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KAPITEL 3
ОглавлениеZwei Tage später um acht Uhr morgens auf dem Flughafen Tegel. Ich stehe vor der Anzeigetafel. Die Maschine meines Mitbewohners hat Verspätung. Zerknirscht setze ich mich in die Cafeteria und bestelle einen Kaffee.
Trotzdem ich die letzten beiden Nächte durchgearbeitet habe, bin ich noch immer keinen Schritt weiter. Die Bilder aus meinen Archiven sagen mir nicht mehr zu. Auch mein Versuch, meinem musikalischen Konzept mittels weniger Umstellungen neues Leben einzuhauchen, ist nicht aufgegangen.
„Das macht vier fünfundneunzig!“
Ich sehe zu der Serviererin auf. Das dicke Mädchen sieht mich gelangweilt an und wartet auf eine Reaktion meinerseits. Ich fummle einen Schein hervor.
„Mach fünf und kauf dir was Schönes!“
Das dicke Mädchen nimmt mir das Geld aus der Hand und watschelt Flüche murmelnd davon. Ich nehme mir die aktuelle Ausgabe des „Star-Magazin“ zur Hand. Im Leitartikel werden die Berliner Clubs beschrieben. Der musikaffine Autor, ein gewisser Lars Lerchenberg, schwärmt von der hiesigen DJ-Szene und den exzessiven Partys und schildert seinen Versuch, in den Club Zoo zu gelangen. Dass er am Ende mehrere Stunden umsonst angestanden hat, tut seiner Euphorie keinen Abbruch. Im Gegenteil, in pathetischen Wortgebilden beschreibt er sein Scheitern und ergießt sich in gewagten Thesen in Bezug auf das, was er möglicherweise verpasst hat.
‚Kein Wunder, dass der Zoo derzeit als das Maß aller Dinge gehandelt wird‘, denke ich bei mir, während sich ein Schatten über mein Journal legt. Ich sehe zu dem Verursacher auf und erkenne die Silhouette meines Mitbewohners.
„Ich dache, ich werde abgeholt? Nun darf ich feststellen, dass der Herr sich hier zum Kaffeetrinken und Zeitunglesen eingefunden hat“, motzt Eddy mich an und entledigt sich seiner überdimensional großen Reisetasche.
Eddy ist Ende zwanzig und gebürtiger Charlottenburger. Seine Mutter ist Südkoreanerin, der Vater Deutscher. Eddy arbeitet als Cutter. Er ist ein fanatischer Technikfreak und der größte Anime-Fan, den ich kenne.
„Die Anzeigetafel meinte, dein Flug hätte Verspätung“, antworte ich und stehe auf.
Eddy sieht mich an, als wäre ich ein Hilfsarbeiter.
„Keine Ahnung, was die Leute vom Flughafen für Informationen weitergeben. Laut meiner Uhr sind wir pünktlich gelandet. Der Einzige, der nicht da war, warst du.“
Eddy dreht sich um und läuft los. Ich greife mir seine Reisetasche, hänge sie mir um und laufe ihm hinterher.
Kurz darauf auf dem Parkplatz. Eddy setzt sich auf den Beifahrersitz meines geliebten 244er Volvos und sieht sich im Spiegel an.
„Und, wie sehe ich aus, erholt?“
Ich nehme neben meinem Mitbewohner Platz, starte und antworte: „Braungebrannt und erholt, man könnte meinen, du wärst im Urlaub gewesen.“
„Urlaub, was für Urlaub? Ich habe jeden Tag Sport gemacht, bin am Strand spazieren gegangen und habe mir nachts die Seele aus dem Leib getanzt. Jetzt könnte ich tatsächlich ein paar Tage Ruhe vertragen.“
„Und wie lief es mit deinem Lover? Zieht er es noch immer in Betracht, sich von seinem Freund zu trennen?“
Eddy sieht mich an, als hätte ich Kim Jong-Ils Nachfolger zum Amtsantritt gratuliert.
„Peter kann sich gar nicht von seinem Freund trennen, die beiden sind verheiratet.“
„Ach so, echt?“
„Ja, echt. Er hat es mir am Flughafen gesagt, also bevor wir losgeflogen sind.“
„Netter Zug von ihm“, antworte ich.
„Egal, wir waren ja nicht nur zu dritt unterwegs.“
„Wie viele wart ihr denn?“, frage ich.
