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KAPITEL 6

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Samstagabend in Lales Bar-Restaurant. Ich stehe an der Bar, nuckle gelangweilt an einem kleinen Bier und blättere im Kinoprogramm des Stadtmagazins.

Die meisten Filme habe ich schon gesehen. Und in den wenigen, die ich noch nicht kenne, spielt Til Geiger die Hauptrolle. „Wusstest du, dass Tilman Valentin Geiger in Meuchelhain, Hessen aufgewachsen ist?“

Lale schüttelt den Kopf.

Die türkischstämmige Deutsche glaubt an Jesus Christus. Sie war schon dreimal verlobt und ist eine der wenigen Barbetreiberinnen, die eine meiner Klanginstallationen im Vorraum ihrer Toilette laufen hat.

„Seine Eltern waren Lehrer, und ihm ist auch nichts Besseres eingefallen, als sich für ein Lehramtsstudium einzuschreiben.“

Lale sieht mich vorwurfsvoll an. Sie mag es nicht, wenn ich derart lautstark vor ihren Gästen rumpöble. Ich aber ignoriere Lales Blick und echauffiere mich weiter.

„Das Studium hat er natürlich verrissen. Ebenso wie seine ersten Theater- und Fernsehauftritte, und dennoch hat es dieser talentfreie Stricher geschafft, bis ganz nach oben zu kommen. Das ist doch krank! Ich meine, dieses ganze Business ist doch total krank!“

Lale stellt mir eine halbe Flasche meines Lieblingswodka hin und sieht mich eindringlich an.

„Hör mal, du kannst den hier gern aufs Haus haben. Aber nur, wenn du deine Ausfälle auf Zimmerlautstärke zurückschraubst. Wenn du das nicht bringst, könnte es sein, dass ich mich vergesse, meine drei Brüder anrufe und dich an die frische Luft setzen lasse.“

Natürlich weiß ich, dass Lales Ansage nicht ernst zu nehmen ist. Sie hat gar keine Brüder, lediglich drei Schwestern, und die wohnen nicht mal in Friedrichshain. Dennoch bin ich ob Lales aggressiven Untertons ein wenig überrascht. So entschlossen habe ich die Betreiberin meiner Lieblingsbar noch nicht erlebt.

Ich entscheide mich für den angebotenen Wodka, erhebe mein Glas und brülle in den halb gefüllten Gastraum: „Til Geiger ist der letzte Kunde. Er ist ein Muttersöhnchen, ein zwergenhafter Clown mit Muschi-Kinn und Sprachfehler.“

Lale schiebt mich durch die Tür nach draußen. Ich ziehe weiter lautstark über Til Geiger her, überschütte den Laiendarsteller mit Verwünschungen übelster Sorte, verfluche seine Eltern und wünsche dem Lackaffen die Schweinepest ins Haus.

„Was ist denn hier los?“

Luca steht hinter mir und sieht mich fragend an. Sein schwarzblaues Inter-Mailand-Trikot ist blutverschmiert. Aus der Umhängetasche lugen mehrere Schlachtermesser hervor. Offensichtlich kommt Luca gerade von der Arbeit.

Luca ist Chefkoch in einem Restaurant am Gendarmenmarkt. Er hat einen 56er Halsumfang, ist am ganzen Körper tätowiert und wechselt häufiger seinen Arbeitgeber als andere. Früher war Luca Hooligan, mittlerweile geht er lieber feiern als zum Fußball.

Ich falle Luca um den Hals und klage: „Luca, niemand will mit mir zusammenarbeiten, alle sind gegen mich. Sogar meine Technik streikt. Das Einzige, was ich aufs Band bekomme, sind türkische Rezepte.“

Nach einer Viertelstunde guten Zuredens seitens Luca gestattet mir Lale, an meinen Stammplatz zurückzukehren. Zwar würdigt mich die Chefin keines Blickes mehr, dennoch darf ich mit Luca weiter trinken und mich selbst bemittleiden.

„Mischa ist einfach ausgestiegen. Eddy bis Ende September ausgebucht. Na, und Betty will anscheinend auch nichts mehr von mir wissen. Ich hatte gehofft, dass sie mir mit ein paar Ideen weiterhilft. Aber sie hat auf keinen meiner Anrufe reagiert. Und nun hat auch noch mein Handy seinen Geist aufgegeben. Die ganze Welt hat sich gegen mich verschworen.“

Luca sieht verdutzt zu mir.

