Читать книгу Die Angst ist dein Feind - Ana Dee - Страница 13
Kapitel 7
ОглавлениеGedankenverloren saß Pia am Frühstückstisch, nippte an ihrem Kaffee und starrte aus dem Fenster. Der Traum von letzter Nacht ließ ihr keine Ruhe und sie musste mit Felix unbedingt darüber reden. Wahrscheinlich würde er sie für eine Spinnerin halten. Aber spielte das noch eine Rolle?
„Ich hatte wieder einen dieser seltsamen Träume, die mich schon seit längerer Zeit heimsuchen“, eröffnete sie das Gespräch.
„Ich kann mich merkwürdigerweise nie daran erinnern.“ Felix bestrich sein Toast dick mit Marmelade und schien nur mit halbem Ohr zuzuhören.
Unbeirrt fuhr Pia fort. „Wir haben ein Baby bekommen und ich habe das Kinderzimmer ausgerechnet in der Kammer eingerichtet, obwohl ich dort oben niemals mein Kind schlafen lassen würde. Wann immer ich die Kammer betrat, stand das Fenster offen und irgendwann lag das Würmchen erfroren in der Wiege. Es war fruchtbar …“ Ihre Stimme versagte.
„Weißt du, was ich glaube?“ Felix musterte sie aufmerksam. „Du steigerst dich in die Geschichte dieses Hofes viel zu sehr hinein. Ich hoffe wirklich für dich, dass du schnell etwas Passendes findest.“
„Hm, aber könnte es nicht sein, dass mir diese Träume irgendetwas mitteilen wollen?“
„Wie meinst du das?“
„Vielleicht spukt es hier?“ So, jetzt war es heraus. Schluss. Aus. Ende.
„Pia, das ist doch nicht dein Ernst? Wer glaubt denn noch an Geister?“
„Ich zum Beispiel. Wie soll man denn Bitteschön das Fenster von außen öffnen?“
„Na ja, irgendeinen Trick muss es wohl geben, oder nicht? Schließlich kann man auch mit einem einfachen Bügeldraht Fahrzeuge knacken. Bleibt zu hoffen, dass wenigstens die Anwesenheit der Hunde abschreckend wirkt.“
Pia lag eine bissige Bemerkung wegen Finley auf der Zunge, aber sie schluckte ihren Kommentar hinunter. Es war schon alles schwer genug und sie wollte sich nicht im Streit von Felix verabschieden.
Inzwischen war sie jedenfalls felsenfest davon überzeugt, dass irgendetwas in diesem Haus herumgeisterte und ein selbstbestimmtes Eigenleben führte. Aber den Gedanken behielt sie besser für sich. Die Schritte und auch die Träume hatte es schon vor besagtem Polizeieinsatz gegeben und wäre Carina nicht Zeugin gewesen, so hätte sie wahrhaftig an ihrem Verstand gezweifelt.
„Was hältst du davon, wenn ich noch einmal alle Räume kontrolliere, bevor ich fahre?“
„Danke, das ist lieb von dir.“ Sie lächelte ihn zaghaft an.
„Es wird das Beste sein, wenn ich gleich mit dem Rundgang beginne. Dann ist das schon einmal erledigt und ich kann beruhigt fahren.“
„Fein, und ich gehe in der Zwischenzeit mit den Hunden raus.“
Biene und Finley hatten sofort verstanden und sprangen fast gleichzeitig auf. Sie schüttelten sich, bis die Halsbänder klimperten und wedelten in freudiger Erwartung mit den Ruten. Pia schlüpfte in Stiefel und Mantel, zog die Kapuze tief in ihre Stirn und trat vor die Tür. Der Wind hatte sich gedreht und kniff eisig in ihre Wangen. Es würde einen Wetterumschwung geben und mit Sicherheit bald den ersten Schnee.
Finley fegte in einem Affenzahn über die Felder. Wieder bei Kräften, gab es für den Rüden kein Halten mehr. Er drehte einige Runden, bis er total verausgabt zu ihr zurückkehrte. Manchmal hatte sie das Gefühl, er könne gar nicht fassen, dass die Welt dort draußen nun endlich ihm gehörte.
Biene hielt von alledem nicht viel. Glückselig tippelte sie Pia hinterher, bis es ihr zu anstrengend wurde und sie mitten auf dem Weg sitzen blieb, um ihr Frauchen zur Umkehr zu bewegen. Bei schlechtem Wetter musste Pia sämtliche Register ziehen, um Biene überhaupt zu einem Spaziergang zu bewegen.
Auch heute war es der Hündin zu kalt und sie kehrten um. Felix stand in der Kammer vor dem Fenster und Pia winkte ihm zu. Er hatte sie wohl nicht bemerkt, denn er rührte sich nicht.
