Читать книгу Die Angst ist dein Feind - Ana Dee - Страница 7

Kapitel 1

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Der Motor des Land Rovers röhrte, er hatte sich festgefahren. Pia fluchte wie ein Rohrspatz, während die Räder durchdrehten und der ganze Schmodder durch die Gegend spritzte. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Frustriert wischte sie sich einige Schlammspritzer aus dem Gesicht.

„Warum ausgerechnet heute? Das kann auch nur wieder mir passieren.“ Ratlos umrundete sie den Rover.

Felix sprang aus dem Geländewagen und kratzte sich nachdenklich am Kopf. „Das bekommen wir wieder hin! Lass uns das Holz vom Anhänger unter die Räder schieben, dann sollte es klappen.“

Beide betteten die Holzscheite unter die Räder und Felix winkte seinem Vater Peter zu. „Los! Du kannst jetzt Gas geben!“

Erneut jaulte der Motor auf und die Räder drehten durch. Sekunden später bekamen sie den nötigen Griff und Peter lenkte den Wagen zurück auf den Weg. Er fuhr bis zu den Stallungen, hielt an und stieg aus. Mit einem lauten Knall fiel die Autotür zu.

„Da hast du dir echt ein altes Schätzchen angelacht. Im nächsten Frühjahr solltest du unbedingt Kies auf die Zufahrt kippen lassen. So eine elende Pampe.“

Felix und Peter öffneten die Klappe des Anhängers und begannen das Holz abzuladen. Pia packte sich die Scheite auf eine Schubkarre und verfrachtete das Feuerholz in die anliegende Stallung. Abermals griff Peter das leidige Thema auf.

„Ach Pia, so ein verfallener Kasten! Wenn ihr zwei länger gespart hättet, dann wäre doch mit Sicherheit etwas Besseres möglich gewesen. Alles wirkt so heruntergekommen, wann willst du damit fertig werden? Sich im Alleingang so einen Klotz ans Bein zu binden, ich verstehe das nicht.“

Kopfschüttelnd warf er die letzten Scheite in die Karre. Pia biss sich auf die Lippe. Was sollte sie ihm darauf antworten? Niemand verstand, warum sie sich ausgerechnet für dieses hässliche alte Gehöft entschieden hatte. Sah nur sie in ihrer Fantasie die Blumen, die weiß getünchten Wände und die einladende Zufahrt zu den Gebäuden? Denn genauso sollte es einmal aussehen. Blieben den anderen ihre Wunschvorstellungen verwehrt?

Im Frühjahr dieses Jahres hatte sie den Hof erworben und richtig Gas gegeben. Bad, Wohn- und Schlafzimmer hatte sie bereits in Eigenregie renoviert. Sie wusste gut mit Werkzeug umzugehen und dass ihr Vater einen Baustoffhandel besaß, war natürlich von großem Vorteil. Ihr Gehalt bezog sie ebenfalls von dort, denn sie arbeitete als Sekretärin im Familienbetrieb. Die Hunde durfte sie mitbringen, da drückte ihr Vater alle Augen zu.

Besser hätte sie es eigentlich gar nicht treffen können. Ihre Eltern hatten für den Kredit gebürgt und obwohl sie ihr Nesthäkchen für komplett verrückt erklärten, trafen sie diese Entscheidung mit.

Dieses Anwesen hatte Potenzial! Sie konnte scheuen Streunerkatzen eine neue Heimat geben, ein großes Gehege für Kaninchen anlegen oder gar Hühnern aus einer Legebatterie eine Zukunft schenken. Die nächsten Häuser befanden sich weit genug entfernt und niemanden würde das Bellen der Hunde stören. Sie wäre hier frei, genauso frei wie ihre Tiere es werden sollten.

„Peter, selbst wenn es ein Fehler gewesen war, so muss ich jetzt damit leben. Sollte ich diesen Kauf jemals bereuen, so würde mir der Fehler garantiert kein weiteres Mal passieren. Vielleicht muss ich erst gehörig auf die Nase fallen“, antwortete sie ihrem zukünftigen Schwiegervater ehrlich. Peter war wirklich in Ordnung und sie mochte ihn sehr.