„Dein Handy hat einfach so seinen Geist aufgegeben?“

„Ja, natürlich einfach so. Oder denkst du, ich hätte es gegen die Wand geschmissen?“

Luca lächelt verschmitzt und fragt: „Nun, vielleicht kann ich dir ja mit der einen oder anderen Idee weiterhelfen?“

„Nimm es bitte nicht persönlich, Luca, aber es geht um Musik, um Klangwelten, um große Kunst. Ich meine, du flambierst Lammrücken, tranchierst Seehecht und kreierst Desserts. So gesehen bist auch du ein Künstler. Betty aber promoviert gerade zu Johann Sebastian Bachs Einfluss auf die Musiktheorie des späten 18. Jahrhunderts.“

Luca nickt stumm vor sich hin, was so viel bedeutet, dass er mich, trotz meiner Schmeicheleien, nicht verstehen will. Ich entschließe mich, weiter auszuholen.

„Schau Luca, Christo hatte seine Jeanne-Claude, Bert Brecht die Weigel, Pasolini seine Vorstadtjungs. Will sagen, jeder große Künstler braucht eine Muse.“

Luca runzelt die Stirn.

„Du meinst, so wie Michael Schumacher und Jean Todt damals bei Ferrari?“

„Richtig!“, antworte ich erleichtert.

„Aber bisher hast du doch auch immer alleine gearbeitet.“

Es geht um einen möglichen Auftritt im Zoo. Da muss ich mich ganz anders vorbereiten. Die wollen von mir eine komplett neue Installation, wenn sie mich überhaupt nehmen. Wie soll ich das allein und in nur acht Wochen schaffen?“

„Es ist also wegen der zu geringen Zeitspanne?“, fragt Luca.

„So ist es, die Zeit ist knapp. Vor allem aber brauche ich eine neue Komposition, ein überzeugendes Videokonzept und ein paar ausgefallene Ideen fürs Licht. Du weißt doch, wie riesig das Untergeschoss des Zoo ist. Das ist fast zehn Meter hoch, der Grundriss ist total verschachtelt und die Akustik durch die vielen Säulen unberechenbar.“

„Und deswegen willst du, dass Betty dir hilft?“

„Genau das“, antworte ich.

„Und was, wenn Betty sich wieder in dich verliebt? Ist das nicht ein wenig riskant? Oder glaubst du, dass sie über dich hinweg ist?“

Ich überlege einen Moment lang.

„Ehrlich gesagt, habe ich gar nicht so weit gedacht.“

„Solltest du aber. Wer weiß, vielleicht will sie ja immer noch was von dir“, erwidert Luca und sieht mich fragend an.

Ich nehme mir eine zuvor gedrehte Zigarette und schaue nach draußen.

„Ach, und selbst wenn da wieder was mit Betty laufen würde. Immerhin war sie die Einzige, die meine Klanginstallationen wirklich gemocht hat.“

„Und was ist mit diesem Typen, dem von dem du mir wochenlang vorgeschwärmt hast und dessen Namen ich nicht mehr aussprechen darf?“

„Den Toulouser versuche ich zu vergessen“, antworte ich.

Luca runzelt die Stirn und gibt mir Feuer.

„Ihr trefft euch gar nicht mehr, auch nicht im Club?“

Ich schüttle den Kopf.

„Verstehe. Na ja, vielleicht ist das ja besser so“, antwortet Luca.

„Wieso denn das?“, frage ich.

„Nun, du hast echt ein Händchen, was Typen angeht. Manchmal habe ich sogar den Eindruck, dass du dir grundsätzlich Jungs aussuchst, die dir nicht gut tun.“

„Aber der Toulouser tut mir gut. Er ist alles, was ich will“, antworte ich.

„Letztes Jahr wolltest du noch diesen Typen aus Dresden. Dem hast du die halbe Diplomarbeit geschrieben, bevor du ihn an die Luft gesetzt hast. Davor gab’s da noch den vorbestraften Brandenburger, den drogenabhängigen Züricher und den Moskauer, der wollte, dass du ihn heiratest, damit er eine Aufenthaltsgenehmigung bekommt.“

„Das waren alles Typen mit einem Riss in der Schüssel“, antworte ich.

„Sagt man eigentlich Moskauer oder Moskowiter?“, fragt Luca.

„Die Deutschen sagen Moskowiter.“

„Echt?“

„Ja, echt.“

„Klingt irgendwie behindert.“

„Behindert ist einzig, dass der Toulouser wirklich der Eine ist. Deswegen gelingt es mir auch nicht mehr, mich auf andere Typen einzulassen.“

„Du würdest also mit Betty in die Kiste hüpfen, nur weil du den Einen nicht bekommst?“

Ich zucke mit den Schultern.

„Einfach so weiterzumachen wie bisher, hat ja auch keinen Sinn.“

„Du hast also vor, ein ganz normales bürgerliches Leben zu führen?“

Ich sehe zu meinem italienischen Freund und frage: „Was genau meinst du mit bürgerlich?“

„Na, mit Haus und Hof und Hund und so“, antwortet Luca.

Ich umklammere die Wodkaflasche. Ein unangenehm stechender Schmerz steigt mir langsam die Speiseröhre hoch. Ich schlage mir mit der Hand auf den Brustkorb und atme tief durch.