„Peter, Peters Mann, die Affäre von Peters Mann und ein vor Ort arbeitender Surflehrer. Alles in allem fünf Männer, die wechselnden Disco- und Ressortbekanntschaften nicht mitgezählt.“
„Und mit wem von denen hast du dir dein Zimmer geteilt?“
„Mal so, mal so.“
„Wie jetzt?“, frage ich und biege auf den Stadtring ein.
„Na, den meisten Sex hatte ich natürlich mit Peter. Dann hat der sich den Magen verdorben. Ab da war ich viel mit Peters Mann und dessen Affäre zusammen. Und weil es so heiß war, haben wir ein paar Mal zusammen geduscht.“
„Und Peter hat das einfach so hingenommen?“
„Peter hat das gar nicht mitbekommen. Er hat zwar mit mir Tür an Tür gewohnt, aber die Diarrhö hat ihn echt ausgeknockt.“
Ich schalte einen Gang höher, sehe zu Eddy rüber und frage: „Das heißt, du bist jetzt mit Peters Mann zusammen?“
Eddy sieht mich gespielt überrascht an und winkt ab.
„Na Hilfe, der ist doch gar nicht mein Typ und außerdem viel zu alt. Nein, ich habe mich an jemand anderen gehalten.“
„Du meinst, an Peter, als der wieder fit war?“
Eddy grinst vielsagend.
„Ja schon, aber nicht so, wie du denkst!“
„Das heißt?“
„Na ja, die meiste Zeit habe ich mit unserem Surflehrer verbracht. Und da es auf Gran Canaria nur selten gute Wellen gibt, mussten wir unsere Zeit anderweitig totschlagen.“
Eddy leckt sich über die Lippen, als könnte er den Surferlehrer noch immer schmecken.
„Du hattest also auch noch was mit eurem Surflehrer angefangen?“, frage ich erstaunt.
„Nun, ich hatte hauptsächlich was mit unserem Surflehrer, der übrigens auf denselben Namen hört wie Peter. Wir mussten die beiden Peters deshalb mit entsprechenden Attributen versehen, um sie besser unterscheiden zu können.“
„Lass mich raten, dein Berliner Peter heißt jetzt Peter der Große?“
„Richtig. Und diesen Namen hat er nicht wegen seiner Körpergröße bekommen“, erwidert Eddy und grinst spitzbübisch.
„Klingt doch nach einem erlebnisreichen Urlaub“, resümiere ich und ordne mich links ein.
„Stimmt, ich habe eigentlich keinen Grund zu klagen. Aber der Urlaub hätte gern auch noch zwei Wochen länger gehen können. Und wie läuft es bei dir so?“
„Könnte nicht besser sein“, lüge ich und donnere über die Bornholmer Brücke.
„Ich meine arbeitstechnisch, kommst du mit deiner Installation voran?“
„Gerade suche ich einen neuen Partner. Einen, der sein Geld sinnvoll investieren will. Immerhin geht es um einen Auftritt im Zoo. Das wäre sicher auch eine Super-Werbung für dich. Du als Cutter könntest ein Engagement wahrscheinlich sogar von der Steuer absetzen.“
Eddy sieht mich erstaunt an.
„Was ist denn passiert? Ist Mischa abgesprungen?“
„Mischas Cousin hat mit seinem letzten Pornodreh ein sattes Minus erwirtschaftet. Mischa war an dem Dreh beteiligt. Jetzt kann er sich einen Künstler wie mich nicht mehr leisten.“
Eddy schaut auf die Straße und überlegt.
„Ich weiß dein Angebot wirklich zu schätzen. Aber mein Konto war schon vor meinem Urlaub hoffnungslos überzogen. Zudem glaube ich, dass eine projektbezogene Zusammenarbeit unsere Freundschaft mit Sicherheit überstrapazieren würde. Mir reicht es schon, mit dir in einer WG zusammen zu wohnen.“
„Wieso bist du dir da so sicher? Du hast doch noch nie mit mir zusammengearbeitet.“
„Glaube mir, das würde hundertprozentig gegen den Baum laufen. Außerdem bin ich bis Ende September ausgebucht. Ich habe also gar keine Zeit, dich bei deiner Arbeit zu unterstützen.“
„Na gut, wie du meinst“, antworte ich und schiebe nach: „Wenn du es dir doch noch anders überlegen solltest, weißt du ja, wo du mich findest!“
„In der Tat, das weiß ich wohl“, antwortet Eddy und grinst.