Nach ein paar Metern hatten sie den Hof erreicht. Felix verharrte immer noch regungslos am Fenster und Pia winkte ihm erneut. Wieder keine Reaktion. „Felix? Alles in Ordnung mit dir?“, rief sie ihm zu.
Unten im Wohnzimmer wurde ein Fenster aufgerissen und er steckte seinen Kopf ins Freie. „Ist etwas passiert?“
„Das wollte ich dich auch fragen. Wieso bist du nicht in der Kammer?“
„Warum sollte ich dort oben sein? Ich habe mich die ganze Zeit in der unteren Etage aufgehalten.“
Pia blickte hinauf zum Fenster, die Gestalt war verschwunden. Ich glaube, ich werde noch verrückt, dachte sie verstört. Was zum Teufel hatte sie da gesehen? Die Furcht kroch ihr den Nacken hinauf und am liebsten hätte sie sich geweigert, dieses Haus nochmals zu betreten. Ob die Hunde vielleicht etwas spürten?
„Pia? Willst du dort draußen Wurzeln schlagen? Komm endlich rein, Biene zittert schon vor Kälte.“
Sie löste sich aus ihrer Starre, umrundete das Wohnhaus und betrat den Flur. Mit Finley an der Leine lief sie nach oben und öffnete die Tür in der Hoffnung, den ungebetenen Gast zu enttarnen. Doch die Kammer war leer. Sie löste den Karabiner vom Halsband und wartete gespannt auf eine Reaktion des Rüden.
Finleys Blick sprach Bände. Kaum fühlte er sich frei, flitzte er die Treppe hinunter und legte sich in sein Körbchen neben der Heizung. „Flucht erfolgreich, Experiment gescheitert“, murmelte sie enttäuscht.
„Na, jemanden entdeckt?“ Felix lehnte unten an der Treppe.
„Nein. Aber ich hätte schwören können …“
„Bestimmt hat sich etwas in der Scheibe gespiegelt. Glaub mir, es gibt keine Gespenster.“ Er half ihr aus dem Mantel und hängte ihn an den Haken. „Tut mir leid, dass ich so genervt reagiert habe, aber auch mir wird der ganze Stress zu viel. Ich freue mich riesig auf Weihnachten und ein paar freie Tage. Die habe ich bitter nötig.“ Er nahm sie liebevoll in den Arm.
„Beinahe hätte ich es vergessen, ich wollte dir noch etwas zeigen.“ Sie wand sich aus seiner Umarmung und hielt ihm die gerahmte Fotografie unter die Nase. „Dieses Bild habe ich in der Truhe auf dem Dachboden gefunden. Fällt dir etwas auf?“
„Hm, ich weiß nicht genau, was du meinst. Die schauen alle grimmig in die Kamera, bis auf die junge Frau.“
„Also Carina war der Meinung, dass mir die Magd unheimlich ähnlich sieht. Findest du nicht auch?“
„Ich erkenne eine gewisse Ähnlichkeit erst auf den zweiten Blick, wenn überhaupt. Man kann da ziemlich viel hineininterpretieren.“ Pia war maßlos enttäuscht. „Also wenn du nichts dagegen hast, würde ich jetzt den Rest der Räume kontrollieren.“
„Ja, mach nur …“
Frustriert verzog sie sich mit dem Tagebuch ins Wohnzimmer und blätterte ungeduldig durch die Seiten, bis sie den entsprechenden Eintrag gefunden hatte.
16. Dezember 1938
Die letzten Wochen ist mir Albert glücklicherweise aus dem Weg gegangen. Martha hat sein Techtelmechtel bei mir in der Kammer natürlich mitbekommen und mir ordentlich die Hölle heiß gemacht, ich konnte mich vor zusätzlicher Arbeit kaum retten. Nach ein paar Tagen hat sie Gott sei Dank davon abgelassen.
Aber auf dem Hof kehrt einfach keine Ruhe ein. Auch heut hatten sich die beiden wieder mächtig in den Haaren und sind wie die Furien aufeinander losgegangen. Willi musste die zwei regelrecht zur Räson bringen.
Während des Essens lief wie üblich das Radio und als der Sprecher verkündete, dass die Nationalsozialisten ab dem heutigen Tage das Mutterkreuz verleihen, war es mit dem Frieden vorbei. Dieses Ehrenkreuz ist nämlich eine Auszeichnung für kinderreiche Mütter.
Die Bäuerin hat zornig das Radio ausgeschaltet und keinen Bissen mehr angerührt. Für Albert war das natürlich wieder Öl ins Feuer, wo er sich doch so sehr einen Erben wünscht. Kaum waren wir alle in unseren Betten verschwunden, haben der Bauer und die Bäuerin losgelegt. Die unflätigsten Worte sind gefallen, die ich hier auf keinen Fall schreiben möchte. Ich hatte beinahe Mitleid mit Martha, aber eben nur beinahe. Sie ist und bleibt eine Hexe, hinterhältig und gemein.