Luca sieht mich besorgt an: „Alles klar bei dir?“

„Weißt du, meine russische Tante, die hat ihr ganzes Leben allein verbracht. Sie wollte frei und unabhängig sein. Am Ende aber ist sie derart vereinsamt, dass sie angefangen hat, Pendel zu schwingen. Nebenher hat sie sich mit billigen Bonbons vollgestopft und kiloweise Schokolade vernichtet. Irgendwann hat dann ihre Bauchspeicheldrüse versagt, und da sie wie fast alle Sowjetrussen eine Ärzte-Phobie hatte und partout nicht ins Krankenhaus wollte, ist sie jämmerlich daheim zugrunde gegangen.“

Luca schüttelt bestürzt den Kopf.

„Die Schwester meines Großvaters ist auch als Single von dieser Welt gegangen.“

Ich schüttle ungläubig den Kopf.

„Ja, wirklich. Erst ist ihre Lieblingssau aus heiterem Himmel an einer Lungenentzündung verreckt. Zwei Wochen später ist sie dann selbst gestorben. Hatte sich wohl bei ihrer Sau angesteckt.“

Ich sehe Luca mitfühlend an, klopfe ihm auf die Schulter und sage: „Einsamkeit, Luca, Einsamkeit ist schlimmer als Krebs oder die Pocken. Der Mensch ist nicht dafür geboren, allein zu sein. Vor allem aber hindert Einsamkeit einen daran, kreativ erfolgreich zu sein, egal ob man sich nun als Künstler oder Koch durchschlägt.“

„Oh Mann, so habe ich das noch gar nicht gesehen. Aber irgendwie hast du Recht, unser Leben ist echt nicht einfach“, seufzt Luca, während ich ihm nachschenke.

Nach fünf weiteren Runden Wodka auf Lucas Rechnung fühle ich plötzlich, wie meine Energie zurückkehrt.

Ich nehme das Zweithandy meines Mitbewohners zur Hand, wähle die Nummer unseres Dealers und gebe meine Koordinaten durch. Luca fallen sofort die Gesichtszüge ein. Er ist für den nächsten Tag für die Frühschicht eingeteilt und hat ganz offensichtlich keine Ambitionen, sich noch im Zoo die Kante zu geben.

„Ach komm schon, was willst du denn allein daheim, an einem Samstagabend? Du bist doch keine alte Frau“, versuche ich, den Italiener zum Mitfeiern zu überreden.

Noch während Luca mir seine vertrackte Situation darlegt, fährt draußen der bestellte Lieferservice vor.

Ich steige zu unserem Mann ins Auto, lasse mich auf den üblichen Plausch ein und bezahle den bestellten ‚Proviant‘. Freudig kehre ich in die Bar zurück.

„Und, bist du bereit, mein Freund?“, frage ich und sehe Luca herausfordernd an.

„Ehrlich gesagt, habe ich kein gutes Gefühl. Ich dachte, wir wollten nicht mehr so viel feiern, auch wegen deiner Installation und der vielen Arbeit, die damit verbunden ist. Außerdem hattest du mir versprochen, meine Steuer fertigzumachen.“

„Mach dir mal keine Sorgen, deine Steuer mache ich dir kommende Woche fertig.“

Luca rollt mit den Augen und sieht mich kopfschüttelnd an.

„Wir sind zu alt für so was. Glaub mir, wir sind definitiv zu alt.“

„Komm schon, Luca. Bist du müde oder Rüde? Oder hast du kein frisches T-Shirt dabei?“

„Ein frisches T-Shirt habe ich immer dabei“, antwortet Luca und grinst breit.

„Also, ja oder ja?“, frage ich und schenke Luca nach.

„Na gut, was soll’s“, gibt Luca sich geschlagen, wohl wissend, wie der Abend jetzt weitergeht und dass er sich den so dringend benötigen Schlaf in die Haare schmieren kann.

Wir stehen auf, durchqueren den hinteren Gästeraum und betreten unsere persönliche VIP-Lounge, den von Lale stets 1a gewienerten Vorraum der Damentoilette.

Aus den von mir an der Decke installierten Boxen hört man einen experimentellen Mix aus O-Tönen, die ich in der altaischen Hochebene eingefangen habe. Ich schließe die Tür hinter mir ab, hole den erstandenen Stoff hervor und bastle uns binnen weniger Sekunden zwei riesige Lines. Luca reicht mir einen gerollten Schein.

Ich beuge mich über den nach Katzenpisse duftenden Stoff, sehe mit einem schelmischen Grinsen zu Luca hoch und flüstere: „So lange ich mir nicht wie meine russische Tante in die Tasche lüge, ist es mir egal, mit wem ich am Ende glücklich werde.“

Affentanz

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