„Dann wollen wir hoffen, dass dieser Fall niemals eintritt. Aber ich verstehe schon, dass ihr jungen Leute euch beweisen müsst. Trotzdem hätte ich mir für euch ein schöneres Liebesnest gewünscht.“ Er zwinkerte seinem Sohn zu und lachte. „Und denkt immer daran, ihr wärt nicht das erste Paar, das durch den Baustress Federn lässt.“

„Keine Panik, Dad. Ich studiere noch und kann Pia nur am Wochenende nerven.“

„Na, was für ein Glück.“ Peter klopfte seinem Sohn auf die Schulter.

„Wollt ihr auf einen Sprung mit reinkommen? Ich koche euch einen Tee, bevor ihr fahrt.“

„Angebot angenommen“, erwiderte Felix. Er legte seinen Arm um ihre Taille und küsste sie auf die Wange, bevor sie gemeinsam zum Haus stapften.

Pia öffnete die Haustür und die beiden Hundesenioren kamen mit wedelnden Ruten angetrottet. Afra, die dunkle Deutsche Dogge, rieb sofort ihre graue Schnauze an Felix’ Hüfte, während er das alte Tier liebevoll begrüßte.

„Na, wo ist denn meine liebe Omi? Na, wo ist sie denn?“

Biene, die greise und etwas senile Rauhaardackeldame, kläffte hingegen Peter an.

„Hui, ihr Gedächtnis ist wirklich nicht mehr das Beste. Letzte Woche hat sie sich noch über mein Wurstbrot gefreut und jetzt guckt sie mich nicht einmal mehr mit ihrer Pobacke an.“

Pia lachte. „Dann musst du beim nächsten Besuch einen weiteren Bestechungsversuch wagen. So ist sie halt und es wird auch nicht besser. Manchmal steht sie verloren vor einer Wand und erwartet, dass ich ihr die Tür öffne. Dann hat sie wieder für einige Augenblicke die Orientierung verloren. Ja, die Sache mit dem Alter … ich mag gar nicht daran denken, wenn es bei mir einmal so weit ist.“

„Och Piamaus“, Felix kniff ihr liebevoll in die Wange und grinste, „damit hat es aber noch Zeit. Jetzt bist du jung und knackig, und ich muss die Konkurrenz im Auge behalten.“

Pia stimmte in sein Lachen mit ein und goss den heißen Tee in die Tassen. Biene hatte sich endlich beruhigt und lag im Körbchen, nahe beim Herd. Afra ließ sich noch immer von Felix kraulen und hatte ihren großen Schädel auf seinem Knie platziert.

„Jetzt kann der Winter Einzug halten, das Holz müsste jedenfalls reichen. Ich danke dir Peter, dass du dieses Geschäft für mich abgewickelt hast. So preiswert wäre ich nicht an Feuerholz gekommen.“

„Geht schon in Ordnung, ich kann meiner Lieblingsschwiegertochter schließlich keinen Wunsch abschlagen. Du weißt, wir helfen dir, soweit das möglich ist.“

Die drei schlürften den heißen Tee, dann brachen Peter und Felix auf. Pia schaute vom Küchenfenster aus dem Rover hinterher, bis die Rücklichter in der Dunkelheit verschwanden. Felix hatte heute sein erstes Klassentreffen und würde anschließend bei seinen Eltern übernachten.

„So, meine Mädels, jetzt sind wir wieder allein.“ Pia hockte sich neben Biene und kraulte den Bauch der Hündin. Die alte Lady räkelte sich genüsslich und stieß wohlige Knurrlaute aus.

Biene genoss das Zusammenleben mit Pia und Afra. Die Hündin stammte aus einer unseriösen Mischlingszucht. Mit zehn anderen Hunden vegetierte sie in einem Keller dahin, kannte kein Gras unter ihren Pfoten und kein Sonnenlicht. Jahr für Jahr bekam sie dort unten ihre Würfe, bis ein Nachbar dem Veterinäramt die verwahrloste Haltung der Hunde steckte.

Das Fell verfilzt und vor lauter Schmutz triefend zog Biene bei ihr ein und liebte ihr neues Frauchen abgöttisch. Nach einem Wannenbad und der nachfolgenden Schur verbrachte die Hündin ihre erste Nacht am Fußende von Pias Bett. Bis heute war das Gespann unzertrennlich.

Biene ließ sich nur von Pia berühren und von niemandem sonst. Überängstlich bellte sie alles und jeden an und mit zunehmendem Alter wurde dieser Zustand nicht besser. Biene sollte eingeschläfert werden, denn sie konnte aufgrund ihrer Eigenarten nicht mehr vermittelt werden. Kein noch so rücksichtsvoller Nachbar hätte diese Lautstärke auf Dauer ertragen. Und genau aus diesem Grund hatte sich Pia diesen Aussiedlerhof gekauft.

