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On the Road
ОглавлениеAnfang Juli 2021
New York City, New York
Es kam selten vor, dass Bernart Dierolf einen Hafen betrat. Freiwillig eher nicht. Erst recht nicht, wenn es sich um den Hafenbereich von New York handelte.
Doch Bryans Anweisungen waren deutlich gewesen, und so postierte er sich mit mürrischem Gesicht am frühen Vormittag an dem ausgemachten Treffpunkt. Die Gerüche und der Lärm, die zu ihm herüberwehten, ließen seine Laune nicht gerade steigen.
Einzig die Aussicht, dass er New York nicht lange ertragen musste, ließ seine Stimmung nicht komplett abstürzen. Zudem war er, wenn er ehrlich war, mehr als gespannt, was die kommenden Wochen auf ihn zukommen würde.
Er betrachtete die Harley zwischen seinen Beinen und konnte sich ein selbstzufriedenes Grinsen nicht verkneifen. Theo und er hatten die Road King in mühevoller Arbeit restauriert, und jetzt strahlte sie in neuem, bronzefarbenem Glanz. Sie hatten es sogar geschafft, diesem Baby ein paar PS mehr unter die Haube zu pflanzen. Es hatte Monate gedauert, und Dierolf hatte jede freie Zeit dafür genutzt. Jetzt konnte er mit Recht behaupten, dass es sich gelohnt hatte.
Es war schon länger her, dass er mit einem Bike durch die Gegend gefahren war, aber er hatte diese Zeit noch sehr positiv in Erinnerung. Somit war die Aussicht, die nächsten Wochen auf der Straße zu verbringen, gar nicht mal so übel. Zumal er überhaupt nichts dagegen hatte, seine neue Heimat zu erkunden.
Von daher musste er Bryan für diesen Job sogar dankbar sein. Was er natürlich niemals zugeben würde.
Gespannt blickte er wieder Richtung Hafen. Es war etwa ein Jahr her, dass er Mitglieder der Road Bastards kennengelernt hatte. Damals halfen die drei seinem Enkel Wulf Riemann bei der Rettung einiger Rudelfrauen. Beinahe hätten sie dafür mit ihrem Leben bezahlt, doch O’Brians, Wulfs und seine eigene Fürsprache, und nicht zuletzt Bryans Argumente, hatten Chief Martinak dazu bewogen, die drei Outlaws nicht hinzurichten.
Seitdem hatte er nichts mehr von ihnen gehört. Bryan hielt sich mit Informationen über die Road Bastards sehr zurück. Umso neugieriger war Dierolf, was die Biker von seiner Kindermädchenrolle halten würden. Vermutlich nicht viel, aber Bryan hatte unmissverständlich klar gemacht, dass er nicht bereit war, die Nomads unbeobachtet zu lassen. Immerhin wussten zwei ihrer Mitglieder über Wölfe Bescheid, was eigentlich ein eklatanter Regelbruch war. Runner als alleiniger Aufpasser war wohl nicht vertrauenswürdig genug. Zumindest würden das alle anderen Rudelführer so sehen, da war sich Dierolf sicher. Wölfe wie Runner, die sich keinem echten Rudel anschlossen, wurden per se mit Misstrauen beäugt. Wenn es sich dann auch noch um Outlaws handelte, konnten sie erst recht nicht damit rechnen, dass man ihnen vertraute. Dierolf sah diese Situation sehr viel entspannter. Er kannte Runner nicht, aber der Bursche war seinem Anführer treu ergeben und hätte um das Leben seiner Bikerbrüder gekämpft, das hatte man ihm damals angesehen. So jemand verdiente Respekt, zumal er trotzdem bereit war, Wulfs Rudel zu unterstützen.
Dierolf wusste nicht, was Martinak mit dem Nomad-Anführer ausgehandelt hatte, aber dass der Chief die Biker nicht unbeobachtet ließ, davon konnte man wohl ausgehen. Und so, wie er Martinak kannte, würde dieser mit Sicherheit versuchen, aus einer solchen Verbindung auch Nutzen zu ziehen.
Ein ganz bestimmter Sound ließ ihn aufmerken und dem Geräusch entgegensehen.
