Читать книгу Die Angst ist dein Feind - Ana Dee - Страница 15
Kapitel 9
ОглавлениеErschöpft trat Pia den Heimweg an, der lange Arbeitstag in der Firma hatte ihr einiges abverlangt. Der andauernde Schneefall erschwerte ein schnelles Vorwärtskommen und sie war erleichtert, als der Wagen endlich in der Scheune stand. Mit letzter Kraft schob sie das große Holztor zu, stapfte durch den Schnee zum Haus und schloss die Eingangstür auf.
Der vertraute Geruch nach altem Haus und Hund strömte ihr entgegen. Noch immer war es für sie unbegreiflich, den so hart erkämpften Traum aufgeben zu müssen. In der Firma hatte sie überall herumgefragt, ob die Kollegen vielleicht einen netten Vermieter kannten, der nichts gegen zwei brave Hundesenioren einzuwenden hätte. Aber nach jedem Gespräch folgte ein Kopfschütteln oder ratloses Schulterzucken. So kurz vor Weihnachten zog selten jemand um.
Im Flur stellte sie die Tasche ab und eilte mit einer Taschenlampe bewaffnet hinüber zum Stall. Der Lichtkegel glitt über altes Gerümpel vom Vorbesitzer und den sich ständig verkleinernden Holzstapel. Auf einem Bretterhaufen kam er zum Stehen. Sie zerrte hastig zwei infrage kommende Bretter aus dem Haufen und lief mit pochendem Herzen zum Wohnhaus zurück. Der verwinkelte Stall wirkte einfach zu unheimlich, um sich hier länger aufzuhalten und außerdem hatte sie in der Eile vergessen, die Eingangstür abzuschließen.
Zurück im Haus, schnappte sie sich den Hammer und die Packung mit den Nägeln und lief in die obere Etage. Bevor sie die Klinke zur Kammer herunterdrückte, hielt sie kurz inne. Das Ohr an den spröden Lack der Holztür gepresst, lauschte sie, doch es war kein Mucks zu hören. Zögerlich öffnete sie die Tür, die leise knarrend aufschwang, und tastete nach dem Lichtschalter.
Alles bestens, nur der Schaukelstuhl störte vor dem Fenster. Nachdem sie ihn zurück an seinen Platz geschoben hatte, hielt sie die Bretter an das Holz des Fensterrahmens und jagte die Nägel hindurch. Da sie den Hof sowieso verkaufen wollte, machte es ihr nichts aus, die Fenster auf diese Weise zu ruinieren.
Zufrieden betrachtete sie ihr Werk, hier kam niemand mehr herein. Sie ärgerte sich, dass ihr die Idee mit den Brettern nicht schon viel eher in den Sinn gekommen war.
Nachdem sie sich in der Küche einen Tee gekocht hatte, setzte sie sich mit dem Tagebuch auf die Couch und begann zu lesen.
25. Februar 1939
In den letzten Wochen fehlten mir die Zeit und die Kraft, um ein paar Zeilen in mein Büchlein zu schreiben. Ich fühle mich hundeelend und ich weiß gar nicht, wie ich mit dieser neuen, beängstigenden Situation umgehen soll. Alles hat sich verändert, wirklich alles.
Mir war überhaupt nicht bewusst gewesen, dass Albert mich schwängern könnte, doch es ist tatsächlich passiert. Ich bin mit diesem befremdlichen Gedanken völlig überfordert. Ständig hallen Mutters qualvolle Schreie in meinen Ohren wider, die sie ausstieß, wenn sie eines meiner Geschwisterchen zur Welt brachte. Eine lange, laute und blutige Prozedur.
Und genau das steht mir nun bevor. Ich werde einem kleinen Wesen das Leben schenken und fühle mich noch gar nicht bereit dazu. Und dann diese Schande - ein uneheliches Kind von Marthas Ehemann! Sobald ich daran denke, beginne ich unkontrolliert zu zittern.
Ich hasse Albert, ich hasse ihn so sehr! Wie konnte er mir das nur antun?
Nachdem es mir gesundheitlich immer schlechter ging, hat Martha mich zur Seite genommen und gefragt, ob ich noch Blutungen hätte. Ich habe es verneint und sie erklärte mir dann, dass ich schwanger sein könnte. Mit zusammengekniffenen Augen hat sie mich grimmig angeschaut und wollte wissen, ob es einer von den Knechten gewesen war. Gerade sie muss doch wissen, was der Bauer mir antut, diese Scheinheilige.
Noch bevor ich antworten konnte, packte sie mich am Schlafittchen und rief den Albert herbei.