Doggenhündin Afra teilte ein ähnlich unschönes Schicksal. Irgendwann zu groß für die zu kleine Wohnung, wurde die Hündin kurzerhand in das Gartenhaus verfrachtet. Für immer. Neun lange Jahre musste sie dort die Sommer und die Winter verbringen. Besonders während der kalten Jahreszeit fror die kurzhaarige Hündin, was eine schwere Nierenerkrankung nach sich zog. Bei Pia wurde Afra gepäppelt und inzwischen war sie ein Methusalem. Doggen hatten schon großes Glück, wenn sie überhaupt ein Alter von sechs bis sieben Jahren erreichten.

Pia liebte die Hunde heiß und innig und war sich ihrer schweren Last bewusst. Sobald eines der Tiere verstarb, zog das nächste ein, denn solche Plätze waren heiß begehrt. Es gab zu viele Hundesenioren und zu wenig verständnisvolle Menschen, die auch solch einem Tier eine Chance boten und ihr Herz verschenkten. Die immerwährende Angst, den Hund bald wieder zu verlieren, wirkte auf zukünftige Besitzer abschreckend.

Aber Pia fühlte sich dem gewachsen. Sie wollte wieder gutmachen, was die früheren Besitzer versäumt hatten. Das schreckliche Dasein, welches die Hunde bis dahin fristeten, sollte der Vergangenheit angehören. Viele hielten Pia für verrückt und die Euthanasie tatsächlich für angemessen. Sie verstanden nicht den Sinn dahinter, noch so viel Geld in diese Vierbeiner zu stecken. Doch Pia vertrat die Ansicht, dass jedes Lebewesen das Recht auf ein ehrwürdiges Leben besaß.

„Kommt, meine Mäuse“, lockte sie die beiden Hundedamen ins Wohnzimmer, wo sie den Fernseher einschaltete und es sich auf der Couch bequem machte. Sie gähnte herzhaft und rieb sich die Augen. In den letzten Nächten hatte sie sehr schlecht geschlafen und machte sich zusätzlich Sorgen wegen Afra. Die Hündin verweigerte seit zwei Tagen ihre Mahlzeiten und auch der Tierarzt konnte nicht mehr helfen. Ihr wurde schwer ums Herz, wenn sie an den bevorstehenden Abschied dachte.

Und dann war da noch diese andere Geschichte, die ihr den Schlaf raubte. Irgendwann, kurz nach dem Einzug, hatten diese seltsamen Träume angefangen, in denen sie hochschwanger in ihrem Bett lag und leise schlurfende Schritte vor der Schlafzimmertür hörte. Jedes Mal sprang sie panisch auf, verschloss hastig die Tür und hockte sich dann verängstigt in eine Ecke. Irgendetwas wartete da draußen und wollte nur eines: Das ungeborene Kind. Es kratzte am Holz und flüsterte mit leiser Stimme: „Gib es mir, es gehört dir nicht.“

Wenn sie am Morgen erwachte, hielt sie ihre Hände meist schützend über den Bauch gepresst. Inzwischen fürchtete sie sich sogar vor dem Einschlafen.

In einem Buch zum Thema Traumdeutung hatte sie gelesen, dass dieses Gehöft so eine Art Kind für sie darstellte und sie deutlich mehr belastete, als sie sich eingestehen wollte. Trotzdem war sie hier glücklich und schaffte sich ein behagliches Nest. Natürlich brachte die Sanierung einen Berg Arbeit mit sich. Aber wer konnte schon von sich behaupten, mit zweiundzwanzig Jahren stolzer Besitzer seiner eigenen vier Wände zu sein?

Auch sonst war sie rundum zufrieden. Die Liebe zwischen Felix und ihr entwickelte sich und es gab selten Meinungsverschiedenheiten. Jeder spürte die Harmonie dieses jungen Paares. Pias Eltern mochten Felix sehr und die zukünftigen Schwiegereltern akzeptierten sie als Partnerin ihres Sohnes. Sie war behütet aufgewachsen und kein Scheidungskind. „Eben alles easy“, würde ihre beste Freundin Carina wie üblich sagen. Als das Telefon unerwartet klingelte, zuckte sie zusammen.