Zwischen den Autos bewegten sich sieben Biker im Pulk auf ihn zu. Dierolf verschränkte demonstrativ die Arme und sah ihnen entgegen. Er nutzte die Zeit, um sich einen ersten Eindruck zu verschaffen. Alle Nomads trugen Lederhose, T-Shirt und ihre Club-Kutte, dazu schwere Bikerstiefel und die unterschiedlichsten Helme. Tiger, der President, fuhr vorneweg, direkt hinter ihm Runner und Rusty, der Vize-President. Ihnen folgten Ork, Flash, Lincoln und Liberty. Die Gesichter hatte er sich schon im Vorfeld eingeprägt. Orks hässliche Visage kannte er bereits, aber die anderen Männer waren ihm noch fremd. Er war ehrlich gespannt, wie er sich mit ihnen vertragen würde.
Die Nomads bremsten direkt vor ihm, ohne sich um den nachfolgenden Verkehr zu scheren. Wildes Gehupe und lautes Fluchen war die Folge, was die Biker überhaupt nicht zur Kenntnis nahmen.
Tiger schob das Visier seines Jet-Helms hoch und grinste Dierolf an.
„Du bist Dierolf. Ich glaube, wir hatten schon das Vergnügen.“
Bernart nickte und grinste zurück.
„Yep. Wenn auch nur kurz, aber das wird sich ja jetzt ändern.“
In den Augen des Bikers las Dierolf, dass diesem diese Situation überhaupt nicht passte. Es würde vermutlich länger dauern, bis er das Vertrauen von Tiger gewinnen konnte.
Wie schon vor einem Jahr war er von der Größe und der Präsenz des Outlaws beeindruckt. Tiger hatte die Statur eines Kriegerwolfes und mindestens die gleiche aggressive und furchteinflößende Ausstrahlung.
Dierolf vermutete, dass er es selbst mit seinen Werwolfkräften schwer gegen Tiger hätte, falls es jemals zu einem Kampf kommen würde. Aber er hatte nicht vor, einen solchen Zusammenstoß zu provozieren.
Sein Blick glitt zu Runner, der ihn mit verkniffener Miene ansah. Dierolf war sich nicht sicher, wie viel der Wolf von ihm wusste und wie er zu ihm stand. Immerhin hatte er das Deutschland-Rudel einige Jahrzehnte gemieden und war in Europa als Regelbrecher und Unruhestifter verschrien. Nun, auch das würde er wohl bald herausfinden.
Die anderen Bastards betrachteten ihn mit Skepsis, aber auch mit einer Portion Neugierde. Lediglich Ork schenkte ihm ein hässliches Grinsen.
Tiger drehte sich zu seinen Leuten um.
„Jungs, das hier ist Dierolf. Er ist im Good Old Germany ein paar Leuten auf die Zehen getreten und hat sich spontan entschlossen auszuwandern. Er wird uns auf unserer Tour begleiten.“ Er nickte Richtung Dierolfs Harley. „Niedlich. Frisch gekauft?“
Dierolf bleckte reflexartig die Zähne.
„Frisch repariert, Bastard. Hat mich ‘ne Menge Zeit gekostet.“
Seine Hand strich liebevoll über den Tank, ohne dass er dem Blick des Bikers auswich. Daher entging ihm die Überraschung nicht, die in Tigers Augen aufflackerte.
Der President nickte anerkennend. „Hat sich wohl gelohnt. Na dann, du kannst dich hinten dranhängen.“
Dierolf fügte sich ohne Widerspruch. Tiger hatte das Sagen, das musste er wohl oder übel akzeptieren, und da er selbst maximal den Status eines Hangarounds besaß, konnte er sich wohl darauf einstellen „Mädchen“ für alles zu spielen.