Die Sache mit dem Mutterkreuz hingegen, die ist wirklich ungerecht. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft wir gehungert haben und unsere Mutter war ständig krank. Acht Kinder mussten sich zwei Betten teilen, das war meist nur im Winter zu ertragen. Und was hätten wir uns von so einer Auszeichnung schon kaufen können? Nichts!
Auf diese Weise werden die Frauen, die keine Kinder gebären können, abermals bestraft. Ich kann einfach nicht verstehen, was der Führer sich dabei gedacht hat?
21. Dezember 1938
Der Winter macht seinem Namen alle Ehre, es ist bitterkalt und hat ordentlich geschneit. Oben in der Kammer ist es kaum zum Aushalten. Trotz des dicken Federbettes friere ich erbärmlich und am Morgen begrüßen mich die Eisblumen an der Fensterscheibe. Obwohl ich jeden Abend einen vorgewärmten Stein mit ins Bett nehme, schlottere ich wie ein junger Hund.
In drei Tagen ist Weihnachten und ich habe beschlossen, meinen Eltern einen Brief zu schreiben. Gleich morgen werde ich damit anfangen. Mein Heimweh wächst mit jedem Tag und ich würde meine Familie so gern wiedersehen. Es ist einsam in der Kammer und ich würde alles geben, um wieder nach Hause zu dürfen.
Leider muss ich hierbleiben, denn ich werde auf dem Hof gebraucht. Das Fest wird groß gefeiert mit Marthas Schwester, ihrem Ehemann und den drei Kindern. Ich habe tapfer meine Tränen zurückgehalten und erst oben in der Kammer geweint. Es ist schlimm für mich, nicht zu wissen, wie es meiner Familie geht.
Der Winter ist kalt, die Bauersleute sind kalt, mein Leben ist kalt und ich sehe keine Hoffnung.
Felix hatte seinen Rundgang beendet und ließ sich in den Sessel fallen. „Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn jetzt noch jemand in das Haus eindringen kann. Schließe bitte immer die Tür ab, selbst wenn du nur Holz holen gehst.“
„Apropos Holz. Wenn die Temperaturen in den Minusbereich sinken, würde ich gern den Ofen anfeuern. Könntest du mir helfen, den Korb mit den Holzscheiten vom Stall ins Haus zu tragen?“
„Ausgerechnet jetzt, wo ich gerade sitze.“ Felix erhob sich ächzend und lachte. „Dann lass uns nach draußen gehen, bevor ich einroste.“
Sie zogen sich im Flur die Jacken über und stapften hinüber zum Stall. Gemeinsam hoben sie den Korb an und trugen ihn in Richtung Haus. Plötzlich begannen die Hunde zu bellen.
„Komisch, das machen sie sonst nie“, wunderte sich Pia und beschleunigte ihre Schritte.
„Wir waren beide nachlässig und haben die Tür nicht abgeschlossen“, keuchte Felix. „Vom Stall aus können wir leider nicht überblicken, ob sich irgendwer Zutritt verschafft.“
Pia ließ auf der Stelle den Korb fallen, stürmte zum Haus und riss die Eingangstür auf. Biene stand unten an der Treppe, während Finley in der oberen Etage für ordentlich Stimmung sorgte. Sie jagte die Stufen hinauf und fand den Rüden total aufgelöst in der Kammer vor. Er drehte sich im Kreis und kläffte. Ohne viel Federlesens griff sie nach seinem Halsband und zerrte ihn aus der Kammer in die untere Etage.
Felix tauchte hinter ihr auf und stellte den Korb schnaufend ab. „Was ist denn passiert?“
„Finley war oben in der Kammer. Keine Ahnung, wie er das bewerkstelligt hat.“
„Wahrscheinlich ist die Tür wieder aufgesprungen.“
„Aber deswegen würde er doch nicht so ein Theater veranstalten? “
„Soll das heißen, wir müssen erneut alle Zimmer absuchen?“
„Haben wir eine Wahl?“, erwiderte Pia schulterzuckend.
Felix brach heut früher auf als sonst, denn der Wetterdienst hatte Blitzeis und Schnee vorausgesagt. Mit einem betrübten Gesichtsausdruck stellte er seine Reisetasche in den Flur und nahm Pia in den Arm. „Hoffentlich findest du schnell eine passende Mietwohnung. Ich habe keine ruhige Minute, dich hier allein zurückzulassen.“ Ein letzter, leidenschaftlicher Kuss folgte, dann trat er zur Tür hinaus und lief zu seinem Wagen.
Pia hatte Tränen in den Augen, als sie wehmütig den immer kleiner werdenden Rücklichtern hinterherschaute.