„Hallo Liebes, alles in Ordnung bei dir?“

„Ja Felix, alles bestens.“

„Du wirkst in letzter Zeit so bedrückt, deshalb rufe ich noch einmal an. Geht es dir auch wirklich gut.“

„Mach dir bitte keine Sorgen, du hast mit deinem Studium schon genug um die Ohren. Du weißt ja, Afra baut täglich ab und ich muss mich auf einen baldigen Abschied vorbereiten. Das macht mich mürbe.“

„Kann ich gut verstehen. Ich will mir noch gar nicht vorstellen, wie es ohne sie sein wird. Hätte nie gedacht, dass mein Herz einmal so sehr an einem Vierbeiner hängt.“

In Gedanken sah sie ihn am anderen Ende der Leitung lächeln. Afra bevorzugte Felix und sie schien tatsächlich ein typischer Männerhund zu sein. Aber auch Felix hatte eine innige Beziehung zu dieser alten Doggendame aufgebaut.

„Es ist alles okay, Felix. Morgen bist du wieder hier und ich freue mich auf dich. Hab einen schönen Abend und genieße dein Klassentreffen.“

„Das werde ich, bis morgen Pia.“

Diese eine Nacht würde sie auch noch überstehen. Morgen hatte sie zeitig Feierabend und konnte sich später ausschließlich Afra und Felix widmen.

Trotzdem wuchs das innere Unbehagen, wenn sie an die bevorstehende Nacht dachte. Diese Träume machten ihr Angst. Sie wusste nicht genau, ob ein direkter Zusammenhang bestand, aber seitdem es Afra schlechter ging, häuften sie sich. Oder war ihre körperliche Verfassung daran schuld? Sie traute sich einfach nicht, Felix in ihre Ängste einzuweihen. Schon gar nicht nach letzter Nacht.

Im Traum hatte sich dieses Etwas, das ständig vor ihrer Schlafzimmertür lauerte, Einlass verschafft und mit aller Macht versucht, ihr das Kind aus dem Leib zu reißen. Voller Verzweiflung hatte sie sich gewehrt und war erschrocken aufgefahren, als Biene laut zu kläffen begann. Sie beruhigte die Dackeldame und vermeinte, in die plötzlich eintretende Stille hinein tatsächlich schlurfende Schritte im Flur zu hören.

Noch nie hatte sie sich so gefürchtet, wie in diesem Augenblick. „Ist da jemand?“ hatte sie in ihrer Naivität laut gerufen und natürlich keine Antwort erhalten. Nach einer kurzen Verschnaufpause echauffierte sich Biene erneut und wollte sich einfach nicht beruhigen lassen.

Panisch hatte Pia ihre Finger in die Bettdecke gekrallt, während das Herz ein Staccato hämmerte. Sie fürchtete sich vor einem Einbrecher, das war schließlich eine logische Konsequenz. Aber wer würde überhaupt in dieses Gemäuer einbrechen? Schon von außen sah man dem Gebäude an, dass es hier nichts zu holen gab.

Zitternd war sie mit Afra und Biene im Schlepptau zur Tür geschlichen und hatte in jedem Zimmer für Festbeleuchtung gesorgt. Aber weder ein Einbrecher noch ein Geist waren ihr über den Weg gelaufen. Sicher, Biene war dement und wer konnte schon mit Gewissheit sagen, was diese Aufregung verursacht haben könnte? Vielleicht hatte sie sich nur vor Pias Bewegungen im Schlaf erschreckt.

„Du bist so grottenschlecht, dir alles schön zu reden“, murmelte sie verbissen im Zwiegespräch. Wie bei einem Nachhall hörte sie von nun an ständig diese schlurfenden Schritte. Und nicht nur während des Schlafes, nein, das wäre ja zu einfach. Unruhig schien jemand durch das Haus zu geistern, um sie in Panik zu versetzen.

Felix sollte ihr am gemeinsamen Wochenende neue Schlösser einbauen. Wer auch immer diesen Schabernack mit ihr trieb, sollte auf der Stelle ausgebremst werden.

Nun war sie es, die ins Bad schlurfte, sich einer Katzenwäsche unterzog und Zähne putzte. Dann schlüpfte sie unter die Decke und löschte das Licht.

Der Mond hatte sich hinter einer dichten Wolkendecke versteckt und es war verdammt dunkel. Afra schnaufte leise und Biene knabberte hingebungsvoll an ihrer Pfote. Der Gedanke erschien ihr ziemlich affig, aber sie würde sich so ein Nachtlicht besorgen. Diese Dinger waren zwar für Kleinkinder gedacht, aber das sah ja schließlich keiner. Und vor Felix würde sie die Leuchte verbergen.