Also reihte er sich ein und folgte den Nomads durch New York. Ein leises Grinsen überzog sein Gesicht, während er unter dem Gedröhn der schweren Motorräder durch die Straßen fuhr. Auch wenn sie mit acht Personen keine besonders große Gruppe waren, erregten sie Aufmerksamkeit. Er selbst war sicher nicht der Auslöser. Mit seiner Jeans und der stinknormalen Lederjacke wirkte er wohl eher wie ein normaler Biker. Die Nomads waren da ein ganz anderes Kapitel. Kuttenträger wurden immer misstrauisch beäugt und das Colour der Road Bastards war nicht gerade unauffällig. Auf dem Rücken prangte groß ein blutroter Totenkopf, der von gelben Flammen umzüngelt wurde. Darüber stand fett die Aufschrift „Road Bastards“, rechts darunter MC und unter dem Logo „Nomad, Germany“. Jeder der sieben Biker trug zusätzlich eine Menge unterschiedlicher Patches auf der Vorderseite. Eines war ihnen allen gemeinsam: das Onepercenter-Logo. Dierolf wusste inzwischen, dass dieses Patch von Bikern verwendet wurde, die sich nicht um die Regeln und Gesetze anderer scherten, sondern nach ihrem eigenen Codex lebten. Hier in den Staaten wurde dieses Patch nur bei echten Outlaws toleriert. Nun, soweit er informiert war, stand es den Road Bastards durchaus zu. Wieweit ihre kriminellen Aktivitäten gingen, konnte er nur erahnen. Ob er mehr erfahren würde, wagte er zu bezweifeln. Clubinterna wurden nicht an Außenstehende weitergegeben. Aber das störte ihn nicht weiter. Seine Aufgabe war es, zufällige Kontakte mit Wölfen möglichst ohne Stress und Aufmerksamkeit über die Bühne gehen zu lassen. Am besten so, dass es die uneingeweihten Mitglieder der Nomads mitbekamen!
Sie verließen New York noch am gleichen Tag, was Dierolf sehr entgegenkam. Offenbar hatte Tiger schon ein Ziel vor Augen. Lediglich ein kurzer Tankstopp hielt sie noch auf. Dann fuhren sie gen Westen, direkt nach Pennsylvania hinein.
Bloomsburg, Pennsylvania
Als sie am Abend Tigers erstes Ziel erreichten, war Dierolf mehr als froh, dass er sein Gesäß schon auf der Tour von Minnesota nach New York „eingeritten“ hatte. Trotzdem war er steif, während er sich von seinem Bike schwang.
Sie waren zu Gast bei den Crazy Eagles, Pennsylvania. Das Clubhaus des MCs lag am Stadtrand von Bloomsburg, einer Kleinstadt im Osten des Bundesstaates. Es war eine alte Fabrikhalle, die von einem stabilen Metallzaun geschützt wurde. Nur ein größeres Tor erlaubte den Zutritt und dieses wurde von zwei finster blickenden Rockern gesichert.
Dierolf registrierte die fette Bewaffnung der beiden mit leichtem Unbehagen, ließ sich aber nichts anmerken. Auch bei diesen Männern war das Onepercenter-Patch nicht zu übersehen.
Offenbar waren sie angemeldet, da Tiger nur wenige Sätze benötigte, bis man sie einließ und sie ihre Maschinen vor dem Gebäude zu den anderen Bikes stellen konnten.
Instinktiv öffnete Dierolf all seine Sinne, um etwaige Bedrohungen zu registrieren, was er aber sofort bereute, sobald sie das Clubhaus betraten. Ungefiltert strömten die vielfältigsten Gerüche auf ihn ein: Adrenalin, Testosteron, Sexualhormone und intensiver Schweiß bildeten lediglich die Spitze davon. Nur mit Mühe verhinderte er ein gestresstes Knurren. Ein bekannter Geruch ließ ihn kurz zur Seite blicken. Runner stand neben ihm und grinste ihn an.
„Keine Sorge“, spottete der Wolf leise. „Man gewöhnt sich schnell dran. Schon mal mit ‘nem MC gefahren?“
„Nein“, knurrte Dierolf missmutig. „Normalerweise hab ich‘s nicht so mit Gruppendynamik.“
Runner lachte leise. „Na, dann viel Spaß.“
Dierolf unterdrückte einen Fluch. Das würde mit Sicherheit anstrengend werden.
Sie blieben zwei Tage bei den Crazy Eagles.
Dierolf teilte sein Zimmer mit Ork, was eine weitere Herausforderung war. Das Aussehen des Nomads störte ihn dabei weniger. Ork trug seinem Namen tatsächlich Ehre. Er war etwa so groß wie Tiger, also eher ein Riese, und genauso breit. Der Bizeps seiner Arme war gewaltig und wurde durch breitflächige Tattoos, die sich über den kompletten Oberkörper zogen, noch besser in Szene gesetzt. Sein Gesicht war dagegen ein anderes Kapitel. Es war mit fetten Narbenwülsten überzogen, die nur von einem wilden Zottelbart verdeckt wurden. Seine Glatze war genauso gezeichnet und Dierolf fragte sich nicht nur einmal, was diesen Mann so verunstaltet hatte. Der Blick des Bikers zeugte allerdings von wacher Intelligenz. Die hellblauen Augen waren ununterbrochen in Bewegung und schienen die Umgebung abzuscannen.
