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KAPITEL 5
ОглавлениеFriedrichshain, Ring-Center 2. Ich bin an einen mobilen Gasgrill angeschlossen und versuche, dem Berliner Thüringer Bratwürste zu verkaufen, um so die Miete für die bei Mischa ausgeliehene Technik zusammenzubekommen.
„Wat soll die Wurst denn kosten?“
Eine alte Frau sieht mich durch ihre mit fettigen Fingerabdrücken übersäten Brillengläser an.
„Einen Euro die Wurst“, antworte ich.
Das Mütterchen kaut auf ihrem Gebiss hin und her, knackt und schmatzt in einer Tour.
„Und die Schrippe, jibt’s die Schrippe umsonst?“
„Der Senf ist umsonst, die Schrippe kostet fünfzig Cent.“
„Wat, so viel? Da ist die Schrippe ja halb so teuer wie die Wurst.“
Ich drehe mit meiner Zange die vor mir brutzelnden Würste um und versuche, dem Mütterchen ein freundliches Lächeln zu schenken.
„Sie können die Wurst auch ohne Schrippe haben, auf die Hand quasi.“
„Auf die Hand, ach wirklich?“
Ich nicke. Das Mütterchen greift in ihren Beutel, fischt eine Brotbüchse hervor, öffnet diese und zwinkert mir schelmisch zu.
„Na, dann man los, junger Mann! Sonst wird die Wurst am Ende noch janz schrumplig.“
Eine Stunde später, nun vor dem Ring-Center 1, näher am U-Bahn-Ausgang.
Mein Rücken schmerzt, ich schwitze wie ein Tier und müsste dringend mal aufs Klo.
„Kauft Würste, Leute! Feinste Thüringer Bratwürste! Nur ein Euro das Stück!“
„Da sind Sie ja, junger Mann! Wieso haben Sie denn schon wieder ihren Platz gewechselt?“
Das Mütterchen von vorhin steht vor mir und sieht mich vorwurfsvoll durch ihre Brille an. Sie hat sich Verstärkung mitgebracht. Einen alten Mann mit Gehhilfe, der sich nur mühsam auf den Beinen hält, und einen dicken Glatzkopf, dem der Bauch unter dem zu kurz geratenem Oberhemd hervorquillt.
„Wir hätten gern zehn Würste, auf die Hand“, erklärt der Glatzkopf und hält mir eine Einkaufstüte entgegen.
„Zehn Würste, ohne Schrippen?“, frage ich nach.
Der Dicke nickt. Ich nehme ihm die Tüte ab, lege die Würste hinein und rufe meinen Preis auf: „Das macht dann bitte zehn Euro!“ Der Dicke hält mir einen Zwanziger entgegen und fragt: „Gibt’s denn keinen Mengenrabatt oder eine Wurst umsonst?“
Ich tue so, als hätte ich die Frage nicht gehört und gebe dem Dicken einen Zehner zurück. Das Mütterchen sieht mich mit großen, traurigen Augen an.
„Und ich dachte, sie hätten ein Herz, junger Mann“, sagt sie beinahe vorwurfsvoll.
Ich atme genervt aus und schüttle den Kopf.
„Na gut, von mir aus. Eine Wurst gibt’s noch obendrauf.“
„Für jeden eine?“, fragt das Mütterchen.
„Ja, für jeden eine. Aber macht bitte keine Werbung bei euren Kollegen. Sonst zahle ich am Ende noch drauf.“
Ich packe zwei Wüste zusätzlich ein und reiche dem Dicken seine Tüte. Das Mütterchen sieht mich zufrieden an. Sie fummelt aus ihrer Manteltasche eine Kette mit Anhänger hervor, tritt ganz nah an mich heran, hängt mir die Kette um den Hals und flüstert: „Auch wenn aus einem Kätzchen nicht ohne weiteres ein Tiger wird, so ist ein Tiger in erster Line auch immer eine Katze.“
Ich nicke, ohne irgendetwas verstanden zu haben. Das Mütterchen lacht in sich hinein, hakt sich beim Dicken unter und tippelt mit ihren beiden Begleitern in Richtung Stadtpark davon. Ich taste nach dem erhaltenen Präsent. Neugierig begutachte ich den Anhänger. Es ist eine Art Amulett, ein mit Patina überzogener, winziger, um sich selbst tanzender Affe.
„Ich habe gar keinen Hunger, aber vielleicht könnten Sie mir ja eine Wurst einpacken?“
Ich sehe zu der jungen Frau auf und bin wie vom Blitz getroffen. „Betty? Was machst du denn hier?“
Betty fasst mich an der Schulter und küsst mich zur Begrüßung auf die Wange.
„Hallo, mein Lieber, ich bin wieder in der Stadt.“
Betty ist Australierin. Ihr Vater ist Major in der Royal Australian Navy, die Mutter Deutschlehrerin, beide sind Nachkommen deutscher Einwanderer. Betty selbst hat in Sydney Musik und Kunstwissenschaften studiert. Danach war sie ein Jahr in Berlin, zwei Monate davon waren wir zusammen.