„Da, schau dir die Magd an, dieses verlotterte Luder ist schwanger! Anstatt zu arbeiten, vergnügt sie sich mit den Männern auf dem Hof. Und du, mein liebster Albert, weißt nicht zufällig, wer der Vater dieses Bastards ist?“
Marthas Stimme triefte vor Abscheu und sie stieß mich am Kragen in seine Richtung. „Na, willst du ihm vielleicht mitteilen, welcher Hallodri das Vergnügen mit dir hatte? Noch keine fünfzehn Lenze und schon einen Balg unter dem Herzen. Dir werde ich diese Schlamperei noch austreiben, lass dir das gesagt sein. Ich dulde keine Unzucht auf meinem Hof!“
Albert zuckte nur teilnahmslos mit seinen Schultern und tat so, als ginge ihn das ganze Drama nichts an. „Woher soll ich denn wissen, mit wem sie es treibt? Frag doch den Gustav oder den Willi! Vielleicht macht es Madame auch mit beiden?“
„Ich frage aber dich!“, keifte Martha zurück und krallte sich erneut in meine Jacke.
Ich entzog mich dem Klammergriff der Bäuerin und brüllte wutentbrannt: „Ich habe es mit keinem von beiden getrieben! So etwas hatte ich noch gar nicht in meinem Kopf! Ich wollte das nicht, ich wollte das niemals!“
„Ach ja?“ Marthas Gesicht glühte vor Zorn. „Beteuert ihr lüsternen Weiber nicht ständig eure Unschuld? Aber sobald ein uneheliches Kind im Bauch heranwächst, ist es damit vorbei. Spätestens dann müsst ihr euch den Konsequenzen eures unzüchtigen Handelns stellen. Und du, Albert? Du bist ein elender Lügner und Lump!“
Sie spuckte ihm vor die Füße, holte kraftvoll aus und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige. Dann rauschte sie wütend an ihm vorbei.
Jetzt war ich wieder an der Reihe. Inzwischen hatte sich Albert verärgert vor mir aufgebaut. „Konntest du nicht besser aufpassen?“, murrte er mich an. „Wenn du es schon machen willst, dann gefälligst an solchen Tagen, wo nichts passieren kann.“
In mir tobte ein Orkan, der sich kaum bändigen ließ. „Bauer, du hast dir einfach genommen, was dir überhaupt nicht zusteht, und ich habe es gewiss nicht freiwillig getan. Du hast mich auf den Boden gedrückt und meine Beine gespreizt, vergiss das nicht.“
Seine Hand schoss nach vorn und umklammerte schmerzhaft meinen Arm. „Pass schön auf, was du sagst, noch bin ich der Herr auf diesem Hof! Hast du das verstanden?“ Er zog angewidert seine Mundwinkel nach unten und stieß mich wie Abschaum von sich.
Noch immer muss ich weinen über so viel Ungerechtigkeit. Niemals würde ich mich mit so einem alten, hässlichen und noch dazu verheirateten Mann einlassen. Und ich bin mir sicher: Der Bauer weiß das auch!
Ich werde wohl nie die große Liebe finden. Wer will schon eine Frau, so wie ich es bin …
„Oh Annika, es tut mir so leid und ich würde dir so gern beistehen“, flüsterte Pia mit tränenerstickter Stimme und ihr ausgeprägter Gerechtigkeitssinn meldete sich zu Wort. Sie verfluchte Martha und Albert, die mit der jungen Magd wie mit einer Leibeigenen umsprangen. Von Einsicht oder Barmherzigkeit fehlte jede Spur.
Warum versuchte die Bäuerin nicht, sich mit der Situation zu arrangieren? Auf diese Weise konnte sie doch noch ein Kind aufwachsen sehen und es sogar umsorgen. Stattdessen musste die Magd für das Verhalten ihres untreuen Gatten büßen. Annika hatte sich dieses Schicksal doch nicht ausgesucht! Im Gegenteil, Albert hatte sie doch erst in diese missliche Lage gebracht.
Pia hielt einen kurzen Moment inne. War eines der Kinder vielleicht von Annika? Was, um Himmels Willen, hatte sich hier abgespielt? Sie musste der Sache unbedingt auf den Grund gehen.
30. März 1939
Ich bin sehr bekümmert, mein einziger und bester Freund weilt nicht mehr unter uns. Poldi, der Hofhund, ist urplötzlich verstorben, dabei war er noch gar nicht so alt. Am Morgen lag er steif an der Kette und hatte Schaum vor dem Maul. Willi ist der Meinung, dass er Rattengift gefressen hat, obwohl er seit zwei Tagen an der Kette hing. Wurde er vielleicht absichtlich vergiftet?
Jetzt muss ich andauernd weinen und die Trauer schlägt mir aufs Gemüt. Warum hat mich Vater nur hierher geschickt? Wieso hat er mir das angetan? Zuhause wäre ich nicht schwanger geworden, niemals! Poldi hat mir immer tröstend über die Hände geschleckt und mir zugehört. Jetzt bin ich ganz allein. Martha weigert sich vehement, einen neuen Hofhund anzuschaffen und so bleibt Poldis Platz genauso leer wie mein Herz.
Ich hasse diese Welt!
Inzwischen tanzten die Buchstaben vor Pias Augen. Sie war einfach viel zu müde, um sich weiter den Zeilen zu widmen. Sie legte das Buch zur Seite und hoffte auf eine ruhige Nacht.