Dierolf mochte ihn. Ork war zweifellos ein Außenseiter in der normalen Gesellschaft und für solche Leute hatte er schon immer Sympathien gehegt. Dass der Biker bei den Outlaws eine Familie gefunden hatte, war vermutlich unvermeidlich gewesen. Hier strandeten viele gescheiterte und verstoßene Existenzen.
Wie gesagt, das störte Dierolf nicht weiter. Sein Problem war das gemeinsame Bett. Dierolf selbst war eher der zähe, asketische Typ, also schlank. Ork dagegen entsprach mehr einem Panzerschrank und entsprechend beanspruchte sein Körper den Platz auf der Matratze.
Das Doppelbett war zwar breit, trotzdem wurde Dierolf an die Bettkante gedrängt und sah sich mehrmals in der Nacht gezwungen, den Biker mit aller Kraft zur Seite zu schieben. Ork grunzte dabei lediglich und sah keine Veranlassung, aufzuwachen.
Nach der ersten Nacht knurrte Dierolf ihn leicht übermüdet von der Seite an.
„Brauchst du immer ein Ehebett oder geht es auch mit weniger Ausdehnung?“
Ork schnaufte amüsiert, während er sich überraschend sorgfältig den Zottelbart durchkämmte – was nicht besonders viel nützte.
„Ich nutze das, was da ist“, kam die erhellende Antwort nach einiger Zeit.
Diesmal schnaufte Dierolf, beschloss aber, nicht auf diesem „Problem“ herumzureiten. Mit etwas Glück bekam er beim nächsten Mal einen anderen Zimmerpartner und bisher hatte sich Ork ihm gegenüber korrekt verhalten.
Der Tag gestaltete sich für ihn erfreulich abwechslungsreich. Die meiste Zeit hockte er im Clubraum und beobachtete die anwesenden Biker. Es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Dierolf konnte circa dreißig verschiedene Gesichter ausmachen. Dazu kamen mehrere Clubmädchen, die unentwegt um die Biker herumwuselten und sich ihnen schamlos anbiederten. Gekleidet waren die meist jungen Frauen äußerst freizügig und der Anblick von nackten Brüsten und diversen anderen Geschlechtsteilen war nichts Ungewöhnliches. Das wiederum gefiel ihm. Da er nicht den Eindruck hatte, dass die Mädchen dazu gezwungen wurden, fand er die Aussichten eher anregend, auch wenn sich keines der Girls an ihn wandte. Sie waren Clubeigentum und er ein Fremder. Ein Freebiker ohne MC.
Dafür beäugten ihn die Biker umso gründlicher.
Immer wieder hockte sich jemand zu ihm und durchlöcherte ihn mit Fragen. Dierolf bemühte sich, so nahe wie möglich an der Wahrheit zu bleiben. Dass auch die Nomads bei seinen Antworten die Ohren aufsperrten, war nicht verwunderlich. Im Großen und Ganzen erzählte er von seinen früheren Touren durch Deutschland. Dass diese nicht immer auf dem Bike stattgefunden hatten, ließ er dabei unter den Tisch fallen.
Der Ton unter den Männern war rau, aber ehrlich.
Klar, ab und zu roch es auch nach Lügen, aber meistens handelte es sich dabei um Aufschneidereien.
Hin und wieder kam es zu kleineren Rangeleien, doch diese konnte man unter Kraftprobe verbuchen. Etwas, was auch bei Wölfen weit verbreitet war. Dierolf begann sich langsam, aber sicher wohl zu fühlen.
Tiger hockte die meiste Zeit bei Moses, dem President des MCs. Obwohl Dierolf die Ohren spitzte, bekam er nur wenig von den Gesprächen mit. Offenbar ging es um irgendwelche Deals, vermutlich illegaler Natur. Er bemühte sich nicht, mehr darüber zu erfahren. Die Geschäfte der Bastards interessierten ihn nicht. Sein Auftrag war ein anderer.
Spannend wurde es, als der Alkoholkonsum gegen Abend zunahm und die Biker enthemmter wurden.