Ich verliere mich in Bettys himmelblauen Augen und stottere: „Ich … dachte, du bist in Sydney, an der … an der Musikhochschule?“
Betty fährt sich durch die halblangen, blonden Haare und antwortet mit ihrem weichen, australischen Akzent: „Ich war da ein Jahr lang als Lehrerin angestellt, richtig. Aber jetzt bereite ich an der Humboldt-Universität meine Promotion vor.“
„Du promovierst? Das ist ja großartig!“, entgegne ich und überlege, wie ich meinen peinlichen Aufzug erklären könnte.
Vielleicht sollte ich behaupten, dass ich einen Freund vertrete oder bei einer Studie für arbeitslose Teilzeitkräfte mitmache?
Eine der Würste platzt. Es zischt. Der Geruch billigen Schweinefetts steigt auf und zieht mir in die Nase. Betty wedelt mit der Hand den Rauch weg und sieht zu mir.
„Das Thema ist dir sicher vertraut: ‚Johann Sebastian Bachs Musikalische Wissenschaft und ihr Einfluss auf die Musiktheorie des späten 18. Jahrhunderts‘“, erklärt sie.
Ich mache eine ausweichende Bewegung, verbrenne mich beinahe am Grill und sage: „Natürlich ist mir Bach ein Begriff. Ich kenne alle Komponisten, die mit B anfangen.“
Für einen Moment sehen wir uns schweigend an.
„Übrigens, ich bin in meiner alten WG untergekommen, in der Samariterstraße. Ich suche aber noch immer ein Atelier, nur falls du was hören solltest“, sagt Betty schließlich.
„Unglaublich. Also das mit der WG … und überhaupt …“
„Ja, das ist es. Ich hatte mich an mehreren Unis beworben. Die Humboldt hat mir ein Stipendium für zwei Jahre angeboten. Da musste ich nicht lange überlegen.“
„Du hast ein Stipendium bekommen?“, frage ich nach.
Betty nickt.
„Fantastisch“, stelle ich fest und huste ab.
„Ja, schon. Aber ohne ein Atelier kann ich nicht richtig arbeiten, und du weißt ja selbst, wie schwer man heutzutage was Vernünftiges in Friedrichshain findet.“
„Na, wenn du magst, kann ich mich ja mal für dich umhören. Du bekommst die Miete fürs Atelier doch sicher bezahlt, oder?“
„Ja, natürlich. Ich hab sogar ein Technik-Budget bewilligt bekommen.“
„Ein Budget für Technik, soso …“, in meinem Kopf springt die Rechenmaschine an.
Betty zeigt auf mein Gestell und fragt: „Und du verkaufst neuerdings Würste?“
„Nun, na ja, äh …“, stammle ich und suche nach der passenden Antwort.
„Was machen deine Klanginstallationen?“
„Meine Installationen, ja, genau. Mensch, die laufen super! Gibt zwar kaum noch Clubs, die sich Künstler wie mich leisten können, aber hier und da habe ich mittlerweile einen echt guten Stand. Leider wird man als Kreativer in Berlin nach wie vor nur unzureichend gewürdigt. Die meisten Aufträge laufen noch immer unter der Hand, also schwarz. Und wenn mal was offiziell entlohnt wird, fallen die Gagen eher mickrig aus. Deshalb tue ich ein paar Tage im Monat so, als würde ich richtig arbeiten.“
Ich deute auf den Grill und erkläre: „Das Finanzamt wird sonst skeptisch.“
„Der Wurst-Job ist also nur Tarnung?“
„Richtig. Ach, und dieses Wochenende bin ich wieder mit meinem Aufnahmegerät unterwegs. Ich muss nochmal aufs RAW-Gelände, O-Töne aufnehmen. Die Geräuschkulisse da ist phänomenal. Deshalb nehme ich auch mit mehren Mikrofonen gleichzeitig auf. So entsteht ein mehrdimensionaler städtischer Klangteppich.“
Betty lächelt mich wohlwollend an.
Ich breite die Arme aus und sage: „Ach, und demnächst spiele ich wahrscheinlich im Zoo.“
Betty pustet sich eine Strähne aus dem Gesicht und fragt: „Und, mischst du den Sound vor Ort ab oder später im Tonstudio?“
„Erstmal vor Ort. Nachbearbeiten will ich später. Komm doch rum, wenn du magst! Ich bin so gegen eins da. Das wird bestimmt spannend, insbesondere für so eine kompetente Zuhörerin wie dich. Im Anschluss könnten wir ja noch ein paar Bierchen zischen und ein bisschen zusammen feiern, so wie früher.“
Betty zuckt mit den Schultern und sagt: „Klar, gern. Kann aber sein, dass ich es nicht so früh schaffe. Kannst du mich denn im Zoo auf die Gästeliste setzen, nur für den Fall, dass ich später komme?“
„Kein Problem. Gästeliste, das bekomme ich hin“, antworte ich.
Betty holt einen Stift aus ihrer Tasche. Sie notiert mir ihre aktuelle Telefonnummer auf eine Serviette, küsst mich zum Abschied ein zweites Mal auf die Wange und entschwindet ebenso schnell, wie sie aufgetaucht war.