihn weg, Mama.“ Henry nahm einen Stein vom Rasen auf, wie um zu zeigen, dass er stark war und den Stier fortjagen konnte. Anna wusste, dass sie nicht rennen konnte, denn sie war dick und lief schlecht und hatte deshalb auch besonders Angst. Sie konnte ihre Kinder nicht verteidigen, die Kinder mussten sie verteidigen. Hier draußen im kahlen, steinigen Tal gab es keine Stelle, wo man sich verstecken konnte. Vielleicht könnte man um den großen Felsen herum zur Wiese laufen, dachte sie.

Die Königsbauern im Dorf hielten sich abwechselnd einen Stier. Die Kühe mussten notwendigerweise begattet werden und einmal im Jahr kalben, um Milch zu liefern.

Der Stier lief in der Außenmark frei herum, weit weg vom Dorf. Er war durch seine Größe leicht zu erkennen, und weil er einen großen Ring in der Nase und einen Büschel unter dem Bauch hatte. In der Regel blieb er für sich, fern von den Menschen.

Die Torfarbeiter setzten sich, jeder für sich, auf einen Stein mit dem Gesicht zum Stier gewandt, der weit weg war, jedoch nicht so weit, als dass sie sein gewaltiges Brüllen nicht hören und sehen konnten, wie er die Hörner in das Gras stieß. Mit den Hörnern riss er Grasbüschel aus und warf sie hoch in die Luft und um sich. Er sah sehr, sehr gefährlich aus. Ob er auch so gefährlich war wie er aussah? Der Anfall war vorüber und sie sahen, dass er sich wieder beruhigt hatte. Er beugte den Kopf hinunter und begann zu grasen. Er ignorierte die verschreckte Familie völlig und ging langsam am Berg entlang, tief hinein ins Tal. Das Tal war groß, und der Stier kam diesmal nicht zu ihnen hinüber. Sie beschlossen, dass Mutter ein Auge auf das Tier hielt, während die Kinder ihre Arbeit zu Ende brachten.

„Jetzt gibt es erst einmal ein Stück Kuchen.“

Anna packte den Rührkuchen aus und die Kinder versammelten sich um sie. „Mmh, wie das nach Kardamom riecht!“, riefen sie.

Mit dem Dolch für das skerpikjøt schnitt sie ein paar dicke Kuchenstücke ab. Alle waren jetzt ruhiger. Der Stier graste friedlich in der Ferne. Wenn die Kinder durstig waren, gingen sie zur Quelle, die aus dem Berg kam. Der Quelle mit dem klarsten, reinsten, eiskalten Wasser.

Plötzlich hörten sie einen lauten Pfiff. Jóanis erschien und kam mit raschen Schritten auf sie zu. Er war mit seinem Tageswerk fertig. Das Boot war geteert, und das Fischernetz und die Haken in Ordnung gebracht. Er roch nach Teer, den man schwer von den Händen bekam. Teer setzte sich in den Hautfältchen fest, und Flecken auf der Kleidung ließen sich nicht vermeiden.

„Gibt es etwas zu essen?“, fragte er.

„Natürlich!“, lautete die Antwort.

Die Reste vom getrockneten Lammschenkel kamen hervor, ebenso Dolch, Brot und Margarine, und die noch hungrig waren, aßen. Auch für Vater gab es ein Stück Kuchen.

Wie man doch Appetit und rote Wangen von der frischen Luft bekam. Selbst Anna hatte ein wenig Farbe in ihrem sonst kreideweißen Gesicht bekommen. Mit Jóanis in der Nähe fühlte sie sich sicher, er würde schon mit dem Stier fertig werden, wenn es sein musste. Es ist gut, dass Jóanis gekommen ist und uns nach Hause begleitet, dachte sie. Sie begnügte sich mit diesem Gedanken, denn so etwas sagte man nicht laut. Man drückte seine Gefühle nicht aus.

Es wurde Abend. Der Weg nach Hause war anstrengender als der Hinweg. Alle waren müde nach der schweren Arbeit des Tages und der frischen Luft. Die Jungs liefen nicht vorneweg, und außerdem ging es den Hügel hoch nach Uppi við Garð. Auf dem Heimweg holten sie Borghild ab. Jóanis trug sie auf den Schultern. Sie quietschte vor Wonne, als er mit ihr zu rennen begann. Nach einer warmen Tasse Tee und einem dicken Stück Schwarzbrot gingen alle zu Bett. Selbst Schwester ging zeitig ins Bett und schlief ein. Anna dankte Gott in ihrem Abendgebet, dass Jesus sie beschützt und dafür gesorgt hatte, dass der Stier sie nicht mit den Hörnern getötet hatte. Jesus hatte ihren Angstruf gehört.