Auch die Clubmädchen ließen jede Zurückhaltung fallen und warfen sich den Männern immer schamloser an den Hals. So manches Pärchen trieb es ungeniert auf der Couch, auf einem Tisch oder an der Wand im Stehen. Für Dierolf war das eher unterhaltsam, bis sich eine der Frauen auf seinem Schoß niederließ.
„Hallo, hübscher Mann“, gurrte sie und drückte ihren Schambereich gegen seinen Schritt. Reflexartig schlang Dierolf die Arme um die junge Frau und hielt sie fest. Die Kleine war höchstens Zwanzig und etwas nuttig geschminkt, aber zweifellos hübsch. Dierolfs Männlichkeit regte sich sofort. Es war schon ziemlich lange her, dass er eine Frau im Bett genossen hatte, was für einen Wolf eher ungewöhnlich war. Aber bevor er etwas sagen konnte, wurde das Mädchen unsanft von ihm heruntergezogen.
Einer der Biker schüttelte sie grob.
„Kümmer dich um die Eagles und nicht um so einen abgefuckten Freebiker“, raunzte er das Mädchen an. Die Kleine quiekte schmerzvoll auf. Dierolf runzelte die Stirn und richtete sich langsam auf. Wenn er etwas überhaupt nicht leiden konnte, dann war es die Misshandlung von Frauen.
„Hör zu Biker“, knurrte er. „Von mir aus kann die Kleine sich um jemand anderen bemühen, aber das ist kein Grund, ihr wehzutun. Lass sie los!“
Sein Tonfall war eindeutig und alle Umstehenden wandten sofort ihre Aufmerksamkeit den beiden Männern zu.
Der Eagle ballte die Fäuste und grinste ihn höhnisch an. Er stank deutlich nach Alkohol, aber Dierolf beging nicht den Fehler, ihn zu unterschätzen. Der Kerl war breiter als er selbst und seine Arme zeigten eine ausgeprägte Muskulatur. Mehrere Narben zeugten von diversen Schlägereien. Vor ihm stand ein kampferprobter Mann.
Ein kurzer Blick in die Runde zeigte Dierolf, dass er keinen Rückzieher mehr machen konnte. Die Eagles warteten eindeutig auf eine Show. Auch die Nomads waren inzwischen aufmerksam geworden und traten in die Runde.
Der Eagle schubste das Mädchen zur Seite. Es schlüpfte sofort hinter die Biker, bevor es sich umdrehte und ebenfalls zusah.
Die beiden Männer umkreisten sich langsam. Dierolf freute sich beinahe auf den Kampf. Das war eine ausgezeichnete Gelegenheit, den Frust der letzten Monate loszuwerden. Gegen Kriegerwölfe anzutreten, war selten mit Erfolgserlebnissen verbunden.
„Los, Digger“, rief einer der Umstehenden. „Mach den Krautfresser fertig.“
Digger ließ prompt die rechte Faust vorschnellen. Dierolf hatte keine Mühe, ihm auszuweichen. Bereits nach wenigen Ausweichmanövern erkannte er, dass der Biker ihm weit unterlegen war. Er selbst war schon immer ein ausgezeichneter Kämpfer gewesen, doch das intensive Training der letzten Monate hatte ihn noch sehr viel stärker und schneller werden lassen. Jetzt war nur die Frage, wie lange er das Unvermeidliche herauszögern sollte.
Kurz erhaschte er einen Blick auf Tigers gerunzelte Stirn. Das gab den Ausschlag. Eine rasche Drehung, ein Hieb in den Magen und der Biker sackte mit einem überraschten Grunzen auf die Knie, wo er nach Luft schnappend hocken blieb. Dierolf hatte seinen Schlag bewusst abgebremst. Trotzdem konnte er nur hoffen, dass er seinem Gegner keinen echten Schaden verursacht hatte.
Doch er sorgte sich umsonst. Nach einigen langen Sekunden sah Digger zu ihm hoch.
„Fuck“, grunzte er. „Hast du Beton in der Faust?“
Dierolf grinste und hielt ihm die Hand hin.
„Heute nicht“, entgegnete er. „Den heb ich mir für den Ernstfall auf.“
Digger ließ sich hochziehen und nickte ihm anerkennend zu. Die umstehenden Biker wirkten ebenfalls beeindruckt und gönnten ihm einige respektvolle Blicke. Auch die Nomads schienen zufrieden. Flash ließ sich sogar dazu herab, den Daumen zu heben, bevor er sich wieder abwandte.