Verzagt schloss sie die Augen. Würde sie auch in dieser Nacht so ein scheußlicher Albtraum heimsuchen, sobald sie der Schlaf übermannte?

Trotz dieser bizarren Träume fand sie die Tatsache erstaunlich, dass sie den Fötus in ihrem Leib so deutlich spüren konnte. Dabei war sie noch nie schwanger gewesen. Diese leichten Tritte und dieses sanfte Boxen - was für ein großartiges Gefühl. Doch ständig gesellte sich eine beklemmende Angst hinzu, dieses ungeborene Wesen in ihrem Bauch zu verlieren.

Plötzlich lauschte sie in die Stille hinein. Irgendwo da draußen nahe beim Haus weinte ein Baby. Mit einem Satz sprang sie aus dem Bett. Sie musste sich verhört haben! Ihre Knie schlotterten, aber sicher nur, weil der Boden die Kälte auf ihre nackten Füße übertrug.

Warum sollte ausgerechnet außerhalb des Dorfes ein Kind weinen, noch dazu mitten in der Nacht? Klang das nicht genauso ähnlich, wenn Katzen sich paarten? Aber eigentlich war Anfang November die Paarungszeit vorbei, hatte sie zumindest gedacht.

Immerhin, für dieses Geschrei hatte sie wohl eine natürliche Erklärung gefunden. Erleichtert krabbelte sie zurück unter die Decke, wo es so herrlich warm und kuschelig war. Mit einem Seufzer rollte sie sich auf die Seite und war ruckzuck wieder eingeschlafen.


Leider währte der Friede nicht lange. Irgendwann, weit nach Mitternacht saß sie aufrecht zwischen den Kissen. Da! Ganz deutlich hörte sie die schlurfenden Schritte vor ihrer Zimmertür - auf und ab und wieder auf und ab. Dann knarzte die Treppe. Ihre zitternden Hände tasteten sich hektisch zur Nachttischlampe vor. Endlich Licht! Biene lag wie immer am Fußende. Den Kopf hatte sie allerdings zur Tür gewandt und spitzte ihre Dackelohren. Die Hündin musste also auch etwas wahrgenommen haben. Oder waren sie beide schon senil?

Warum musste Felix auch ausgerechnet heute bei seinen Eltern übernachten? Meist hörten diese Phänomene auf, sobald er bei ihr war. Steuerte ihr Unterbewusstsein diese Sinnestäuschungen, weil sie sich insgeheim wünschte, dass er für immer blieb?

Inzwischen zählte sie verzweifelt die Nächte und konnte es kaum mehr erwarten, ihn am Wochenende um sich zu haben. Verdammt, was war nur mit ihr los? Litt sie so sehr unter der Trennung, weil sie eine Wochenendbeziehung führten?

Felix studierte Informatik und würde erst in zwei Jahren das Studium beenden. Sie hatte diesen Umstand als gar nicht so schlimm empfunden und kam mit dieser Situation ganz gut zurecht.

Erneut knarzten die Stufen und Biene knurrte leise. Pia fehlte eindeutig der Mumm, um in den Flur zu stürmen und nach dem Rechten zu sehen. Sie vergrub sich stattdessen unter der Bettdecke und sehnte das erlösende Klingeln des Weckers herbei. Dann konnte sie endlich in der Morgendämmerung aufstehen und den Schrecken der Nacht hinter sich lassen.


Als der Weckruf endlich ertönte, wäre Pia vor Schreck beinahe aus dem Bett gefallen. Sie war tatsächlich noch einmal eingedöst, glücklicherweise ohne quälende Träume. Schlaftrunken tappte sie ins Bad und duschte. Bei Tageslicht sah die Welt doch gleich viel freundlicher aus. In der Küche kippte sie rasch einen Kaffee hinunter und verdrückte dazu einen Müsliriegel. Dann rief sie ihre vierbeinigen Ladys zu sich. Biene tippelte ihr freudig hinterher, nur Afra fehlte. Die lag im Körbchen und blickte zu Pia auf, als sie das Wohnzimmer betrat.