Im Spätsommer wurde der Torf in große luftdurchlässige Stapel gelegt, damit der Wind durchziehen konnte. Der getrocknete Torf war hart und schwarz und färbte nicht an den Fingern ab. Er hatte Form und Größe von Mauersteinen mit ungleichmäßiger Struktur. Die Familie war unzählige Male draußen im Tal, denn es hing von Wetter und Wind ab. Dann musste der getrocknete Torf eingesammelt und sicher untergebracht werden. Erst wurde ein krógv, ein Steinfundament, gebaut. Der Torf wurde im krógv aufgeschichtet und zuletzt mit dicken Grassoden bedeckt. Regen drang nicht durch die Grassoden, der Torf blieb trocken. Dieses Steinfundament wurde Jahr für Jahr benutzt, und als kein Torf mehr übrig war, wurde es für die Schafe als Unterstand verwendet. Es war harte Arbeit, den Torf nach Hause, nach Uppi við Garð zu bringen. Jóanis folgte der Mode und baute einen modernen Handwagen mit zwei großen Rädern. Es bedurfte dreier Personen, um diesen Handwagen, voll mit Torf, zu bewegen.


„Man muss es sich so vorstellen: Zwei Kinder gingen vorneweg, jedes mit einem Seil über der Schulter den Wagen ziehend. Hinten am Wagen waren zwei Handgriffe. Hier ging ein Kind und lenkte den Wagen und passte auf, dass er nicht umkippte. Schwester bestimmte, dass sie lenkte und wir anderen ziehen sollten, was am schwersten war. In der Außenmark gab es keinen Weg, wir mussten über Grasbüschel, Steine, Löcher und Unebeheiten gehen. Näher am Dorf gab es einen holprigen Pfad. Man musste aufpassen, dass die Ladung auf dem zweirädrigen Handwagen nicht umkippte.

Zu Hause wurde der Torf in den hjallur, den Schuppen, oder in eine Kellerecke gelegt und ordentlich gestapelt. Wenn man sich die Mühe machte, konnte man viel Torf unterbringen. Ostwärts, in der Ostbucht, hatte Vater einen weiteren Schuppen gebaut. Wir brachten den Rest des Torfs so weit wie möglich vom Tal in den östlichen Schuppen, bevor der Schnee kam. So konnten wir an schönen Wintertagen den Rest holen und ihn mit dem Handwagen die drei Kilometer bis nach Hause und den Hügel hoch bringen. Viele Familien hatten sich einen Handwagen angeschafft, der Platz für viel Torf bot, da es die Arbeit erheblich erleichterte. Als mein Großvater Janus jung war, gab es keine Handwagen. Damals trug man den ganzen Torf in einem leypur auf dem Rücken. Am leypur war ein starkes Seil befestigt, das mit einem alten Strumpf umwickelt wurde, damit es nicht in die Stirn schnitt. Der leypur wurde mit der Stirn als Stütze und dem Gewicht auf dem Rücken getragen. Man trug sowohl mit dem Rücken als auch mit der Stirn.

Wir begannen im Alter von sechs, sieben Jahren im Torf zu arbeiten. Wenn wir beim Torfstechen und der Heuernte waren, blieben die Schularbeiten liegen, wir durften keine Zeit damit vergeuden. Wir mussten arbeiten. Das war in den 1920er Jahren. Kinder sollten tatsächlich arbeiten.

Kinderarbeit? Heute ist man gegen Kinderarbeit. Ob Kinder wohl in anderen Ländern immer noch arbeiten müssen, damit die Familie überleben kann? Und wir sind dagegen?

Wenn das Wetter gut war, sollten wir den Lehrer bitten, uns freizugeben, damit wir zum Torfstechen und zur Heuernte gehen konnten. Torf war unser einziger Brennstoff. Wir verwendeten ihn für den Herd, der die Küche und das ganze Haus wärmte. Die gute Stube, die Oststube, wurde nie benutzt. Die Tür war immer verschlossen, damit sie nicht die Wärme im Haus verbrauchte und eingestaubt wurde. Nur wenn der Pfarrer zu Besuch kam, wurde die gute Stube benutzt, und dann heizten wir den Kachelofen im Zimmer mit Torf.

Der Torf aus dem Tal verschaffte uns Wärme, warmes Wasser, warmes Essen, selbst gebackenes Brot und so weiter, und zwar das ganze Jahr über. Wir mussten bereits im Frühling abschätzen, wie viel Torf gestochen werden sollte, also wie viel wir für die zwölf Monate im Jahr brauchen würden. Ohne Torf keine Wärme, kein warmes Essen und kein Brot.“

Eine färöische Kindheit

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