Dierolf bekam eine Bierflasche in die Hand gedrückt und etliche derbe Schläge auf die Schulter. Dann drängte sich wieder die Kleine von vorhin an ihn.
„Digger sagt, ich soll mich um dich kümmern“, strahlte sie ihn an. Er sah zu dem Biker, der ihm zuprostete und sich dann schwer auf einen Stuhl fallen ließ.
„Wie heißt du?“
Bernart nahm einen Schluck aus der Flasche und legte einen Arm um sie.
„Kiki.“
„Wunderbar, Kiki. Was hältst du von ein bisschen Privatsphäre?“
„Du bist ja süß“, kicherte sie und zog ihn mit sich.
Dierolf folgte willig. Ein solches „Geschenk“ durfte man nicht ausschlagen.
*
„Hast die Jungs gestern Abend beeindruckt.“
Tiger prostete ihm zu. Dierolf erwiderte die Geste und zuckte mit den Schultern.
„Schien angebracht“, brummte er. Der Nomad grinste nur.
Sie hockten zu zweit vor dem Clubhaus auf einer Bierbank. Es war später Vormittag und sie gehörten zu den ersten, die aus dem Bett gekrochen waren.
Diese Nacht hatte Dierolf sehr viel angenehmer, weit weg von Ork, verbracht. Kiki hatte erst seine „schicken“ neu erworbenen Ranger-Tattoos bewundert, die seit drei Monaten seine Oberarme und den Hals verzierten, bevor sie ihm eine unterhaltsame Nacht schenkte. Entsprechend kurz war diese ausgefallen, aber das war es wert gewesen. Dierolf fühlte sich so entspannt wie schon lange nicht mehr.
„Das war nicht dein erster Kampf“, kam es von Tiger. „Aber das war zu vermuten. Warum hast du am Anfang mit ihm gespielt?“
„Das wäre sonst langweilig gewesen. Und die sahen alle so aus, als wollten sie ‘ne Show genießen. War ja dann doch kürzer als erst gedacht.“
„Hm, was wäre passiert, wenn du durchgezogen hättest?“
Dierolf betrachtete seine Finger und ballte sie zu einer Faust. „Dann wäre er wohl nicht so schnell aufgestanden.“
Tiger nickte langsam und verschränkte die Hände hinter den Kopf, um nach oben in den blauen Himmel zu starren.
„Du hast getötet?“
Dierolf seufzte genervt. „Was willst du hören? Eine Zahl? Kann ich nicht sagen. Auf jeden Fall zu viele. Der Letzte wollte meine Tochter zerlegen. Da fand ich es angebracht. Aber ich werde jetzt mit Sicherheit keine umfassende Beichte vor dir ablegen.“
Der Biker lachte leise. „Keine Sorge, das erwarte ich auch nicht von dir. Aber ich weiß gerne, wer mit mir fährt. Und was ich von demjenigen erwarten kann.“
Dierolf lehnte sich ebenfalls zurück. „Kommt ganz darauf an was du erwartest. Wenn es um die Unterstützung eurer sogenannten Geschäfte geht: Das kannst du vergessen. Ansonsten halt ich euch gerne den Rücken frei. Solange es sich mit meinem Auftrag vereinbaren lässt.“
„Ist angekommen.“ Tiger streckte die Beine aus. „Ich hab den Jungs gesteckt, dass du an einem Prospectstatus interessiert bist. Das macht deine Anwesenheit glaubhafter, beinhaltet aber diverse Tätigkeiten.“
Ein gehässiges Funkeln blitzte in seinen Augen auf.
Dierolf verzog das Gesicht.
„Hab ich mir beinahe gedacht“, knurrte er. „Und wie ich dich einschätze, ist dir schon was eingefallen.“
Tiger grinste. „Kluger Mann. Siehst du diese schicke schwarze Harley da vorne mit dem sympathischen Totenkopf-Logo? Das Schätzchen hat nach der langen Seereise eine liebevolle Politur nötig.“
„Lass mich raten: Der Rest der Truppe sieht das genauso.“
Jetzt lachte der Nomad laut auf. „Ich sehe, wir verstehen uns.“
Dierolf fügte sich ins Unvermeidliche und stand auf. Es gab Schlimmeres als das Polieren von Motorrädern, das wusste er nach den über dreihundertdreißig Jahren seines unsteten Lebens ziemlich genau.