„He, Süße, was hast du denn?“

Müde legte Afra ihren großen Schädel in Pias Hände. Der gebrochene Blick sprach Bände. Die Hündin erhob sich schwerfällig, schwankte und ließ sich wieder fallen. Warum musste es ihr ausgerechnet heute so schlecht gehen? Pia hatte den gesamten Urlaub bereits aufgebraucht und der Vater verstand da keinen Spaß, Extrawürste gab es keine. Ihre Mutter konnte sie nicht vertreten, die weilte auf Norderney. Anne hatte sich die Kur von ihrer Krankenkasse wohlverdient erkämpft.

Zärtlich kraulte Pia die Doggendame hinter den Ohren. „Willst du heute lieber zu Hause bleiben? Gut, dann komme ich während der Mittagspause vorbei.“

Vom schlechten Gewissen angetrieben jagte sie in die Firma. Ihre Konzentration ließ am Vormittag sehr zu wünschen übrig. Sie verzettelte sich bei den Rechnungen, tippte die Namen verkehrt, wirkte fahrig und nervös. Ihre Gedanken weilten ständig bei Afra. Solche Tage hatte die Hündin öfter, an denen sie sich nur mühsam erheben konnte und der Kreislauf schlapp machte. Aber dieser verhangene Blick am Morgen gab Pia zu denken.

Sie verzichtete auf die Frühstückspause und nutzte die Viertelstunde, um mittags eher nach Hause fahren zu können. Wie eine Wahnsinnige raste sie mit ihrem Wagen über die Landstraßen, rannte zum Haus und riss die Tür auf. Mit klopfendem Herzen betrat sie das Wohnzimmer. Gott sei Dank, Afra schlief.

Sie warf die Jacke in den Flur, füllte eine Schüssel mit Wasser und reichte sie der Hündin. Doch die rührte sich kaum und hatte kein Interesse am kühlen Nass. Afra schien nicht mehr ansprechbar zu sein. Ihr Blick war in unbestimmte Ferne gerichtet und sie atmete unregelmäßig. Pia umarmte sie und musste weinen.

„Wie soll ich denn ohne dich weiterleben? Du kannst jetzt noch nicht gehen.“

Die Tränen ließen sich nicht mehr stoppen und tropften auf das schwarze Fell der Hündin. Afras Atem wurde flacher und Pia presste die Hündin fester an sich. Ein Ruck ging durch den Hundekörper und Pia purzelte zur Seite. Ächzend erhob sich die Hündin. Ihre Beine zitterten, aber der Blick war wieder klar und die Rute wedelte beschwingt. Sie erkannte ihr Frauchen und rieb den großen Schädel wie üblich an Pias Beinen.

„Mein Gott, Afra, ich dachte schon du …“

Nein, aussprechen wollte sie es nicht. Der Hündin fehlte eindeutig die Kraft und sie ließ sich wieder fallen. Pia setzte sich neben sie. Wann um Himmels willen war der richtige Zeitpunkt, um ein Tier zu erlösen? Aber Afra jetzt einfach so hochzureißen und ins Auto zu verfrachten kam nicht infrage.

Liebevoll streichelte sie die Hündin, die sich langsam entspannte. Die Beine rutschten leicht nach vorn und der Kopf sank auf die Brust. Afra atmete tief ein und wieder aus.

Ein leichter, kaum hörbarer Seufzer verließ die meist sabbernden Lefzen. Augenblicklich blieb die Zeit stehen und der mächtige Kopf sackte zur Seite. Pia konnte förmlich spüren, wie das Leben aus der Hündin wich.

„Afra? Nein ... nein, bitte nicht ...“ Verzweifelt rüttelte Pia den leblosen Körper, weinte und wimmerte und wünschte sich die Seele ihres Hundes zurück. Immer wieder stammelte sie fassungslos: „So wach doch auf, meine Große, so wach doch bitte auf!“

Schluchzend verharrte sie neben dem Hundekörbchen, bis das Telefon klingelte. Mühsam rappelte sie sich auf.

„Ja?“

„Pia, wo bleibst du denn? Die Mittagspause ist längst vorbei und ich kann Unpünktlichkeit nicht ausstehen.“

„Papa entschuldige, aber Afra ist soeben gestorben. Ich kann nicht mehr in die Firma zurück.“

„Auch das noch ... Ich habe dir doch gleich gesagt, dass es schwer werden wird, aber du wollest ja nicht hören!“

„Bitte sei still, Papa. Vorwürfe bringen sie mir auch nicht zurück.“

„Tut mir leid, Kleines. Wenn du Hilfe brauchst, dann melde dich. In Ordnung?“

„Ja Papa.“

Die Angst ist dein Feind

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